Dieser – ansonsten selbsterklärende – Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs, der eine stark umstrittene und für die Praxis bedeutende Rechtsfrage letztverbindlicher Klärung zuführen wird, enthält im Rahmen der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage eine für die deutsche Praxis kaum minder wichtige Aussage, die Anlass zu einer Anmerkung bietet:

"Zu Recht weist das Beschwerdegericht schließlich darauf hin, dass die fehlende Anhörung des gemeinsamen Kindes nicht zu einem erheblichen Verfahrensverstoß führt. Zwar liegt ein solcher Verstoß nach Art. 23 Buchstabe b der Brüssel IIa-Verordnung dann vor, wenn die Entscheidung – ausgenommen in dringenden Fällen – ergangen ist, ohne dass das Kind die Möglichkeit gehabt hat, gehört zu werden, und damit wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung beantragt wird, verletzt werden. Das Kind war hier im Zeitpunkt der Entscheidung allerdings erst knapp eineinhalb Jahre alt und hätte sich zur Übertragung des Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrechts ohnehin noch nicht äußern können. Eine Anhörung des Kindes wäre deswegen auch im Rahmen eines Sorgerechtsverfahrens in Deutschland unterblieben."[1]

Zum Hintergrund:

Die Brüssel IIa-Verordnung unterwirft die Anerkennungsvoraussetzung, dass das Kind im Rahmen des ausländischen Sorgerechtsverfahrens die Gelegenheit gehabt hat, gehört zu werden, den Grundsätzen des Verfahrensrechts im Anerkennungsstaat; hier also den deutschen Regeln.[2]

Nach deutschem Verfahrensrecht – § 50b FGG bzw. § 159 FamFG[3] – müssen aber Kinder schon ab drei Jahren vom Richter persönlich angehört werden.[4] Ansonsten werden in Deutschland geltende verfahrensrechtliche Grundsätze verletzt, die – wie Art. 23 Buchstabe b der Brüssel IIa-Verordnung weiter voraussetzt – auch wesentlich sind. Denn die persönliche Anhörung des Kindes ist zum einen Ausfluss der verfahrensrechtlichen Gewährleistungen des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, zum anderen steht sie im Einklang mit der Subjektstellung des Kindes als Träger eigener Grundrechte, u.a. seines eigenen Anspruchs auf rechtliches Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und seines durch sein allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verbrieften Achtungsanspruchs. Denn das Kind muss im familiengerichtlichen Verfahren seine persönlichen Beziehungen zu den übrigen Familienmitgliedern erkennbar machen können.[5] Das Bundesverfassungsgericht hat – dem entsprechend – ausdrücklich entschieden, dass es von Verfassungs wegen regelmäßig erforderlich ist, dass Kinder bereits ab drei Jahren vom Richter persönlich – Anhörung durch Dritte reicht also nicht! – angehört werden.[6] Wurde daher das betroffene – mindestens drei Jahre alte – Kind im ausländischen Sorgerechtsverfahren nicht vom Richter selbst angehört, so kann die Entscheidung in Deutschland – auch wenn es im Ausland etwa von einem Psychologen oder einem Mitarbeiter der zuständigen Jugendbehörde befragt wurde – nicht anerkannt werden;[7] ausländische Sorgerechtsverfahren werden mithin – auf Grund der in Art. 23 Buchstabe b der Brüssel IIa-Verordnung enthaltenen Verweisung auf das nationale Verfahrensrecht des Anerkennungsstaats – auch insoweit den Anforderungen des § 50b FGG bzw. § 159 FamFG unterworfen.[8] Die hiergegen teilweise erhobene Kritik[9] verkennt, dass die deutsche Sprachfassung ungenau ist; in der englischen und französischen Fassung kommt klarer zum Ausdruck, dass auch bezüglich der Frage, von wem das Kind anzuhören ist, auf das Verfahrensrecht des Anerkennungsstaates verwiesen wird: "… sans que l’enfant, en violation des règles fondamentales de procédure de l’Etat membre requis, ait eu la possibilité d’être entendu." bzw "… without the child having been given an opportunity to be heard, in violation of fundamental principles of procedure of the Member State in which recognition is sought." Der Hinweis auf Erwägungsgrund 19 der Brüssel IIa-Verordnung ("Die Anhörung des Kindes spielt bei der Anwendung dieser Verordnung eine wichtige Rolle, wobei diese jedoch nicht zum Ziel hat, die diesbezüglich geltenden nationalen Verfahren zu ändern") trägt angesichts dieser klaren Formulierung nicht.[10] Wie Rauscher zutreffend ausführt,[11] dient die Anbindung des Anerkennungsversagungsgrundes an wesentliche Verfahrensgrundsätze des Anerkennungsstaates nicht der Absenkung des erwarteten Schutzniveaus, sondern soll nur vermeiden, dass ein Mitgliedstaat an eine anzuerkennende Entscheidung eine höhere Messlatte anlegt als an eigene Verfahren.

Aussage des Bundesgerichtshofs:

Im vorliegenden Beschluss hat der Bundesgerichtshof nun ausdrücklich ausgeführt, dass die Frage, ob der Anerkennungsversagungsgrund nach Art. 23 Buchstabe b der Brüssel IIa-Verordnung vorliegt, davon abhängt, ob das Kind in Deutschland in einem entsprechenden Sorgerechtsverfahren angehört worden wäre. Damit bestätigt der Bundesgerichtshof, dass die im Ausland unterbliebene Anhörung eines Kindes dann der Anerkennung entge...

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