A. Rechtsanwendung im Erbrecht

I. Hinweis auf das frühere Internationale Erbrecht

 

Rz. 1

Seit 17.8.2015 gilt für Frankreich die EuErbVO. Im französischen IPR existieren generell nur wenige kollisionsrechtliche Gesetzesvorschriften.[1] Von Bedeutung ist neben vorrangigen Staatsverträgen vor allem Art. 3 C.C. Dieser bestimmt in seinem Absatz 2, dass Immobilien, selbst wenn sie im Eigentum von Ausländern stehen, dem französischen Recht unterliegen, und in Absatz 3, dass auf l’état et la capacité von Franzosen, auch wenn sie im Ausland leben, das französische Recht anwendbar ist. Rechtsprechung und Lehre haben vor allem aus diesen beiden Regelungen ein kollisionsrechtliches System entwickelt. Im französischen Internationalen Erbrecht galt vor Anwendbarkeit der EuErbVO der Grundsatz der kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung. Aus Art. 3 Abs. 2 C.C. wurde abgeleitet, dass Immobilien nach der lex rei sitae vererbt werden. Für die Rechtsnachfolge in Mobiliarvermögen dagegen galt das am letzten Wohnsitz des Verstorbenen geltende Recht.

[1] Ausdrücklich geregelt sind – vorbehaltlich vorrangiger Staatsverträge – in Art. 309 C.C. das Internationale Scheidungsrecht, in Art. 311–14 ff. C.C. das Internationale Kindschaftsrecht und in Art. 370–3 ff. C.C. das Internationale Adoptionsrecht.

II. Französische Besonderheiten bei Anwendung der EuErbVO

1. Vorrangige Staatsverträge

 

Rz. 2

Seit 19.11.1967 ist in Frankreich das Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht vom 5.10.1961 in Kraft. Weiterhin ist Frankreich seit 20.3.1976 Vertragsstaat des Baseler Übereinkommens über die Errichtung einer Organisation zur Registrierung von Testamenten vom 16.5.1972 und seit 1.12.1994 des Washingtoner UN-Übereinkommens über ein einheitliches Recht der Form eines internationalen Testaments vom 26.10.1973. Im Bereich des Internationalen Erbrechts existieren in Frankreich im Übrigen (wohl) keine bilateralen Staatsverträge mehr, die wegen Art. 75 EuErbVO auch der EuErbVO vorgehen würden.[2]

[2] Zu bilateralen Staatsverträgen, deren Fortgeltung offensichtlich teilweise unklar ist, mit Tunesien, Algerien, verschiedenen afrikanischen Staaten und Laos siehe Mayer/Heuzé, Droit international privé, Rn 534; Revillard, Droit international privé et européen, Rn 935 ff.

2. Anwendungsbereich der EuErbVO; Abgrenzung des Erbstatuts zu anderen Statuten

a) Das Güterrechtsstatut

aa) Allgemeines

 

Rz. 3

Nach Art. 1 Abs. 2 lit. d) EuErbVO sind güterrechtliche Fragen vom Anwendungsbereich der EuErbVO ausgeschlossen. Andererseits bestimmt Art. 23 Abs. 2 lit. b) EuErbVO, dass dem Erbstatut die Nachlassansprüche des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners unterliegen. Auch im französischen Internationalen Privatrecht galt bislang bereits der Grundsatz, dass die güterrechtliche Abwicklung der erbrechtlichen im Todesfall vorgeht. Das Güterstatut bestimmt den Umfang des Nachlasses.[3] Bei der Ermittlung des Güterrechtsstatuts ist im französischen Internationalen Privatrecht zwischen drei Zeiträumen zu unterscheiden, da für Frankreich seit 29.1.2019 die EuGüVO und die EuPartVO anwendbar sind und vormals am 1.9.1992 das Haager Übereinkommen über das auf Ehegüterstände anwendbare Recht vom 14.3.1978 in Kraft getreten ist. Zur EuGüVO und zur EuPartVO und der seither geltenden Rechtslage siehe § 3 Rdn 59 ff.

[3] Mayer/Heuzé, Droit international privé, Rn 871; Revillard, Droit international privé et européen, Rn 1067.

bb) Güterrechtsstatut bei Eheschließung vor dem 1.9.1992

 

Rz. 4

Haben die Ehegatten vor dem 1.9.1992 geheiratet, so werden die güterrechtlichen Verhältnisse traditionell dem Vertragsrecht zugeordnet, so dass in diesem Bereich Parteiautonomie herrscht. Vorrangig ist deshalb auf eine – grundsätzlich nur vor der Eheschließung zulässige – ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl der Ehegatten abzustellen. Es besteht eine Vermutung dafür, dass die Ehegatten ihre güterrechtlichen Verhältnisse dem Recht am Abschlussort des Ehevertrages unterstellen wollten. Haben die Ehegatten keine Rechtswahl getroffen, so ist zu ermitteln, welchem Recht die Ehegatten ihre güterrechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Eheschließung mutmaßlich unterstellen wollten. Eine überragende Bedeutung kommt dabei dem Recht am ersten gemeinsamen ehelichen Wohnsitz zu. Nach der Rechtsprechung besteht die zwar widerlegbare, in der Praxis aber fast nie zu widerlegende Vermutung, dass die Ehegatten das Recht am ersten gemeinsamen Wohnsitz zum Mittelpunkt ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen machen wollten.[4] Diese Kollisionsregeln stellen Sachnormverweisungen dar.[5]

 

Rz. 5

Das Ehegüterstatut ist unteilbar[6] und grundsätzlich unwandelbar. Zulässig soll allerdings die Abänderung der kollisionsrechtlichen Rechtswahl sein, wenn das ursprünglich anwendbare Güterrechtsstatut dies zulässt.[7] Die hiervon zu unterscheidende Frage, ob die Ehegatten ihren Güterstand nach Eheschließung ändern können und welche Voraussetzungen sie dabei zu beachten haben, wird vom Güterrechtsstatut beantwortet.[8] Haben die Partner einen Ehevertrag geschlossen, so beurteilen sich dessen Zustandekommen und Auslegung nach dem Güterrechtsstatut. Die Form des Ehevertrages unterliegt jedoch nach der Regel locus regit actum in erster Linie den Vorschriften am Abschlussort. Ausreichend ist auch die Wahrung der vom Heimatrecht der Ehe...

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