Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortgeltung von Landesrecht als Bundesrecht. Umsatzsteuerfreiheit von Sportwetten aufgrund des württemberg-badischen Gesetzes Nr. 527 über die Sportwetten im Verhältnis zum UStG

 

Leitsatz (redaktionell)

Abändern i.S. des Art. 125 GG ist nicht gesetzgebungstechnisch-formal zu verstehen. Jeder Eingriff in den reichsrechtlichen Rechtsbestand fällt darunter.

 

Normenkette

GG Art. 125 Abs. 1; UStG

 

Verfahrensgang

BFH (Vorlegungsbeschluss vom 30.04.1953; Aktenzeichen V 24/52)

 

Tatbestand

I.

Das Land Württemberg-Baden hat durch das Gesetz Nr. 527 über die Sportwette vom 18. August 1948 (RegBl. S. 133) – im folgenden: G 527 – einen Totalisator für Sportwetten errichtet. Nach der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 529 des Finanzministeriums vom 13. September 1948 (RegBl. S. 133) wird das Sport-Toto in Württemberg-Baden durch die staatliche Sport-Toto-GmbH mit Sitz in Stuttgart durchgeführt, deren Stammkapital nach dem Gesellschaftsvertrag vom 7. Oktober 1948 zu 3/4 in den Händen des Landes ist.

§ 3 des Gesetzes Nr. 527 bestimmt in Absatz 1, daß für die Wetten die §§ 10 bis 15 des Rennwett- und Lotterie-Gesetzes entsprechend gelten.

§ 3 Abs. 2 lautet wie folgt:

“Das Unternehmen hat für seinen Geschäftsbetrieb Steuern und Abgaben an den Staat, die Gemeinden und Gemeindeverbände nicht zu entrichten.”

Demgemäß ist die Sport-Toto-GmbH zur Umsatzsteuer nicht veranlagt worden, solange die Steuerhoheit für diese Steuer noch nicht auf den Bund übergegangen war. Durch Verfügung vom 25. August 1950 hat das Landesfinanzamt, das für die Sport-Toto-GmbH zuständige Finanzamt für Körperschaften in Stuttgart angewiesen, die Gesellschaft für die ab 1. Januar 1950 getätigten steuerpflichtigen Umsätze zur Umsatzsteuer heranzuziehen, da eine Befreiung auf Grund von § 3 Abs. 2 G 527 nicht mehr möglich sei, nachdem die Umsatzsteuer jetzt dem Bund zufließe.

Hierauf ist die Gesellschaft vom Finanzamt durch Bescheid vom 30. August 1951 für das Kalenderjahr 1950 in Höhe von DM 6470,50 zur Umsatzsteuer veranlagt worden. Sie hat dagegen Sprungberufung eingelegt mit der Begründung, die Vorschrift des § 3 Abs. 2 G 527 gelte gemäß Art. 125 Nr. 2 GG als Bundesrecht fort. Das Finanzgericht bei der Oberfinanzdirektion Stuttgart ist der Rechtsansicht der Sport-Toto-GmbH gefolgt und hat durch Urteil vom 28. November 1951 ihrer Berufung stattgegeben.

Auf die vom Vorsteher des Finanzamts für Körperschaften eingelegte Rechtsbeschwerde hat der V. Senat des Bundesfinanzhofs durch Bescheid vom 19. Dezember 1952 die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Berufung der steuerpflichtigen Sport-Toto-GmbH als unbegründet zurückgewiesen.

Auf Grund der von der Steuerpflichtigen beantragten mündlichen Verhandlung hat der Bundesfinanzhof am 30. April 1953 beschlossen:

“Das Verfahren wird ausgesetzt.”

Die Rechtsfrage wird gemäß § 86 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVGG) in Verbindung mit § 13 Ziff. 14 § 80 BVGG und Art. 100 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Begründung.

Die streitige Umsatzsteuerfrage ist von der Entscheidung darüber abhängig, ob § 3 Abs. 2 des Württemberg-Badischen Gesetzes Nr. 527 vom 18. August 1948 (Regierungsblatt S. 133) als Bundesrecht im Jahre 1950 fortgegolten hat. Die Ansichten der Beteiligten gehen darüber auseinander.”

