Leitsatz (redaktionell)

1. Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes während der Einnahme einer zur Entlohnung gehörenden Mahlzeit (hier: Frühstück während einer Arbeitspause).

2. Ein Unfall, den der Arbeitnehmer auf der Betriebsstätte beim Einnehmen des zur Entlohnung gehörenden Frühstücks während einer Arbeitspause erleidet, unterliegt grundsätzlich auch dann nicht dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, wenn während der Pause Arbeitsbereitschaft bestanden hat (hier: Schnittverletzung bei zweckentfremdeter Handhabung eines sonst als Arbeitsgerät verwendeten Messers).

3. Wird aus betrieblichen Gründen die Einnahme einer Mahlzeit (zB den Mittagstisch) unumgänglich, so besteht auf den hierbei zurückzulegenden Wegen grundsätzlich Versicherungsschutz der gesetzlichen UV.

4. Die Einnahme von Speisen und Getränken ist im allgemeinen dem persönlichen, nicht unfallversicherten Lebensbereich zuzurechnen; das gilt auch dann, wenn Arbeitsräume des Betriebes in Anspruch genommen werden.

5. Unfallversicherungsschutz ist während des Essens und Trinkens dann gegeben, wenn betriebliche Umstände eine rechtlich wesentliche Bedeutung für das Unfallgeschehen (die Gesundheitsschädigung) haben; dies könnte zB der Fall sein, wenn sich der Arbeitnehmer wegen betrieblich bedingter Eile am Frühstücksbesteck verletzt oder durch eine vom Arbeitgeber gelieferte Verpflegung (zB verdorbene Lebensmittel) zu Schaden kommt.

 

Orientierungssatz

Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes während der Einnahme einer zur Entlohnung gehörenden Mahlzeit (hier: während der Arbeitspause).

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Mai 1966 wird aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. März 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger war als Geselle in der Schlachterei beschäftigt, bei der er Ende März 1964 seine Lehre abgeschlossen hatte. Neben dem Barlohn erhielt er auch freie Verpflegung - Frühstück, Mittagessen und Nachmittagskaffee -, die er in einem Betriebsraum zu sich nahm. Als der Kläger am 26. Mai 1964 gegen 9 Uhr frühstückte und sich ein Brötchen aufschnitt - er benutzte hierzu statt des Tafelmessers ein scharfes Schlachtermesser -, drang ihm die abrutschende Messerklinge in die linke Hohlhand. Wegen der hierbei erlittenen Sehnenverletzung am Mittelfinger war der Kläger bis Anfang Oktober 1964 arbeitsunfähig in ärztlicher Behandlung. Von da an wurde in einem fachärztlichen Gutachten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. für die Dauer von einigen Monaten angenommen. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 9. November 1964 die Gewährung von Unfallentschädigung ab, weil sich der Unfall bei einer eigenwirtschaftlichen Betätigung des Klägers ereignet habe.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage abgewiesen: Essen und Trinken auf der Betriebsstätte während der Arbeitszeit sei unversichert. Betriebseigentümliche Gefahren hätten auf den Unfallhergang nicht eingewirkt; für den Kläger, dem ein Gedeck mit einem ordnungsgemäßen Tafelmesser hingelegt worden sei, habe ein Zwang zur Benutzung des Schlachtermessers nicht bestanden; außerdem könne das Schlachtermesser, das nach den Angaben des Klägers ständig auf dem Frühstückstisch gelegen habe, nicht mehr als Betriebseinrichtung angesehen werden, es habe durch die tägliche Verwendung zu den Mahlzeiten die Eigenschaft eines gefährlichen Betriebswerkzeugs verloren.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. Mai 1964 die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) zu gewähren: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 12, 247) sei die Einnahme des Essens zwar dem persönlichen, d. h. unversicherten Lebensbereich des Arbeitnehmers auch dann zuzurechnen, wenn dies in besonderen vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Räumen geschehe. Der UV-Schutz sei aber während der Einnahme der Mahlzeit in einer Arbeitspause dann gegeben, wenn besondere Umstände einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit begründeten; das sei hier der Fall gewesen. Der handwerkliche Kleinbetrieb, in dem der Kläger damals tätig war, habe nur einen Gesellen beschäftigt, der im Bedarfsfall auch während der Essenspausen Fleischwaren aus dem Kühlraum holen mußte. Während der Frühstückspause habe also zumindest eine Arbeitsbereitschaft bestanden; die für diese Pause übliche Zeit von einer halben Stunde habe sich aus zwingenden betrieblichen Gründen nicht immer einhalten lassen. Mit Rücksicht auf diese betrieblichen Anforderungen habe der Kläger während der Essenspausen den Betriebsbereich nicht verlassen können, auch sei die Verpflegung, die zur Entlohnung gehört habe, nur an der Arbeitsstätte einzunehmen gewesen. Schließlich sei die Verletzung durch das Schlachtermesser - ein für die Betriebstätigkeit notwendiges Gerät - herbeigeführt worden. Im Hinblick auf diese Besonderheiten des vorliegenden Falles habe die Einnahme des Frühstücks mit der versicherten Tätigkeit rechtlich wesentlich zusammengehangen. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 8. Juni 1966 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22. Juni 1966 Revision eingelegt und sie innerhalb der bis zum 8. September 1966 verlängerten Frist folgendermaßen begründet: Die vom LSG angeführten Umstände seien nicht geeignet, für die - grundsätzlich unversicherte - Tätigkeit des Frühstückens im vorliegenden Fall einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Beschäftigung herzustellen. Daß für den Kläger auch während der Frühstückspause Arbeitsbereitschaft bestanden habe - tatsächliche Feststellungen, inwiefern sich dies im Unfallzeitpunkt auswirkte, seien nicht getroffen worden - und daß die vom Arbeitgeber gelieferte Verpflegung Naturallohn des Klägers gewesen sei, genüge hierfür nicht. Das Schlachtermesser habe der Kläger nicht aus betrieblichen, sondern aus eigenwirtschaftlichen Gründen zum Brötchenschneiden benutzt, obwohl ihm nach den vom SG getroffenen Feststellungen ein Tafelmesser aufgedeckt worden sei; die Verwendung des Schlachtermessers, das übrigens wegen ständigen Gebrauchs beim Frühstücken die Eigenschaft eines Betriebsgeräts verloren hatte, rechtfertige also nicht den UV-Schutz (BSG 14, 295).

