Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Neuordnung der Steuern in Rheinland-Pfalz. Steuerstrafrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Ein nach dem 8. Mai 1945 erlassenes Landesgesetz hat nur dann Reichsrecht, das später Bundesrecht geworden ist, gültig abgeändert, wenn es vor dem 7. September 1949 verkündet war.

Ein vor dem 7. September 1949 beschlossenes und ausgefertigtes, aber noch nicht verkündetes Landesgesetz konnte nicht Bundesrecht im Sinne des Art. 125 Nr. 2 GG werden, da es am 7. September 1949 mangels Verkündung noch nicht geltendes Recht im Sinne des Art. 123 Abs. 1 GG war.

Diese Entscheidung hat Gesetzeskraft.

 

Normenkette

GG Art. 125 Nr. 2, Art. 123 Abs. 1

 

Tenor

§ 9 Nr. 1 und 3 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 6. September 1949 ≪GVBl. S.469≫ hat gegen Art. 71, 72 Abs. 1, 74 Nr. 1, 105 Abs. 1 und Abs 2 GG in Verbindung mit §§ 396 Abs. 1, 404 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 ≪RGBl. I S. 161≫ in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung vom 4. Juli 1939 ≪RGBl. I. S. 1181≫ verstoßen und war nichtig.

 

Tatbestand

A. – I.

Der erste Abschnitt des Dritten Teiles der Reichsabgabenordnung ≪AO≫ behandelt das Steuerstrafrecht. Im Rahmen dieser Regelung bestimmten die §§ 396 Abs. 1, 404 Abs. 1 AO vom 22. Mai 1931 ≪RGBl. I S. 161≫ in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung vom 4. Juli 1939 ≪RGBl. I S. 1181≫:

§ 396

≪1≫ Wer zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erschleicht oder vorsätzlich bewirkt, daß Steuereinnahmen verkürzt werden, wird wegen Steuerhinterziehung mit Geldstrafe bestraft. Der Höchstbetrag der Geldstrafe ist unbeschränkt. Neben der Geldstrafe kann auf Gefängnis bis zu zwei Jahren erkannt werden.

§ 404

Rückfall

≪1≫ Wer im Inland wegen Steuerhinterziehung, Bannbruchs oder Steuerhehlerei bestraft worden ist, darauf abermals eine dieser Handlungen begangen hat und deswegen bestraft worden ist, wird, wenn er eine Steuerhinterziehung, einen Bannbruch oder eine Steuerhehlerei begeht, mit Gefängnis bestraft. Neben der Gefängnisstrafe ist auf Geldstrafe ≪§ 396 Abs. 1 Satz 2≫ zu erkennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann ausschließlich auf Geldstrafe ≪§ 396 Abs. 1 Satz 2≫ erkannt werden.

In dieser Fassung galten diese Bestimmungen in der französischen Zone einheitlich bis zum Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages am 7. September 1949.

Der Landtag von Rheinland-Pfalz verabschiedete am 1. Juni 1949 ein Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern, dessen § 9 Nr. 1 und 3 die §§ 396 Abs. 1 und 404 Abs. 1 AO änderte. Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz fertigte dieses Gesetz am 6. September 1949 aus. Es wurde aber erst in Nr. 62 des Gesetz- und Verordnungsblattes der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 28. September 1949, also nach dem ersten Zusammentritt des Bundestages, verkündet.

Die geänderten Vorschriften lauteten:

§ 396

≪1≫ Wer zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erschleicht, oder vorsätzlich bewirkt, daß Steuereinnahmen verkürzt werden, wird wegen Steuerhinterziehung mit Gefängnis bestraft. Neben der Gefängnisstrafe ist auf Geldstrafe zu erkennen. Der Höchstbetrag der Geldstrafe ist unbeschränkt. Bei mildernden Umständen, insbesondere bei geringen Vergehen, kann ausschließlich auf Geldstrafe erkannt werden.

