Entscheidungsstichwort (Thema)

verfassungsrechtliche Prüfung des § 11 Abs. 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes vom 24. Januar 1952 (BGBl. I S. 69) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1968 (BGBl. I S. 315), zuletzt geändert durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl. I S. 1532)

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG (hier § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG).

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Vorlegungsbeschluss vom 10.12.1981; Aktenzeichen 9 Sa 542/81)

 

Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

 

Tatbestand

A.

Die Vorlage betrifft die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 11 Abs. 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes, soweit danach jeder Arbeitgeber verpflichtet ist, werdenden Müttern, die unter ein absolutes Beschäftigungsverbot fallen, bis zum Einsetzen der Schutzfrist sechs Wochen vor der Entbindung den zuletzt bezogenen Durchschnittsverdienst weiterzugewähren.

I.

1. Durch das Gesetz zum Schütze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz – MuSchG) vom 24. Januar 1952 (BGBl. I S. 69) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1968 (BGBl. I S. 315), zuletzt geändert durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl. I S. 1532) wird die im Arbeitsverhältnis stehende Mutter mit dem werdenden Kind vor Gefahren, Überforderung und Gesundheitsschädigung am Arbeitsplatz geschützt. Dem dienen insbesondere die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen (§§ 3 bis 4 und 6 bis 8 MuSchG), die Mutterschaftshilfe (§ 15 MuSchG, §§ 195 bis 199 der Reichsversicherungsordnung – RVO), die Schutzfristen vor und nach der Entbindung (§ 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG) und der Mutterschaftsurlaub (§§ 8 a, 8 b MuSchG). Damit die Arbeitnehmerin in der Lage ist, diesen Schutz in Anspruch zu nehmen, wird sie unter anderem durch die Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Beschäftigungsverboten (§ 11 MuSchG) bis zum Einsetzen der Schutzfrist vor der Entbindung (§ 3 Abs. 2 MuSchG) finanziell abgesichert. Vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schützen die werdende Mutter die Kündigungsverbote der §§ 9, 9 a MuSchG.

2. Der Anspruch auf Mutterschutzlohn und die Zahlungspflicht des Arbeitgebers bestehen grundsätzlich solange, wie das Beschäftigungsverbot wirksam ist und durch seine Befolgung ein Verdienstausfall eintritt; sie enden auf jeden Fall mit dem Tage, am dem die Schutzfrist vor der Entbindung beginnt, ohne Rücksicht darauf, ob die Frau Mutterschaftsgeld tatsächlich erhält und ob sie in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist. Sie enden ferner, wenn das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird, da sie vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängig sind. Im einzelnen lauten die entsprechenden Vorschriften des Mutterschutzgesetzes:

§ 4

Weitere Beschäftigungsverbote

(1) Werdende Mütter dürfen nicht mit schweren körperlichen Arbeiten und nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, bei denen sie schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Strahlen, von Staub, Gasen oder Dämpfen, von Hitze, Kälte oder Nässe, von Erschütterungen oder Lärm ausgesetzt sind.

(2) Werdende Mütter dürfen insbesondere nicht beschäftigt werden

1. bis 7. …

8. mit Arbeiten, bei denen sie erhöhten Unfallgefahren, insbesondere der Gefahr auszugleiten, zu fallen oder abzustürzen, ausgesetzt sind.

(3) bis (5) …

§ 11

Arbeitsentgelt bei Beschäftigungsverboten

(1) Den unter den Geltungsbereich des § 1 fallenden Frauen ist, soweit sie nicht Mutterschaftsgeld nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung beziehen können, vom Arbeitgeber mindestens der Durchschnittsverdienst der letzten dreizehn Wochen oder der letzten drei Monate vor Beginn des Monats, in dem die Schwangerschaft eingetreten ist, weiterzugewähren, wenn sie wegen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1, §§ 4, 6 Abs. 2 oder 3 oder wegen des Mehr-, Nacht- oder Sonntagsarbeitsverbots nach § 8 Abs. 1, 3 oder 5 teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzen. …

