Leitsatz (amtlich)

Die Errichtung einer gemeinsamen ("neutralen") Widerspruchsstelle für mehrere Versicherungsträger ist gesetzwidrig.

Gleichwohl darf eine gegen den Bescheid einer gemeinsamen Widerspruchsstelle erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage nicht wegen fehlenden Vorverfahrens als unzulässig abgewiesen werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Einhaltung des in den SGG §§ 78 ff vorgeschriebenen Vorverfahren ist im allgemeinen eine unabdingbare Prozeßvoraussetzung, auf deren Einhaltung die Beteiligten nicht verzichten können (vergleiche BSG 1956-09-20 5 RKn 51/55 = BSGE 3, 393; 1957-01-23 6 RKa 11/55 = BSGE 4, 246; 1958-07-17 5 RKn 39/57 = BSGE 8, 3 ; 1961-11-30 4 RJ 183/59 = BSGE 16, 21 ; 1962-03-15 4 RJ 221/60 = BSGE 16, 250 ; 1963-05-29 2 RU 211/61 = BSGE 19, 164;)eine Klage ohne Vorverfahren ist jedoch dann zulässig, wenn mangels Bestimmung einer Widerspruchsstelle die Durchführung des Vorverfahrens in angemessener Frist nicht erwartet werden kann (vergleiche BSGE 1958-07-15 6 RKa 32/56 = BSGE 7, 292).

 

Orientierungssatz

Ein Verwaltungsakt, der nicht nichtig ist, darf nicht allein deswegen aufgehoben werden, weil er unter Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften oder von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn er nur sonst richtig ist.

 

Normenkette

SGG § 85 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 78 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Duisburg vom 6. September 1960 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. März 1962 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Kläger, der Ende März und Anfang April 1958 jeweils kurzfristig bei dem R. Mineralbrunnen, Umschlagstelle Duisburg, gearbeitet hatte, war vom 12. April bis 9. Mai 1958 krank und arbeitsunfähig. Die Betriebskrankenkasse (BKK) dieser Firma verweigerte ihm mit Bescheid vom 27. Mai 1958 die satzungsmäßigen Kassenleistungen mit der Begründung, er gehöre zu den unständig Beschäftigten im Sinne von § 441 der Reichsversicherungsordnung (RVO), so daß er nicht ihr Mitglied sein könne, sondern sich an die zuständige Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) wenden müsse.

Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde von der Widerspruchsstelle der Arbeitsgemeinschaft der Betriebskrankenkassen im Bezirk Koblenz-Trier-Montabaur in Betriebskrankenkasse der Firma Stahl- und Walzwerke Rasselstein/Andernach Aktiengesellschaft Neuwied" durch Entscheidung vom 23. Januar 1959 zurückgewiesen. Dabei handelte es sich um eine gemeinsame Widerspruchsstelle für mehrere BKKn, die über eingelegte Widersprüche jeweils in der Form entschied, daß die betroffene BKK nicht mitwirkt. Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben mit der Begründung, er sei zu Unrecht als unständig Beschäftigter angesehen worden und durch seine Beschäftigung beim R. Mineralbrunnen Mitglied der beklagten BKK geworden, so daß diese für die Gewährung von Versicherungsleistungen zuständig sei. Er hat demgemäß vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. Mai 1958, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 1959, zu verurteilen, ihm vom 12. April bis 9. Mai 1958 Kassenleistungen zu gewähren.

Die Beklagte, die um Klageabweisung gebeten hat, hat dazu ausgeführt, der R. Mineralbrunnen beschäftige für die Be- und Entladung seiner Schiffe Arbeitnehmer stets nur kurzfristig. Es handele sich dabei um vom sogenannten Schnelldienst des Arbeitsamtes vermittelte Personen, die laufend gleichartige Beschäftigungen unter einer Woche ausübten und sich nach § 442 RVO bei der AOK Duisburg versichern müßten.

Diese hat ihrer Leistungspflicht widersprochen, weil nach ihrer Meinung der Kläger im Hinblick auf die Dauer seiner Arbeitsverhältnisse nicht zu den unständig Beschäftigten zu rechnen sei.

Das SG hat den Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 1959 aufgehoben. Es hält ihn schon deswegen für rechtswidrig, weil er von einer gemeinsamen Widerspruchsstelle erlassen worden ist. Das sei nach dem Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zulässig. Damit sei über den vom Kläger eingelegten Widerspruch überhaupt noch nicht entschieden, was nunmehr durch eine den Vorschriften des Gesetzes entsprechende Widerspruchsstelle geschehen müsse.

