In der Rechtsdatenbank Manz finden sich 2200 Entscheidungen, davon zwei des Obersten Gerichtshofs (OGH), die sich seit 2001 mit dem Thema "PAS" auseinandersetzen. Eine Entscheidung nutzt den synonymen Begriff "Eltern-Kind-Entfremdung", 39 Entscheidungen beziehen sich auf Bindungstoleranz, 6 Entscheidungen davon stellen eine Bindungsintoleranz fest.

In Österreich sind OGH-Entscheidungen als Leitentscheidungen richtungsgebend für die weiteren Gerichte. In der OGH-Entscheidung 1 Ob 153/01h[32] wird dem Kind ein "PAS" durch eine Sachverständige und der Mutter damit psychische Misshandlung "diagnostiziert" und die Übertragung der Obsorge an den Vater des Kindes für erforderlich erachtet.

Am 12.10.2011 entschied der Oberste Gerichtshof in Wien in einer Pflegschaftssache wegen des Besuchsrechts unter Diskussion des "PAS", einem Antrag auf Verhängung einer Beugestrafe gegen die Mutter nicht stattzugeben. Hier wurde von einem Sachverständigen (Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie) der Mutter attestiert, sie habe ansatzweise Symptome einer "PAS-Anfälligkeit", weil sie sich gegen begleitete Besuchsinitiativen ausspreche. Der Sachverständige kam zu dem Schluss, "dass die Ablehnung des Vaters durch die Kinder nicht aus von diesen selbst erfahrenen Traumata oder Demütigungen stammten, sondern Spiegel der Frustration und Enttäuschung der Mutter über eine misslungene Partnerschaft seien".[33]

Einerseits fällt auf, dass bei der Mutter die Pseudodiagnose "PAS" gesehen wurde. Laut neuerer Publikationen handele es sich angeblich um eine "Diagnose", die sich vorwiegend im Verhalten der Kinder widerspiegele. Andererseits zeigt sich hier die Missachtung der Aussagen der Kinder durch den Sachverständigen. Denn es sind dem Gericht angegebene Tätlichkeiten und Übergriffe des Vaters gegenüber einem der Kinder bekannt (Einsperren, an den Ohren ziehen, mit Kleidung in den Pool werfen), sodass schon im Sinne des Kindeswohls (in dubio pro infante) begleitete Besuchskontakte empfohlen wurden.

Auch ist bekannt, dass sich die Kinder vor dem Vater fürchten. Immerhin ergänzte der Sachverständige, dass er die Verhängung einer Beugestrafe gegen die Mutter im Zusammenhang mit dem vom Vater angestrebten Besuchskontakt als kontraproduktiv erachte.

Am 1.12.2022 entschied der OGH, dass "Kindeswohl vor Elternrecht" gehe:

"Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist nach ständiger Rechtsprechung ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind und das Kindeswohl dem Elternrecht vorgeht (vgl. RS0118080)."[34]

[32] OGH – 1 Ob 153/01h, Rechtsdatenbank Manz: https://rdb.manz.at/suchen?execution=e1s1 Zugriff 11.3.202327.
[34] OGH, Beschl. – 5 Ob 189/22p, RIS-Justiz RS0048632; RS0118080.

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