(2) bis (4) …

§ 9

Kündigungsverbot

(1) Die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. …

(2) …

(3) Die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann in besonderen Fällen ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklären. …

(4) …

Ein besonderer Fall im Sinne des § 9 Abs. 3 kann ganz ausnahmsweise nur dann angenommen werden, wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der vom Mutterschutzgesetz als vorrangig angegebenen Interessen der werdenden Mutter oder Wöchnerin hinter die des Arbeitgebers rechtfertigen (BVerwGE 7, 294 = AP Nr. 14 zu § 9 MuSchG; BVerwGE 36, 160 = AP Nr. 33 zu § 9 MuSchG). Der Fall muß in einem solchen Maße dringlich sein, daß es trotz der Schwangerschaft nicht vertretbar erscheint, den Arbeitgeber darauf zu verweisen, er möge das Verstreichen der Schutzzeit abwarten und dann erst kündigen. Ein besonderer Fall wird angenommen, wenn die Fortzahlung des Arbeitsentgelts während der Dauer der Schutzzeit des § 9 Abs. 1 MuSchG die wirtschaftliche Existenz des Arbeitgebers gefährden würde und wenn alle anderen Möglichkeiten zur Vermeidung der Kündigung erschöpft sind.

3. Das Schornsteinfegerhandwerk ist wegen der von den Angehörigen dieses Berufes im öffentlichen Interesse zu erfüllenden Aufgaben gegenüber anderen Gewerbezweigen im Gesetz über das Schornsteinfegerwesen (Schornsteinfegergesetz – SchfG.) vom 15. September 1969 (BGBl. I S. 1634) besonders ausgestaltet. Der einzelne Bezirksschornsteinfegermeister (§ 3 Abs. 1 SchfG) übt seinen Beruf in einem räumlich genau abgegrenzten Bezirk, dem sogenannten Kehrbezirk (vgl. § 2 Abs. 1 SchfG), aus. Er darf für die ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben (vgl. § 13 SchfG) nur die in der Kehr- und Überprüfungsgebührenordnung bestimmten Gebühren erheben (§ 25 Abs. 1 SchfG). Die Kehrbezirke sind so einzuteilen, daß die Einnahmen aus den regelmäßig wiederkehrenden Entgelten aus den Aufgaben (§ 13 Abs. 1 SchfG) dem Bezirksschornsteinfegermeister ein angemessenes Einkommen sichern (§ 22 SchfG). Ist durch besondere Umstände das angemessene Einkommen eines Bezirksschornsteinfegermeistens nicht mehr sichergestellt, so kann er von der zuständigen Verwaltungsgehörde eine Nachprüfung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SchfG fordern. Wird dabei festgestellt, daß das Reineinkommen nicht mehr angemessen ist, so hat die Verwaltungsbehörde die Kehrbezirkseinteilung zu ändern. Nach § 15 Abs. 1 SchfG ist der Bezirksschornsteinfegermeister zur Beschäftigung eines Gesellen verpflichtet.

4. Das am 1. Mai 1985 in Kraft getretene Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 (BeschFG 1985) vom 26. April 1985 (BGBl. I S. 710) hat § 10 Abs. 1 Nr. 3 und § 16 Abs. 2 Nr. 4 des Lohnfortzahlungsgesetzes vom 27. Juli 1969 dahin gefaßt, daß Kleinbetriebe von den Belastungen, die sie individuell durch Leistungen aufgrund des Mutterschutzgesetzes treffen, durch die Verteilung auf eine größere Zahl von Arbeitgebern entlastet werden (Art. 6 Nr. 2 und 5 BeschFG 1985). Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sollen im Rahmen ihrer Satzungsautonomie eigenverantwortlich den Kreis der am gesetzlichen Ausgleichsverfahren teilnehmenden Arbeitgeber auf solche mit bis zu 30 Arbeitnehmern ausdehnen und deren Ausgaben für das nach § 11 MuSchG bei Beschäftigungsverboten weiterzuzahlende Arbeitsentgelt einbeziehen können.

II.