In seinem Vorlageschreiben an das Bundesverfassungsgericht vom 7. Mai 1953 führt der Bundesfinanzhof folgendes aus:

“Die Rechtsbeschwerdesache der Staatlichen Sport-Toto-GmbH in Stuttgart-N wegen Umsatzsteuer 1950 wird zufolge des Beschlusses des Senats vom 30. April 1953 dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung gemäß § 86 Abs. 2 BVGG vorgelegt, weil bei einer Fortgeltung des § 3 Abs. 2 des Württ.-Bad. Gesetzes Nr. 527 vom 18. August 1948 (Regierungsblatt S. 133) im Jahre 1950 die Staatliche Sport-Toto-GmbH in Stuttgart für dieses Jahr umsatzsteuerfrei sein würde.

Der Senat vertritt die Auffassung, daß das Umsatzsteuerrecht unstreitig Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (Art. 105 Abs. 2 Ziff. 1 GG) und auf Grund des Art. 125 GG Bundesrecht geworden ist. In der Erklärung des unter Art. 125 GG fallenden Rechtes zu Bundesrecht liegt nicht nur eingeschlossen, daß dieses Recht für den Bund vorbehalten werde, sondern darüber hinaus für die Rechtsgebiete, die der Bund sofort für sich in Anspruch nahm, die Fiktion, der Bundesgesetzgeber habe mit dem Zusammentritt des Bundestages im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis von dieser Konkurrenz bereits Gebrauch gemacht. Somit gilt das Umsatzsteuergesetz als ein mit dem Zusammentritt des Bundestages in der Fassung neu verkündetes Gesetz, in der es in der Folgezeit bis zu einer Abänderung angewandt worden ist. Das dem Umsatzsteuergesetz entgegenstehende Landesrecht ist damit aufgehoben worden (Art. 31 GG), also auch § 3 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 527 des Landes Württemberg-Baden.

“Die Frage, ob § 3 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 527 als Bundesrecht fortgilt, ist jedoch streitig, so daß nach der zwingenden Vorschrift des § 86 Abs. 2 BVGG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen ist.”

Das Bundesverfassungsgericht, hat am 28. September 1953 an den Bundesfinanzhof die Frage gerichtet, weshalb er die Frage, ob § 3 Abs. 2 G 527 als Bundesrecht fortgilt, für entscheidungserheblich halte. Der Bundesfinanzhof hat darauf mit Schreiben vom 5. November 1953 wie folgt geantwortet:

“Die Umsatzsteuer war im Jahre 1948 noch Landessteuer. Damals hat das Land Württemberg-Baden mit § 3 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 527 die Staatliche Sport-Toto-GmbH in Stuttgart von der Umsatzsteuer freigestellt. Wenn diese persönliche Steuerbefreiung als Bundesrecht fortgelten sollte, dann könnte die GmbH auch, nachdem die Umsatzsteuer Bundessteuer geworden war, so lange nicht zur Umsatzsteuer herangezogen werden, bis nicht der Bundesgesetzgeber in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebracht hat, daß diese persönliche Steuerbefreiung nicht mehr gelte. Württemberg-Baden hatte dann im Jahre 1948 insoweit, als es sich um die GmbH handelt, das Umsatzsteuergesetz in einer den Bund bindenden Weise geändert. Würde § 3 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 527 als Bundesrecht fortgelten, dann wären unter den “Steuern und Abgaben an den Staat” auch die Bundessteuern zu verstehen. Infolgedessen ist die Frage der Fortgeltung des erwähnten § 3 Abs. 2 als Bundesrecht entscheidungserheblich.”

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, der vorläufigen Landesregierung Baden-Württemberg und der staatlichen Sport-Toto-GmbH Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Geäußert hat sich lediglich die vorläufige Landesregierung Baden-Württemberg. Sie ist der Ansicht, daß § 3 Abs. 2 G 527 gemäß Art. 125 Nr. 2 GG Bundesrecht geworden ist.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag ist zulässig. Die Frage, ob § 3 Abs. 2 G 527 als Bundesrecht fortgilt, ist “streitig” im Sinne von § 86 Abs. 2 BVerfGG.

