Gesetzestext

 

(1)1Ist ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, so kann er den Pflichtteil verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. 2Schlägt er nicht aus, so steht ihm ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu, soweit der Wert des Vermächtnisses reicht; bei der Berechnung des Wertes bleiben Beschränkungen und Beschwerungen der in § 2306 bezeichneten Art außer Betracht.

(2)1Der mit dem Vermächtnis beschwerte Erbe kann den Pflichtteilsberechtigten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses auffordern. 2Mit dem Ablauf der Frist gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, wenn nicht vorher die Annahme erklärt wird.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Ist dem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis hinterlassen, sind seine Reaktionsmöglichkeiten wesentlich flexibler ausgestaltet als im Falle des § 2306 BGB. Unabhängig vom Wert des Vermächtnisses, von darauf liegenden Belastungen oder sonstigen Einschränkungen hat der Pflichtteilsberechtigte stets die Wahl, das Vermächtnis anzunehmen oder auszuschlagen. Ein Verlust seines Pflichtteilsrechts ist damit unter keinen Umständen verbunden.[1] Das Gesetz verhindert auf diese Weise, dass der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten ein an die Stelle des Pflichtteils tretendes Vermächtnis aufdrängen kann.[2] Unsinnige oder nicht dem Interesse des Pflichtteilsberechtigten entsprechende gegenständliche Zuweisungen hindern also – auch wenn sie einen über dem Pflichtteilsanspruch liegenden Wert repräsentieren – grds. nicht die Pflichtteilsgeltendmachung.[3]

[1] Das galt für die Ausschlagung von Vermächtnissen bereits vor der Erbrechtsreform, so dass der Pflichtteilsberechtigte gegenüber der Situation des früheren § 2306 BGB eine deutlich größere Entscheidungsfreiheit hatte.
[2] Mot. V, S. 393; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2307 Rn 3.
[3] Kerscher/Tanck, ZAP 1997, 689, 694.

B. Tatbestand

I. Allgemeines

 

Rz. 2

Voraussetzung der Anwendung des § 2307 BGB ist, dass dem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis[4] hinterlassen ist. Auf die weitere Ausgestaltung des Vermächtnisses (Belastungen oder Beschwerungen) kommt es nicht an.[5] Vermächtnis i.S.d. Vorschrift ist auch das Untervermächtnis[6] oder die vermächtnisweise Zuwendung des Pflichtteils. In dieser ist übrigens meist ein unbelastetes Vermächtnis zu sehen, da dem Begünstigten ein ihm ohnedies zustehendes gesetzlich verbrieftes Recht, das gar nicht mehr wirksam beschränkt werden kann, zugewendet wird.

 

Rz. 3

§ 2307 BGB erfasst darüber hinaus auch belastete Vermächtnisse, bei denen bspw. ein Untervermächtnis (§ 2147 BGB) oder eine Auflage (§ 2192 BGB) zu Lasten des Vermächtnisnehmers[7] oder eine Testamentsvollstreckung – wenn es sich um eine reine Vermächtnisvollstreckung handelt, § 2223 BGB – angeordnet ist.[8]

 

Rz. 4

Auch auflösend bedingte oder befristete Vermächtnisse liegen im Regelungsbereich von § 2307 BGB, und zwar unabhängig davon, ob sie nach Eintritt der Bedingung oder Befristung einem Nachvermächtnisnehmer anfallen oder nicht.[9]

[4] Irgendein Vermächtnis (vgl. MüKo/Lange, § 2307 Rn 3; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2307 Rn 4) einschließlich des Bestimmungsvermächtnisses, a.A. Hölscher, ZEV 2015, 676, 680.
[5] BayObLG ZEV 2004, 464, 466; Staudinger/Otte [2015], § 2307 Rn 5; BeckOGK/Obergfell, § 2307 Rn 3.
[6] Staudinger/Otte [2015], § 2307 Rn 17.
[7] Staudinger/Otte [2015], § 2307 Rn 17; BeckOGK/Obergfell, § 2307 Rn 4; Schlitt, NJW 1992, 28.
[8] Schlitt, NJW 1992, 28; Staudinger/Otte [2015], § 2307 Rn 17 MüKo/Lange, § 2307 Rn 6; BeckOGK/Obergfell, § 2307 Rn 4; RGRK/Johannsen, § 2307 Rn 7.
[9] MüKo/Lange, § 2307 Rn 7; Staudinger/Haas [2006], § 2307 Rn 5.

II. Aufschiebende Bedingung oder Befristung

 

Rz. 5

Umstritten ist indes teilweise die Einordnung aufschiebend bedingter oder befristeter Vermächtnisse und Nachvermächtnisse. Die überwiegende Ansicht in der Lit.[10] geht davon aus, dass § 2307 BGB auch hinsichtlich des aufschiebend befristeten Vermächtnisses anwendbar ist. Das Vermächtnis sei zwar nicht "beschränkt" im eigentlichen Sinne; angesichts des Verweises auf § 2306 BGB, in dessen Absatz 2 die Nacherbeneinsetzung anderen belasteten Erbeinsetzungen gleichgestellt wird, müsse gleiches auch für befristete Vermächtnisse – auch in der Form des Nachvermächtnisses – gelten. Die Frage, ob dies auch für die aufschiebend bedingte Vermächtnisanordnung gilt, hängt konsequenterweise davon ab, wie die Nacherbeneinsetzung i.R.d. § 2306 BGB zu würdigen ist. Ginge man davon aus, dass die Nacherbeneinsetzung bei Eintritt des Vorerbfalls zunächst einer Enterbung gleichkomme, müsste man auch im Fall des aufschiebend bedingten Vermächtnisses – auch des Nachvermächtnisses – die Anwendbarkeit des § 2307 BGB verneinen, da (aktuell) gar keine vermächtnisweise Beteiligung am Nachlass vorläge.[11] Parallel zur bei § 2306 BGB zutreffenden Wertung, dass in der aufschiebend bedingten Berufung zum Nacherben eine Beschwerung des Betroffenen zu sehen ist, muss § 2307 BGB im Ergebnis aber auch für aufschiebend bedingte Vermächtnisse anwendbar sein.[12] Dem stimmt auch die Rspr. zu.[13] Abgesehen von der dog...

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