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war seit dem 16. Mai 1977 als Schornsteinfegergesellin bei dem beklagten Bezirksschornsteinfegermeister beschäftigt. Am 30. Juni 1980 zeigte sie ihrem Arbeitgeber an, sie sei nach ärztlichem Befund in der sechsten Woche schwanger. Im Ausgangsverfahren streiten die Parteien um die Frage, ob der beklagte Arbeitgeber verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit vom 16. Juli bis 25. September 1980 ihren Durchschnittsverdienst in Höhe von unstreitig 5.852,08 DM brutto abzüglich des auf die Zeit vom 11. bis 25. September 1980 errechneten Arbeitslosengeldes weiterzuzahlen. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf § 11 in Verbindung mit § 4 MuSchG. Ihr Arbeitgeber sei zur Zahlung verpflichtet, weil das Arbeitsverhältnis fortbestehe. Das Arbeitsgericht hat den beklagten Bezirksschornsteinfegermeister zur Zahlung des genannten Betrages verurteilt. Im Berufungsrechtszug vertritt der Beklagte die Auffassung, § 11 MuSchG sei verfassungswidrig, da die Verpflichtung zur Weiterzahlung des Lohnes an die Klägerin für ihn existenzgefährdend, wenn nicht existenzvernichtend sei.

2. Das Landesarbeitsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG). Es hält § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG für mit dem Grundgesetz unvereinbar, soweit diese Vorschrift ausnahmslos jeden Arbeitgeber zur Weitergewährung des Durchschnittsverdienstes verpflichtet. Die Entscheidung des Gerichts hänge davon ab, ob die zur Prüfung gestellte Norm der Verfassung entspreche. Da kein Aufhebungsvertrag vorliege, könne die Klägerin den Anspruch auf Weiterzahlung ihres Durchschnittslohnes auf § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG stützen; denn es sei unstreitig, daß der beklagte Bezirksschornsteinfegermeister der Klägerin keine Arbeit anbieten könne, die nicht unter das Beschäftigungsverbot des § 4 MuSchG falle. Bei Ungültigkeit der nachzuprüfenden Norm hingegen müßte das Gericht die Klage abweisen. Die Verfassungswidrigkeit ergebe sich daraus, daß die aus § 11 MuSchG folgenden Lohnzahlungspflichten den Betrieb eines Bezirksschornsteinfegermeisters gefährdeten, wenn nicht gar vernichteten und daher gegen Art. 14 GG verstießen. Wenn auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 14 GG nicht vor der Auferlegung von Geldleistungspflichten schütze, die einen verhältnismäßig geringen Umfang hätten, so seien demgegenüber hier die Besonderheiten des Gewerbes eines Bezirksschornsteinfegermeisters zu berücksichtigen. Er habe ein durch die Eigenart seines ihm zugewiesenen Kehrbezirks bestimmtes Gebührenaufkommen. Die Gebührenhöhe werde ihm vorgegeben. Er könne sie nicht eigenverantwortlich kalkulieren, nicht nach den Regeln der freien Marktwirtschaft beeinflussen. Er sei nicht in der Lage, den ihm durch § 13 SchfG vorgegebenen Aufgabenkreis zu erweitern. Er könne ihn andererseits nicht einengen und habe die Pflicht zur Beschäftigung eines Gesellen zu beachten (§ 15 SchfG). Die zuständige Verwaltungsbehörde sei gehalten, den Kehrbezirk so abzugrenzen, daß dem Schornsteinfegermeister aus dem Gebührenaufkommen ein angemessenes Einkommen gesichert sei. Richtmaßstab für das hiernach erreichbare Einkommen sei das Endgehalt in der Besoldungsgruppe A 9. Das monatliche Nettoeinkommen, welches der Beklagte mit durchschnittlich 2.300 DM beziffert habe, werde nicht annähernd mehr erreicht, wenn ihn während des mit Eintritt der Schwangerschaft einer Schornsteinfegergesellin beginnenden Zeitraums die volle Lohnzahlungspflicht treffe. Den Erwägungen des Arbeitsgerichts, dieser Zeitraum sei „bei ordnungsgemäßer Handhabung der rechtlichen Möglichkeiten” überbrückbar, vermöge das vorlegende Gericht nicht zu folgen. Es sei nicht zwingend, daß die nach § 9 Abs. 3 MuSchG zuständige Behörde eine Kündigung für zulässig erklären müsse. Zudem habe der Arbeitgeber keinen Einfluß auf die Dauer des Zustimmungsverfahrens. Schon der vorliegende Fall zeige, daß der Beklagte erst am 1. August 1980 aufgefordert worden sei, den vom Gewerbeaufsichtsamt am 8. Juli 1980 gestellten Antrag selbst zu stellen. Die jetzige Ausgestaltung des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG verletze auch Art. 3 Abs. 2 GG. Nur scheinbar werde der Frau der Beruf des Schornsteinfegers uneingeschränkt geöffnet. Bleibe die derzeitige Regelung der Entgeltfortzahlungspflicht gültig, werde kaum ein auf die Sicherung seiner Existenz bedachter Bezirksschornsteinfegermeister bereit sein, eine der Mutterschaft fähige Gesellin zu beschäftigen. Schließlich verlange Art. 20 Abs. 1 GG die Ausgestaltung des § 11 Abs. 1 MuSchG nach sozialstaatlichen Gesichtspunkten. Dies um so mehr, als § 16 SchfG Leistungen durch eine Ausgleichskasse bei der Beschäftigung werdender Mütter, welche den Bezirksschornsteinfegermeister einschneidend belasten, nicht vorsehe. Das vorlegende Gericht sehe sich daher zu einer das Urteil des Arbeitsgerichts bestätigenden Entscheidung zur Zeit nicht in der Lage; ebensowenig vermöge es die Klage abzuweisen, weil es nicht befugt sei, eine von ihm für verfassungswidrig gehaltene Bestimmung durch eine andere zu ersetzen.