1. In seinem Vorlageschreiben vom 7. Mai 1953 vertritt der Bundesfinanzhof – wie schon in den Gründen des auf die Rechtsbeschwerde ergangenen Bescheids vom 19. Dezember 1952 – die Rechtsauffassung, daß nach Art. 125 Nr. 1 GG das Umsatzsteuergesetz als ein mit dem Zusammentritt des Bundestages neu verkündetes Gesetz gelte, das entgegenstehen des Landesrecht, also auch den § 3 Abs 2 G 527, gemäß Art. 31 GG aufgehoben habe. Das könnte den Anschein erwecken, als halte das Gericht selbst die Vorlagefrage, ob § 3 Abs. 2 G 527 als Bundesrecht fortgilt, gar nicht für ernstlich zweifelhaft. Aber aus den weiteren Ausführungen des Vorlageschreibens und des Vorlagebeschlusses, insbesondere auch aus der Antwort vom 5. November 1953 auf die Rückfrage des Bundesverfassungsgerichts, geht jedoch hervor, daß der Bundesfinanzhof diese von ihm vertretene Rechtsansicht für zweifelhaft hält, und zwar offenbar auf Grund neuer Parteivorträge in der mündlichen Verhandlung (BVerfGE 4, 358 [369]). Es braucht daher nicht untersucht zu werden, ob in einem Fall wie dem vorliegenden nicht mit Rücksicht auf Rang und Bedeutung der Beteiligten auch ein Streit der Parteien des Ausgangsverfahrens über die Fortgeltung der fraglichen Bestimmung als Bundesrecht genügen würde; hier streitet in Wahrheit das Land Baden-Württemberg als Rechtsnachfolger des Landes Württemberg-Baden durch die ihm gehörende Sport-Toto-GmbH mit der Bundessteuerverwaltung.

2. Die Vorlagefrage ist für die Entscheidung des Bundesfinanzhofs erheblich.

Gilt § 3 Abs. 2 G 527 gemäß Art. 125 Nr. 2 GG als Bundesrecht fort, muß der Bundesfinanzhof die Rechtsbeschwerde des Finanzamts für Körperschaften in Stuttgart zurückweisen, da die Sport-Toto-GmbH für ihren Geschäftsbetrieb dann nicht umsatzsteuerpflichtig ist. Denn § 3 Abs. 2 G 527 gilt dann als Recht auf derselben Ebene, auf der das Umsatzsteuergesetz von 1934 nach Art. 125 Nr. 1 GG gilt; d. h. er gilt so lange, bis ihn der Bundesgesetzgeber aufhebt. Dies ist jedoch im Zuge der seit Zusammentritt des Bundestages beschlossenen mehrfachen Änderungen des Umsatzsteuergesetzes bisher nicht geschehen.

Würde § 3 Abs. 2 nicht als Bundesrecht fortgelten, so wäre er als landesrechtliche Norm durch das Bundessteuerrecht außer Kraft gesetzt. Eine landesrechtliche Vorschrift, die eine juristische Person, die nach der erschöpfenden Regelung der Umsatzsteuer durch Bundesrecht umsatzsteuerpflichtig ist, von dieser Steuer freistellt, kann nach Art. 31 GG keinen Rechtsbestand haben.

III.

1. Die Frage, ob § 3 Abs. 2 G 527 als Bundesrecht fortgilt ist hier nur insoweit zu prüfen, als die Sport-Toto-GmbH durch diese Bestimmung von der Umsatzsteuer freigestellt wird.

Das Umsatzsteuerrecht gehört nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 GG zum Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Nach Art. 125 GG wird Recht, das Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft, innerhalb seines Geltungsbereichs Bundesrecht

1. soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich gilt,

2. soweit es sich um Recht handelt, durch das nach dem 8. Mai 1945 früheres Reichsrecht abgeändert worden ist.

Nach Art. 125 Nr. 1 GG ist das Umsatzsteuergesetz vom 16. Oktober 1934 Bundesrecht geworden. § 3 Abs. 2 G Nr. 527 könnte, soweit er sich auf die Umsatzsteuer bezieht, nur nach Art. 125 Nr. 2 GG zu – in seinem Geltungsbereich auf das Gebiet des ehemaligen Landes Württemberg-Baden beschränktem – Bundesrecht geworden sein. Die sich auf Kern, MDR 1950, S. 68, berufende Auffassung des vorlegenden Gerichts, daß das gemäß Art. 125 Nr. 1 GG zum Bundesrecht gewordene Umsatzsteuergesetz im gleichen Zeitpunkt entgegenstehendes, nach dem 8. Mai 1945 erlassenes Landesrecht aufgehoben habe, ist unrichtig, weil dann Art. 125 Nr. 2 GG keinen Sinn hätte.