Mit ihrer Berufung wendete sich die Beklagte gegen diese Auffassung. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat jedoch die Berufung zurückgewiesen. Es hält das Rechtsmittel für statthaft. Der Ausschließungsgrund des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG stehe ihm nicht entgegen. Danach sei zwar die Berufung nicht zulässig bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen. Auch bleibe der Anspruch des Klägers, der einen Zeitraum von rund vier Wochen umfasse, unter dieser Grenze. Das Rechtsmittel sei jedoch gleichwohl zulässig, weil sich das angefochtene Urteil des SG nicht mit dem erhobenen Anspruch auf Gewährung von Barleistungen, sondern mit der prozessualen Frage befasse, ob das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren durchgeführt worden sei. Bei Ansprüchen unter 13 Wochen sei die Berufung nur dann ausgeschlossen, wenn das SG den materiellen Anspruch geprüft habe. Nur bei einer solchen Auslegung sei dem in § 144 SGG zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers Genüge getan, daß für die dort genannten Ansprüche eine gerichtliche Instanz ausreichen solle. In der Sache hat sich das LSG der Auffassung des SG angeschlossen, wonach eine gemeinsame Widerspruchsstelle für mehrere Krankenkassen unzulässig sei. Es fehle daher immer noch an der Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Vorverfahrens, so daß es bei dem Urteil des SG verbleiben müsse.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,

unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Essen vom 27. März 1962 und des Sozialgerichts Duisburg vom 6. September 1960 die Klage als unbegründet abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, daß entgegen der Ansicht der Vorinstanzen die Errichtung einer gemeinsamen Widerspruchsstelle für mehrere BKKn nach dem SGG nicht verboten sei.

Der Kläger beantragt, da seiner Ansicht nach das angefochtene Urteil richtig ist,

die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise bittet er ebenfalls um Zurückverweisung.

Die beigeladene AOK hat sich diesen Anträgen angeschlossen.

II

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision mußte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz führen.

Von Amts wegen ist zunächst zu prüfen, ob das LSG zu Recht die Berufung, die an sich durch § 144 Abs. 1 SGG ausgeschlossen war, für zulässig gehalten hat. Das Berufungsgericht führt hierzu aus, der Ausschließungsgrund des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG könne und dürfe nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nur dann durchgreifen, wenn das SG den erhobenen Anspruch sachlich geprüft habe, nicht aber, wenn es sich lediglich mit prozessualen Vorfragen befaßt habe. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, sie findet im Gesetz keine Stütze, sie ist überdies für einen hinreichenden Rechtsschutz entbehrlich. Wenn ein SG, wie es hier geschehen ist, eine Klage aus prozessualen Gründen als unzulässig abweist, so liegt darin in aller Regel, sofern die Auffassung des SG unrichtig ist, ein wesentlicher Mangel des Verfahrens. Die Berufungsfähigkeit kann also in einem solchen Fall jederzeit dadurch hergestellt werden, daß eine entsprechende Rüge gemäß § 150 Nr. 2 SGG erhoben wird. Es besteht somit kein Anlaß für die vom LSG vorgenommene einschränkende Auslegung des § 144 SGG.

Gleichwohl hat das LSG im Ergebnis zu Recht die Berufung für zulässig gehalten. Im Berufungsverfahren war bereits von der Beklagten als wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG gerügt worden, daß das SG aus unzutreffenden verfahrensrechtlichen Gründen nicht über den Sachantrag entschieden habe. Gegen die Zulässigkeit dieser Rüge unter dem Gesichtspunkt der Beschwer bestehen keine Bedenken, und die Berufung der Beklagten ist auch nicht etwa deshalb unzulässig, weil sie in der ersten Instanz ein "obsiegendes" Urteil erstritten hatte. Jede Prozeßabweisung belastet nicht nur den Kläger, sondern auch den Beklagten. Denn dieser hat, wenn er sich gegen den erhobenen Anspruch aus sachlich-rechtlichen Gründen wehrt, grundsätzlich Anspruch auf Abweisung der Klage durch Sachurteil und nicht nur durch Prozeßurteil, da nur jenes eine Wiederholung des Verfahrens ausschließt. Die erhobene Rüge ist auch begründet.

