Nach dem BFH[1] kann ein durch das Berliner Testament enterbter Abkömmling beim zweiten Erbfall seinen Pflichtteilsbetrag aus dem ersten Erbfall als Nachlassverbindlichkeit vom Nachlasswert absetzen. Damit hat der BFH die erbschaftsteuerlichen Nachteile des Schlusserben scheinbar beseitigt. Diese Rechtsprechung überzeugt allerdings nur, soweit der enterbte Abkömmling seinen Pflichtteilsanspruch noch innerhalb der Frist des § 2332 BGB (fiktiv) geltend macht. Zudem kann der Pflichtteil nur bei großen Nachlässen den vollen Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ausfüllen. In "normaleren" Verhältnissen dürfte durch das Berliner Testament wie gehabt Geld verschenkt werden.

 
Praxis-Beispiel

Der Nachlass des Erstversterbenden beläuft sich auf 650.000 EUR und besteht aus einem im hälftigen Miteigentum mit seiner im gesetzlichen Güterstand verheirateten Ehefrau stehenden Grundstück. Der einzige Sohn würde 325.000 EUR erbschaftsteuerfrei erben; sein Pflichtteil beläuft sich auf 162.500 EUR (§ 2303 Abs. 1 S. 2 BGB).

Beim zweiten Erbfall erhält er das Gesamtgrundstück im Wert von 1,3 Mio. EUR. Er kann jetzt 162.500 EUR für den Pflichtteil aus dem ersten Erbfall und weitere 400.000 EUR aus dem zweiten Erbfall vom Nachlasswert absetzen, sodass sich dieser auf 737.500 EUR reduziert. Allerdings trifft ihn eine Erbschaftsteuerlast von 140.125 EUR nach Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) von 19 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG).

Gäbe es das "Berliner Testament" nicht, so würde der Sohn noch 975.000 EUR (3/4 des Grundstücks) erben. Nach Abzug seines Freibetrages von 400.000 EUR (unterstellt, es handelt sich bei dem Grundstück nicht um ein Familienheim) verbleiben 575.000 EUR, die mit lediglich 15 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG) steuerbar sind, macht 86.250 EUR.

Fazit: Das Berliner Testament verbrennt in diesem Beispiel sogar nach der Korrekturentscheidung des BFH vom 19.2.2013 noch einen Betrag von stattlichen 53.875 EUR.

In zwei neueren Entscheidungen vom 5.2.2020 hat der BFH[2]

sich allerdings zur Zeitspanne zwischen erstem Erbfall und zweitem Erbfall geäußert. Im Ergebnis stellt der BFH strikt formal auf die Verjährungsfrist des § 2332 BGB ab, sodass die Annahme eines fiktiven Pflichtteils beim zweiten Erbfall nach Ablauf der 3-Jahres-Frist ausscheiden soll, womit dann der volle Freibetrag durch ein Berliner Testament verschenkt wäre.

Als Lösung dieser Problematik wird eine Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist durch letztwillige Verfügung auf 6 Monate nach dem zweiten Erbfall (bei im Übrigen gegenseitiger Erbeinsetzung der Eheleute, Schlusserbfolge der Abkömmlinge und einer Pflichtteilsstrafklausel) vorgeschlagen[3].

 
Praxis-Tipp

Nach dem BFH kann ein zunächst enterbter Abkömmling beim zweiten Erbfall seinen Pflichtteilsbetrag aus dem ersten Erbfall jedenfalls innerhalb der Frist des § 2332 BGB als Nachlassverbindlichkeit vom Steuerwert absetzen.

[2] BFH, II R 1/16, ZEV 2020 S. 508 ff.; II R 17/16, BFHE 267 S. 506.
[3] Steiner, ZErb 2022 S. 335 (337).

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