Verfahrensgang

Sächsisches OVG (Aktenzeichen 4 S 399/98)

 

Tenor

Der Antrag der Beigeladenen auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 1999 wird verworfen.

Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

Den Beigeladenen kann die beantragte Prozeßkostenhilfe nicht bewilligt werden, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Die Beschwerde ist unzulässig. Sie bezeichnet die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise.

Die Beschwerde hält für grundsätzlich bedeutsam die Fragen,

  • „ob sich in Afghanistan staatsähnliche bzw. quasi-staatliche Strukturen herausgebildet haben,” und
  • „ob die in Afghanistan herrschende Talebanregierung voraussichtlich von Dauer besteht und als Vorläuferin eines neuen Staates anzusehen ist” (Beschwerdebegründung S. 2)

Die Beantwortung beider Fragen hängt in erster Linie von der den Tatsachengerichten vorbehaltenen Ermittlung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan ab und kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache führen. Soweit die geltend gemachten Grundsatzfragen mit der Rechtsfrage nach den Anforderungen an das Vorliegen quasi-staatlicher Strukturen verknüpft sind, ist diese im übrigen in der – u.a. vom Berufungsgericht hierzu herangezogenen (BA S. 6) und auch von der Beschwerde in Bezug genommenen – Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt.

Dies gilt auch für die Frage nach der Dauerhaftigkeit einer effektiven Gebietsgewalt als Voraussetzung für die Annahme ihrer Quasi-Staatlichkeit. Effektivität und Stabilität der territorialen Herrschaftsmacht erfordern danach eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft, verkörpert vorrangig in der Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparates. Eine nur kurze Zeit, etwa zur Erreichung eines bestimmten Erfolges, ausgeübte Herrschaftsgewalt ist keine Staatsgewalt und auch keine staatsähnliche Gewalt im Sinne des Asylrechts. Die Effektivität und Stabilität regionaler Herrschaftsorganisationen in einem noch andauernden Bürgerkrieg sind hierbei besonders vorsichtig zu bewerten. Solange jederzeit und überall mit dem Ausbruch die Herrschaftsgewalt regionaler Machthaber grundlegend in Frage stellender bewaffneter Auseinandersetzungen gerechnet werden muß, kann sich eine dauerhafte territoriale Herrschaftsgewalt nicht etablieren. Die Annahme quasi-staatlicher Gewalt bei einem anhaltenden Bürgerkrieg erfordert, daß zwischenzeitlich entstandene Machtgebilde voraussichtlich von Dauer sein werden und Vorläufer neuer oder erneuerter staatlicher Strukturen sind. Damit ist nur zu rechnen, wenn die Bürgerkriegsparteien nicht mehr unter Einsatz militärischer Mittel mit der Absicht, den Gegner zu vernichten, und mit Aussicht auf Erfolg um die Macht im ganzen Bürgerkriegsgebiet kämpfen, die Fronten also über längere Zeit hinweg stabil sind und allenfalls in Randbereichen noch gekämpft wird, im übrigen aber eine dauerhafte nicht militärische Lösung zu erwarten ist (vgl. hierzu Urteile vom 19. Mai 1998 – BVerwG 9 C 5.98 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 198 ≪S. 145 f.≫; vom 4. November 1997 – BVerwG 9 C 34.96BVerwGE 105, 306 ≪310 f.≫; vom 15. April 1997 – BVerwG 9 C 15.96 – BVerwGE 104, 254 ≪257 ff.≫; vom 6. August 1996 – BVerwG 9 C 172.95 – BVerwGE 101, 328 ≪332 f.≫). Neue Gesichtspunkte, die die aufgeworfene Rechtsfrage trotz der bereits vorhandenen Rechtsprechung des Senats hierzu als wieder oder weiter klärungsbedürftig erscheinen lassen, zeigt die Beschwerde nicht auf. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, „wann das Tatbestandsmerkmal eines voraussichtlich von Dauer entstandenen Machtgebildes erfüllt ist” (Beschwerdebegründung S. 5). Sie ist, wie auch hier vom Berufungsgericht geschehen, von den Tatsachengerichten anhand der vorstehend wiedergegebenen, vom Bundesverwaltungsgericht hierzu rechtsgrundsätzlich entwickelten Maßstäbe von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der jeweils maßgeblichen Sachlage zu beantworten und kann vom Bundesverwaltungsgericht wegen seiner Bindung an die tatrichterliche Feststellung und Würdigung des Sachverhalts (§ 137 Abs. 2 VwGO) nicht – wie die Beschwerde wünscht – „abschließend beantwortet” werden.

