Leitsatz (amtlich)

1. Der Verbindung mehrerer bei demselben Gericht anhängiger Rechtsstreitigkeiten steht nicht entgegen, daß sie - entsprechend der Geschäftsverteilung des Gerichts - vor verschiedenen Senaten (Kammern) gleicher funktioneller Zuständigkeit schweben.

2. Der Träger der Rentenversicherung kann gegen Leistungsansprüche nicht mit Beitragsforderungen des Trägers der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung aufrechnen (Anschluß an BSG 1961-08-25 1 RA 233/59 = BSGE 15, 36; BSG 1962-11-23 1 RA 26/60 = SozR Nr 2 zu § 1299 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1299 Fassung: 1957-02-23; SGG § 113 Fassung: 1958-08-23

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 18. Januar 1961 wird aufgehoben.

Die Streitsachen werden zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger R ist gelernter Tischler, der Kläger T gelernter Maurer. Beide waren zu Beginn ihres Berufslebens versicherungspflichtig beschäftigt, danach jahrelang selbständig, R von 1945 bis 1952, T von 1931 bis 1954. Aus diesen Zeiten schulden die Kläger, die damals Arbeitnehmer beschäftigten, Beiträge zur Krankenversicherung (KrV), Rentenversicherung (RentV) und Arbeitslosenversicherung (ArblV), R insgesamt 6.461,42 DM, T 5.229,39 DM. Versuche der beigeladenen Einzugsstelle, die Forderungen zwangsweise beizutreiben, hatten keinen Erfolg.

Seit 1957 gewährt die Beklagte beiden Klägern Rentenleistungen, dem Kläger R Rente wegen Berufsunfähigkeit, dem Kläger T Altersruhegeld nach Vollendung des 65. Lebensjahres. Die Leistungen betrugen am 1. Januar 1959 monatlich 107,- bzw. 105,50 DM.

Im Frühjahr 1959 bat die Beigeladene die Beklagte, die Beitragsschulden der Kläger auf Grund des § 1299 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gegen die Rentenansprüche aufzurechnen. Dementsprechend kürzte die Beklagte durch Bescheide vom 13. März und 6. Mai 1959 die Rentenleistungen der Kläger um je 10 DM monatlich bis zur Tilgung der Beitragsschulden.

Die hiergegen gerichteten Aufhebungsklagen hatten im ersten Rechtszug Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Bremen hat in seinem Urteil vom 2. Dezember 1959 ausgeführt: Soweit in § 1299 RVO die Aufrechnung von "geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen" gestattet sei, seien hiermit nur solche Beiträge gemeint, die der Träger der RentV selbst zu beanspruchen habe, nicht dagegen Beiträge zur KrV und erst recht nicht Beiträge zur ArblV. Dies ergebe sich aus dem - dem Rechtsinstitut der Aufrechnung innewohnenden - Erfordernis der Gegenseitigkeit der Forderungen (§ 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Dementsprechend habe das Reichsversicherungsamt in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß auch auf dem Gebiet der Sozialversicherung die für eine Aufrechnung in Betracht gezogenen Forderungen zwischen denselben Rechtsträgern bestehen müßten. Die Änderung im Wortlaut des § 1299 RVO nF gegenüber § 1309 RVO aF (Aufrechnung auf "geschuldete Beiträge") habe keine sachliche Bedeutung. Da die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Forderungen nicht nur Beiträge zur ArV ... enthielten, sei die Aufrechnung unzulässig. Daß sie auch solche Beiträge enthielten, ändere hieran nichts; denn die Beklagte habe nicht erklärt, daß sie hilfsweise nur mit ihrer eigenen Forderung aufrechne.

