Rz. 135

Die "Beschlagnahme" im Sinne des ZVG bewirkt keine einheitliche Rechtsfolge; vielmehr handelt es sich um einen Sammelbegriff für verschiedene Wirkungen. Insbesondere bewirkt die Beschlagnahme:

ein relatives Veräußerungsverbot zugunsten des Gläubigers an den beschlagnahmten Sachen und Rechten i.S.d. §§ 135, 136 BGB;
eine Aktivierung der Hypothekenhaftung des Grundstücks (§ 1113 BGB) und der Gegenstände des Haftungsverbandes (§§ 1120 ff. BGB), soweit die Beschlagnahme aus einem Grundpfandrecht betrieben wird;
die Schaffung eines bisher nicht bestehenden Anspruchs auf Befriedigung aus dem Grundstück (hier: aus seinen Erträgen), wenn die Beschlagnahme zugunsten eines persönlichen Gläubigers bewirkt wird;
den Entzug der Verwaltungs- und Benutzungsbefugnis des Schuldners (§ 148 Abs. 2 ZVG).

Die Beschlagnahme ist kein Pfandrecht im Sinne der ZPO, diesem aber derart angenähert, dass zu ihrer Beschreibung auf die Normen verwiesen werden kann, welche für das Pfandrecht entwickelt wurden.[121]

 

Rz. 136

Beschlagnahme ist also – ebenso wie das Pfandrecht – ein Rechtsverhältnis, das dazu dient, eine Forderung des Gläubigers zu befriedigen. Somit kann die Beschlagnahme ihrem Wesen nach nur Rechtsbeziehungen zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner entfalten. Dritte sind daran nicht beteiligt. Soweit Dritte betroffen sind (z.B. durch das relative Veräußerungsverbot), handelt es sich lediglich um Abwehr-Rechte, welche nur dazu dienen, das durch die Beschlagnahme bewirkte Befriedigungsrecht des Gläubigers gegen Beeinträchtigung zu schützen.

 

Rz. 137

Die Beschlagnahme bewirkt also zweierlei, was unbedingt[122] unterschieden werden muss:

Sie schafft oder konkretisiert das Befriedigungsrecht des Gläubigers (siehe Rn 136). Dies ist gewissermaßen die "materielle Wirkung" der Beschlagnahme.
Sie schafft ein selbstständiges Recht des Zwangsverwalters unter Ausschluss des Schuldners auf Besitz und Verwaltung des Grundbesitzes (§ 148 Abs. 2 ZVG). Hierauf[123] – also auf der Beschlagnahme des Grundstücks und nicht etwa auf der Beschlagnahme der Erträge – beruht sein Einzugsrecht. Er ist nunmehr an Stelle des Schuldners berechtigt, alle auf das Grundstück bezogenen Forderungen einzuziehen, die bisher vom Schuldner einzuziehen waren. In Anlehnung an die Lehre vom Pfandrecht könnte man dieses Verwaltungsrecht als "Verstrickung" bezeichnen.
 

Rz. 138

Deshalb kommt es für das Einzugsrecht des Verwalters nicht darauf an, ob die Forderung beschlagnahmt ist oder nicht. Dies ist an sich selbstverständlich, da ja die Zahlungspflichtigen (z.B. Mieter) am Rechtsverhältnis "Beschlagnahme" nicht beteiligt sind. Rechtsgrundlage für den Einzug ist nur das jeweilige bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnis, also z.B. der Mietvertrag oder eine unerlaubte Handlung. Also hat der Verwalter nach erfolgtem Inkasso Geldbeträge in seiner Kasse, welche im materiellen Sinne (siehe § 1 Rn 137) beschlagnahmt sind und somit zum Zwecke des § 155 ZVG zur Verfügung stehen und solche, die nur verstrickt sind. Jetzt erst, wenn über die weitere Verwendung des Geldes zu entscheiden ist, kommt es auf die "materielle Beschlagnahme" (siehe § 1 Rn 137) an.

 

Rz. 139

Während die Beschlagnahme zu Beginn alle ihre Wirkungen gleichzeitig entfaltet, ist es keineswegs erforderlich, dass alle ihre Wirkungen auch gleichzeitig zu Ende gehen.[124] Diese Differenzierung ist besonders wichtig, wenn die Rechtsstellung des Verwalters bei Aufhebung der Zwangsverwaltung systemgerecht umschrieben werden soll (siehe § 1 Rn 429 ff.).

 

Rz. 140

Obwohl das "Verwaltungsrecht" (§ 148 Abs. 2 ZVG) durch die Beschlagnahme (des Grundstücks) geschaffen wird, endet es nicht mit dieser Beschlagnahme, von welcher es einmal abgeleitet wurde. Einmal "in die Welt gesetzt" ist es vom Fortbestand der Beschlagnahme nicht abhängig und es bedarf zu seiner Beendigung einer konstitutiven Entscheidung. Eine solche liegt bezüglich der versteigerten Gegenstände vor, wenn das Zwangsverwaltungsverfahren aufgehoben wird.[125] Dies muss auch gelten, wenn der Rechtspfleger nach Zuschlag sachgemäß nicht auf "Aufhebung" sondern "Freigabe" entscheidet. Die Verwaltungsbefugnis bezüglich der immer noch beschlagnahmten Gegenstände bleibt in beiden Fällen unberührt.

[121] Eine ausgezeichnete und ausführliche Darstellung bringt Eickmann, § 9 und derselbe Verfasser in ZfIR 2003, 1021, auf welche verwiesen wird.
[122] Zu welchen unverständlichen Entscheidungen Prozessgerichte kommen, weil sie diesen Unterschied nicht beachten, zeigt z.B. das Urteil des LG Düsseldorf IGZInfo 2008, 184 mit Anm. Neumann/Hoffmann, das dem Verwalter den Einzug einer Mietkaution beim Mietverwalter verweigerte, weil sie nicht beschlagnahmt sei (was sie natürlich nicht war!).
[123] Deshalb wird auch in der Zwangsverwaltung "das Grundstück" beschlagnahmt, obwohl sich der Gläubiger aus seiner Substanz nicht befriedigen darf.
[124] Eickmann, ZfIR 2003, 1021; Mayer, Rpfleger 1994, 101.
[125] BGH IGZInfo 2010, 126 unter Hinweis auf gleichlautende frühere Entschei...

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