Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 21.09.1995; Aktenzeichen V ZR 278/94)

OLG Dresden (Urteil vom 13.10.1994; Aktenzeichen 7 U 0579/94)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde betrifft – mittelbar – die Frage der Verfassungsgemäßheit des Art. 231 § 8 EGBGB Fassung 1994 (im folgenden: EGBGB).

I.

1. Die Beschwerdeführer waren gemeinschaftliche Eigentümer eines im Beitrittsgebiet belegenen Eigenheims. Dieses war auf einem volkseigenen Grundstück errichtet, für das ihnen ein dingliches Nutzungsrecht verliehen worden war. 1987 kehrte die Beschwerdeführerin von einer Besuchsreise in die Bundesrepublik nicht in die Deutsche Demokratische Republik zurück. Daraufhin wurde ihr Gesamthandsanteil am Gebäude nach der Anordnung Nr. 2 über die Behandlung des Vermögens von Personen, die die Deutsche Demokratische Republik nach dem 10. Juni 1953 verlassen, vom 20. August 1958 (GBl I S. 664; im folgenden: Anordnung Nr. 2) unter staatliche Verwaltung gestellt. Zum Verwalter wurde der Rat der Gemeinde bestimmt. Als auch der Beschwerdeführer in die Bundesrepublik ausreisen wollte, veräußerte er gemeinsam mit dem Rat der Gemeinde das Gebäude an einen Dritten. Für den Rat handelte sein Sekretär, der im notariellen Beurkundungstermin eine vom Bürgermeister der Gemeinde ausgestellte und mit einem Dienstsiegel versehene Vollmacht vorlegte, die ihn berechtigte, bei der Grundstücksveräußerung mitzuwirken. Nach der Beurkundung des Vertrags wurde der Erwerber, der zuvor bereits das dingliche Nutzungsrecht erhalten hatte, im Gebäudegrundbuch als Eigentümer eingetragen.

Nach der Wende begehrten die Beschwerdeführer nach dem Vermögensgesetz (VermG) die Rückübertragung von Gebäudeeigentum und dinglichem Nutzungsrecht; sie hatten damit keinen Erfolg, weil die Verwaltungsgerichte angenommen haben, daß der Käufer das Eigentum an dem Eigenheim und das dingliche Nutzungsrecht in redlicher Weise erworben hat. Außerdem verklagten sie den Käufer auf Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs nach § 894 BGB.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Grundbuch sei unrichtig, weil der Käufer Eigentum nicht wirksam erlangt habe. Dem für den Rat auftretenden Sekretär sei keine formgültige Vollmacht erteilt worden. Gemäß § 57 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: ZGB) habe die Vollmacht der gleichen Form wie das vorzunehmende Rechtsgeschäft bedurft, wobei die Beglaubigung der Vollmacht genüge, wenn eine Beurkundung des Rechtsgeschäfts vorgeschrieben sei. Da Verfügungen über Grundstücke und Gebäude notariell hätten beurkundet werden müssen, hätte die Vollmacht zumindest notariell beglaubigt werden müssen, was nicht geschehen sei.

Auf die Berufung des Käufers hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Grundlage dafür war die am 1. Oktober 1994 in Kraft getretene Regelung in Art. 231 § 8 EGBGB, nach dessen Satz 2 die Beglaubigung der Vollmacht nach § 57 Abs. 2 Satz 2 ZGB durch die Unterzeichnung und Siegelung der Urkunde ersetzt wird. Das Oberlandesgericht hat dazu festgestellt, daß die Vollmachtsurkunde des Sekretärs des Rates eigenhändig durch den Vorsitzenden des Rates unterzeichnet und mit dem gesetzlich vorgesehenen Dienstsiegel versehen gewesen sei, so daß die Voraussetzungen des Art. 231 § 8 EGBGB vorlägen.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beschwerdeführer nicht angenommen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung und die Revision im Endergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg habe.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs. Sie rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot), von Art. 14 Abs. 1 GG und von Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 231 § 8 EGBGB, auf dem die angegriffenen Entscheidungen beruhten, sei verfassungswidrig.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Sie wirft keine Fragen auf, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten ließen oder nicht schon durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt wären.

2. Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Rechte angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde, ihre Zulässigkeit unterstellt, jedenfalls in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Art. 231 § 8 EGBGB, dessen Verfassungswidrigkeit die Beschwerdeführer allein geltend machen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Die Regelung ist mit Art. 14 Abs. 1 GG, hinter dem Art. 2 Abs. 1 GG zurücktritt, vereinbar.

Wie die Beschwerdeführer selbst ausgeführt haben, handelt es sich bei der durch Art. 231 § 8 EGBGB bewirkten Heilung eines Formmangels nicht um eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG, sondern um die Rechtsfolge einer Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. auch BVerfG, Beschluß der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juli 1998 – 1 BvR 13/98 –). Als eine solche Regelung muß sie den Erfordernissen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen. Dies ist hier der Fall.

aa) Art. 231 § 8 EGBGB hält insbesondere den Anforderungen stand, die sich aus den Regeln über die Rückwirkung von Rechtsnormen in der Ausprägung ergeben, die sie durch Art. 14 Abs. 1 GG erfahren haben (vgl. BVerfGE 95, 64 ≪86≫).

(1) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Art. 231 § 8 EGBGB echte Rückwirkung entfaltet. Auch wenn dies zu bejahen wäre, sind gegen die Vorschrift unter Rückwirkungsgesichtspunkten verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben. Zwar bedarf es stets einer besonderen Rechtfertigung, wenn eine nachträgliche belastende Änderung der bereits eingetretenen Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens ausnahmsweise zulässig sein soll (vgl. BVerfGE 72, 200 ≪257≫). Als eine solche Rechtfertigung verfassungsgerichtlich anerkannt ist jedoch ein fehlendes schutzbedürftiges Vertrauen in den Fortbestand der begünstigenden Rechtslage (vgl. BVerfGE 30, 367 ≪387≫; 72, 200 ≪258, 260≫; 95, 64 ≪86 f.≫), welches unter anderem dann angenommen werden kann, wenn die rückwirkende Norm der Beseitigung einer unklaren und verworrenen Rechtslage dient (BVerfGE 30, 367 ≪388≫; 72, 200 ≪259≫).

(2) Auf ein schutzwürdiges Vertrauen dahin, daß sie mit Aussicht auf Erfolg eine Grundbuchberichtigung würden durchsetzen können, können sich die Beschwerdeführer nicht berufen.

Es ist offensichtlich, daß die Frage, ob die Wirksamkeit des Eigentumsübergangs bei einem Verkauf aus staatlicher Verwaltung nach der Anordnung Nr. 2 von der notariellen Beglaubigung der Vollmachtsurkunde abhing, sich frühestens nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland stellen konnte. Vorher hatten sich die Beschwerdeführer darauf einstellen müssen, daß die Eigentumsübertragung endgültig war. Nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik konnten sie nicht davon ausgehen, ihr früheres Eigentum wegen eines möglichen Formfehlers zurückzuerhalten (vgl. dazu etwa auch BGHZ 130, 231 ≪241 f.≫), zumal die Vorlage einer nicht vom Notar beglaubigten, sondern mit einem Dienstsiegel versehenen Vollmachtsurkunde bei den siegelführenden staatlichen Organen nach den Erkenntnissen des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags der gängigen Verwaltungspraxis entsprach (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 91; ebenso Göhring, NJ 1994, S. 64 ≪66≫).

Aber auch nach dem Beitritt konnten die Beschwerdeführer nicht sicher davon ausgehen, daß sie einen Grundbuchberichtigungsanspruch gegen den Käufer ihres Eigenheims würden durchsetzen können. Ob der Vertreter des Rats der Gemeinde zur Verfügung über ein Grundstück eine von einem Notar beglaubigte Vollmacht benötigte, war umstritten. So wurde auch die Auffassung vertreten, daß aus § 2 Abs. 2 der Grundbuchverfahrensordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 30. Dezember 1975 (GBl I 1976 S. 42), wonach Eintragungsersuchen der staatlichen Organe durch den Leiter des staatlichen Organs unterschrieben und mit dem Dienstsiegel versehen sein mußten, zu folgern sei, daß zur wirksamen Verfügung über ein Grundstück ebenfalls eine Vollmachtsurkunde ausgereicht habe, die vom Ratsvorsitzenden unterzeichnet und ordnungsgemäß gesiegelt gewesen sei (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 90 f., sowie Göhring, NJ 1992, S. 411 ff.; NJ 1994, S. 64 ≪66≫).

