Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Unionsbürgerschaft. Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Bürger, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt. Verlust der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats mit Vollendung des 22. Lebensjahrs kraft Gesetzes wegen Fehlens einer echten Bindung zu dem Mitgliedstaat, wenn vor diesem Geburtstag kein Antrag auf Beibehaltung der Staatsangehörigkeit gestellt wurde. Verlust des Unionsbürgerstatus. Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Folgen dieses Verlusts aus unionsrechtlicher Sicht. Ausschlussfrist

 

Normenkette

AEUV Art. 20; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 7

 

Beteiligte

Udlændinge- og Integrationsministeriet (Perte de la nationalité danoise)

X

Udlændinge- og Integrationsministeriet

 

Tenor

Art. 20 AEUV ist im Licht von Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

er der Regelung eines Mitgliedstaats, wonach seine im Ausland geborenen Staatsangehörigen, die nie in diesem Mitgliedstaat gewohnt und sich dort auch nicht unter Bedingungen aufgehalten haben, die eine echte Bindung zu ihm belegen, mit Vollendung des 22. Lebensjahrs kraft Gesetzes die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats verlieren, was für Personen, die nicht auch Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, den Verlust ihres Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte zur Folge hat, dann nicht entgegensteht, wenn den betroffenen Personen die Möglichkeit eingeräumt wird, innerhalb einer angemessenen Frist einen Antrag auf Beibehaltung oder Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit zu stellen, der es den zuständigen Behörden erlaubt, die Verhältnismäßigkeit der Folgen des Verlusts dieser Staatsangehörigkeit aus unionsrechtlicher Sicht zu prüfen und gegebenenfalls die Beibehaltung oder die rückwirkende Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit zu gewähren. Eine solche Frist muss einen angemessenen Zeitraum nach dem 22. Geburtstag der betroffenen Person umfassen und kann nur dann zu laufen beginnen, wenn die zuständigen Behörden diese Person ordnungsgemäß vom Verlust oder unmittelbar drohenden Verlust der Staatsangehörigkeit sowie von ihrem Recht, innerhalb dieser Frist die Beibehaltung oder Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit zu beantragen, unterrichtet haben. Andernfalls müssen diese Behörden in der Lage sein, eine solche Prüfung inzident vorzunehmen, wenn die betroffene Person ein Reisedokument oder ein anderes Dokument zur Bescheinigung der Staatsangehörigkeit beantragt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-689/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark, Dänemark) mit Entscheidung vom 11. Oktober 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 16. November 2021, in dem Verfahren

X

gegen

Udlændinge- og Integrationsministeriet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), E. Regan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, des Kammerpräsidenten D. Gratsias und der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún, der Richter S. Rodin, F. Biltgen, N. Piçarra und N. Wahl, der Richterin I. Ziemele und des Richters J. Passer,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von X, vertreten durch E. O. R. Khawaja, Advokat,
  • –        der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte im Beistand von R. Holdgaard und A. K. Rasmussen, Advokater,
  • –        der französischen Regierung, vertreten durch A. Daniel, A.-L. Desjonquères und J. Illouz als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Grønfeldt und E. Montaguti als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Januar 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 AEUV und Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen X und dem Udlændinge- og Integrationsministerium (Ministerium für Ausländer und Integration, Dänemark) (im Folgenden: Ministerium) wegen des Verlusts der dänischen Staatsangehörigkeit von X.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In Art. 20 AEUV heißt es:

„(1)      Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.

(2)      Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem

a)      das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ...

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