Gesetzestext

 

Ist das Inventar rechtzeitig errichtet worden, so wird im Verhältnis zwischen dem Erben und den Nachlassgläubigern vermutet, dass zur Zeit des Erbfalls weitere Nachlassgegenstände als die angegebenen nicht vorhanden gewesen seien.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Zweck der Regelung, die die gesetzliche Vermutung der Vollständigkeit des rechtzeitig errichteten Inventars begründet, ist es, Streitigkeiten vorzubeugen und dem Erben Veranlassung zu geben, möglichst bald ein Inventar zu errichten.[1] Wird nämlich das Inventar "rechtzeitig" errichtet, wird im Verhältnis zwischen dem Erben und den Nachlassgläubigern vermutet, dass zur Zeit des Erbfalls weitere als die angegebenen Nachlassgegenstände nicht vorhanden gewesen seien (§ 2009 BGB). Bedeutung hat die Vorschrift in der Praxis in denjenigen Fällen, in denen der Erbe seine Haftung nach den §§ 1973, 1974, 1989, 1990, 1991 oder 1992 BGB beschränken will. Im Streitfall muss er dann darlegen und beweisen, dass der Nachlass zur Befriedigung des Gläubigers nicht ausreicht (vgl. § 1973 Rdn 17) oder dass es an einer die Kosten der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens deckenden Masse fehlt (vgl. § 1990 Rdn 19). I.R.d. Zwangsvollstreckung muss der Erbe ggf. beweisen, dass ein bestimmter Gegenstand nicht zum Nachlass, sondern zu seinem Eigenvermögen gehört (§§ 780, 781, 784, 785 ZPO). Diese Beweisführung kann und sollte sich der Erbe dadurch erleichtern, dass er rechtzeitig ein ordnungsgemäßes Inventar errichtet. Denn das Inventar begründet nach § 2009 BGB die Vermutung, dass weitere als die im Inventar genannten Gegenstände im Zeitpunkt des Erbfalls nicht vorhanden waren. Auch wenn sich die Vermutung nur auf den Zeitpunkt des Erbfalls bezieht, hilft sie dem Erben auch bei der Beweisführung betreffend den späteren Bestand des Nachlasses.[2] Schließlich wird auch die Haftung des Erben aus § 1978 BGB auf die im Inventar angegebenen Gegenstände beschränkt (vgl. § 1978 Rdn 1 ff.).

[1] Staudinger/Dobler, § 2009 Rn 1.
[2] Staudinger/Dobler, § 2009 Rn 1.

B. Tatbestand

I. Voraussetzungen der Vermutung

 

Rz. 2

Voraussetzung der Vollständigkeitsvermutung ist, dass das Inventar rechtzeitig, also vor Ablauf einer eventuell bestimmten Inventarfrist (§ 1994 BGB) oder ohne vorher erfolgte Fristbestimmung (§ 1993 BGB) errichtet wurde. Der Erbe muss ein Inventar (zum Begriff des Inventars vgl. § 1993 Rdn 1) in der Form der §§ 2002, 2003 BGB errichtet haben. Fehlen die in § 2001 BGB zusätzlich verlangten Beschreibungen und Wertangaben, wird das Inventar nicht unwirksam.[3] Auch etwaige Unvollständigkeiten führen, wie sich aus § 2005 Abs. 2 BGB ergibt, nicht zwingend zu einer "Unwirksamkeit" des Inventars.[4] Das Inventar darf allerdings nicht derart mangelhaft sein, dass es zu den Zwecken, die mit der Inventarerrichtung verfolgt werden, gänzlich ungeeignet ist.[5] Rechtzeitig errichtet ist ein Inventar, das entweder freiwillig (§ 1993 BGB) oder innerhalb der vom Nachlassgericht gesetzten Inventarfrist (§ 1994 BGB) errichtet worden ist. Nicht vorausgesetzt ist, dass der Erbe die Vollständigkeit des Inventars durch eine eidesstattliche Versicherung nach § 2006 BGB bekräftigt hat (vgl. § 2006 Rdn 2). Die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung schließt den Nachweis der Unvollständigkeit nicht aus. Durch die Verweigerung der eidesstattlichen Versicherung erlischt jedoch die Vollständigkeitsvermutung des § 2009 BGB gegenüber dem Nachlassgläubiger, der ihre Abnahme beantragt hat (vgl. § 2006 Rdn 11).[6]

[3] MüKo/Küpper, § 2009 Rn 2.
[4] BeckOK BGB/Lohmann, § 2009 Rn 2; Erman/Horn, § 2009 Rn 3; Palandt/Weidlich, § 2009 Rn 2.
[5] Staudinger/Dobler, § 2009 Rn 7.
[6] Staudinger/Dobler, § 2009 Rn 8.

II. Inhalt und Wirkung der Vermutung

 

Rz. 3

Die Vermutung hat allein den in § 2009 BGB angegebenen Inhalt. Sie gilt also nur hinsichtlich der Aktiva des Nachlasses, erstreckt sich nicht auf etwaige Angaben über deren Wert und/oder auf die Bezeichnung von Nachlassverbindlichkeiten. Sie bezieht sich nur auf die zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhanden gewesenen Nachlassgegenstände, nicht auf einen etwaigen Zuwachs.[7] Die Vermutung hat auch einen lediglich negativen Inhalt, indem angenommen wird, dass weitere Nachlassgegenstände (Aktiva) als die im Inventar angegebenen nicht vorhanden gewesen seien. Eine positive Rechtsvermutung für die Zugehörigkeit der angegebenen Gegenstände zum Nachlass wird dagegen nicht begründet.[8] Über den Beweiswert der durch die Vermutung nicht gedeckten Angaben entscheidet der Richter aufgrund freier Beweiswürdigung (§ 286 ZPO).

 

Rz. 4

Die Vermutung gilt nur im "Verhältnis zwischen dem Erben und den Nachlassgläubigern". Damit gilt sie nicht gegenüber den Eigengläubigern des Erben, den Erbschaftsbesitzern, den Nacherben, den Erbschaftskäufern, dem Testamentsvollstrecker und den Miterben, es sei denn, diese sind zugleich Nachlassgläubiger.[9] Nach Dobler[10] soll sie auch gegenüber einem Nachlass- und Nachlassinsolvenzverwalter gelten, die zugleich die praktische Bedeutung dieser Auffassung als nur gering ansieht, da der Erbe in den hier maßgeblichen Fällen ohnehin nicht beweisbelastet...

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