III.

Zu der Vorlage haben der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung, der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und das Bundesarbeitsgericht Stellung genommen.

1. Der Bundesminister hält die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts für unbegründet. § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG stehe im Einklang mit dem Grundgesetz. Es sei mit der Verfassung vereinbar, daß grundsätzlich jeder Arbeitgeber bei Eintritt eines absoluten Beschäftigungsverbots nach § 4 MuSchG verpflichtet werde, der davon betroffenen Arbeitnehmerin bis zum Einsetzen der Schutzfrist den Durchschnittsverdienst weiterzugewähren, soweit nicht ein besonderer Härtefall dem Arbeitgeber gestatte, das Arbeitsverhältnis nach § 9 Abs. 3 MuSchG vorzeitig zu kündigen. Die zur Prüfung gestellte Vorschrift verstoße nicht gegen die Eigentumsgarantie. Sie halte sich im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG. Ein Verstoß gegen diese Norm könne erst in Betracht kommen, wenn die Geldleistungspflichten den Arbeitgeber übermäßig belasteten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigten. Im Ausgangsverfahren sei der Arbeitgeber jedoch imstande, eine übermäßige finanzielle Belastung abzuwenden. Eine der Möglichkeiten bestehe in dem Verfahren nach § 9 Abs. 3 MuSchG. Wenn der Arbeitgeber von dieser Möglichkeit rechtzeitig Gebrauch mache, indem er sofort die Zustimmung der zuständigen Behörde des Landes zu der beabsichtigten Kündigung beantrage, werde sich die Belastung in zumutbaren Grenzen halten, zumal meist noch Urlaubsansprüche anzurechnen wären. Eine weitere Möglichkeit, Belastungen des Arbeitgebers durch den Mutterschutz im Einzelfall zu mildern, sei durch § 54 Abs. 3 Nr. 2 der Handwerksordnung gegeben. Diese Vorschrift ermögliche der Handwerksinnung, für ihre Mitglieder und für deren Angehörige Unterstützungskassen für Fälle der Krankheit, des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Bedürftigkeiten, etwa Schwangerschaften, einzurichten. Nach einer Auskunft des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks solle in Nordrhein-Westfalen auf Landesebene eine entsprechende Innungskasse errichtet werden.

