Immer wieder überraschen im Abstammungsrecht ungewohnte Konstellationen. Während es nach einer gescheiterten Beziehung zumeist die Väter sind, die sich vor allem aus unterhaltsrechtlichen Gründen aus einer rechtlich bestehenden Vaterschaft lösen wollen, hatte es der BGH vorliegend mit dem letztlich vergeblich gebliebenen Versuch des rechtlichen Vaters zu tun, die Anfechtung seiner Vaterschaft durch die Mutter zu verhindern.

1. Im Einklang mit den Vorinstanzen führt der BGH aus, das Anfechtungsrecht der Mutter aus § 1600 Abs. 1 Nr. 3 BGB sei mit Ausnahme der eingehaltenen Anfechtungsfrist des § 1600b BGB voraussetzungslos, insbesondere nicht von einer Kindeswohlprüfung abhängig. Dies begründet der BGH mit überzeugenden Hinweisen auf die Gesetzgebungsgeschichte, vor allem auf die bewusste Streichung dieser ursprünglich für das Anfechtungsrecht der Mutter vorgesehenen Voraussetzung. Soweit ersichtlich verlangt auch die aktuelle Kommentarliteratur keine solche nur für das Anfechtungsrecht des Kindes vorgesehene Prüfung.[1] Natürlich darf nicht verkannt werden, dass durch eine erfolgreiche Anfechtung die Mutter sehr viel leichter das alleinige Sorgerecht erreicht als über § 1671 BGB, insbesondere ohne die Gefahr von Abänderungen aus § 1696 BGB. Doch dem Argument des rechtlichen Vaters, die Anfechtung liefe dem Kindeswohl krass zuwider,[2] lässt sich mit Recht entgegenhalten, eine Festschreibung der rechtlichen Zuordnung erhalte ihm nicht automatisch eine ungestörte Vater-Kind-Beziehung.[3]

Ebenso sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die für eine Verfassungswidrigkeit eines voraussetzungslosen Anfechtungsrechts (auch) der Mutter innerhalb der zweijährigen Anfechtungsfrist sprechen: In der "Kuckuckskind"-Entscheidung,[4] die letztlich zur Einführung des § 1598a BGB führte, hat das BVerfG betont, das Vaterschaftsanfechtungsverfahren diene der Umsetzung des in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltenen Gebots, möglichst eine Übereinstimmung von biologischer und rechtlicher Vaterschaft zu erreichen. Dem rechtlichen Vater geht es aber im Gegenteil darum, eine solche Übereinstimmung durch Einschränkung des mütterlichen Anfechtungsrechts zu verhindern. Es ist nicht ersichtlich, warum sein Interesse, die in Kenntnis fehlender leiblicher Vaterschaft erreichte Position eines rechtlichen Vaters beizubehalten, das Interesse der Mutter an den mit einer erfolgreichen Anfechtung verbundenen Änderungen überwiegen sollte,[5] zumal die Anfechtung dem Interesse des Kindes an Kenntnis seiner Abstammung dient. Dass bei einer Anfechtung seitens der Mutter das rechtliche Band zwischen Kind und Vater zerstört wird und der Vater im Zweifel auch als sozialer Vater bis zur Anfechtung Verantwortung für das Kind getragen hat, reicht nicht aus. Diese Gesichtspunkte treffen bei einer Anfechtung durch den Vater in gleicher Weise zu. Die Aufrechterhaltung der sozialen Bindung zwischen Kind und Scheinvater ist zudem keine statusrechtliche, sondern eine kindschaftsrechtliche Aufgabe, der u.a. durch § 1585 Abs. 2 BGB Rechnung getragen wird.

2. Auch den Ausführungen des BGH, das Anfechtungsrecht der Mutter sei nicht wegen Rechtsmissbrauch ausgeschlossen, ist weitgehend beizupflichten:

a) Der BGH meint allerdings, dem Umstand, dass die Eheleute die Ehe mit dem Ziel geschlossen hätten, dem Ehemann trotz der leiblichen Vaterschaft eines anderen Mannes den Status als rechtlicher Vater zu verschaffen, könne ein Verzicht (beider Eheleute?) auf das Anfechtungsrecht entnommen werden.[6] Eine solche Interpretation ginge mir zu weit: Heirat in Kenntnis einer Schwangerschaft setzt anders als bei einvernehmlicher Fremdinsemination keine (Mit)Ursache für die Entstehung neuen Lebens.[7] Das von einem Dritten gezeugte Kind kommt zur Welt, gleichgültig, ob eine Ehe geschlossen wird und diese im Zeitpunkt der Geburt noch besteht. Die statusrechtliche Zuordnung des Kindes zum Ehemann im Zeitpunkt der Geburt konnten die Eheleute bei Heirat vor der Geburt nicht verhindern. Selbst wenn der tatsächliche Erzeuger mit Zustimmung der Mutter vor Geburt des Kindes nach § 1594 Abs. 4 BGB die Vaterschaft anerkannt hätte, wäre die statusrechtliche Zuordnung des Kindes zum Ehemann der Mutter kraft Gesetzes erfolgt, weil eine Anerkennung vor Geburt keine weitergehenden Rechte bewirkt als eine postnatale Anerkennung.[8] Ich wage deshalb zu bezweifeln, ob man dem Ja-Wort der Eheleute überhaupt irgendeinen Erklärungswert hinsichtlich der Vaterschaftsanfechtung eines bei Heirat noch gar nicht geborenen Kindes zumessen kann. Entscheidungserheblich ist die Frage, ob hier ein stillschweigender Verzicht auf das Anfechtungsrecht vorliegt, allerdings nicht, weil nach den Ausführungen des BGH ein solcher jedenfalls unwirksam ist.[9]

b) Näher liegend erscheint mir die Prüfung, ob sich die Mutter nicht rechtsmissbräuchlich verhält, wenn sie zunächst dem Kind einen nicht mit dem leiblichen Erzeuger identischen rechtlichen Vater verschafft, um später durch die Anfechtung diesen Status wieder zu beseitigen...

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