Allerdings folgt ihre Berechtigung entgegen der Ansicht der beklagten BKK nicht schon daraus, daß das SG die Entscheidung über den erhobenen Widerspruch durch eine gemeinsame Widerspruchsstelle nicht hätte beanstanden dürfen. Insoweit ist vielmehr der Auffassung des SG (Breithaupt 1961, 605) und des LSG (Die KrV in Rechtsprechung und Schrifttum Bd. III zu 5650/5; s. auch Breithaupt 1956, 1094) über die Unzulässigkeit einer für mehrere KKn gebildeten gemeinsamen Widerspruchsstelle zu folgen; die Vorinstanzen haben sich mit Recht nicht der entgegenstehenden Rechtsprechung des LSG Bremen (Breithaupt 1958, 213; s. auch Rohwer-Kahlmann, BKK 1961, 345) angeschlossen, da sich aus der Entstehungsgeschichte des SGG und dem Sinn und Zweck des Vorverfahrens ergibt, daß eine gemeinsame Widerspruchstelle jedenfalls in der hier vorliegenden, vom SG im einzelnen geschilderten Form nicht zulässig sein sollte. So heißt es z. B. in der amtlichen Begründung zum Entwurf einer Sozialgerichtsordnung (BT-Drucks. I 4357 S. 22), eine Inanspruchnahme der Gerichte sei erst dann zuzulassen, wenn eine ausreichende Überprüfung durch die Verwaltung erfolgt sei; diese Überlegungen führten zur Einschaltung eines Vorverfahrens, das an das Beispiel der Geschäftsausschüsse in der knappschaftlichen Versicherung anknüpfe; die Einschaltung einer "neutralen" Stelle würde den Instanzenzug verlängern, und die Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde einen unzulässigen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht bedeuten; nur das Vorverfahren in der vorgeschriebenen Form ermögliche zudem eine Kontrolle der Verwaltung durch die Selbstverwaltung. Auf S. 26 aaO ist weiter ausgeführt, die nochmalige Überprüfung der Verwaltungsakte im Vorverfahren gebe den Selbstverwaltungsorganen die Möglichkeit, einen Überblick über die laufende Verwaltung zu erhalten; für den Rechtsuchenden ergäben sich unmittelbare Vorteile, da bei Ermessensansprüchen von den Gerichten nur Rechtsrügen beachtet würden, während die im Vorverfahren zur Nachprüfung berufenen Stellen bei ihrer Entscheidung das Ermessen der Stelle, die den Bescheid (Verwaltungsakt) erlassen hat, ersetzen (berechtigen) könnten. Schließlich ist dort zu dem jetzigen § 82 SGG, wonach in den Fällen der §§ 1107 bis 1109 RVO das Verfahren vor dem Seemannsamt als Vorverfahren "gilt", ausgeführt: Da dem Seemannsamt künftig ebensowenig wie dem Versicherungsamt rechtsprechende Tätigkeit zukomme, könne eine Entscheidung des Seemannsamtes nur als Vorbescheid gewertet werden; die Notwendigkeit, in diesen Fällen, abweichend vom Grundsatz, eine Stelle außerhalb des Versicherungsträgers für zuständig zu erklären, ergebe sich aus der Eigenart der Verhältnisse.

Aus diesen Ausführungen und dem danach erstrebten Sinn und Zweck des Vorverfahrens, das überdies in den dafür in Betracht kommenden Fällen - anders als im gerichtlichen Verfahren - auch die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen auf ihre Zweckmäßigkeit hin ermöglichen soll, haben die Vorinstanzen zutreffend gefolgert, daß die Widerspruchsstelle eine Stelle des Versicherungsträgers sein muß und daß somit die nach § 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG von der Vertreterversammlung zu bestimmende Stelle nicht, wie es hier geschehen ist, eine außerhalb der beklagten BKK stehende "neutrale" Einrichtung sein kann. Das Vorverfahren soll gerade nicht Rechtsmittelinstanz sein, es soll nicht bereits Teil des in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) garantierten Rechtsweges sein. Vielmehr soll das Vorverfahren, wie sich u. a. auch aus § 78 GG eindeutig ergibt, Verwaltung sein und bleiben. Vor allem soll die Verwaltung davor geschützt werden, voreilig verklagt zu werden, bevor sie nicht noch einmal ihren Verwaltungsakt selbst hat überprüfen können, was zugleich auch auf eine Entlastung der Gerichte hinausläuft. Somit erübrigt sich sowohl jede "Objektivierung" des Vorverfahrens als auch eine besondere Gewährleistung der "Unabhängigkeit" der Widerspruchsstelle oder ihres "sachlichen" oder "persönlichen" Abstandes zu dem angefochtenen Verwaltungsakt. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen die auf andere Erwägungen zurückgehende gemeinsame Widerspruchsstelle der Arbeitsgemeinschaft der Betriebskrankenkassen im Bezirk Koblenz-Trier-Montabaur als gesetzlich nicht statthaft beanstandet, so daß insoweit den angefochtenen Urteilen zuzustimmen ist (ebenso u. a. Peters/Sautter/Wolff, § 85 SGG, Anm. 3 d bb S. 305; Brackmann, Handbuch der Soz. Vers., Bd. I S. 234 b IV).

