Entscheidungsstichwort (Thema)

Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Vorlage zur Vorabentscheidung. Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Aufrechterhaltung der Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes nach dem Umzug. Begriff ‚Umzug‘. Antrag auf Änderung einer Entscheidung über das Umgangsrecht. Berechnung der Frist für die Stellung eines solchen Antrags. Verweisung des Falls an ein Gericht des Mitgliedstaats des neuen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, das den Fall besser beurteilen kann

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 9, 15

 

Beteiligte

CM (Droit de visite d’un enfant ayant déménagé)

CM

DN

 

Tenor

1.Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000

ist dahin auszulegen, dass

für den Beginn der Dauer von drei Monaten, während der die Gerichte des Mitgliedstaats des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes abweichend von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 für die Entscheidung über einen Antrag auf Änderung einer endgültigen Entscheidung über das Umgangsrecht zuständig bleiben, auf den Tag nach dem tatsächlichen Umzug des Kindes in den Mitgliedstaat seines neuen gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen ist.

2.Die Verordnung Nr. 2201/2003

ist dahin auszulegen, dass

das Gericht des Mitgliedstaats des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, das nach Art. 9 dieser Verordnung für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist, von der in Art. 15 dieser Verordnung vorgesehenen Verweisungsbefugnis zugunsten des Gerichts des Mitgliedstaats des neuen gewöhnlichen Aufenthalts dieses Kindes Gebrauch machen kann, sofern die in diesem Art. 15 geregelten Voraussetzungen erfüllt sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-372/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg, Luxemburg) mit Entscheidung vom 8. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 2022, in dem Verfahren

CM

gegen

DN

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin) sowie der Richter J.-C. Bonichot und S. Rodin,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Noë und W. Wils als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 und Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen CM und DN über das Umgangsrecht mit ihren minderjährigen Kindern.

Verordnung Nr. 2201/2003

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 12, 13 und 33 der Verordnung Nr. 2201/2003 lauten:

„(12)      Die in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften wurden dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Die Zuständigkeit sollte vorzugsweise dem Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten sein[,] außer in bestimmten Fällen, in denen sich der Aufenthaltsort des Kindes geändert hat oder in denen die Träger der elterlichen Verantwortung etwas anderes vereinbart haben.

(13)      Nach dieser Verordnung kann das zuständige Gericht den Fall im Interesse des Kindes ausnahmsweise und unter bestimmten Umständen an das Gericht eines anderen Mitgliedstaats verweisen, wenn dieses den Fall besser beurteilen kann. Allerdings sollte das später angerufene Gericht nicht befugt sein, die Sache an ein drittes Gericht weiterzuverweisen.

(33)      Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Sie zielt insbesondere darauf ab, die Wahrung der Grundrechte des Kindes im Sinne des Art. 24 der [Charta der Grundrechte] der Europäischen Union zu gewährleisten.“

Rz. 4

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

7.      ‚elterliche Verantwortung‘ die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person...

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