Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Haager Protokoll von 2007. Auf Unterhaltspflichten anwendbares Recht. Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts der berechtigten Person. Möglichkeit der rückwirkenden Anwendung des Rechts des Staates, in dem die berechtigte Person ihren neuen gewöhnlichen Aufenthalt hat, das auch das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht ist. Bedeutung der Wendung ‚kann die berechtigte Person … von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten’. Fall, in dem die berechtigte Person eine gesetzliche Voraussetzung nicht erfüllt

 

Beteiligte

KP

KP

LO

 

Tenor

1. Art. 4 Abs. 2 des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht, das mit dem Beschluss 2009/941/EG des Rates vom 30. November 2009 im Namen der Europäischen Gemeinschaft gebilligt wurde, ist dahin auszulegen, dass

  • der Umstand, dass der Staat des angerufenen Gerichts jenem entspricht, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, der Anwendung dieser Bestimmung nicht entgegensteht, wenn durch die in dieser Bestimmung vorgesehene subsidiäre Anknüpfungsregel ein anderes Recht bestimmt wird als durch die in Art. 3 des Haager Protokolls vorgesehene primäre Anknüpfungsregel;
  • auf einen Fall, in dem die unterhaltsberechtigte Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt gewechselt hat, bei den Gerichten des Staates ihres neuen gewöhnlichen Aufenthalts gegen die verpflichtete Person einen Antrag auf Zahlung von Unterhalt für einen vergangenen Zeitraum stellt, in dem sie sich in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht, das auch das Recht des Staates ihres neuen gewöhnlichen Aufenthalts ist, Anwendung finden kann, wenn die Gerichte des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts für Unterhaltsstreitigkeiten, die diese Parteien betreffen und sich auf den genannten Zeitraum beziehen, zuständig waren.

2. Die in Art. 4 Abs. 2 des Haager Protokolls vom 23. November 2007 enthaltene Wendung „kann … keinen Unterhalt erhalten” ist dahin auszulegen, dass sie auch den Fall erfasst, dass die berechtigte Person nach dem Recht des Staates, in dem sie früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, keinen Unterhalt erhalten kann, weil sie bestimmte nach diesem Recht bestehende Voraussetzungen nicht erfüllt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 25. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Februar 2017, in dem Verfahren

KP

gegen

LO

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. G. Fernlund (Berichterstatter) sowie der Richter J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann und J. Mentgen als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und M. Heller als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Januar 2018

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht, das mit dem Beschluss 2009/941/EG des Rates vom 30. November 2009 (ABl. 2009, L 331, S. 17) im Namen der Europäischen Gemeinschaft gebilligt wurde (im Folgenden: Haager Protokoll).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der minderjährigen KP und ihrem Vater LO wegen Unterhaltsansprüchen.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung (EG) Nr. 4/2009

Rz. 3

Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. 2009, L 7, S. 1) enthält die allgemeinen Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit in den Mitgliedstaaten in Unterhaltssachen.

Rz. 4

Nach Art. 15 der Verordnung bestimmt sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht für die Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll gebunden sind, nach diesem Protokoll.

Haager Protokoll

Rz. 5

In Art. 3 „Allgemeine Regel in Bezug auf das anzuwendende Recht”) des Haager Protokolls heißt es:

„(1) Sofern [im Haager] Protokoll nichts anderes bestimmt ist, ist für Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2) Wechselt die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, so ist vom Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels an das Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden.”

Rz. 6

Art. 4 „Besondere Regeln zugunsten bestimmter berechtigter Personen”) des Haager Protokolls bestimmt:

„(1) Die folgenden Bestimmungen sind anzuwenden in Bezug auf Unterhaltspflichten

a) der Eltern gegenüber ihre...

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