Auf die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen hin hat das Landessozialgericht (LSG) Bremen durch Urteil vom 18. Januar 1961 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Das Urteil ist im wesentlichen wie folgt begründet:

Dem SG sei zuzugestehen, daß man unter den aufrechenbaren "geschuldeten Beiträgen" des alten Rechts (§ 1309 RVO aF) nur Beitragsforderungen des Trägers der RentV selbst verstanden habe. Dem habe auch noch § 1297 des Grundentwurfs zur Rentenversicherungsneuregelung entsprochen. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sei jedoch das Wort "Beiträge" in "Sozialversicherungsbeiträge" geändert worden. Ein Arbeitsexemplar des Grundentwurfs trage neben der Änderung den Randvermerk: "geänd. Bespr. auch KK-Beiträge" (Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung). Dies beweise, daß man - was sich im übrigen auch aus dem Wortlaut ergebe - die Träger der RentV zur Aufrechnung auch mit anderen als nur ihren eigenen Beitragsforderungen habe ermächtigen wollen. Hierfür spreche auch die Entwicklung, die seit der Zweiten Lohnabzugsverordnung dazu geführt habe, daß die Träger der KrV die Beiträge zur KrV, RentV und ArblV in der Regel zusammengefaßt einzögen und für die Eintreibung rückständiger Beiträge verantwortlich gemacht würden. Zum anderen stehe hinter den beteiligten Trägern dieser Versicherungszweige im wesentlichen der gleiche Personenkreis, der in erster Linie mit seinen Beiträgen solidarisch einstehen müsse, wenn und soweit zB ein Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht erfülle. Der Einwand, daß dieser Auslegung des § 1299 RVO das Erfordernis der Gegenseitigkeit von Forderung und Gegenforderung entgegenstehe, sei nicht berechtigt. Er lasse außer Betracht, daß der Gesetzgeber überall dort, wo er allgemein den Rentenversicherungsträger zur Aufrechnung mit Forderungen anderer Versicherungsträger berechtige, für den Einzelfall noch voraussetze, daß der andere Versicherungsträger als Forderungsinhaber oder die dazu befugte Krankenkasse als Einzugsstelle den Träger der RentV hinsichtlich der konkreten Forderung auch zur Aufrechnung ermächtigt habe. Eine solche Ermächtigung liege regelmäßig in dem Ersuchen des anderen Versicherungsträgers oder der Einzugsstelle an den Versicherungsträger, eine konkret bezeichnete Forderung des anderen Versicherungsträgers durch Aufrechnung zu dessen Gunsten einzuziehen. In dem Aufrechnungsersuchen sei eine - im bürgerlichen Recht anerkannte und gebräuchliche - "Inkassoabtretung" zu sehen, jedenfalls aber eine "Inkassoermächtigung"; auch in diesem letzten Falle komme man zu dem gleichen Ergebnis, denn dann hätte der Gesetzgeber durch die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften den Begriff der Aufrechnung soweit modifiziert, daß an Stelle der Gegenseitigkeit der aufzurechnenden Forderungen auf Seiten des Rentenversicherungsträgers die Inkassoermächtigung durch den Verfügungsbefugten genügen würde. - Die dargelegte Auffassung entspreche auch einer Entwicklung, die der Gesetzgeber noch nach dem Erlaß des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes durch § 31 Ziff. 1 Buchst. b des Gesetzes über die Tuberkulosenhilfe (THG) vom 23. Juli 1959 - BGBl I 518 - fortgesetzt habe (Erweiterung des § 1299 RVO: Aufrechenbarkeit von "Beiträgen, die der Träger der Rentenversicherung einer anderen zur Bekämpfung der Tuberkulose verpflichteten Stelle ... zu erstatten hat"). - Da die Beklagte somit zur Aufrechnung befugt gewesen sei, seien ihre Bescheide vom 13. März und 6. Mai 1959 rechtmäßig. Die Rentenansprüche der Kläger unterlägen der Beklagten gegenüber im Rahmen des § 1299 RVO keinem Pfändungsschutz. Auch aus der Tatsache, daß die Kläger zu ihrer Rente ohnedies schon - zur Sicherung ihres Existenzminimums - die Hilfe der Fürsorge in Anspruch nehmen müßten, lasse sich ein begründeter Einwand gegen die erklärte Aufrechnung nicht herleiten.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Kläger haben Revision eingelegt. Zur Begründung ihrer Rechtsmittel verweisen sie in erster Linie auf das nach ihrer Meinung für die Aufrechnung unumgängliche Erfordernis der Gegenseitigkeit der Forderungen und vertreten die Auffassung, die fehlende Gegenseitigkeit könne nicht im Wege der Abtretung hergestellt werden. Die Entstehungsgeschichte des § 1299 RVO nF spreche eher gegen als für die Rechtsauffassung des LSG. In den Erläuterungen zu § 1302 des Regierungsentwurfs (§ 1299 des Gesetzes) sei darauf hingewiesen, daß §§ 1302 bis 1304 des Entwurfs "dem geltenden Recht entsprechen" (BT-Drucks. Nr. 2437 vom 5. Juni 1956 S. 23 und 80); demgegenüber seien die vom LSG angeführten Bleistiftnotizen eines Angehörigen des Generalsekretariats für die Neuordnung der Sozialleistungen auf einem Arbeitsexemplar des Grundentwurfs zu § 1297 ohne Bedeutung.

