Entscheidungsstichwort (Thema)

Dienstfahrzeug. Dienstpflichtverletzung. Dienstvorschrift. Gesamtschuldner. Schadensersatz. Unfallschaden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verhandlung des Leiters der obersten Dienstbehörde mit dem Hauptpersonalrat nach § 60 c Abs 5 Satz 4 HPVG a.F. kann auch in schriftlicher Form erfolgen.

2. Ein Polizeipräsident verletzt grob fahrlässig seine Dienstpflicht, wenn er entgegen ihm bekannten, eindeutigen Dienstvorschriften einen Angehörigen mit dem Dienstfahrzeug zur Wahrnehmung eines Arzttermins befördern läßt, ohne daß eine plötzliche Erkrankung oder ein Notfall vorliegt.

3. Der Dienstvorgesetzte, der pflichtwidrig eine Fahrt mit dem Dienstfahrzeug zu privaten Zwecken angeordnet hat, haftet im Verhältnis zum Diensteherrn als Gesamtschuldner neben dem Fahrer für einen von diesem verursachten Unfallschaden. Der Dienstherr kann ihn ohne Ermessensfehler allein in Anspruch nehmen. Eine versicherungsrechtliche Haftungsbeschränkung greift nicht ein.

 

Normenkette

BGB § 421; HBG § 69 S. 1, § 70 Abs. 2, § 91 Abs. 1; HPVG § 55 Abs. 4 S. 4; HPVG § 60C Abs. 5; HPVG § 62 Abs. 2 S. 1; PflVG § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger war bis 1989 Polizeipräsident in Gießen. Am 19. März 1985 hatte er um 14.00 Uhr eine Dienstbesprechung betreffend ein von der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Gießen zu bedienendes Funkleitsystem angesetzt. Der Gesprächspartner des Klägers erschien jedoch erst gegen 14.40 Uhr. Für die Zeit von 15.00 bis 16.00 Uhr hatte der Kläger im Bundeswehrkrankenhaus Gießen einen Arzttermin vereinbart, bei dem seiner Tochter ein Gipsverband abgenommen werden sollte. Um die Dienstbesprechung nicht zu unterbrechen, beauftragte der Kläger seinen Fahrer, die Tochter des Klägers mit dem Dienstfahrzeug in der Privatwohnung in Staufenberg abzuholen und nach Gießen ins Krankenhaus zu bringen. Bei dieser Fahrt verursachte der Fahrer des Klägers einen Verkehrsunfall, bei dem am Dienstfahrzeug und am Fahrzeug des Unfallgegners Totalschaden entstand.

Der Hessische Minister des Innern mißbilligte mit Schreiben vom 10. Mai 1985 die vom Kläger „am 19. März 1985 veranlaßte Benutzung des Dienstkraftfahrzeuges zu privaten Zwecken” und forderte ihn auf, die zur Verwendung von Dienstkraftfahrzeugen ergangenen Regelungen strikt zu beachten, da im Wiederholungsfalle Disziplinarmaßnahmen unvermeidbar seien.

Der auf Antrag des Klägers beteiligte Personalrat beim Polizeipräsidenten in Gießen verweigerte seine Zustimmung zu der vom Regierungspräsidenten beabsichtigten Geltendmachung von Regreßansprüchen gegen den Kläger mit der Begründung, nach seiner Auffassung seien die Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung Ziffer 326 Abs. 1 der Dienstvorschrift für die Verwaltung des technischen Geräts der Hessischen Polizei (DV-Pol. Nr. 38) gegeben. Nachdem auch der Bezirkspersonalrat der Polizei beim Regierungspräsidenten in Gießen nach entsprechender Erörterung seine Zustimmung verweigert hatte, legte der Regierungspräsident den Vorgang dem Hessischen Minister des Innern vor. Dieser bat mit Schreiben vom 19. Juni 1986 den Hauptpersonalrat um Zustimmung zu der beabsichtigten Personalmaßnahme und fügte an, er stehe für eine Erörterung der Angelegenheit in der nächsten Sitzung zur Verfügung. Der Hauptpersonalrat vertrat mit Schreiben vom 28. August 1986 die Auffassung, es lägen hinreichende Gründe vor, von dem beabsichtigten Regreß Abstand zu nehmen. Der Minister erwiderte mit Erlaß vom 17. September 1986, er sehe sich hierzu nicht in der Lage, zumal die Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung besitze.

Nach schriftlicher Anhörung des Klägers machte der Regierungspräsident in Gießen mit Leistungsbescheid vom 26. November 1986 die am Dienstfahrzeug entstandenen unfallbedingten Schäden in Höhe von 17.995,11 DM und den Schaden des Unfallgegners in Höhe von 12.033,24 DM gegenüber dem Kläger geltend. Der Kläger erhob Widerspruch und trug vor, der Dienstwagen sei für dienstliche Zwecke benutzt worden. Er habe den Fahrer nicht im privaten Interesse beauftragt, sondern um eine Unterbrechung des kurzfristig anberaumten Dienstgesprächs zu vermeiden. Der zuvor bereits aus dienstlichen Gründen verschobene Arzttermin sei mit Rücksicht auf seine Tochter und die behandelnden Ärzte nicht erneut verschiebbar gewesen. Somit liege keine Dienstpflichtverletzung vor. Eine Haftung könne ohnehin nur nach § 91 Abs. 1 Satz 2 Hessisches Beamtengesetz (HBG) in Betracht kommen, da er in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt habe. Die Anordnung an den Fahrer stehe im untrennbaren Zusammenhang mit dem Dienstgespräch, das seinerseits der Vorbereitung dienstlicher Anordnungen gedient habe und deshalb als hoheitliche Tätigkeit anzusehen sei. Ihm könne weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Er habe nicht damit rechnen können, daß sein zuverlässiger und erfahrener Fahrer straßenverkehrsrechtliche Vorschriften verletzen und einen Verkehrsunfall verursachen würde. Im übrigen fehle es sowohl an einem adäquaten Ursache...

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