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die beigeladene Innungskrankenkasse beantragt Zurückweisung der Revision. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.

II

Die durch Zulassung nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision der Beklagten ist begründet.

Der Kläger hat den hier streitigen Unfall auf der Betriebsstätte während einer Arbeitspause erlitten, als er gerade dabei war, das zu seiner Entlohnung gehörende Frühstück zu verzehren. Ein solcher Sachverhalt ist, wie das LSG nicht verkannt hat, an sich nicht geeignet, den UV-Schutz zu begründen. Die Nahrungsaufnahme hängt im allgemeinen nicht rechtlich wesentlich mit der versicherten Beschäftigung zusammen, sondern ist der privaten Sphäre des Beschäftigten zuzurechnen. Wird aus betrieblichen Gründen während der Arbeitszeit die Einnahme einer Mahlzeit unumgänglich, so können allerdings die hierbei zurückzulegenden Wege dem UV-Schutz unterliegen (vgl. SozR Nr. 52 zu § 542 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF, Nr. 26 zu § 543 RVO aF), jedoch gilt dieser nicht ohne weiteres auch für Unfälle, die sich unmittelbar beim Essen und Trinken ereignen (vgl. BSG 12, 247, 249; Urteil des erkennenden Senats vom 30. September 1964, BG 1965, 273; siehe auch die Übersicht bei Schimanski WzS 1969, 4, mit weiteren Nachweisen). Ausnahmsweise käme dies nur beim Vorliegen besonderer Begleitumstände in Betracht (vgl. z. B. SozR Nr. 41 zu § 542 RVO aF). Das LSG hat sol he Besonderheiten im vorliegenden Fall als gegeben erachtet; nach Ansicht des erkennenden Senats trifft das aber nicht zu.

Besondere Umstände, die den UV-Schutz rechtfertigen, erblickt das LSG darin, daß für den Kläger auch während der Frühstückspause eine Arbeitsbereitschaft bestanden habe, da er in dem handwerklichen Kleinbetrieb als einziger Geselle beschäftigt und daher verpflichtet gewesen sei, im Bedarfsfall auch während der Essenspausen Fleischwaren aus dem Kühlraum zu holen. Diese Betriebsverhältnisse könnten allerdings für den UV-Schutz bedeutsam sein, wenn sie sich auf den Unfallhergang unmittelbar auswirkten, wenn also etwa der Kläger vom Frühstückstisch abgerufen worden wäre und hierbei sich - in der Eile oder sonstwie durch betriebliche Vorgänge abgelenkt - am Frühstücksbesteck verletzt hätte. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen aber nicht erkennen, daß ein derartig betriebsbezogener Umstand zum Zustandekommen des Unfalls beigetragen haben könnte; vielmehr muß hiernach angenommen werden, daß im Unfallzeitpunkt der Kläger sich zwar - theoretisch - in Arbeitsbereitschaft befunden hat, ohne daß indessen hierdurch die Einnahme des Frühstücks am Morgen des 26. Mai 1964 praktisch irgendwie beeinträchtigt worden wäre. Die Arbeitsbereitschaft des Klägers wirkte sich also nur dahingehend aus, daß er sein Frühstück nicht an einem von ihm frei gewählten Ort verzehren konnte, sondern sich während dieser Zeit in einem Betriebsraum aufhalten mußte. Der Unfall wurde auch nicht durch irgendwelche Gefahrenmomente herbeigeführt, die von dieser Örtlichkeit ausgingen. Unter diesen Umständen kann aus der Tatsache der Arbeitsbereitschaft ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang des Unfalls mit der versicherten Tätigkeit nicht abgeleitet werden.

Dieser Zusammenhang ergibt sich auch nicht daraus, daß das vom Arbeitgeber gelieferte Frühstück ein Teil der dem Kläger zustehenden Naturalvergütung war. Insoweit könnte es versicherungsrechtlich allenfalls bedeutsam sein, wenn ein Beschäftigter durch die von seinem Arbeitgeber gelieferte Verpflegung z. B. deshalb eine Gesundheitsstörung erleidet, weil es sich um verdorbene Lebensmittel handelt. Davon ist aber im vorliegenden Fall keine Rede.

Schließlich kommt auch dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, daß der Kläger sich die Schnittverletzung bei der Handhabung des Schlachtermessers, also seines Arbeitsgeräts, zugezogen hat. Die Benutzung dieses Messers zum Aufschneiden des Frühstücksbrötchens entfremdete das Gerät seinen betrieblichen Zwecken; denn nach den im Berufungsverfahren nicht angezweifelten Feststellungen des SG war dem Kläger zum Frühstück ein Gedeck mit einem normalen Tafelmesser hingelegt worden; wenn der Kläger zum Brötchenschneiden stattdessen das Schlachtermesser nahm, so rechtfertigt dieser persönliche Entschluß nicht die Annahme eines Arbeitsunfalls.

Auf die hiernach begründete Revision der Beklagten muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das zutreffende Urteil des SG zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324409

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