§ 404

≪1≫ Wer im Inland nach der Verkündung des Landesgesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern eine Steuerhinterziehung, einen Bannbruch oder eine Steuerhehlerei begangen hat und deshalb bestraft worden ist, wird, wenn er abermals eine Steuerhinterziehung, einen Bannbruch oder eine Steuerhehlerei begeht, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Neben der Gefängnisstrafe ist auf Geldstrafe zu erkennen. Der Höchstbetrag der Geldstrafe ist unbeschränkt. Das Verbot der Berufsausübung nach § 42 Buchstabe 1 des Strafgesetzbuches kann ausgesprochen werden.

Durch das Bundesgesetz zur Änderung von Vorschriften des Dritten Teiles der Reichsabgabenordnung vom 11. Mai 1956 ≪BGBl. I S. 418≫ erhielten die §§ 396 Abs. 1, 404 Abs. 1 AO die folgende, heute noch geltende Fassung:

§ 396

≪1≫ Wer zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erschleicht oder vorsätzlich bewirkt, daß Steuereinnahmen verkürzt werden, wird wegen Steuerhinterziehung mit Geldstrafe oder mit Gefängnis und mit Geldstrafe bestraft. Der Höchstbetrag der Geldstrafe ist unbeschränkt.

§ 404

≪1≫ Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine Steuerhinterziehung, einen Bannbruch oder eine Steuerhehlerei begangen hat und deshalb bestraft worden ist, wird, wenn er abermals eines dieser Steuervergehen begeht, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten und mit Geldstrafe, deren Höchstbetrag unbeschränkt ist, bestraft. In leichten Fällen kann auf Gefängnis unter drei Monaten und Geldstrafe oder auf Geldstrafe erkannt werden.

Mit Urteil vom 4. Mai 1956 verurteilte das Schöffengericht Diez an der Lahn den Bauunternehmer H. wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung im Rückfall in zwei Fällen gemäß § 396, 404 AO in der Fassung des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern zu einer Gefängnisstrafe von vier Monaten und zu einer Geldstrafe von insgesamt 1000 DM. Nach den Feststellungen des Urteils hatte der Angeklagte im Jahre 1955 bewirkt, daß Einnahmen aus der Umsatzsteuer, der Lohnsteuer und der Abgabe Notopfer Berlin verkürzt wurden. Der Angeklagte war nur einmal einschlägig vorbestraft durch Strafbescheid des Finanzamtes Diez vom 30. Dezember 1954.

Er legte gegen das Urteil Berufung ein. In der Hauptverhandlung vor der 1. großen Ferienstrafkammer des Landgerichts Koblenz gab er den vom Schöffengericht festgestellten Sachverhalt zu und beschränkte die Berufung auf die Frage der Gültigkeit der Bestimmung des Landesgesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 6. September 1949, nach der für die Bestrafung seiner Tat als Rückfalltat eine Vorstrafe genügen sollte. Die Strafkammer erließ folgenden Beschluß:

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  2. Die Akten sollen dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit dem Antrage zur Entscheidung vorgelegt werden zu erkennen, daß das Landesgesetz von Rheinland-Pfalz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 6. 9. 1949 ≪verkündet im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 28. 9. 1949 S. 469 ff.≫ den Bestimmungen der Art. 74 Ziff. 1, 123 Abs. 1 des Bonner Grundgesetzes widerspricht und daher als verfassungswidrig im Sinne des Art. 100 des Bonner Grundgesetzes anzusehen ist.

Das vorlegende Gericht führt aus, es halte die Änderung der §§ 396 Abs. 1 und 404 Abs. 1 AO durch das rheinland- pfälzische Landesgesetz für verfassungswidrig. Nach dem Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages sei gemäß der Kompetenzordnung des Grundgesetzes der Bundesgesetzgeber allein befugt gewesen, die strafrechtlichen Bestimmungen der Reichsabgabenordnung abzuändern. Durch ein am 28. September 1949 verkündetes Gesetz habe der Landesgesetzgeber also diese Vorschriften nicht mehr abändern können. Für die Beurteilung der Frage, wann das rheinland-pfälzische Landesgesetz erlassen worden sei, könne es nur auf den Zeitpunkt der Verkündung ankommen. Die Strafkammer legt außerdem dar, daß es für die Anwendbarkeit der strafschärfenden Bestimmung über den Rückfall ≪§ 404 Abs. 1 AO≫ mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 2 Abs. 1 StGB darauf ankomme, ob das Landesgesetz diese Bestimmung wirksam abgeändert habe.

