Der zunächst in konkreter Höhe festzustellende Anspruch auf Nachscheidungsunterhalt kann der Verwirkung unterliegen. Ob er herabgesetzt oder zeitlich begrenzt wird oder gar in Gänze wegfällt, ist im Einzelfall zu entscheiden. Die Praxis wird vorwiegend von § 1579 Nr. 2 BGB oder den Tatbeständen bestimmt, die auf einem persönlichen Fehlverhalten des Unterhalt fordernden Ehegatten gegenüber dem Unterhaltspflichtigen beruhen.

aa) Verfestigte Lebensgemeinschaft, § 1579 Nr. 2 BGB

Geben sich der unterhaltsberechtigte Ehegatte und eine dritte Person vor dem Jobcenter als Bedarfsgemeinschaft aus, kann davon ausgegangen werden, dass sie eine Lebensgemeinschaft i.S.d. § 1579 Nr. 2 BGB bilden. Deren Verfestigung kann sich bereits vor Ablauf von zwei bis drei Jahren herausgebildet haben. Trägt der unterhaltspflichtige Ehegatte zu den Voraussetzungen des § 1579 Nr. 2 BGB substantiiert vor, hat sich der andere Ehegatte dazu näher zu äußern und substantiiert zu erwidern.[50]

Eine Verfestigung der Lebensgemeinschaft kann ferner nach einer kürzeren als der in der Regel veranschlagten Zeit von zwei bis drei Jahren angenommen werden, etwa dann, wenn bereits knapp 1 ½ Jahre nach der Trennung ein von dem neuen Partner stammendes Kind geboren wurde.[51]

Andererseits liegt eine verfestigte Lebensgemeinschaft i.S.d. § 1579 Nr. 2 BGB selbst bei einer etwa 14 Monate dauernden Beziehung eines Ehegatten nicht vor, wenn dieser mit seinem neuen Lebenspartner im Zeitpunkt der Entscheidung erst seit etwa vier Monaten in einem gemeinsamen Haushalt lebt.[52]

Bei einer Beziehung, die nicht überwiegend durch ein Zusammenwohnen und auch nicht durch ein gemeinsames Wirtschaften geprägt ist, ist eine verfestigte Beziehung aber dann erreicht, wenn die Partner seit fünf Jahren in der Öffentlichkeit, bei gemeinsamen Urlauben und der Freizeitgestaltung als Paar auftreten und Feiertage und Familienfeste zusammen mit Familienangehörigen verbringen.[53]

[50] KG Beschl. v. 28.4.2016 – 13 UF 17/16, FF 2016, 502 m. Anm. Schnitzler.
[51] OLG Koblenz, Beschl. v. 13.4.2016 – 13 UF 16716, FamRZ 2016, 1938.
[52] AG Lemgo, Beschl. v. 8.6.2015 – 8 F 43/15, BeckRS 2016, 01082 bespr. von Schneider, NZFam 2016, 269.
[53] OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.4.2016 – 13 UF 1/13, NZFam 2016, 983 m. Anm. Schuldei = NJOZ 2016, 1673.

bb) Schweres vorsätzliches Vergehen gegen den Unterhaltspflichtigen, § 1579 Nr. 3 BGB

Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs kann bei Äußerung eines Verdachts auf sexuellen Missbrauch bzw. bei versuchtem Prozessbetrug greifen, jedoch nicht, wenn das Handeln als leichter Verstoß zu bewerten ist und kein besonderes Gewicht besitzt.[54]

[54] OLG Hamm, Beschl. v. 21.3.2016 – 4 UF 14/14, BeckRS 2016, 11349 bespr. von Höhler-Heun, NZFam 2016, 708.

cc) Mutwilliges Hinwegsetzen über schwerwiegende Vermögensinteressen des Unterhaltspflichtigen, § 1579 Nr. 5 BGB

Der Verstoß des Unterhaltsberechtigten gegen die Vermögensinteressen des Unterhaltspflichtigen muss, um den Tatbestand zu erfüllen, schwerwiegend sein und mindestens zu einer Gefährdung mit einem besonderen Gewicht geführt haben. So liegt es erst dann, wenn die wirtschaftliche Grundlage des Unterhaltspflichtigen nicht nur messbar, sondern nicht unerheblich nachhaltig beeinträchtigt wird und die unterlassene Rücksichtnahme dessen Leistungsfähigkeit erheblich erschweren oder unmöglich machen kann.[55]

[55] OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.4.2016 – 13 UF 1/13, NZFam 2016, 983 m. Anm. Schuldei = NJOZ 2016,1673.

dd) Schwerwiegendes Fehlverhalten gegen den Unterhaltspflichtigen, § 1579 Nr. 7 BGB

Der Verwirkungstatbestand nach § 1579 Nr. 7 BGB wird nicht durch die Veröffentlichung eines Fotos mit dem neuen Partner begründet. Dies mag nicht nötig und nicht gerade geschmackvoll gewesen sein. Es ist aber heute allgemein üblich, Umstände seines Privatlebens in den sozialen Netzwerken zugänglich zu machen. Eine schwerwiegende Verunglimpfung des Unterhaltspflichtigen zumal auf dem Hintergrund seiner eigenen Beziehung zu einer anderen Partnerin liegt nicht vor.[56]

Im Gegensatz dazu kann der Tatbestand verwirklicht sein, wenn der Unterhalt fordernde Ehegatte während des Trennungsunterhaltsverfahrens der unterhaltspflichtigen Ehefrau mit der Bloßstellung von Sexualkontakten gegenüber ihrer Familie droht; es genügt bereits das bloße Inaussichtstellen der Veröffentlichung.[57]

[56] So AG Lemgo, Beschl. v. 8.6.2015 – 8 F 43/15, BeckRS 2016, 01082 bespr. von Schneider, NZFam 2016, 269.
[57] AG Wetzlar, Beschl. v. 18.10.2012 – 612 F 1168/11, FF 2016, 209 m. Anm. Schnitzler.

ee) Anderer schwerwiegender Grund nach § 1579 Nr. 8 BGB

Eine äußerst kurze Zeit des Zusammenlebens mit einer extrem langen Trennung bei Kinderlosigkeit und ohne jede wirtschaftliche Verflechtung kann einen besonders gelagerten Ausnahmefall bilden, der zur Annahme eines Härtegrundes nach § 1361 Abs. 3 i.V.m. § 1579 Nr. 8 BGB führen kann.[58]

[58] OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.4.2016 – 13 UF 1/13, NZFam 2016, 983 m. Anm. Schuldei = NJOZ 2016, 1673.

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