Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Unlautere Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern. Effektivitätsgrundsatz. Summarisches Verfahren zur Vollstreckung von Anwaltshonoraren. Etwaige Missbräuchlichkeit von Klauseln in einer Honorarvereinbarung. Nationale Regelung, die keine Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle vorsieht. Reichweite der Ausnahme. Irreführende Geschäftspraxis. Vertrag zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten, der es dem Mandanten unter Androhung einer finanziellen Sanktion untersagt, seine Klage ohne Wissen oder gegen den Rat des Rechtsanwalts zurückzunehmen

 

Normenkette

Richtlinie 93/13/EWG Art. 4 Abs. 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47; Richtlinie 2005/29/EG Art. 7

 

Beteiligte

Vicente

Vicente

Delia

 

Tenor

1. Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in der durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 geänderten Fassung ist im Licht des Effektivitätsgrundsatzes und nach Maßgabe von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung betreffend ein summarisches Verfahren zur Vollstreckung von Anwaltshonoraren entgegensteht, wenn nach dieser Regelung der gegen den Mandanten/Verbraucher gestellte Antrag Gegenstand einer Entscheidung ist, die von einer nicht als Gericht anzusehenden Stelle erlassen wird, und das Tätigwerden eines Gerichts erst im Stadium eines etwaigen Rechtsbehelfs gegen diese Entscheidung vorgesehen ist, ohne dass das aus diesem Anlass angerufene Gericht – erforderlichenfalls von Amts wegen – prüfen könnte, ob die Klauseln in dem Vertrag, der dem verlangten Honorar zugrunde liegt, missbräuchlich sind, und ohne dass es den Parteien gestatten könnte, andere Beweise beizubringen als die bereits der nicht gerichtlichen Stelle vorgelegten Urkunden.

2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 in der durch die Richtlinie 2011/83 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten geschlossenen Vertrags, nach der sich der Mandant der mit einer finanziellen Sanktion bewehrten Verpflichtung unterwirft, den Weisungen dieses Rechtsanwalts zu folgen, nicht ohne dessen Wissen oder gegen dessen Rat zu handeln und in dem Gerichtsverfahren, für das er den Rechtsanwalt mandatiert hat, die Klage nicht eigenmächtig zurückzunehmen, nicht erfasst.

3. Die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates

ist dahin auszulegen, dass

die Tatsache, dass in einen zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten geschlossenen Vertrag eine Klausel aufgenommen wird, die für den Fall, dass der Mandant in dem Gerichtsverfahren, für das er den Rechtsanwalt mandatiert hat, seine Klage eigenmächtig zurücknimmt, eine finanzielle Sanktion zu seinen Lasten vorsieht, wobei diese Klausel auf die Richttabelle einer berufsständischen Vertretung verweist und weder im kommerziellen Angebot noch in den vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellten Informationen erwähnt worden ist, als „irreführende” Geschäftspraxis im Sinne von Art. 7 dieser Richtlinie einzustufen ist, sofern die fragliche Vorgehensweise den Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte, was das nationale Gericht zu prüfen hat.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia n° 10 bis de Sevilla (Gericht erster Instanz Nr. 10a von Sevilla, Spanien) mit Entscheidung vom 24. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Mai 2021, in dem Verfahren

Vicente

gegen

Delia

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin, des Richters J.-C. Bonichot und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), der Richtlinie 93/13/EWG des Rates v...

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