Nicht selten stehen wir vor der Situation, dass eine Mandantin/ein Mandant unmittelbar nach einer Trennung um Rechtsrat bittet, welche Rechte/Pflichten und/oder Ansprüche er/sie hat (Zitat: "Was steht mir zu?"). Entwickelt sich aus der umfassenden Beratung der Auftrag zur zunächst außergerichtlichen Vertretung, liegen nach der Rechtsprechung des BGH alle Kriterien für eine Angelegenheit vor,

ein einheitlicher Auftrag,
die Tätigkeit im gleichen Rahmen,
ein innerer Zusammenhang zwischen den einzelnen Gegenständen,
eine übereinstimmende Zielsetzung.

Dabei können sowohl Fragen zu klären sein, die in gerichtlichen Auseinandersetzungen Folgesachen zur Ehescheidung sind (§ 137 Abs. 2 FamFG), als auch zum Gegenstand von separaten Familien- oder Familienstreitsachen werden. Beispielhaft sei darauf hingewiesen, dass die Nutzungsentschädigung gemäß § 1361b Abs. 3 BGB eine Ehewohnungssache gemäß § 111 Nr. 5 FamFG und damit eine Familiensache ist, die Unterhaltsforderung, Fragen des Gesamtschuldnerausgleiches oder die Zustimmung zur gemeinsamen steuerlichen Veranlagung jedoch dem Katalog der Familienstreitsachen gemäß § 112 Nr. 1 oder 3 FamFG zuzuordnen sind.

Wenn die außergerichtlich zu klärenden Gegenstände als eine Angelegenheit anzusehen sind, ist der Gegenstandswert zur Berechnung der Geschäftsgebühr aus der Summe der Gegenstände zu ermitteln. Bei der Höhe der Geschäftsgebühr kann vom Ermessensspielraum gemäß Nr. 2300 VV RVG Gebrauch gemacht werden. Der BGH weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass der Anwalt an sein einmal ausgeübtes Ermessen gemäß § 315 Abs. 2 BGB bei der Zugrundelegung des Gebührensatzes durch die Erklärung gegenüber dem Mandanten gebunden ist (Tz. 19).

Offen bleibt in der Entscheidung des BGH allerdings die Anwendung der Anrechnungsbestimmung nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG. Danach wird eine entstandene Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstandes auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren entstehende Verfahrensgebühr angerechnet, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75.

Erhält der Anwalt den Auftrag, zu einzelnen Gegenständen ein gerichtliches Verfahren einzuleiten, stellt sich die Frage, wie anzurechnen ist. Der Verfasser vertritt die Auffassung, dass auf der Grundlage des für den jeweiligen Gegenstand maßgebenden Gegenstandswertes eine Geschäftsgebühr zu berechnen ist und der hälftige Gebührensatz auf die im gerichtlichen Verfahren entstehende Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass es diese Geschäftsgebühr im Rahmen der außergerichtlichen Tätigkeit nicht gab. Wie oben erwähnt, wurde die Geschäftsgebühr nach dem Gesamtwert aller Gegenstände berechnet.

Folgende Konstellation ist denkbar.

Der Anwalt erhält den Auftrag, außergerichtlich mit der Gegenseite Fragen des elterlichen Sorgerechtes, des Umgangsrechtes und des Kindesunterhaltes zu klären. Dabei soll Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des Mindestunterhaltes für ein Kind der 1. Altersstufe unter Abzug des hälftigen staatlichen Kindergeldes verlangt werden.

Eine Einigung kommt nicht zustande. Der Anwalt erhält nun den Auftrag, sowohl einen Umgangsrechtsantrag beim Familiengericht einzureichen, als auch den Kindesunterhalt in vorgenannter Höhe gerichtlich geltend zu machen. Wie wäre zu rechnen?

Außergerichtlich:

Gegenstandswerte für das Sorgerecht und das Umgangsrecht gem. § 45 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FamGKG jeweils 4.000,00 EUR;

Kindesunterhalt gemäß § 51 Abs. 1 FamGKG 3.744,00 EUR (Mindestunterhalt 2023 monatlich 312,00 EUR x 12 Monate).

Gegenstandswert insgesamt: 11.744,00 EUR

Abrechnung:

 
Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG 1,3 865,80 EUR
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG   168,30 EUR
Summe   1.054,10 EUR

Gerichtlicher Umgangsantrag:

Verfahrenswert 4.000,00 EUR

 
Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG 1,3 361,40 EUR
abzgl. anteilige Anrechnung außergerichtlich entstandener Geschäftsgebühr 0,65 – 180,70 EUR

Gerichtlicher Antrag Kindesunterhalt mit der Geltendmachung von zwei bereits fälligen Unterhaltsbeträgen (§ 51 Abs. 2 FamGKG):

Verfahrenswert: 4.368,00 EUR (14 Monate x 312,00 EUR)

 
Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG 1,3 434,20 EUR
abzgl. anteilige Anrechnung außergerichtlich entstandener Geschäftsgebühr nach Gegenstandswert 3.744,00 EUR 0,65 – 180,70 EUR

Soweit ersichtlich sind Entscheidungen zu dieser Problematik bislang nicht erschienen.

Wenn die Unwägbarkeit der Anrechnungsregelung bei dieser Konstellation vermieden werden soll, besteht die Möglichkeit, mit dem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung nach § 3a RVG zu schließen, mit der geregelt wird, wie die Anrechnung erfolgt.

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