Gesetzestext

 

Die Zuwendung des Pflichtteils ist im Zweifel nicht als Erbeinsetzung anzusehen.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

§ 2304 BGB enthält die widerlegbare Vermutung, dass die Zuwendung des Pflichtteils – abweichend von der Regelungen des § 2087 Abs. 1 BGB – nicht als Erbeinsetzung zu werten sei. Im Anwendungsbereich von § 2304 BGB geht dieser als lex specialis den Anordnungen in § 2087 Abs. 1 BGB vor.[1] Dessen ungeachtet ist § 2304 BGB stets nur "im Zweifel" anzuwenden, also nur dann, wenn kein abweichender Wille des Erblassers erkennbar ist.[2]

 

Rz. 2

Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung dazu beitragen, Streitigkeiten über den rechtlichen Gehalt der testamentarischen Zuwendung des Pflichtteils vorzubeugen.[3] Die wesentlichen Fragen, die auch bei der Anwendung von § 2304 BGB zu beantworten sind, hat der Gesetzgeber aber offengelassen: So ist einerseits unklar, was unter einer "Zuwendung des Pflichtteils" zu verstehen ist, andererseits lässt sich auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2304 BGB die hieraus zu ziehende rechtliche Konsequenz aus der Vorschrift nicht unmittelbar erkennen.[4] In Betracht käme z.B. eine Vermächtnisanordnung oder eine Verweisung auf den (gesetzlichen) Pflichtteil.[5]

 

Rz. 3

Insgesamt kommen also im Fall der letztwilligen "Zuwendung eines Pflichtteils" drei mögliche Auslegungsergebnisse in Betracht:[6]

Erbeinsetzung in Höhe des Pflichtteils (soweit die Vermutung des § 2304 BGB widerlegt ist),
Vermächtnisanordnung,[7]
Verweisung auf den Pflichtteil.
[1] BGH ZEV 2004, 374, 375; Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 31; BeckOGK BGB/Gierl [2/2019], § 2304 Rn 4.
[2] MüKo/Lange, § 2304 Rn 5.
[3] Vgl. Mot. V, S. 391.
[4] BGH ZEV 2004, 374, 375; RGZ 129, 239, 241; Soergel/Dieckmann, § 2304 Rn 1; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2304 Rn 9; Ferid, NJW 1960, 121.
[5] MüKo/Lange, § 2304 Rn 3; BeckOGK BGB/Gierl [2/2019], § 2304 Rn 4 m.w.N. und unter Hinweis auf BGH ZEV 2004, 374, 375.
[6] BeckOGK BGB/Gierl [2/2019], § 2304 Rn 3; MüKo/Lange, § 2304 Rn 6.
[7] BeckOGK BGB/Gierl [2/2019], § 2304 Rn 3; NK-BGB/Bock, § 2304 Rn 1.

B. Tatbestand

 

Rz. 4

Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzt § 2304 BGB voraus, dass der Zuwendungsempfänger dem Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen angehört,[8] denn sonst ergibt die Anwendung dieser Auslegungsregel wenig Sinn. Der Begriff der Zuwendung ist weit auszulegen.[9] Der Gesetzgeber wollte ihn in einem nichttechnischen Sinne verstanden wissen.[10] Danach soll jede Art der (ausdrücklichen) Pflichtteilszuwendung erfasst werden.[11] Entscheidend ist aber, dass Gegenstand der Zuwendung tatsächlich der Pflichtteil sein muss, auch wenn es auf die Verwendung des Begriffs nicht entscheidend ankommt.[12] Eine Anwendung von § 2304 BGB ist ausgeschlossen, wenn dem Empfänger wertmäßig mehr oder weniger als sein Pflichtteil zukommen soll[13] oder er etwas anderes als einen reinen Geldanspruch erhält.[14] Das ist insbesondere auch dann der Fall, wenn Zuwendungen zur Deckung des Pflichtteils angeordnet werden. Soll der Berechtigte bestimmte Gegenstände erhalten, um so wertmäßig seinen Pflichtteilsanspruch abzugelten, ist hierin grundsätzlich die Anordnung eines Vermächtnisses zu sehen,[15] dessen Gegenstand gerade nicht der Pflichtteil, sondern ein aliud ist.[16]

 

Rz. 5

Für die Entscheidung, ob das Zugewendete mit dem Pflichtteil identisch ist, muss ausschließlich auf die objektive Rechtslage (im Zeitpunkt des Erbfalls) abgestellt werden.[17] Die diesbezüglichen Vorstellungen des Erblassers spielen hingegen keine Rolle.[18] Dies kann dazu führen, dass zwischen Testamentserrichtung und Erbfall eingetretene Veränderungen eine Anwendung von § 2304 BGB ausschließen können, selbst wenn der Erblasser tatsächlich nur den Pflichtteil zuwenden wollte.[19] In einem solchen Fall greift die gesetzliche Vermutungsregelung nicht ein, was aber natürlich nichts daran ändert, dass der Wille des Erblassers maßgeblich bleibt. Dieser ist dann im Rahmen des Möglichen anhand anderer (eigener oder gesetzlicher) Vorgaben zu ermitteln.

[8] MüKo/Lange, § 2304 Rn 3.
[9] MüKo/Lange, § 2304 Rn 3; Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 1.
[10] Vgl. Prot. V, S. 499 f.
[11] Vgl. Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 1.
[12] Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 1; BeckOGK BGB/Gierl [2/2019], § 2304 Rn 5.
[13] OLG Frankfurt a.M. ZEV 2000, 513 m. Anm. Küpper.
[14] Aliud; Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 5; MüKo/Lange, § 2304 Rn 4.
[15] MüKo/Lange, § 2304 Rn 9.
[16] MüKo/Lange, § 2304 Rn 4; Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 6.
[17] MüKo/Lange, § 2304 Rn 4; Ferid, NJW 1960, 121, 122.
[18] MüKo/Lange, § 2304 Rn 4; a.A. Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 6.
[19] MüKo/Lange, § 2304 Rn 4.

C. Rechtsfolgen

I. Erfüllung des Tatbestands

1. Keine Erbeinsetzung

 

Rz. 6

Gem. § 2087 BGB liegt in der Zuwendung einer Quote grundsätzlich eine Erbeinsetzung. § 2304 BGB bildet hierzu eine Ausnahme, die bei Erfüllung des Tatbestandes der Anwendung von § 2087 BGB vorgeht (lex specialis). Soweit einer letztwilligen Verfügung kein abweichender Wille des Erblassers zu entnehmen ist, wird der auf seinen Pflichtteil Eingesetzte nicht Erbe.[20]

Eine Auslegungsregel,...

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