Die Kläger beantragen übereinstimmend,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Bremen vom 18. Januar 1961 die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des SG Bremen vom 2. Dezember 1959 zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revisionen der Kläger zurückzuweisen.

Die Beklagte setzt sich eingehend mit dem Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. August 1961 (BSG 15, 36) auseinander, in welchem der Begriff "geschuldete Sozialversicherungsbeiträge" in dem § 1299 RVO entsprechenden § 78 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in gleicher Weise einengend ausgelegt wird wie in der Entscheidung des SG Bremen. Die Beklagte führt aus: Das Urteil des 1. Senats werde weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Gesetzes gerecht. Bei der vorbehaltlosen Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Aufrechnungsvorschriften werde verkannt, daß § 1299 RVO keine echte Aufrechnungsvorschrift, sondern eine bloße "Verrechnungsvorschrift" sei. Diesen Charakter der Vorschrift habe der 1. Senat für die durch das THG in den § 1299 RVO eingefügte Bestimmung über die Erstattung gewisser Beträge an andere Tuberkulosebekämpfungsstellen anerkannt, er habe aber übersehen, daß auch die "Aufrechnung gezahlter Vorschüsse" keine Aufrechnung, sondern eine Verrechnung sei. Dementsprechend dürfe auch die Verrechnung von Leistungsansprüchen mit "geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen" nicht nach den Grundsätzen der Aufrechnung beurteilt werden. - Der 1. Senat verkenne auch die Bedeutung des Wortes "Sozialversicherungsbeiträge". Unter Berücksichtigung der Regelung über den gemeinsamen Einzug der Beiträge im Lohnabzugsverfahren durch die Krankenkassen könnten hierunter nur die Beiträge zur KrV, ArblV und RentV fallen, also Beiträge, die grundsätzlich vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam aufgebracht werden. Mit der gesetzlichen Neuregelung sei die längst fällige Anpassung der "Verrechnungsvorschrift" des 4. Buches der RVO an die Eigentümlichkeiten der Beitragsabführung nach dem wirklichen Arbeitsverdienst durch den Arbeitgeber und der von den Krankenkassen vorzunehmenden Beitragsaufteilung auf die beteiligten Sozialversicherungsträger nach einem bestimmten Schlüsselsystem vollzogen worden. - Die strikte Einhaltung des Gegenseitigkeitsprinzips führe in der Praxis zu äußerst unbilligen Ergebnissen. Sie verhindere nicht nur die Aufrechnungsmöglichkeit von Forderungen aus den verschiedenen Zweigen der RentV, sondern auch von Forderungen verschiedener Landesversicherungsanstalten. - Unrichtig sei schließlich die Auffassung, daß die Gegenseitigkeit nicht durch Übertragung der Beitragsforderung eines anderen Sozialversicherungsträgers auf den Träger der RentV hergestellt werden könne. Das öffentliche Recht gehe grundsätzlich von der Abtretbarkeit der Forderung aus, während Ausnahmen einer besonderen Regelung bedürften (vgl. § 119 RVO).

