Gesetzestext

 

Der Erblasser kann von einer vertragsmäßigen Verfügung zurücktreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insbesondere Unterhalt zu gewähren, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tode des Erblassers aufgehoben wird.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

§ 2295 BGB ist von der II. Kommission eingeführt worden. Er gilt für Verträge, in denen sich der vertragsmäßig Bedachte in Hinblick auf die vertragsmäßige Zuwendung verpflichtet, für die Lebenszeit des Erblassers wiederkehrende Leistungen zu erbringen, sog. Verpfändungsverträge. Ist eine solche Verpflichtung des Bedachten aufgehoben worden, so kann der Erblasser von den vertragsmäßigen Verfügungen, die mit Rücksicht auf diese schuldrechtliche Verpflichtung getroffen worden sind, zurücktreten. § 2295 BGB gewährt ein gesetzliches Rücktrittsrecht; der Erblasser muss sich dieses nicht im Erbvertrag vorbehalten haben.

B. Tatbestand

I. Verpflichtung des Bedachten

 

Rz. 2

Die Verpflichtung des Bedachten muss darin bestehen, für die Lebenszeit des Erblassers wiederkehrende Leistungen zu erbringen; sie müssen zwar nicht regelmäßig erfolgen, dürfen aber zeitlich nicht befristet sein.[1] Die Bestimmung sieht des Weiteren vor, dass die Verpflichtung eine rechtsgeschäftliche sein muss; es reicht daher nicht, dass der Bedachte gesetzlich verpflichtet ist, Unterhalt an den Erblasser zu leisten.[2]

[1] MüKo/Musielak, § 2295 Rn 2.
[2] Soergel/Wolf, § 2295 Rn 2.

II. Zusammenhang

 

Rz. 3

Die vertragsmäßigen Verfügungen zugunsten des Bedachten müssen "mit Rücksicht" auf seine schuldrechtliche Verpflichtung getroffen worden sein, das bedeutet, dass zwischen beiden ein Zusammenhang bestehen muss: Der Erblasser trifft die vertragsmäßige Verfügungen, weil der Bedachte sich verpflichtet hat, eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung i.S.d. § 2295 BGB zu übernehmen.[3] Diesen Zusammenhang muss der Bedachte auch kennen. Grundsätzlich stehen aber beide Verträge rechtlich selbstständig nebeneinander;[4] sie müssen daher nicht in einer Urkunde zusammengefasst sein,[5] insbesondere stehen sie nicht im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zueinander; §§ 320 ff. BGB sind insoweit nicht anwendbar.[6] Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass sich auch der Erblasser in der schuldrechtlichen Vereinbarung seinerseits zu einer Leistung verpflichtet hat; auf diesen gegenseitigen Vertrag sind die §§ 320 ff. BGB anwendbar; der Erblasser kann daher zunächst gem. § 346 BGB von dem schuldrechtlichen Vertrag zurücktreten; anschließend kann er dann – aufgrund der Aufhebung dieses schuldrechtlichen Vertrages – den Rücktritt vom Erbvertrag gem. § 2295 BGB erklären.[7]

[3] Vgl. OLG Hamburg MDR 1950, 615; OLG München ZEV 2009, 345, 346 m. Anm. Keim; MüKo/Musielak, § 2295 Rn 2, 3 m.w.N.
[4] OLG Hamburg MDR 1950, 615.
[5] Palandt/Weidlich, § 2295 Rn 2.
[6] BGH NJW 2011, 224; BayObLG NJW-RR 1998, 729; OLG Karlsruhe NJW-RR 1997, 708 = FamRZ 1997, 1180.
[7] BGH NJW 2011, 235.

III. Aufhebung der Verpflichtung

 

Rz. 4

Die Verpflichtung muss vor dem Tod des Erblassers aufgehoben worden sein; darunter fällt aber nicht nur die vertragliche Vereinbarung über die Aufhebung zwischen dem Erblasser und dem Bedachten, sondern auch der nachträgliche Wegfall, unabhängig vom Rechtsgrund,[8] z.B. dadurch, dass die Leistung nachträglich unmöglich geworden ist (§ 275 BGB)[9] oder der Bedachte von der Vereinbarung zurückgetreten ist (§ 346 BGB)[10] oder aus einem wichtigen Grund gekündigt hat[11] oder weil die Vereinbarung (einvernehmlich) aufgehoben wurde.[12] Ist die (schuldrechtliche) Verpflichtung nichtig, z.B. aufgrund einer Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB), dann ist § 2295 BGB nach dem Zweck der Vorschrift daher gleichwohl anwendbar.[13] Dagegen führen Nichterfüllung oder Verzug nicht dazu, dass die Leistungspflicht beseitigt wird,[14] die Verpflichtung wird nicht "aufgehoben" und der Erblasser daher auch nicht zum Rücktritt berechtigt. Für diese Fälle kann sich der Erblasser aber den Rücktritt vorbehalten (vgl. die Ausführungen zu § 2293 BGB) oder – auch stillschweigend – eine auflösende Bedingung vereinbaren, die die vertragsmäßige Verfügung z.B. bei Nichterfüllung automatisch aufhebt.[15] Möglich ist auch eine Anfechtung des Erblassers nach §§ 2078, 2281 BGB.

[8] Kornexl, MittBayNot 2011, 320, 321; Bamberger/Roth/Litzenburger, § 2295 Rn 3.
[9] BGH ZEV 2013, 330.
[10] MüKo/Musielak, § 2295 Rn 4.
[11] OLG Karlsruhe NJW-RR 1997, 708 = FamRZ 1997, 1180; LG Köln MDR 1978, 1023 = DNotZ 1978, 685.
[13] Palandt/Weidlich, § 2295 Rn 2; Soergel/Wolf, § 2295 Rn 3; a.A. Staudinger/Kanzleiter, § 2295 Rn 6; MüKo/Musielak, § 2295 Rn 6, der eine Anfechtung nach §§ 2078, 2281 BGB vorsieht, wenn die vertragsmäßige Verfügung nicht ohnehin nach § 139 BGB unwirksam ist.
[14] MüKo/Musielak, § 2295 Rn 5.
[15] OLG Hamm DNotZ 1977, 751, 754.

IV. Ausübung des Rücktritts

 

Rz. 5

§ 2295 BGB sieht das Rücktrittsrecht nur für den Erblasser vor; die Rücktrittserklärung bedarf nach § 2296 Abs. 2 BGB der notariellen Beurkundung. Ein formnichtiger Aufhebungsvertrag, der s...

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