Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Mindestnormen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus. Prüfung der Ereignisse und Umstände. Art und Weise der Prüfung. Zulassung bestimmter Beweise. Umfang der Befugnisse der zuständigen nationalen Behörden. Furcht vor Verfolgung wegen der sexuellen Ausrichtung. Unterschiede zwischen den Grenzen für die Prüfung der Aussagen und Unterlagen oder sonstigen Beweise zur behaupteten sexuellen Ausrichtung eines Asylbewerbers und den Grenzen für die Prüfung dieser Anhaltspunkte bei anderen Verfolgungsgründen. Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Anforderungen an die persönliche Anhörung. Würde des Menschen. Achtung des Privat- und Familienlebens

 

Normenkette

Richtlinie 2004/83/EG Art. 4; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 7, 1; Richtlinie 2005/85/EG Art. 13

 

Beteiligte

A

C

B

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

 

Tenor

Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes und Art. 13 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft sind dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden, die unter der Kontrolle der Gerichte tätig werden, im Rahmen ihrer Prüfung der Ereignisse und Umstände, die die behauptete sexuelle Ausrichtung eines Asylbewerbers betreffen, dessen Antrag auf die Furcht vor Verfolgung wegen dieser Ausrichtung gestützt ist, dessen Aussagen und die zur Stützung seines Antrags vorgelegten Unterlagen oder sonstigen Beweise nicht anhand von Befragungen beurteilen dürfen, die allein auf stereotypen Vorstellungen von Homosexuellen beruhen.

Art. 4 der Richtlinie 2004/83 ist im Licht von Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen dieser Prüfung keine detaillierten Befragungen zu den sexuellen Praktiken eines Asylbewerbers durchführen dürfen.

Art. 4 der Richtlinie 2004/83 ist im Licht von Art. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen dieser Prüfung keine Beweise der Art akzeptieren dürfen, dass der betreffende Asylbewerber homosexuelle Handlungen vornimmt, sich „Tests” zum Nachweis seiner Homosexualität unterzieht oder auch Videoaufnahmen solcher Handlungen vorlegt.

Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 und Art. 13 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 sind dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen dieser Prüfung nicht allein deshalb zu dem Ergebnis gelangen dürfen, dass die Aussagen des betreffenden Asylbewerbers nicht glaubhaft sind, weil er seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht hat.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidungen vom 20. März 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. März 2013, in den Verfahren

A (C-148/13),

B (C-149/13),

C (C-150/13)

gegen

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie,

Beteiligte:

United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, L. Bay Larsen (Berichterstatter), T. von Danwitz, A. Ó Caoimh und J.-C. Bonichot sowie der Richter A. Borg Barthet, J. Malenovský, E. Levits, E. Jarašiūnas, C. G. Fernlund und J. L. da Cruz Vilaça,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn A, vertreten durch N. C. Blomjous, advocaat,
  • von Herrn B, vertreten durch C. Chen, advocaat,
  • des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), vertreten durch P. Moreau als Bevollmächtigte im Beistand von M.-E. Demetriou, QC,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Schillemans, M. Bulterman und B. Koopman als Bevollmächtigte,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláˇil als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Wiedmann als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Menez als Bevollmächtigt...

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