Der Senat hat die durch gesonderte Rechtsmittel der beiden Kläger eröffneten Revisionsverfahren, die schon in den Vorinstanzen verbunden waren, entsprechend den Anregungen aller Beteiligten wieder zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Voraussetzungen, unter denen § 113 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - hier i. V. m. §§ 153, 165 SGG - die Verbindung zuläßt, sind gegeben. Die Klageansprüche auf Aufhebung der Kürzungsbescheide hätten von vornherein in einer Klage geltend gemacht werden können, weil es sich dabei um gleichartige und auf einem im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grunde beruhende Ansprüche handelt (§ 74 SGG i. V. m. § 60 der Zivilprozeßordnung). Der Verbindung stand auch nicht entgegen, daß die beiden Verfahren entsprechend der Geschäftsverteilung des BSG bei verschiedenen Senaten - dem 12. und dem 4. Senat - anhängig waren; entscheidend und ausreichend für die Zulässigkeit der Verbindung ist, daß die Verfahren bei demselben Gericht anhängig sind, dies jedenfalls dann, wenn es sich, wie hier, um Senate gleicher funktioneller Zuständigkeit - im vorliegenden Falle: Rentenversicherung der Arbeiter - handelt. Dadurch, daß einer von mehreren Senaten in einem solchen Falle die Verbindung beschließt, begründet er seine Zuständigkeit für die verbundenen Verfahren unter vom Gesetz zugelassener Durchbrechung der Geschäftsverteilung des Gerichts (vgl. Stein/Jonas/Schönke, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 147 Erl. I, 1; Wieczorek, Zivilprozeßordnung, § 147 Erl. B Ia; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 113 SGG Anm. 2 Abs. 2 und § 56 Anm. 2 b).

Die Revisionen der Kläger sind zulässig und insofern begründet, als die Beklagte nicht befugt war, mit Beitragsforderungen des Trägers der KrV und der ArblV gegen Leistungsansprüche aus der RentV aufzurechnen.

Die hier streitige Rechtsfrage, ob unter "geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen" i. S. des § 1299 RVO nur Beiträge zur RentV oder auch solche zur KrV und ArblV zu verstehen sind, hat den 1. Senat des BSG nicht nur in der bereits erwähnten, zu § 78 AVG ergangenen Entscheidung BSG 15, 36 beschäftigt. Er hat seine Rechtsauffassung, daß nur mit Beitragsforderungen des Trägers der RentV aufgerechnet werden könne, in einem Urteil vom 23. November 1962 (SozR RVO § 1299 Nr. 2) überprüft und daran festgehalten. Darin hat er sich auch mit der Begründung des in der vorliegenden Streitsache ergangenen Urteils des LSG Bremen und mit den kritischen Ausführungen von Franz (WzS 1962, 65) auseinandergesetzt. Der erkennende Senat trägt keine Bedenken, sich der Auffassung des 1. Senats im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung anzuschließen.