III.

Den Verfassungsorganen des Bundes und des Landes Rheinland- Pfalz sowie den Beteiligten des Ausgangsverfahrens wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Den obersten Gerichten des Landes wurde von dem Vorlagebeschluß Kenntnis gegeben.

Das rheinland-pfälzische Ministerium der Justiz und der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Koblenz halten die Abänderung des § 404 AO durch das Landesgesetz für wirksam. Nach ihrer Auffassung konnte ein in die konkurrierende Zuständigkeit des Bundes eingreifendes Landesgesetz, das vor dem Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages vom Landtag beschlossen und vom Ministerpräsidenten ausgefertigt worden war, binnen angemessener Frist noch nach diesem Zeitpunkt wirksam verkündet werden. Das Land Rheinland-Pfalz sei auch durch Besatzungsrecht ermächtigt gewesen, das Gesetz noch am 28. September 1949 wirksam zu verkünden.

 

Entscheidungsgründe

B. – I.

Die Vorlage ist zulässig.

1. Das Landesgesetz vom 6. September 1949 ist ein Gesetz im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG. Als solches ist jedes Gesetz anzusehen, das nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ≪23. Mai 1949≫ erlassen wurde ≪BVerfGE 4, 331 ≪339 ff.≫≫.

2. Für die Entscheidung im Ausgangsverfahren kommt es auch darauf an, ob die Vorschriften des § 9 Nr. 1 und 3 des Landesgesetzes gültig waren.

Galt zur Zeit der Tat § 404 AO in der Fassung des Landesgesetzes, so ist der Täter gemäß § 2 Abs. 2 StGB nach § 404 AO in der Fassung des Bundesgesetzes vom 11. Mai 1956 als dem zur Zeit der Aburteilung geltenden milderen Gesetz zu bestrafen. War aber die Änderung der §§ 396, 404 AO durch das Landesgesetz ungültig, so gilt für die abzuurteilende Tat die Strafdrohung des § 396 AO in der Fassung vom 22. Mai 1931/4. Juli 1939; denn die §§ 396, 404 AO in dieser Fassung waren dann im Verhältnis zu §§ 396, 404 AO in der Fassung vom 11. Mai 1956 das zur Zeit der Tat geltende mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 2 StGB. Nach § 404 AO in der Fassung von 1931/1939 setzt die Strafdrohung für Steuerhinterziehung im Rückfall zwei Vorstrafen wegen des gleichen Delikts voraus. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Der Angeklagte ist nur einmal einschlägig vorbestraft. § 404 AO in der Fassung von 1931/1939 als das gegenüber § 404 AO in der Fassung vom 11. Mai 1956 mildere Gesetz, das zur Zeit der Tat galt, erlaubt also eine Bestrafung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung im Rückfall nicht. Auch die Strafdrohung des § 396 AO in der Fassung von 1931/1939 für die einfache Steuerhinterziehung ist im Verhältnis zu § 396 AO in der Fassung vom 11. Mai 1956 das mildere Gesetz.

Demnach hängt im Ausgangsverfahren für die Strafzumessung die Frage, aus welcher gesetzlichen Strafdrohung der Strafrahmen zu entnehmen sei, davon ab, ob die Vorschriften des § 9 Nr. 1 und 3 des Landesgesetzes gültig waren. C. – I.

Die Vorschriften der §§ 396, 404 AO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung vom 4. Juli 1939 galten in der französischen Besatzungszone Deutschlands bis zum 7. September 1949 unverändert fort. Sie waren Bestandteile des Steuerstrafrechts, das als Reichsrecht nur für Reichssteuern und Realsteuern galt ≪§§ 3, 4 Nr. 5 AO≫. Unter der Geltung des Grundgesetzes konnten sie sich allerdings nicht mehr auf „Reichssteuern” im Sinne des § 1 Abs. 2 AO beziehen. Reichssteuern waren Steuern, die ganz oder zum Teil zugunsten des Reichs erhoben wurden. Um welche Steuern es sich dabei handelte, konnte nur an Hand der Steuergesetzgebung des Reichs festgestellt werden. Das Grundgesetz kennt diesen oder einen entsprechenden Begriff nicht. Die Bestimmungen über das Anwendungsgebiet der Reichsabgabenordnung haben demzufolge durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes insofern einen anderen Inhalt erhalten, als sich die Bestimmungen der Abgabenordnung über das Steuerstrafrecht als Bundesrecht nur auf solche Steuern beziehen können, die gemäß Art. 105 GG in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fallen.