Hinzu kommt, daß es auch dann, wenn es zur wirksamen Eigentumsübertragung einer notariell beglaubigten Vollmacht bedurft hätte, fraglich erscheint, ob die Beschwerdeführer einen Grundbuchberichtigungsanspruch hätten durchsetzen können. Es dürfte viel dafür sprechen, daß in diesem Fall von einem Mangel des Rechtsgeschäfts auszugehen wäre, der in einem inneren Zusammenhang mit dem vom Vermögensgesetz tatbestandlich erfaßten staatlichen Unrecht stand, so daß der – vom Verwaltungsgericht im auf Rückübertragung von Gebäudeeigentum und Nutzungsrecht gerichteten Verfahren dem Grunde nach festgestellte – Restitutionsanspruch nach § 1 Abs. 1 Buchstabe c VermG zivilrechtliche Ansprüche ohnehin ausgeschlossen hätte (vgl. dazu BGHZ 130, 231 ≪241 f.≫).

bb) Es ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich, daß die überkommene und für den Bundesgesetzgeber zunächst unklare Rechtslage zu Lasten der früheren Eigentümer geklärt worden ist. Art. 231 § 8 EGBGB ist Bestandteil eines Gesamtkonzepts des sozialverträglichen Interessenausgleichs zwischen früheren Eigentümern und späteren Nutzern von Grundstücken und Gebäuden in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Regelung berücksichtigt, daß formale Mängel der hier vorliegenden Art auch im Verhältnis zum veräußernden Eigentümer in der Rechtspraxis der Deutschen Demokratischen Republik offensichtlich nicht als rechtsrelevant betrachtet wurden, und erklärt sie deshalb auch für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland für unbeachtlich. In Konsequenz dessen werden die früheren Eigentümer auf die Regelungen des Vermögensgesetzes und seiner Folgegesetze verwiesen, deren Ziel es ist, die schützenswerten Interessen aller Beteiligten zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen (vgl. dazu BVerfGE 95, 48 ≪58 f.≫).

b) Art. 231 § 8 Abs. 1 EGBGB verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ergibt sich ein Gleichheitsverstoß nicht daraus, daß nach § 121 Abs. 1 des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes (SachenRBerG) der Nutzer eines Grundstücks, eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage, der über diese Vermögenswerte einen zwar wirksamen, aber grundbuchrechtlich nicht mehr vollzogenen Kaufvertrag abgeschlossen hat, unter weiteren Voraussetzungen lediglich ein Ankaufsrecht zum halben Verkehrswert beanspruchen kann, während dem Erwerber im Fall des Art. 231 § 8 EGBGB trotz Unwirksamkeit des Kaufvertrags das Eigentum ungeschmälert verbleibt. Zwar steht sich der Erwerber in diesem Fall besser als der von § 121 SachenRBerG begünstigte Nutzer. Eine Ungleichbehandlung verstößt aber nur dann gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn zwischen zu vergleichenden Personengruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. etwa BVerfGE 82, 126 ≪146≫; 88, 87 ≪97≫; 91, 389 ≪401≫). Hier sind die Ungleichbehandlung rechtfertigende Unterschiede gegeben. Während Nutzer, die unter den Anwendungsbereich des § 121 SachenRBerG fallen, noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen waren, also insoweit noch nicht von einer in jeder Hinsicht gesicherten Eigentümerposition ausgehen konnten, war die Stellung der von Art. 231 § 8 EGBGB Begünstigten jedenfalls in der Deutschen Demokratischen Republik ungleich stärker. Sie waren im Grundbuch eingetragen und hatten damit zumindest die Stellung eines faktischen Eigentümers erlangt. Mit Rücksicht darauf ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn ihnen die Rechtsordnung eine größere Schutzbedürftigkeit zugemessen hat.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Grimm, Hömig

 

Fundstellen

Haufe-Index 1261617

VIZ 1999, 86

WM 1998, 2025

ZAP-Ost 1999, 135

NJ 1999, 32

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