Maria Otto

In meinem Alltag als Münchner Anwältin beschäftigen mich selten vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter, speziell auch im Berufsleben. Vor genau einhundert Jahren wurde in München eine Anwältin zugelassen, deren Lebenswelt eine gänzlich andere war. In den Jahren, die ihrer Zulassung vorausgegangen waren, hatte sie mit bemerkenswerter Inbrunst eine Vorreiterrolle für deutsche Frauen – speziell Juristinnen – eingenommen und mit immensen Widerständen und erschreckend zähen Strukturen gerungen. Die Rede ist von Maria Otto, welcher verdient die Ehre zu Teil wird, erste Anwältin Deutschlands gewesen zu sein.

Während das Studium an juristischen Fakultäten in Deutschland seit 1908 – in manchen Bundesländern einige Jahre früher – auch Frauen offenstand, so durften diese doch lediglich die Universitätsabschlussprüfung ablegen. Dem damaligen Zeitgeist entsprechend wurde eine – aus heutiger Sicht willkürlich anmutende – Grenze zwischen der ersten juristischen Prüfung und dem daran normalerweise anschließenden Vorbereitungsdienst mit folgendem zweiten Staatsexamen und Befähigung zum Richteramt gezogen. Ersteres war – ebenfalls als Ergebnis einer langwierigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung – auch Frauen möglich geworden, letzteres sollte ihnen weiterhin versagt bleiben. Generell herrschte die Vorstellung, dass Frauen unter allen Umständen aus der Berufspraxis – speziell der juristischen Berufe – fernzuhalten seien. Sollte ein Jurist schließlich logisch-rational urteilen, so wurden Frauen doch Attribute wie überzogene und deplatzierte Empathie sowie fehlende Ausgeglichenheit zugeschrieben.

In dieser prekären Ausgangslage entschloss sich Maria Otto, geboren 1892 in Weiden in der Oberpfalz, dennoch zu einem Jurastudium, welches sie 1912 in Würzburg aufnahm und 1916 mit der ersten juristischen Prüfung und der Note "gut" abschloss. Mit dem Umstand, dass ihre juristische Laufbahn hier beendet sein sollte, gab sich Maria Otto nicht zufrieden. Was nun folgte, waren insgesamt sechs Jahre des Ringens mit dem Bayerischen Justizministerium um Zulassung, zunächst zum juristischen Vorbereitungsdienst, später zur zweiten juristischen Staatsprüfung. Das Ableisten des Vorbereitungsdienstes wurde ihr auf Antrag zunächst rein "informatorisch" gestattet, ohne dass ihr aus diesem Rechte erwachsen sollten. Die Zulassung zur zweiten juristischen Prüfung und damit der tatsächlichen Berufsausübung war jedoch weiterhin versperrt.

Nach Ende des ersten Weltkriegs wurden Frauen 1919 mit Einführung der Weimarer Reichsverfassung Männern rechtlich gleichgestellt. Dem zuvor gegangen war eine Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche, auch ausgelöst dadurch, dass viele Männer in den Kriegsdienst eingezogen wurden und Frauen in großer Überzahl zurückblieben.

Erstaunlich scheint, dass zwischen Einführung der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter und deren tatsächlicher Umsetzung noch Jahre vergehen sollten. So sträubte sich das Bayerische Justizministerium auch nach 1919 eine Zeit lang erfolgreich dagegen, mit Maria Otto erstmals eine Frau zur zweiten juristischen Staatsprüfung zuzulassen. Aufgrund der Beharrlichkeit ihrer Anträge und ausgereiften Begründungen unter Verweis auf den sich abzeichnenden gesellschaftlichen Wandel, wurde die zunehmende Fragwürdigkeit der Ablehnungen offensichtlich. So versuchte man sie 1921 schlussendlich gar nur noch mit der Begründung abzuweisen, dass die Anwaltschaft ohnehin überfüllt und es daher ein besonders schlechter Zeitpunkt sei, nun auch noch Frauen diesen Weg zu eröffnen. Letztendlich musste man sie – wenn auch nur "ausnahmsweise" und ohne, dass hieraus eine Befähigung zum Richteramt oder einem höheren Amt der inneren Verwaltung oder des Finanzdienstes erwachsen sollte – im Februar 1922 als erste deutsche Frau zum Ablegen des zweiten juristischen Staatsexamens zulassen, welches sie im Juni 1922 bestand.

Selbst dann waren noch nicht alle Hürden genommen. Zunächst wollte ihr das Justizministerium den Titel der Volljuristin nicht verleihen, konnte dies aber aufgrund eines bundesweiten Gesetzes vom Juli 1922, in dem Frauen nun tatsächlich uneingeschränkt Zugang zu juristischen Berufen erlangen sollten, nicht mehr halten. So wurde Maria Otto am 18.12.1922 als erste deutsche Frau in die Rechtsanwaltsliste eingetragen. Ihr Antrag auf Zulassung zum Richteramt und der höheren inneren Verwaltung wurde jedoch nachhaltig abgelehnt und sie verfolgte ihn nicht weiter. Wie es scheint, weil sie im Beruf der Anwältin bereits Erfüllung gefunden hatte. So ließ sie sich ein Jahr nach ihrer Zulassung mit einer eigenen Kanzlei in München nieder, wo sie bis zu ihrem Tod noch 55 Jahre als geschätzte Anwältin, vor allem im Bereich des Familienrechts, tätig war.

Wieso manche Menschen solch eine beispiellose Beharrlichkeit und Charakterstärke zeigen, bleibt unerklärlich. Vielleicht machte Maria Otto auch der Blick in andere Länder Mut, in denen Frauen eine Zulas...

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