Rz. 9

Im Erbscheinsverfahren ist von Amts wegen im förmlichen Beweisverfahren[39] festzustellen, ob der Erblasser oder eine in seinem Auftrag handelnde Person die letztwillige Verfügung verändert oder vernichtet hat,[40] wobei hinsichtlich der Höchstpersönlichkeit der Vernichtung oder Veränderung kein strenger Maßstab anzulegen ist.[41] Ausreichend ist, wenn feststeht, dass der Erblasser das Testament bis zu seinem Ableben in Gewahrsam hatte und Einwirkungen Dritter nicht ersichtlich sind.[42] Für den Fall, dass die Vernichtung oder Veränderung des Testaments feststeht, wird nach S. 2 ein Aufhebungswille vermutet.[43] Anders, wenn das Testament verloren gegangen ist. In einem solchen Fall muss der Aufhebungswille festgestellt werden. Insoweit besteht keine Vermutung, dass eine nichtauffindbare letztwillige Verfügung vernichtet wurde.[44] Wurde das Testament vernichtet oder fehlte ein Aufhebungswille, so kann der Nachweis des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln erbracht werden.[45] Die Beweislast trägt grundsätzlich derjenige, der sich auf die Vernichtung oder Veränderung beruft, es sei denn, das Testament wurde beiseite geschafft.[46]

 

Rz. 10

Im Zivilprozess erfolgt die Feststellung im formellen Beweisverfahren,[47] wobei S. 2 eine Tatsachenvermutung enthält, die nach § 292 S. 1 ZPO zu widerlegen ist. Die Vermutung des Satzes 2 betrifft allerdings nur die Widerrufsabsicht, nicht aber, dass die Vernichtung oder Veränderung durch Handlung des Erblassers erfolgte.[48] Die Nichtnachweislichkeit der Veränderung oder Vernichtung bzw. dass dies durch eine Handlung des Erblassers geschehen ist, trägt derjenige, der aus dem Widerruf Rechte herleitet.[49] Lässt sich nach Durchführung der im Erbscheinsverfahren gebotenen Ermittlungen weder der Inhalt des fehlenden Textbestandteils noch die Urheberschaft des Erblassers hinsichtlich der Veränderung feststellen, geht dies zu Lasten desjenigen, der sein Erbrecht auf die letztwillige Verfügung stützen will. Denn er trägt die materielle Feststellungslast für den gesamten Inhalt des Testaments.[50]

[40] OLG Zweibrücken NJW-RR 1997, 1158.
[41] BayObLG FamRZ 1986, 1043; BayObLG NJW-RR 1992, 653; OLG Frankfurt Rpfleger 1978, 310; OLG Hamm NJW 1974, 1827.
[42] BayObLGZ 1983, 204.
[43] OLG Düsseldorf FGPrax 2018, 32.
[44] OLG Hamm NJW 1974, 1827; BayObLG DNotZ 1993, 452; KG NJW-RR 1995, 1099.
[45] Vgl. hierzu BayObLG ZErb 2003, 154.
[46] OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 142.
[47] BayObLG FamRZ 1990, 1162.
[48] OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 142; OLG Zweibrücken Rpfleger 2001, 350.
[49] Staudinger/Baumann, § 2255 Rn 34.

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