Gleichwohl war das sozialgerichtliche Verfahren fehlerhaft, weil das mangelhafte Widerspruchsverfahren es nicht rechtfertigte, dem Kläger deswegen die begehrte richterliche Sachprüfung zu verwehren und die Klage, wie insbesondere die Gründe des sozialgerichtlichen Urteils eindeutig ergeben, durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen. Zwar ist die Einhaltung des in den §§ 78 ff SGG vorgeschriebenen Vorverfahrens im allgemeinen eine unabdingbare Prozeßvoraussetzung, auf deren Einhaltung die Beteiligten nicht verzichten können (BSG 3, 293; 4, 246; 8, 3; 16, 21 und 250; 19, 164, 167), und eines solchen bedurfte es hier nach § 80 Nr. 1 SGG. Wie der Senat jedoch bereits entschieden hat (BSG 7, 292), ist eine Klage ohne Vorverfahren jedenfalls dann zulässig, wenn mangels Bestimmung einer Widerspruchsstelle die Durchführung des Vorverfahrens in angemessener Frist nicht erwartet werden kann. Aus der unrechtmäßigen Unterlassung der Einsetzung einer Widerspruchsstelle darf einem Beteiligten, der durch einen Verwaltungsakt beschwert ist, kein Rechtsnachteil erwachsen. Das hat dann aber erst recht zu gelten, wenn für den beklagten Versicherungsträger eine Widerspruchsstelle eingerichtet ist und diese auch über den geltend gemachten Anspruch entschieden hat, aber zweifelhaft ist, ob dies in zulässiger Art und Weise geschehen ist. Sobald ein äußerlich sich als Widerspruchsbescheid darstellender Bescheid ergangen ist, muß der Betroffene befugt sein, dagegen Klage zu erheben und seine Rechtsansprüche vor den Gerichten weiter zu verfolgen, ohne daß ihm vom SG entgegengehalten werden könnte, es fehle noch an dem gesetzlich vorgeschriebenen Vorverfahren, weil entweder die Stelle, die entschieden hat, nicht zuständig oder aber das von ihr angewendete Verfahren sonst fehlerhaft sei. Eine solche Auffassung würde dazu führen, daß dem Kläger wegen eines Fehlers der Verwaltung im Ergebnis der Rechtsschutz verweigert wird, auf den er nach Art. 19 Abs. 4 GG Anspruch hat. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, daß der einen Teil des Verwaltungsverfahrens bildende Widerspruchsbescheid, wie sich u. a. aus § 85 Abs. 3 SGG ergibt, Verwaltungsakt ist und bleibt (vgl. Ule, Rechtsschutz im Sozialrecht S. 253; Peters/Sautter/Wolff § 86 SGG Note 6), gegen den das SGG dem Beschwerten den Klageweg eröffnet (s. auch § 77 SGG). Solange der Widerspruchsbescheid nicht an einem so wesentlichen und eindeutig erkennbaren Mangel leidet, daß er als nicht vorhanden angesehen werden darf, kann dem Anfechtungskläger, der eine Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG erhebt, nicht entgegengehalten werden, es fehle noch an dem erforderlichen Widerspruchsbescheid bzw., genauer gesagt, an der erforderlichen Nachprüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes in dem gesetzlich vorgeschriebenen Vorverfahren (§ 78 SGG). Überdies würde, selbst wenn der Widerspruchsbescheid einer gemeinsamen Widerspruchsstelle nichtig wäre, das damit anzunehmende Fehlen eines Widerspruchsbescheides - wie sich aus der oben angeführten Entscheidung des Senats BSG 7,292 es gibt - in aller Regel eine Klage auch nicht als unzulässig erscheinen lassen. Da jedoch der Widerspruchsbescheid einer gemeinsamen Widerspruchsstelle ohnehin nicht nichtig, sondern als lediglich fehlerhafter Verwaltungsakt anzusehen ist, so gilt auch hier der Grundgedanke des § 36 des Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1963 (Verlag Grote, 1964). Danach darf grundsätzlich ein Verwaltungsakt, der nicht nichtig ist, nicht allein deswegen aufgehoben werden, weil er unter Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften oder von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zustandegekommen ist, wenn er nur sonst richtig ist. Hieraus ergibt sich zugleich, daß die Gerichte sich in solchen Fällen nicht darauf beschränken dürfen, allein die formelle Seite des angefochtenen Verwaltungsaktes nachzuprüfen. Darüber hinaus würde die Auffassung des SG im Ergebnis zu einer Zurückverweisung der Sache an die Verwaltung führen, die - entgegen § 1715 RVO aF - nach dem SGG nicht zulässig ist (BSG 2, 94).

Aus den genannten Gründen durfte das LSG nicht die Prozeßabweisung durch das SG bestätigen. Es hätte vielmehr entweder die Sache nach § 159 SGG an das SG zurückverweisen oder in der Sache selbst entscheiden müssen. Somit muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden, da - wiederum entgegen § 1715 RVO aF - das Bundessozialgericht nicht an das SG zurückverweisen kann. Eine Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich, da sich die Vorinstanzen sachlich mit dem Klageanspruch noch nicht befaßt haben und es demzufolge an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen für eine abschließende Entscheidung fehlt.

Im übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 134

NJW 1966, 1142

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