Der BGH leitet aus dem Zweck des § 2287 BGB ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ab, wonach der Erblasser durch die Schenkung das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen (§ 2286 BGB) missbraucht haben muss. Denn gerade vor einem solchen Missbrauch soll § 2287 BGB den Vertragserben schützen.[1] Ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an der Schenkung schließe jedoch einen Missbrauch aus. Der BGH erkennt ein lebzeitiges Eigeninteresse regelmäßig nur dann an, wenn nach Abschluss des Erbvertrages eine Änderung der objektiven Sachlage eingetreten ist. Allein ein subjektiver Sinneswandel soll die Korrektur einer bindenden Nachlassverteilung zu Lasten des Vertragserben hingegen nicht rechtfertigen. Insoweit wäre der Erblasser also präkludiert.[2] Auf dieser Linie liegt auch eine Entscheidung des BGH zur Berücksichtigung der objektiv jedermann stets drohenden Pflegebedürftigkeit im Alter, wobei der BGH an dem Erfordernis einer Änderung der objektiven Sachlage zwischen Erbvertrag und Schenkung festhält, dafür aber genügen lässt, dass das Pflege- und Versorgungsbedürfnis "mit den Jahren immer dringender und gewichtiger" werde.[3] Ob ein lebzeitiges Eigeninteresse vorliegt, ist aus Sicht eines objektiven Beobachters zu beurteilen. Es ist zu bejahen, wenn die Schenkung des Erblassers in Anbetracht der gegebenen Umstände und unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheine, sodass der Bedachte sie anerkennen und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen hinnehmen müsse. Dazu ist eine umfassende Abwägung vorzunehmen zwischen den Gründen, die für und gegen die erbvertragswidrige Schenkung sprechen.[4] Hierfür können das Verhalten des Erblassers vor Abschluss des Erbvertrages (insbesondere frühere, vergleichbare Zuwendungen), der Grund der Zuwendung und die Frage Bedeutung haben, ob es sich um eine Zuwendung aus der Vermögenssubstanz oder aus den Erträgen handelt.[5] Nach der Rechtsprechung kann ein "lebzeitiges Eigeninteresse" in erster Linie dann vorliegen, wenn die Schenkung der Versorgung oder Pflege des Erblassers dient, aber auch, wenn ein Geschäftsanteil an einen bewährten und zur Leitung befähigten Mitarbeiter schenkweise übertragen wird, um diesen an den Betrieb zu binden.[6] Ein lebzeitiges Eigeninteresse kann nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers selbst dann angenommen werden, wenn der Erblasser mit der Schenkung eine sittliche Verpflichtung erfüllt. Konkret sollen dem Erblasser in gewissem Maße auch Schenkungen "zu ideellen Zwecken oder aus persönlichen Rücksichten" möglich bleiben.[7]

[1] Vgl. BGH, Urteil v. 5.7.1972, IV ZR 125/70, BGHZ 59 S. 343, 350; BGH, Urteil v. 12.6.1980, IVa ZR 5/80, BGHZ 77 S. 264, 266; vgl. zu diesem Kriterium auch Spanke, ZEV 2006 S. 485.
[2] Vgl. BGH, Urteil v. 12.6.1980, IVa ZR 5/80, BGHZ 77 S. 264, 267.
[3] Vgl. BGH, Urteil v. 27.1.1982, IVa ZR 240/80, BGHZ 83 S. 44 (46).
[4] Vgl. BGH, Urteil v. 21.5.1986, IVa ZR 171/84, NJW-RR 1986 S. 1135; BGH, Urteil v. 28.9.1983, IVa ZR 168/82, BGHZ 88 S. 269 (271); BGH, Urteil v. 27.1.1982, IVa ZR 240/80, BGHZ 83 S. 44 ff.; BGH, Urteil v. 12.6.1980, IVa ZR 5/80, BGHZ 77 S. 264 (266 f.).
[5] Vgl. Musielak in MüKo-BGB, § 2287 Rn. 16.
[6] Vgl. BGH, Urteil v. 26.2.1986, IVa ZR 87/84, BGHZ 97 S. 188 (195 f.).
[7] So die Formulierung in Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Band V, Erbrecht, Berlin 1899, S. 393.

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