Ob das Steuerstrafrecht der Abgabenordnung im Sinne der Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes zum Strafrecht ≪Art. 74 Nr. 1 GG≫ oder zum Steuerrecht ≪Art. 105 GG≫ gehört, ist unerheblich. Unter beiden Gesichtspunkten fällt es unter die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Sowohl in dem einen wie in dem anderen Falle wurden die §§ 396, 404 AO Bundesrecht ≪Art. 124, 125 GG≫. In keinem Falle konnten sie daher durch das Landesgesetz noch nach dem Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages geändert werden.

II.

1. Soweit die §§ 396, 404 AO Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit gemäß Art. 74 Nr. 1 GG oder Art. 105 Abs. 2 GG betreffen, wurden sie in der französischen Besatzungszone nach Art. 125 Nr. 1 GG Bundesrecht, und zwar mit dem Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages am 7. September 1949 ≪BVerfGE 2, 136 ≪139≫; 4, 74 ≪83 f.≫; 178 ≪184 f.≫; 331 ≪340 f.≫; 358 ≪368≫≫.

a≫ Das Fortgelten als Bundesrecht setzte nicht voraus, daß für den in §§ 396, 404 AO geregelten Gegenstand die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auch im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben war. Es genügte vielmehr, daß dieser Gegenstand zu den Materien der konkurrierenden Gesetzgebung gehört ≪BVerfGE 1, 283 ≪293 ff.≫; 7,18 ≪25≫≫. Das gilt auch für die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG. Die eine der in dieser Vorschrift geforderten Voraussetzungen für die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gilt demnach als erfüllt. Für das Fortgelten von Reichssteuergesetzen als Bundesrecht ist es unerheblich, ob die andere Voraussetzung – die Inanspruchnahme der Steuern durch den Bund – vorliegt.

Entscheidend ist also allein, daß die §§ 396, 404 AO beim Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages in der französischen Zone einheitlich galten ≪BVerfGE 2, 136 ≪139≫; 4, 74 ≪83≫; 178 ≪184≫≫.

b≫ Die §§ 396, 404 AO waren durch das Landesgesetz nicht schon vor ihrer Umwandlung in Bundesrecht geändert worden.

Die Länder konnten bis zum Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages auch das Reichsrecht ändern, das später Bundesrecht geworden ist. Dann mußte aber das Gesetzgebungsverfahren am 7. September 1949 abgeschlossen sein. Nur solche Landesgesetze konnten als Bundesrecht fortgelten, die am 7. September 1949 bereits galten. Voraussetzung für die Geltung eines Gesetzes ist, wie sich auch aus Art. 113 der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz ergibt, seine ordnungsgemäße Verkündung. Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Verkündung ist nicht bloß eine Zutat, sondern ein integrierender Bestandteil des Rechtsetzungsaktes selbst ≪Lukas, Über die Gesetzespublikation in Österreich und dem Deutschen Reiche, 1903, S. 148 ff., S. 195 ff., S. 206 ff.; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl. 1911, S. 13 ff., S. 54 ff.; Werner Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften, 1942, S. 7 ff.≫.

Ein am 7. September 1949 noch nicht verkündetes rheinlandpfälzisches Landesgesetz konnte nicht „Recht” im Sinne der Art. 123 Abs. 1, 125 GG sein.

Es kann dahinstehen, ob unter besonderen Umständen trotz einer Veränderung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern für die Verkündung eines bereits vorher beschlossenen Gesetzes eine gewisse Toleranzfrist besteht ≪verneinend RGZ 102, 145 ≪147≫≫. Jedenfalls kann das nicht gelten, wenn die Verfassung eine derartige Frist nicht einräumt und wenn der Zeitpunkt der Kompetenzverschiebung seit langem bekannt war, so daß die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane sich darauf einstellen konnten. Da das Grundgesetz am 23. Mai 1949 verkündet wurde, die Kompetenzänderung jedoch erst am 7. September 1949 eintrat, konnte der Landesgesetzgeber von Rheinland-Pfalz dieser Tatsache Rechnung tragen.