2. Es kommt also darauf an, ob durch § 3 Abs. 2 G 527 das Umsatzsteuergesetz abgeändert worden ist.

a) “Abändern” ist dem Sinne des Art. 125 GG entsprechend nicht gesetzgebungstechnisch-formal zu verstehen. Jeder Eingriff in den reichsrechtlichen Rechtsbestand fällt darunter (BVerfGE 7, 18 [27]). Sollte § 3 Abs. 2 G 527 dahin zu verstehen sein, daß er die Sport-Toto-GmbH nur von den auf Landesgesetzen beruhenden Landessteuern und Gemeindesteuern freistellen wollte, so wäre in der Tat Reichsrecht dadurch nicht abgeändert worden. Aber eine solche Auslegung würde dem Zweck der Vorschrift nicht gerecht werden. Denn alle Steuern, die für die Sport-Toto-GmbH eine wirkliche finanzielle Belastung bedeuten könnten, wie die Körperschaftssteuer, die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer, beruhten damals auf reichsrechtlichen Vorschriften, während landesrechtliche Steuern und Abgaben, was die Belastung angeht, kaum ins Gewicht fallen konnten. Der Sinn des Gesetzes ist, daß die Gesellschaft dem jeweiligen Träger staatlicher Steuerhoheit gegenüber von allen Steuern befreit sein sollte, gleichgültig, ob sie auf früherem Reichsrecht oder auf Landesrecht beruhten. “Staat” ist nicht in dem Sinne “Land” im Gegensatz zu “Reich” oder “Bund” zu verstehen. Zur Zeit des Erlasses des Gesetzes gab es nur das Land als Träger staatlicher Steuerhoheit; somit sollte die Befreiung gegenüber jedem anderen – auch einem künftigen – Träger staatlicher Steuerhoheit gelten.

b) Ist dies der Sinn der gesetzlichen Regelung, so hat sie das Umsatzsteuergesetz im Sinne des Art. 125 Nr. 2 GG abgeändert; sie konnte den ins Auge gefaßten Zweck einer völligen Steuerbefreiung nur durch Abänderung des Umsatzsteuergesetzes erreichen, auch wenn davon im Gesetzestext ausdrücklich nichts steht. § 3 Abs. 2 G 527 hat in den reichsrechtlichen Rechtsbestand eingegriffen, indem er den in § 4 UStG aufgezählten Fällen der Steuerbefreiung einen weiteren hinzugefügt hat. Man kann dagegen nicht einwenden, § 3 Abs. 2 G 527 schaffe nur ein auf die Sport-Toto-GmbH beschränktes persönliches Steuerprivileg, ohne daß dabei der Steuertatbestand des Umsatzsteuergesetzes überhaupt geändert werde. So betrachtet, sind alle in § 4 UStG aufgeführten Steuerbefreiungen “Privilegien” der darunter fallenden Unternehmen. Es gibt darunter solche, die geradezu ad personam gewährt werden, so wenn z. B. § 4 Ziff. 13a UStG zu den steuerfreien Umsätzen “die Leistungen des Deutschen Jugendherbergswerks, Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e. V.” rechnet.

Der Fall läge übrigens nicht anders, wenn man, wie das Finanzamt, den § 3 Abs. 2 als bloße Erhebungsvorschrift deuten würde. Wenn § 14 der vom Finanzamt zitierten Steuervereinfachungsverordnung vom 14. Dezember 1944 (RGBl. I S. 202), der bestimmte, daß die Kapitalverkehrsteuern, die Wechselsteuer und die Wertzuwachssteuer nicht mehr erhoben werden sollten, vor dem Zusammentritt des Bundestages von einem Landesgesetzgeber erlassen worden wäre, so läge auch hier – wenigstens hinsichtlich der Kapitalverkehrsteuern und der Wechselsteuer – ein Fall des Art. 125 Abs. 2 GG vor. Ob ein Gesetz den reichsgerichtlichen Steuertatbestand ausdrücklich ändert oder lediglich bestimmt, daß eine auf Reichsrecht beruhende Steuer nicht erhoben werden soll, ist gleichgültig; in beiden Fällen ist Reichsrecht abgeändert worden.

3. § 3 Abs. 2 G 527 gilt also als Bundesrecht fort, soweit er sich auf die Umsatzsteuer bezieht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1711972

BVerfGE, 153

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