Rz. 32

Soweit tatsächliche Verkäufe unter fremden Dritten festgestellt werden können, sind nach dem Gesetzeswortlaut nur in der Vergangenheit, also vor dem Zeitpunkt der Steuerentstehung, liegende Transaktionen zur Wertableitung in Betracht zu ziehen.[104] Weitere Voraussetzung für die Maßgeblichkeit des Verkaufspreises ist, dass die entsprechende Verkaufstransaktion innerhalb einer Frist von einem Jahr vor dem Bewertungsstichtag erfolgte. Wenn der dingliche Vollzug (also sowohl Anteilsabtretung als auch Kaufpreiszahlung) innerhalb der Frist liegt, kann ein länger zurückliegender Vertragsschluss allerdings unschädlich sein.[105] Außerdem kommt eine Überschreitung der Einjahresfrist in Betracht, wenn auf einen Basiswert i.S.v. § 151 Abs. 3 BewG zurückgegriffen wird. Denn dieser kann durchaus aus einem – bezogen auf den aktuellen Bewertungsstichtag – länger als ein Jahr zurückliegenden Verkauf abgeleitet worden sein.[106]

 

Rz. 33

Verkäufe nach dem Stichtag sind für § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BewG grds. irrelevant.[107] Eine Ausnahme kommt lediglich dann in Betracht, wenn allein der formelle Vertragsschluss kurz nach dem Stichtag liegt, die Einigung über den Kaufpreis allerdings am Bewertungsstichtag schon herbeigeführt war.[108] Dasselbe gilt, wenn dem eigentlichen Kaufvertragsabschluss nur noch eine eher deklaratorische Wirkung zukommt, weil vor dem Stichtag die Verkaufsbedingungen "durch die Festlegung eines Preisrahmens bereits ausreichend verdichtet" waren.[109] Für den Fall, dass verschenkte Anteile kurz nach der Schenkung in andere Anteile getauscht werden, soll nach den Grundsätzen der Vergleichswertmethode der Wert der eingetauschten Anteile (konkret Aktien) maßgeblich sein.[110] Auch wenn diese Vorgehensweise mit dem Gesetz kaum zu vereinbaren ist, kann sie gerade bei Anteilsübertragungen im Vorfeld eines Börsengangs von Bedeutung sein, wenn sich während der Zeichnungsfrist eine ausreichende Konkretisierung des Kaufpreises ergeben hat.[111]

 

Rz. 34

Ganz allgemein können jedoch Verkäufe nach dem Bewertungsstichtag als Anhaltspunkte zur Kontrolle der Angemessenheit der Bewertung anhand des (vereinfachten) Ertragswertverfahrens herangezogen werden, so z.B. wenn sich im Rahmen von Erbauseinandersetzungen oder aus kurz nach dem Bewertungsstichtag stattfindenden Verkäufen abweichende Erkenntnisse über den Wert des Unternehmens herleiten lassen.[112] Verfahrensrechtlich kommt insoweit eine Korrektur wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht.[113]

[106] Eisele, in: Rössler/Troll, BewG, § 11 Rn 25; Kreutziger/Jacobs, in: Kreutziger/Schaffner/Stephany, BewG, § 11 Rn 31.
[107] FG München v. 26.1.2022 – 4 K 1283/20, BeckRS 2022, 8227; S. Viskorf, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG und BewG, § 11 BewG Rn 31.
[109] BFH v. 2.11.1988 – II R 52/85, BStBl II 1989, 80; BFH v. 11.11.1998 – II R 59/96, BFH/NV 1999, 908; BFH v. 22.11.2009 – II R 43/07, BFH/NV 2009, 996; BFH v. 20.6.2010 – II R 40/08, BStBl II 2010, 843. Vgl. auch Milaz, GmbHR 2010, 1111; Herlinghaus, BFH/PR 2010, 443. Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 12 Rn 292; Mannek, in: Stenger/Loose, § 11 BewG Rn 146.
[111] Vgl. hierzu Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 12 Rn 299.
[112] Vgl. Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU und SPD, Umdruck Nummer 02 zu Artikel 2 (Bewertungsgesetz) S. 37, zu § 199.
[113] Vgl. hierzu FG Berlin-Brandenburg v. 24.3.2010 – 3 K 2258/06, DStRE 2010, 1136 zu einem Grundstücksverkauf 14 Monate nach dem Stichtag.

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