Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidungsersuchen. Soziale Sicherheit. In seinem Wohnstaat versicherter Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats. Plötzliche schwere Erkrankung während eines Urlaubs in einem anderen Mitgliedstaat. Person, die wegen ihrer Erkrankung und der Verfügbarkeit einer spezialisierten medizinischen Behandlung in der Nähe des Ortes, an dem sie lebt, gezwungen ist, elf Jahre lang in diesem zweiten Mitgliedstaat zu bleiben. Erbringung von Sachleistungen in diesem zweiten Staat. Begriffe ‚Wohnort’ und ‚Aufenthalt’

 

Normenkette

EGV 883/2004 Art. 19 Abs. 1; EGV 883/2004 Art. 20 Abs. 1; EGV 883/2004 Art. 20 Abs. 2; EGV 987/2009 Art. 11

 

Beteiligte

I

I

Health Service Executive

 

Tenor

Art. 1 Buchst. j und k der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass für die Zwecke von Art. 19 Abs. 1 oder Art. 20 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung davon auszugehen ist, dass ein Unionsbürger, der in einem ersten Mitgliedstaat wohnhaft war und während eines Urlaubs in einem zweiten Mitgliedstaat plötzlich schwer erkrankt und wegen dieser Erkrankung und der Verfügbarkeit einer spezialisierten medizinischen Behandlung in der Nähe des Orts, an dem er lebt, gezwungen ist, für einen Zeitraum von elf Jahren in diesem zweiten Mitgliedstaat zu bleiben, sich in diesem Mitgliedstaat „aufhält”, wenn der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen in dem ersten Mitgliedstaat liegt. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, den gewöhnlichen Mittelpunkt der Interessen dieses Unionsbürgers anhand einer Gesamtbetrachtung der erheblichen Tatsachen und unter Berücksichtigung des Willens des Betroffenen, wie er sich aus diesen Tatsachen ergibt, zu bestimmen. Der Umstand allein, dass der Betroffene während eines langen Zeitraums in dem zweiten Staat geblieben ist, genügt nicht für die Annahme, dass er in diesem Mitgliedstaat wohnt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Irland) mit Entscheidung vom 3. Mai 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2013, in dem Verfahren

I

gegen

Health Service Executive

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und J. Malenovský sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von I, vertreten durch F. Callanan und L. McCann, SC, sowie G. Burke, Barrister, beauftragt von C. Callanan, Solicitor,
  • des Health Service Executive, vertreten durch S. Murphy, SC, beauftragt von Arthur Cox, Solicitors,
  • von Irland, vertreten durch A. Joyce und E. Mc Phillips als Bevollmächtigte im Beistand von G. Gilmore, Barrister,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und C. Schillemans als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und J. Tomkin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. März 2014

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, und Berichtigung ABl. L 200, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen I, einem irischen Staatsangehörigen, und dem Health Service Executive (Gesundheitsdienst, im Folgenden: HSE) wegen dessen Weigerung, die Genehmigung gemäß Vordruck E 112 zur Deckung der Kosten der medizinischen Behandlung des Klägers in Deutschland zu erneuern.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71

Rz. 3

Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), wurde durch die Verordnung Nr. 883/2004 ersetzt.

Rz. 4

Nach ihrem Art. 91 und nach Art. 97 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (ABl. L 284, S. 1) gilt die Verordnung Nr. 883/2004 ab dem 1. Mai 2010. Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde an diesem Tag aufgehoben.

Rz. 5

Art. 1 der Verordnung Nr. 1408/1971 enthielt folgende Begriffsbestimmungen:

„Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

‚Wohnort’: der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts;

‚Aufenthalt’: der vorübergehende Aufenthalt;

…”

Rz. 6

Art. 22 („Aufenthalt außerhalb des zuständigen Staates – Rückkehr ode...

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