Verfahrensgang

ArbG Hannover (Beschluss vom 25.07.1997; Aktenzeichen 11 Ca 297/97)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen arbeitsgerichtlichen Verweisungsbeschluß.

1. Der Beschwerdeführer war als Reiseinspektor bei der im Ausgangsverfahren beklagten Firma H. Gastronomie-Service GmbH mit Sitz in Stuttgart beschäftigt. Er wohnt in Hannover und ging auch von dort aus seiner Reisetätigkeit nach. Die Beklagte kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1997. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Hannover. Mit Schreiben vom 25. Juni 1997 teilte der damalige Vorsitzende der zuständigen Kammer dem Beschwerdeführer mit, daß Beratung und Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit des Gerichts ursprünglich auf der Terminsrolle für den 25. Juni 1997 angesetzt worden, infolge eines Versehens des Vorsitzenden an diesem Tag jedoch unterblieben seien. Wegen des bevorstehenden Richterwechsels könne daher eine Entscheidung erst im nächsten Kammertermin am 23. Juli 1997 ergehen. Der Vorsitz der Kammer wechselte zum 1. Juli 1997. Die neue Vorsitzende beraumte einen neuen Termin zur Beratung und Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit des Gerichts auf den 25. Juli 1997 an.

2. Die Kammer beriet in ihrer Sitzung vom 25. Juli 1997 mit der neuen Vorsitzenden und anderen als den für den 25. Juni 1997 vorgesehenen ehrenamtlichen Richtern über die Sache, erklärte sich durch Beschluß vom gleichen Tage für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Stuttgart. Der allgemeine Gerichtsstand des Sitzes der Beklagten sei Stuttgart. Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes wäre nur dann gegeben, wenn der Schwerpunkt der beiderseitigen Leistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis in Hannover läge. Dies sei vorliegend jedoch nicht ersichtlich.

3. Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, der Beschluß verletze das Sozialstaatsgebot sowie das Rechtsstaatsprinzip und verstoße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Durch das Versehen des seinerzeitigen Vorsitzenden sei den beiden für den Kammertermin am 25. Juni 1997 geladenen ehrenamtlichen Richtern die Möglichkeit genommen worden, über die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Hannover für seine Klage mitzuentscheiden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Ihre Annahme ist auch nicht gemäß § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt. Insoweit kann dahinstehen, ob dem Beschwerdeführer durch die Versagung einer Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht. Die erhobenen Rügen haben jedenfalls keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Der angegriffene Beschluß verletzt den Beschwerdeführer nicht in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten. Insbesondere ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt.

1. Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, daß die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird; es soll vermieden werden, daß durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt werden kann, gleichgültig, von welcher Seite eine solche Manipulation ausgeht (vgl. nur zuletzt BVerfG, Beschluß des Plenums vom 8. April 1997, BVerfGE 95, 322 ≪327≫). Das Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gilt auch für ehrenamtliche Richter (vgl. zuletzt BVerfGE 91, 93 ≪117≫ und BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluß vom 23. August 1995, AP Nr. 31 zu § 72 a ArbGG 1979 Divergenz, unter 1 a der Gründe m.w.N.). Auch ehrenamtliche Richter sind Richter im Sinne von Art. 92 GG; ihre Zuziehung steht im Ermessen des Gesetzgebers, der ihnen auch ein zahlenmäßiges Übergewicht zuerkennen kann (vgl. BVerfGE 4, 387 ≪406≫; 42, 206 ≪208 f.≫; 48, 300 ≪317≫; 54, 159 ≪167≫).

2. Die hier an der Beschlußfassung beteiligten ehrenamtlichen Richter sind nicht unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG herangezogen worden.

a) Die maßgebliche gesetzliche Verfahrensregel enthält § 31 Abs. 1 ArbGG. Sie konkretisiert die Garantie des gesetzlichen Richters für die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter. Danach werden die ehrenamtlichen Richter „zu den Sitzungen nach der Reihenfolge einer Liste herangezogen (…), die der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahres (…) aufstellt”. Den Begriff der Sitzung in diesem Sinne legt die Arbeitsgerichtsbarkeit dahingehend aus, daß darunter nicht die Verhandlung einer bestimmten Sache insgesamt, sondern nur der einzelne Sitzungstag zu verstehen sei (vgl. BAG, AP Nr. 1 zu § 39 ArbGG 1953, unter I 2 der Gründe ≪Bl. 3≫ und AP, Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter A I 3 der Gründe ≪Bl. 2 R≫). Für den Fall einer Vertagung oder Verlegung eines Termins folge daraus, daß für den neuen Sitzungstag in der Reihenfolge der Liste die nächstfolgenden ehrenamtlichen Richter herangezogen werden müßten (vgl. BAG, AP Nr. 1 zu § 39 ArbGG 1953, unter I 2 der Gründe ≪Bl. 3, 3 R≫ und AP, Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, a.a.O. und AP, Nr. 54 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX unter A der Gründe ≪Bl. 6 R≫).

b) Diese Auslegung des § 31 Abs. 1 ArbGG steht mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Einklang. Unbedenklich ist das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, daß bei Entscheidungen, die ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß ergehen können, der maßgebliche Sitzungstag im Sinne von § 31 Abs. 1 ArbGG der jeweilige Beratungstermin ist. Dieser bedarf allerdings einer nachvollziehbaren Festlegung, da anderenfalls nicht überprüfbar ist, welche ehrenamtlichen Richter richtigerweise an der Beschlußfassung zu beteiligen sind. Die Bestimmung des Beratungstermines muß, um nachprüfbar zu sein, auch dokumentiert werden, was beispielsweise dadurch geschehen kann, daß die Vorsitzenden die entsprechende Verfügung aktenkundig machen. Eine Praxis, wonach beliebig eine der demnächst anberaumten Sitzungen zur Beratung ausgewählt wird, ohne daß sich die Bestimmung des Beratungstermines in irgendeiner Weise aus der Akte nachvollziehen ließe, wäre hingegen mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu vereinbaren. Dadurch wäre eine Manipulation der Gerichtsbesetzung möglich, die durch die Garantie des gesetzlichen Richters gerade so weit wie möglich ausgeschlossen werden soll.

Diesen Anforderungen genügt der angegriffene Beschluß. Der Kammervorsitzende hatte den Beratungstermin auf die Terminsrolle gesetzt, was auch eine Überprüfung im nachhinein ermöglichte. Den neuen Beratungstermin hatte nach dem Wechsel im Kammervorsitz die neue Vorsitzende anberaumt. Daß diese hierbei willkürlich gehandelt hätte, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Die Beschlußfassung in dem neuen Termin erfolgte in der für diesen Sitzungstag ordnungsgemäßen Besetzung. Eine willkürliche Verfahrensweise ist danach nicht feststellbar. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt nicht, daß die Verlegung eines Verhandlungs- oder Beratungstermines nur aus bestimmten Gründen erfolgen dürfte, die im Geschäftsverteilungsplan geregelt sein müßten. Die Terminsbestimmung obliegt dem jeweiligen Vorsitzenden und unterfällt zudem seiner richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG (so auch BVerwGE 46, 69 ≪70 f.≫). Um hierbei eine Manipulation der Kammerbesetzung weitestgehend auszuschließen, erscheint vielmehr ausreichend, wenn die Bestimmung und/oder eine etwaige Verlegung oder auch Vertagung des Termines nachprüfbar festgehalten werden.

Im übrigen wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Kühling, Jaeger, Steiner

 

Fundstellen

Haufe-Index 1113482

NZA 1998, 445

AP, 0

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