Soweit die Beschwerde im übrigen beanstandet, das Berufungsgericht habe bei seiner Lagebeurteilung im wesentlichen nur die umkämpften Nordprovinzen in Afghanistan in den Blick genommen und dabei vernachlässigt, daß die Taliban-Regierung seit Herbst 1996 80 % des Territoriums von Afghanistan dauerhaft und stabil besetzt halte, zielt auch dies nicht auf eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung; die Beschwerde wendet sich damit vielmehr in der Art einer Berufungsbegründung gegen die Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht. Die Zulassung der Revision kann sie damit nicht erreichen. Im übrigen läßt sich auch die hinter dieser Rüge stehende Rechtsfrage aus der bereits oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin beantworten, die Annahme quasi-staatlicher Gewalt erfordere u.a. auch, daß „die Bürgerkriegsparteien nicht mehr … um die Macht im ganzen Bürgerkriegsgebiet kämpfen, die Fronten also über längere Zeit hinweg stabil sind und allenfalls in Randbereichen noch gekämpft wird, …” (a.a.O.). Schließlich ist in der Rechtsprechung des Senats auch geklärt, daß die Bildung einer quasi-staatlichen Gewalt auch auf Teilgebiete eines ehemaligen Staatsgebiets beschränkt sein kann (Beschluß vom 26. Januar 1999 – BVerwG 9 B 655.98 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 202 m.w.N.).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen Abweichung des Berufungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) werden von der Beschwerde gleichfalls nicht ausreichend dargetan. Nach ihrer Auffassung weicht das Berufungsgericht dadurch von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 1997 (BVerwG 9 C 34.96, a.a.O.) ab, daß es „als weiteres Kriterum für eine quasi-staatliche Struktur … eine über die Erhaltung der Macht hinausgehende Verwaltungstätigkeit als notwendig” voraussetze und fordere (Beschwerdebegründung S. 6). Damit erweitere das Berufungsgericht in Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts inhaltlich die Anforderungen an die Annahme staatlicher und quasi-staatlicher Verwaltung um ein weiteres Tatbestandsmerkmal. Die Beschwerde zeigt nicht auf, daß das Berufungsgericht zu dieser Frage einen zur Rechtsprechung des Senats in Widerspruch stehenden Rechtssatz aufgestellt hat (zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Divergenzrüge vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26 = NJW 1997 S. 3328). Eine Divergenz liegt auch in der Sache nicht vor. Soweit das Berufungsgericht feststellt, daß es im Gebiet der Taliban-Regierung „zu einem grundlegenden Wandel hin auf eine Verwaltungstätigkeit, die über den Erhalt von Macht hinausgeht” (BA S. 14) bislang nicht gekommen sei, handelt es sich ersichtlich um einen von mehreren Gesichtspunkten, aus denen das Berufungsgericht bei einer Gesamtschau erst folgert, ob es sich bei der Taliban-Regierung um ein Machtgebilde handelt, das als Vorläufer neuer oder erneuerter staatlicher Strukturen erscheint. Eine Maßstabsabweichung von den vom Senat hierzu entwickelten Grundsätzen liegt darin nicht. Die Beschwerde legt im übrigen auch nicht dar, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts, das die Quasi-Staatlichkeit der Taliban-Regierung aus verschiedenen Gründen ablehnt, auf diesen Feststellungen zur inneren Verwaltungsstruktur beruht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Hund, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566944

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