Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung zu Unrecht erhobener Steuer, Verfahrensmodalitäten, Grundrechte-Charta, Steuererhebung unter Verstoß gegen Unionsrecht, Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, Effektivitätsgrundsatz, Äquivalenzgrundsatz

 

Leitsatz (amtlich)

Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ist dahin auszulegen, dass er dem Erlass von Bestimmungen durch einen Mitgliedstaat entgegensteht, die die Erstattung einer Abgabe, die durch ein Urteil des Gerichtshofs für unionsrechtswidrig erklärt wurde oder deren Unvereinbarkeit mit diesem Recht sich aus einem solchen Urteil ergibt, an Bedingungen knüpft, die speziell diese Abgabe betreffen und die ungünstiger sind als diejenigen, die auf eine solche Erstattung anwendbar wären, wenn diese Bestimmungen nicht erlassen worden wären. Die Beachtung dieses Grundsatzes ist im vorliegenden Fall vom vorlegenden Gericht zu prüfen.

Der Äquivalenzgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er von einem Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahrensmodalitäten entgegensteht, die für Klagen auf Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe weniger günstig ausgestaltet sind als die für entsprechende Klagen, mit denen ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht gerügt wird. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, die erforderlichen Prüfungen durchzuführen, um im Hinblick auf die im bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbare Regelung die Beachtung dieses Grundsatzes zu gewährleisten.

Der Effektivitätsgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung zur Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Steuern zuzüglich Zinsen, deren Höhe durch vollstreckbare gerichtliche Entscheidungen festgestellt wurde, wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die für die Erstattung dieser Steuern eine Ratenzahlung über fünf Jahre vorsieht und die Vollstreckung solcher Entscheidungen von der Verfügbarkeit der aus einer anderen Steuer eingenommenen Mittel abhängig macht, ohne dass der Bürger über eine Möglichkeit verfügt, die Behörden zu zwingen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, wenn sie ihnen nicht freiwillig nachkommen. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob eine Regelung wie diejenige, die im Ausgangsverfahren bei Fehlen einer solchen Erstattungsregelung anwendbar wäre, den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes entspricht.

 

Normenkette

AEUV

 

Beteiligte

Câmpean

Silvia Georgiana Câmpean

Administratia Finantelor Publice a Municipiului Medias, jetzt Serviciul Fiscal Municipal Medias

 

Verfahrensgang

Tribunal Sibiu (Rumänien) (Beschluss vom 20.03.2014; ABl. EU 2014, Nr. C 235/5)

 

Tatbestand

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ‐ Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität ‐ Nationale Regelung, die Modalitäten für die Erstattung zu Unrecht erhobener Steuern mit Zinsen festlegt ‐ Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen über solche Ansprüche auf Erstattung, die sich aus der Unionsrechtsordnung herleiten ‐ Ratenweise Erstattung über fünf Jahre ‐ Erstattung unter der Bedingung, dass Mittel aus einer Steuererhebung vorhanden sind ‐ Keine Möglichkeit der Zwangsvollstreckung“

In der Rechtssache C-200/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Sibiu (Landgericht Sibiu, Rumänien) mit Entscheidung vom 20. März 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2014, in dem Verfahren

Silvia Georgiana Câmpean

gegen

Administratia Finantelor Publice a Municipiului Mediasjetzt Serviciul Fiscal Municipal Mediaş,

Administratia Fondului pentru Mediu

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), der Richterin C. Toader, des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ von Frau Câmpean, vertreten durch D. Târşia, avocat,

‐ der rumänischen Regierung, vertreten durch R. H. Radu als Bevollmächtigten im Beistand von V. Angelescu und D. M. Bulancea, Berater,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal, G.-D. Balan und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Februar 2016

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 EUV, der Grundsätze, denen die Erstattung nationaler, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobener Steuern genügen muss, sowie der Art. 17, 20, 21 Abs. 1 und Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Silvia Georgiana Câmpean auf der einen sowie der Administraţia Finanţelor Publice a Municipiului Mediaş (Öffentliche Steuerverwaltung der Gemeinde Mediaş, Rumänien) und der Administraţia Fondului pentru Mediu (Umweltfonds-Amt, Rumänien) auf der anderen Seite über die Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steu...

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