Rz. 1

Wenn ein Rechtsgeschäft unter einer Bedingung (§ 158 BGB) oder einer Zeitbestimmung (§ 163 BGB) steht, ist es tatbestandlich vollendet und gültig, nur seine vollen Rechtswirkungen sind bis zum Eintritt oder Ausfall der Bedingung oder der Zeitbestimmung in der Schwebe.[1] Bei einer aufschiebenden Bedingung oder Zeitbestimmung hat der Berechtigte ein Anwartschaftsrecht, das ein wesensgleiches Minus gegenüber dem Vollrecht ist.[2] Handelt es sich um eine aufschiebend bedingte oder befristete Verbindlichkeit, ist der Verpflichtete noch nicht rechtlich, wohl aber wirtschaftlich bereits belastet, sein Vermögen ist im Wert gemindert – in Analogie zum Anwartschaftsrecht mit einer Anwartschaftspflicht als einem wesensgleichen Minus gegenüber der Verbindlichkeit. Tritt die Bedingung oder Zeitbestimmung ein, sind der Erwerb und die Verbindlichkeit endgültig geworden, fallen sie aus, findet der Erwerb des Vollrechts nicht statt und das Anwartschaftsrecht fällt weg, ebenso die Verbindlichkeit und die Wertminderung des Vermögens. Bei einer auflösenden Bedingung oder Zeitbestimmung verhält es sich genau umgekehrt. Der Erwerb hat stattgefunden, die Verbindlichkeit besteht. Dabei bleibt es, wenn die Bedingung oder die Zeitbestimmung ausfällt. Andernfalls entfallen der Erwerb oder die Last.

 

Rz. 2

Im Steuerrecht gibt es zwei Möglichkeiten, mit dem Thema umzugehen:[3]

1. Man behandelt den Erwerb als endgültige Bereicherung und die Verbindlichkeit als endgültige Belastung und berücksichtigt die Ungewissheit bei der Bewertung auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeiten (vgl. dazu § 1986 Abs. 2 S. 2 BGB). So verfährt man im Zivilrecht – abgesehen von der ausdrücklichen Ausnahme des § 2313 BGB im Pflichtteilsrecht, die nicht verallgemeinerungsfähig ist. So verfährt man auch im Ertragsteuerrecht bei Einkünften, die durch Vermögensvergleich ermittelt werden. Hier gleicht sich ein Zuviel oder Zuwenig des einen Jahres in einem späteren Jahr wieder aus, zeitversetzt kommt man daher immer zum richtigen Ergebnis. Aber bei den Einzelfallsteuern, zu denen die Erbschaftsteuer gehört, fehlt ein solcher Ausgleich. Dessen ungeachtet spricht das Gebot, nach der Leistungsfähigkeit zu besteuern, für einen sofortigen und endgültigen Ansatz des Anwartschaftsrechts[4] oder der Anwartschaftspflicht.
2. Man ignoriert den Schwebezustand und wartet auf das Endergebnis. Dann wird das, was aufschiebend bedingt ist, zunächst nicht berücksichtigt, sondern je nachdem, ob die Bedingung oder Zeitbestimmung eintritt oder ausfällt, erst später oder gar nicht. Solange gibt es auch nichts zu bewerten. Was auflösend bedingt ist, wird sofort berücksichtigt, und je nach weiterem Ablauf erfolgt oder unterbleibt eine Korrektur. Mit den Worten von Dziegalowski/Thümen:[5] Die Möglichkeit des Erwerbes wird bei der aufschiebenden Bedingung auf null geschätzt, ebenso die Möglichkeit des Verlustes bei der auflösenden Bedingung.
[2] BGH v. 24.6.1958 – VIII ZR 205/57, BGHZ 28, 16, 21.
[3] Zur steuerlichen Behandlung dieser Schwebezustände schon Dziegalowski/Thümen, Das Reichsbewertungsgesetz, 3. Aufl. 1931, §§ 3–7 RBewG Anm. 1.
[4] Dazu Daragan, DB 2005, 634. Ebenso Meincke, ErbStG, 16. Aufl., § 12 ErbStG Rn 12.
[5] Das Reichsbewertungsgesetz, 3. Aufl. 1931, §§ 3–7 RBewG Anm. 1.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge