Dr. Eva Niebergall-Walter

Auch 22 Jahre nach den Bastille-Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1987, mit denen die anwaltlichen Standesrichtlinien für verfassungswidrig erklärt wurden, stehen anwaltliches Berufsrecht und Berufsethik auf dem Prüfstand.

Auf dem gerade zu Ende gegangenen Anwaltstag in Braunschweig diskutierte der Berufsrechtsausschuss des DAV in einer offenen Sitzung zur Frage "Berufsethik – Förderung oder Hemmnis anwaltlicher Interessenvertretung". Die Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement befasste sich mit den Themen "Anwaltsethos – Lehren aus der Krise der Finanzmärkte", "Wertewechsel in Ethik und Recht" und "Die Veränderungen der Organisation von Anwaltskanzleien und die Auswirkungen auf Ethik und Werte im Anwaltsberuf".

Alleine im AnwBl 2008 wurden mehr als 10 Aufsätze und Kommentare zu Fragen des Berufsrechts und der Berufsethik veröffentlicht. Schwerpunkte lagen dabei auf Überlegungen zur Entwicklung eines neuen Berufsbildes und dem Umfang sowie der Notwendigkeit von verbindlichen Regelungen vor dem Hintergrund der Freiheit des Anwaltsberufes. Dennoch konstatiert Kollege Dr. Kleine-Cosack im AnwBl 2009, 345, dass sich die Anwaltschaft nicht für Berufsrecht und Rechtspolitik interessiere, und fährt fort: "Sie (die Anwaltschaft) pflegt nur eine Beziehung autistischer Art zur Akte ihrer Mandanten."

Greifen wir diesen Gedankengang auf und stellen uns als Familienrechtler folgende Situation vor: Vor einem jungen Kollegen, Mitglied einer Sozietät, erscheint ein mit ihm befreundetes Ehepaar, das bereits früher von einem anderen Kollegen der Sozietät vertreten wurde, und will aus Kostengründen für Beratung und spätere Scheidung nur einen Anwalt einschalten. Beide Ehepartner besaßen bei der Eheschließung die französische Staatsangehörigkeit, die Ehefrau ist mittlerweile Deutsche. Dem im Ausland angelegten Vermögen stehen erhebliche Verbindlichkeiten aus der gemeinsamen Lebensführung gegenüber, worüber umfangreiche Unterlagen existieren. Die Eheleute sind berufstätig, erzielen jedoch beide jeweils nicht mehr als 1.000 EUR netto im Monat.

Drängen sich nicht uns, drängen sich nicht dem jungen Kollegen zwangsläufig Begriffe auf, die unser Berufsrecht und unser Berufsbild prägen: anwaltliche Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Freiheit von Interessenkollisionen, Gewissenhaftigkeit, Kompetenz, Gemeinwohlbezug und anwaltliches Berufsethos? Die meisten von uns und vielleicht auch der junge Kollege werden sich schon aus Zeitgründen nicht öffentlich in Fragen des Berufsrechts zu Wort melden. Entziehen können wir uns der Problematik aber auch dann nicht, wenn wir uns auf unsere tägliche Arbeit, unsere Akten, konzentrieren.

Zeigen wir also Interesse.

Dr. Eva Niebergall-Walter, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Kaiserslautern

 
Anmerkung

Anm. der Redaktion: Vgl. insbesondere Offermann-Burckart, Interessenkollision in familienrechtlichen Angelegenheiten

Teil 1: FF 2009, 58 ff.

Teil 2: FF 2009, 104 ff.

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