Die zur Prüfung gestellte Norm verletze auch nicht Art. 3 Abs. 2 GG. § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG knüpfe nicht differenzierend an Geschlechtsunterschiede zum Nachteil der schwangeren Arbeitnehmerin an. Er verwirkliche den durch Art. 6 Abs. 4 GG gebotenen Mutterschutz. Die finanziellen Belastungen des Mutterschutzes seien in ihrer Gesamtheit, nicht nach den einzelnen, die Belastung regelnden Bestimmungen zu bewerten; denn der Gesetzgeber habe die Gesamtbelastungen des Mutterschutzes auf mehrere Kostenträger verteilt (Staat, gesetzliche Krankenversicherung und Arbeitgeber). Diese Aufteilung der Kosten halte sich im Rahmen der Gestaltungsfreiheit, die dem Gesetzgeber bei der Verwirklichung des Mutterschutzes nach Art. 6 Abs. 4 GG überlassen bleiben müsse. Auch Art. 20 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Das Sozialstaatsprinzip dürfe nicht dahin ausgelegt werden, daß mit seiner Hilfe jede Einzelregelung, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu Härten oder Unbilligkeiten führe, modifiziert werden könne.

2. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg weist darauf hin, daß in Hamburg seit längerem eine von der Schornsteinfeger-Innung geschaffene Lohnmehrkostenkasse bestehe. Die finanziellen Mehrbelastungen aus der Mutterschaft einer Schornsteinfegergesellin würden durch diese Kasse getragen.

3. Das Bundesarbeitsgericht hat mitgeteilt, es habe bisher keine einschlägigen Entscheidungen zu der in der Vorlage aufgeworfenen Frage getroffen. Der nunmehr zur Entscheidung im Bereich des Mutterschutzes zuständige Fünfte Senat meint, die Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG könne zwar in dem Ausgangsverfahren des vorlegenden Gerichts bedenklich sein; es handele sich aber um einen Einzelfall. Parallelfälle seien kaum vorstellbar. Ob ein solcher Einzelfall zur Verfassungswidrigkeit des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG führen könne, erscheine fraglich.

 

Entscheidungsgründe

B.

Die Vorlage ist unzulässig.

I.

Nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muß das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist (BVerfGE 37, 328 [333 f.]; 58, 153 [157 f.]; 64, 251 [254]; st. Rspr.). Da dieser Begründungszwang das Bundesverfassungsgericht entlasten soll, muß der Vorlagebeschluß aus sich heraus ohne Beiziehung von Akten verständlich sein. Das vorlegende Gericht hat in den Gründen seines Beschlusses den Sachverhalt, soweit er für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die rechtlichen Erwägungen erschöpfend darzulegen. Dabei muß es den Sachverhalt so weit aufklären, daß die Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Norm feststeht und die Vorlage deshalb unerläßlich ist (BVerfG, a.a.O.; ferner BVerfGE 65, 265 [277]; 65, 308 [314 f.] m.w.N.; st. Rspr.).

II.

1. Das Landesarbeitsgericht hält § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG für mit dem Grundgesetz unvereinbar, soweit dadurch der Betrieb eines Bezirksschornsteinfegermeisters gefährdet oder sogar vernichtet wird. Es hat dazu in seinem Vorlagebeschluß nicht hinreichend dargetan, inwiefern die beabsichtigte Entscheidung von der vorgelegten verfassungsrechtlichen Frage abhängt, insbesondere reicht der dazu dargestellte Sachverhalt nicht aus. Das vorlegende Gericht gibt nur an, daß ein angemessenes Gebührenaufkommen, welches dem Endgehalt der Besoldungsgruppe A 9 entspreche, nicht annähernd erreicht werden könne, wenn den Beklagten des Ausgangsverfahrens während des mit Eintritt der Schwangerschaft der Klägerin beginnenden Zeitraums die volle Lohnzahlungspflicht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG treffe, obwohl er nach § 15 SchfG verpflichtet sei, anstelle der nach § 4 MuSchG durch Beschäftigungsverbot ausgefallenen Klägerin einen anderen Gesellen einzustellen.