Es ist von dem in § 119 Abs. 1 Nr. 4 RVO verankerten Grundsatz auszugehen, daß wegen rückständiger Beiträge die Ansprüche des Berechtigten nur in sehr engen Grenzen gepfändet werden dürfen und deshalb auch nur insoweit die Aufrechnung und Übertragung zulässig sind (§§ 394, 400 BGB). Für die einzelnen. Zweige der Sozialversicherung bestehen indessen besondere Vorschriften, die den erwähnten Grundsatz weitgehend aufheben (§ 223 Abs. 2, §§ 629, 1299 RVO). Gegen Leistungsansprüche aus der RentV dürfen nach § 1299 RVO "geschuldete Sozialversicherungsbeiträge" ohne zeitliche Begrenzung aufgerechnet werden. Daß hierunter aber nicht nur Beiträge zur RentV, sondern auch zur KrV und ArblV fallen sollen, geht trotz der Änderung des § 1309 RVO aF und trotz der Tatsache, daß nur die vorerwähnten Beiträge dem gemeinsamen Einzug durch die Krankenkassen unterliegen, nicht eindeutig aus dem Gesetz hervor; hierauf hat der erste Senat zutreffend hingewiesen. Ihm ist auch darin beizupflichten, daß die Materialien der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze eher gegen als für die Auffassung der Beklagten sprechen; denn nach der amtlichen Begründung zu der Neufassung soll diese dem vor der Änderung geltenden Recht entsprechen, (BT-Drucks. Nr. 2437 S. 23 und 80). Ein weiteres Argument gegen die Rechtsauffassung der Beklagten ergibt sich daraus, daß die Aufrechnung, die auf dem Gebiet der Sozialversicherung keinen anderen Inhalt hat als im bürgerlichen Recht, die Gegenseitigkeit der für die Aufrechnung in Betracht kommenden Forderungen verlangt (so auch der 3. Senat des BSG zu § 223 Abs. 2 RVO im Urteil vom 30. November 1965 - 3 RK 48/61 -). Weil im Verhältnis von Leistungsansprüchen aus der RentV zu Beitragsforderungen der KrV und ArblV gegen einen Berechtigten der RentV jedenfalls ursprünglich keine Gegenseitigkeit besteht, müßte diese - wie auch das LSG nicht verkannt hat - erst hergestellt werden, bevor an eine Aufrechnung gedacht werden kann. Da aber das Gesetz keine ausdrückliche Ermächtigung zur Abtretung enthält, auch nicht erkennen läßt, wie die Gegenseitigkeit der in Betracht kommenden Forderungen auf andere Weise erreicht werden kann, und ferner das Gewicht der vom 1. Senat angeführten Bedenken gegen die Abtretbarkeit der Beitragsforderungen ohne Ermächtigung nicht zu übersehen ist, bietet das Gesetz keine hinreichende Stütze für die Annahme, daß der Träger der RentV auf Grund des § 1299 RVO auch mit anderen als eigenen Beitragsforderungen gegen Leistungsansprüche aufrechnen könne.

Bedenken gegen die vom erkennenden Senat gutgeheißene Rechtsprechung ergeben sich auch nicht aus der praktischen Handhabung des Beitragseinzugs. In einer Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Seekasse, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften und der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 13./14. Dezember 1961 sind die Besprechungsteilnehmer nach Erörterung des Urteils in BSG 15, 36 zu dem Ergebnis gelangt, daß "die Krankenkassen künftig dem Rentenversicherungsträger nur den auf ihn entfallenden Teil der Beitragsrückstände zum Zwecke der Aufrechnung angeben. Die Ermittlung des auf den einzelnen Rentenversicherungszweig entfallenden Teils der Beitragsrückstände wird im Regelfalle auf Grund der Schlüsselzahl des letzten Soll-Monats vorzunehmen sein" (WzS 1963, 339).

Hiernach hätte die Beklagte nicht mit Beitragsforderungen des Trägers der KrV und des Trägers der ArblV gegen Leistungsansprüche der Kläger aufrechnen dürfen; insoweit sind die angefochtenen Kürzungsbescheide vom 13. März und 6. Mai 1959 rechtswidrig. Gerechtfertigt sind die Kürzungen dagegen wegen der eigenen Beitragsforderungen der Beklagten. Insoweit entfällt die Gegenseitigkeit der Forderungen nicht deswegen, weil nach § 1399 RVO der Träger der KrV auch zum Einzug der Beiträge zur RentV ermächtigt ist; trotz dieser Einzugsermächtigung bleibt der Träger der RentV Gläubiger jener Beitragsforderungen (BSG SozR RVO § 1299 Nr. 4; Verbandskommentar, § 1399 RVO, Erl. 5; Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, § 1399 Erl. I).

Inwieweit die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Beitragsforderungen aus ihrem eigenen Bereich hervorgegangen sind und inwieweit es sich um - zur Aufrechnung nicht geeignete - Beiträge zur KrV und ArblV handelt, wird im Rahmen der Amtsermittlungspflicht in der Tatsacheninstanz zu klären sein. Daß eine Aufteilung überhaupt möglich ist, darf dem bereits erwähnten Besprechungsergebnis der Spitzenverbände vom 13./14. Dezember 1961 entnommen werden. Der Senat hat deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Streitsachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380202

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