Entscheidungsstichwort (Thema)

Erhöhte Darlegungslast des Arbeitgebers bei fehlendem oder unzureichendem betrieblichen Eingliederungsmanagement. Abgestufte Darlegungs- und Beweislast bei Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten. Bedingungskontrollantrag zwecks Feststellung des Nichteintrittes einer auflösenden Bedingung

 

Leitsatz (redaktionell)

Soll die fehlende Flugtauglichkeit als auflösende Bedingung für den Arbeitsvertrag dienen, dann muss der Arbeitgeber daneben auch im Einzelnen darlegen, warum keine anderweitigen Einsatzmöglichkeiten bestehen und es keine Alternative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gibt.

 

Normenkette

TzBfG §§ 17, 21; KSchG § 7; SGB IX § 167 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 12.12.2017; Aktenzeichen 10 Ca 5377/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.05.2020; Aktenzeichen 7 AZR 100/19)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Dezember 2017 - 10 Ca 5377/17 - werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 20 % und die Beklagte 80 % zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Im Übrigen wird Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses infolge einer auflösenden Bedingung.

Die Beklagte ist ein internationales Luftfahrtunternehmen, das im Bereich des Kabinenpersonals ca. 18.000 Mitarbeiter beschäftigt. Bei der Beklagten existiert für das fliegende Personal eine Personalvertretung gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG iVm. dem Tarifvertrag Personalvertretung (TVPV).

Die Klägerin ist seit dem 9. Juni 1993 bei der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigt und erzielte zuletzt eine Grundvergütung von 3.819,21 Euro brutto monatlich nebst Zulagen und ggf. Provisionen aus dem Bordverkauf. Nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 27. September 1994 (Anlage K 2, Bl. 11 f. d.A.) finden auf das Arbeitsverhältnis die für das Kabinenpersonal der Beklagten geltenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Dazu gehört insbesondere der Manteltarifvertrag Nr. 2 für das Kabinenpersonal in der Fassung vom 1. Januar 2013 (im Folgenden: MTV Nr. 2; Anlage B 2, Anlagenband). Dieser enthält auszugsweise folgende Regelungen:

§ 20 Verlust der Flugdiensttauglichkeit, Beendigung des Arbeitsverhältnisses

(1) a) Wird durch eine fliegerärztliche Untersuchungsstelle festgestellt, dass ein Mitarbeiter wegen körperlicher Untauglichkeit seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, so endet das Arbeitsverhältnis, ohne dass es einer Kündigung bedarf, zu dem Zeitpunkt, zu dem nach Feststellung und Bekanntgabe der Flugdienstuntauglichkeit an den Betroffenen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 22 frühestens zulässig gewesen wäre.

Flugdienstuntauglichkeit im Sinne dieser Bestimmungen ist das auf einem unbehebbaren oder aller Wahrscheinlichkeit nach unbehebbaren körperlichen Mangel beruhende Unvermögen, eine fliegerische Tätigkeit nach den einschlägigen Vorschriften weiter auszuüben.

Vor Stellung eines erstmaligen Antrages an den Rentenversicherungsträger auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsleistungen oder spätestens vor einem entsprechenden Antrag auf Verlängerung befristet gewährter Leistungen kann der Mitarbeiter von der Möglichkeit Gebrauch machen, seine Flugdiensttauglichkeit (ggf. erneut) durch die fliegerärztliche Untersuchungsstelle überprüfen zu lassen.

(…)

(3) Die Bestimmungen des § 19 Abs. (3) gelten für den Fall einer Weiterbeschäftigung als Angestellter mit einer anderen nicht fliegerischen Tätigkeit entsprechend.

§ 22 Kündigung

(…)

(2) Im Übrigen beträgt die Kündigungsfrist bei einer Beschäftigung

- (…)

- von mehr als 12 Jahren

6 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres.

Nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren ist eine ordentliche Kündigung einschließlich der ordentlichen Änderungskündigung durch die DLH ausgeschlossen.

(…)“

Die Klägerin war im Jahr 2016 längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Für den Sommer 2016 war ein betriebliches Eingliederungsmanagement (im Folgenden: bEM) geplant. Im Jahr 2017 war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin war zuletzt nicht schichtdiensttauglich.

Der Medizinische Dienst der Beklagten stellte die dauerhafte Flugdienstuntauglichkeit der Klägerin fest. Mit Schreiben des Medizinischen Dienstes vom 12. Juli 2017 wurden die Parteien zunächst darüber informiert, dass die Klägerin seit dem 12. Juli 2017 dauerhaft flugdienstuntauglich sei (Anlage K 6, Bl. 16 d.A.). Mit Schreiben vom 17. Juli 2017 korrigierte der Medizinische Dienst diese Angabe und teilte den Parteien mit, die dauerhafte Flugdienstuntauglichkeit der Klägerin bestehe bereits seit dem 30. Juni 2017 (Anlage K 7, Bl. 17 d.A = Anlage B 3, Anlagenband).

Mit Schreiben der Beklagten vom 18. Juli 2017, der Klägerin am selben Tage zugegangen, wurde der Klägerin mitgeteilt, dass ihr Arbeitsverhältnis wegen der festgestellten dauerhaften Flugdi...

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