2. Um den Tatbestand einer Existenzgefährdung oder gar Existenzvernichtung festzustellen, reicht es nicht aus, daß das vorlegende Gericht lediglich mitteilt, der Beklagte des Ausgangsverfahrens habe sein durchschnittliches Nettoeinkommen mit monatlich 2.300 DM beziffert, zumal diese Angabe von der Klägerin bestritten worden ist (vgl. dazu auch OVG Münster, Urteil vom 22. November 1983 – 8 A 1020/82 –). Das Landesarbeitsgericht hätte zunächst erschöpfend darlegen müssen, wie es das angemessene Einkommen des beklagten Bezirksschornsteinfegermeisters errechnet. „Angemessenes Einkommen” im Sinne des Schornsteinfegergesetzes ist das nach Abzug aller anzuerkennenden Kosten einschließlich der Personalaufwendungen für einen Gesellen verbleibende Reineinkommen, das dem Gehalt eines Beamten in der Endstufe der Besoldungsgruppe A 9 mit zwei zuschlagsberechtigten Kindern und Weihnachtszuwendungen entspricht (vgl. OVG Münster, Gewerbearchiv 1967, S. 229 [230]). Es hätte aus den Ausführungen im Vorlagebeschluß hervorgehen müssen, ob der Gewinn des Bezirksschornsteinfegermeisters nach Abzug der berücksichtigungsfähigen Geschäftsunkosten, zu denen auch die aus dem Mutterschutzgesetz erwachsenden finanziellen Belastungen gehören, das für das Land Nordrhein-Westfalen zum Zwecke der Einteilung der Kehrbezirke nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 Nr. 3 SchfG jährlich festzusetzende Gesamtgebührenaufkommen aus den regelmäßig wiederkehrenden Entgelten erreicht. Das ist durch die Angabe eines vom Beklagten bezifferten durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens nicht zu ermitteln.

Dabei hätte das vorlegende Gericht neben den Einnahmen aus den regelmäßig wiederkehrenden Arbeiten des Bezirksschornsteinfegermeisters auch die aus den im Rahmen seines Betriebes ausgeübten weiteren Tätigkeiten (etwa für Gutachten, Rohbauabnahmen, Schlußabnahmen, Nachmessungen und Heizungsreinigungen) angefallenen Einnahmen mitberücksichtigen müssen. Nur bei einer die genannten Gesichtspunkte beachtenden und erschöpfenden Darstellung des Sachverhalts – soweit notwendig, nach Beweisaufnahme – könnte überhaupt erst die Frage beurteilt werden, ob die Geldleistungspflichten nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG eine erdrosselnde Wirkung ausüben. Erst dann könnte ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG überhaupt in Erwägung gezogen werden, weil die Auferlegung von Geldleistungspflichten die Eigentumsgarantie grundsätzlich unberührt läßt (vgl. BVerfGE 4, 7 [17]; 14, 221 [241]; 19, 253 [267 f.]; 38, 61 [102]; 63, 312 [327] m.w.N.; st. Rspr.). Einer besonders ausführlichen Sachverhaltsdarstellung der Existenzgefährdung hätte es hier auch schon deshalb bedurft, weil Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens ohnehin nur ein Anspruch auf Mutterschutzlohn für eine eng begrenzte Zeit (16. Juli bis 25. September 1980) ist und der geforderte Betrag von netto etwa 5.300 DM zum festzustellenden Jahreseinkommen des Beklagten in den Jahren 1980/81 und mit zumutbaren Kreditaufnahmen in Beziehung gesetzt werden muß.

 

Unterschriften

Dr. Herzog, Dr. Simon, Dr. Hesse, Dr. Katzenstein, Dr. Niemeyer, Dr. Heußner

 

Fundstellen

Haufe-Index 1471292

BVerfGE, 219

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