Das Vorgehen des Landes Rheinland-Pfalz kann auch nicht durch den Hinweis darauf gerechtfertigt werden, daß es der Rechtseinheit durch Angleichung an das im Vereinigten Wirtschaftsgebiet geltende Steuerrecht dienen sollte. Für diese Rechtsangleichung stand das Verfahren des Art. 127 GG zur Verfügung.

c≫ Wenn der Gegenstand der §§ 396, 404 AO zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes gehört, verstieß die Änderung dieser Vorschriften durch das rheinland- pfälzische Landesgesetz demnach gegen Art. 70, 72 Abs. 1 GG. Das Fortgelten der §§ 396, 404 AO als Bundesrecht hatte dieselbe Wirkung, wie wenn der Bund den Gegenstand dieser Vorschriften bereits selbst geregelt hätte ≪BVerfGE 7, 18 ≪27≫≫.

2. Wenn der Gegenstand der §§ 396, 404 AO gemäß Art. 105 Abs. 1 GG zur ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehört, erhebt sich die Frage, ob die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gemäß Art. 71, 145 Abs. 2 GG mit dem Ablauf des 23. Mai 1949 oder erst am 7. September 1949 auf den Bund überging. Die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Sperrwirkung des Art. 71 GG eintrat, braucht hier aber nicht entschieden zu werden, da das Landesgesetz erst am 28. September 1949 erlassen worden ist.

III.

Eine Befugnis des Landesgesetzgebers, die §§ 396, 404 AO entgegen den Vorschriften des Grundgesetzes noch am 7. September 1949 zu ändern, läßt sich auch nicht aus dem Besatzungsrecht herleiten.

Im Verhältnis zur Besatzungsmacht war die Ausübung der deutschen Gesetzgebungsgewalt in der französischen Zone durch die Verordnung Nr. 95 der französischen Militärregierung vom 9. Juni 1947 ≪JO S. 783≫ geregelt. Danach durften die deutschen Behörden die Machtbefugnisse ausüben, deren Träger sie kraft der Landesverfassung geworden waren ≪Art. 1 VO Nr. 95≫. Diese Verordnung wurde erst durch Art. 1 Ziff. 7 des Gesetzes Nr. 4 der Alliierten Hohen Kommission vom 21. September 1949 ≪ABl. AHK S. 6≫ mit Wirkung vom 21. September 1949 ≪Artikel 2 des Gesetzes Nr. 4≫ aufgehoben.

Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß das Besatzungsrecht die verfassungsmäßigen Beschränkungen, die das Grundgesetz für die gesetzgebende Gewalt der Länder mit sich brachte, bis zum 21. September 1949 suspendiert hätte. Die besatzungsrechtlichen Vorschriften über die Machtbefugnisse der deutschen Länder begrenzten die deutsche Staatsgewalt nur gegenüber den Besatzungsmächten. Im Verhältnis zum Bund wurden die verfassungsrechtlichen Kompetenzen der deutschen Länder, auf die Artikel 1 der Verordnung Nr. 95 der französischen Militärregierung verweist, durch das Grundgesetz zugunsten des Bundes begrenzt.

Im übrigen wurde das Landesgesetz erst am 28. September 1949 erlassen, also nach Aufhebung der Verordnung Nr. 95, auf die das Land sich beruft.

D.

Demnach änderte das am 28. September 1949 erlassene rheinland-pfälzische Landesgesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 6. September 1949 die Vorschriften der § 396 Abs. 1, 404 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung in der Fassung vom 22. Mai 1931/4. Juli 1939, die bereits Bundesrecht geworden waren. Das widersprach den Art. 71, 72 Abs. 1, 105 Abs. 1 und 2 GG oder den Art. 72 Abs. 1, 74 Nr. 1 GG. Die Bestimmungen des § 9 Nr. 1 und 3 des Landesgesetzes waren daher nichtig.

 

Fundstellen

BStBl I 1958, 394

BVerfGE, 330

BVerfGE, 7, 330

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