Leitsatz (amtlich)

1. Wird auf einen ablehnenden Bescheid, der eine Leistung betrifft, auf welche ihrer Art nach ein Rechtsanspruch besteht, Klage auf Aufhebung diese Bescheids und Verurteilung zum Erlaß eines anderen Bescheids mit einem für den Kläger günstigeren Inhalt erhoben, so ist diese jedenfalls dann unzulässig, wenn ein Vorverfahren nicht stattgefunden hat.

2. Der Begriff "Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten Verwaltungsaktes" hat in SGG § 54 Abs 1 und SGG § 79 Nr 2 dieselbe Bedeutung.

3. Die Beteiligten können nicht wirksam auf ein gesetzlich vorgeschriebenes Vorverfahren verzichten.

4. Das Fehlen eines gesetzlich vorgeschriebenen Vorverfahren ist von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten. Fehlt das Vorverfahren, so ist die Klage unzulässig.

 

Normenkette

SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 79 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts in Celle vom 19. September 1957 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der am 13. April 1899 geborene Kläger besitzt die norwegische Staatsangehörigkeit. Von Beruf ist er Dipl. Bergingenieur. Vom 1. August 1927 ab war er als Assistent in der grubentechnischen Abteilung der Hauptverwaltung der Wintershall AG. in Kassel mit Sonderaufgaben zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Grubenbetriebe betraut. Am 1. Mai 1930 wurde er vorübergehend dem dieser Gesellschaft gehörigen Salzbergwerk Kaiseroda II/III in Merkers (im Gebiet der jetzigen sowjetisch besetzten Zone belegen) zwecks weiterer Ausbildung für die Dauer eines Jahres zur Verrichtung von Steigerdiensten zugewiesen. Nach dieser Zeit sollte er in die Hauptverwaltung nach Kassel zurückkehren. Das Gehalt wurde während der Abordnung weiterhin von der Hauptverwaltung gezahlt; auch behielt der Kläger seine Wohnung in Kassel bei. Während dieser Tätigkeit erlitt er am 23. Januar 1931 einen Arbeitsunfall, wegen dessen Folgen die Beklagte (frühere Sektion IV in Halle/Saale) ihm durch Bescheid vom 12. Februar 1934 ab 1. März 1934 eine Dauerrente in Höhe von 45 v.H. der Vollrente gewährte. Anfang 1931 wurde er wieder in die Hauptverwaltung der Wintershall AG. übernommen. Im Januar 1935 schied er aus den Diensten dieser Gesellschaft aus und wanderte, weil ihm wegen seiner rassischen Abstammung Verfolgungsmaßnahmen drohten, zunächst nach Spanien und später in die Südafrikanische Union aus, wo er sich noch heute aufhält. Die Zahlung der Unfallrente wurde im September 1939 aus kriegsbedingten Gründen eingestellt.

Der Kläger beantragte am 24. August 1955 bei der Beklagten (Bezirksverwaltung Clausthal-Zellerfeld), ihm die seit 1939 rückständige Rente nachzuzahlen und für die Zukunft die Rente laufend auszuzahlen. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 28. Oktober 1955 ab, weil sich der Unfall nicht im Bundesgebiet ereignet habe und sie deshalb für die Zahlung der Rente nicht zuständig sei.

Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid am 31. Oktober 1955 Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Unfallrente in Höhe von 45 v.H. ab 1. April 1952 weiterzuzahlen. Das Sozialgericht wies die Klage durch Urteil vom 6. Februar 1957 ab, weil ein Rentenanspruch gegen die Beklagte nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FremdRG) nicht bestehe, da der Kläger sich ständig im Ausland aufhalte und der Unfall sich weder im Bundesgebiet oder im Lande Berlin noch im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Bundesgebiet oder im Lande Berlin ereignet habe.

Gegen dieses Urteil legte der Kläger am 18. März 1957 Berufung ein. Er beantragte nunmehr, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des angefochtenen Bescheids zu verurteilen, ihm einen neuen Bescheid über die Gewährung einer Unfallrente ab 1. April 1952 zu erteilen. Die Beklagte erklärte, daß sie gegen diese Klageänderung keine Einwendungen erhebe.

Das Landessozialgericht hob durch Urteil vom 19. September 1957 - entsprechend dem Antrag des Klägers - das Urteil des Sozialgerichts und den Bescheid der Beklagten auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger einen Bescheid über die Gewährung von Unfallrente ab 1. April 1952 zu erteilen. Das Landessozialgericht nahm an, daß der angefochtene Bescheid der Beklagten rechtswidrig sei, weil dem Kläger nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 FremdRG ein Anspruch auf Unfallrente zustehe. Zwar habe sich der Arbeitsunfall außerhalb des Bundesgebietes und des Landes Berlin ereignet, stehe jedoch im Zusammenhang mit der Beschäftigung des Klägers im Bundesgebiet, nämlich mit seiner Tätigkeit bei der Hauptverwaltung der Wintershall AG. in Kassel. Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte legte gegen dieses Urteil, das ihr am 23. November 1957 zugestellt wurde, am 17. Dezember 1957 Revision ein und begründete das Rechtsmittel innerhalb der bis zum 23. Februar 1958 verlängerten Begründungsfrist am 15. Januar 1958. Sie ist der Ansicht, daß der Kläger zur Zeit des Unfalls nicht mehr in Kassel, sondern ausschließlich in Merkers beschäftigt gewesen sei, so daß ein Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Bundesgebiet nicht bestanden habe. Der Betrieb der Hauptverwaltung der Wintershall AG. sei zudem nach dem zur Zeit des Unfalls geltenden Recht nicht pflichtversichert, sondern nach § 65 der damaligen Satzung lediglich freiwillig versichert gewesen; der Zusammenhang mit einer nur freiwillig versicherten Beschäftigung sei aber in diesem Sinne nicht ausreichend. Nicht sie, sondern die Sozialversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt sei Schuldnerin des Klägers; diese habe ihre Zuständigkeit auch anerkannt, nur ruhe nach dem dort geltenden Recht der Anspruch des Klägers während des Auslandsaufenthalts.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen das wiederherzustellende Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. Februar 1957 und in Wiederherstellung des Bescheides der Beklagten vom 28. Oktober 1955 die Klage zurückzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, daß die Klage begründet und das angefochtene Urteil richtig sei.

Entscheidungsgründe

 

Entscheidungsgründe

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Gegen ihre Zulässigkeit bestehen keine Bedenken. Sie ist auch begründet.

Das Landessozialgericht durfte nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern mußte - unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils - die Klage ohne Sachprüfung durch Prozeßurteil abweisen, da sie unzulässig ist. Der Kläger hatte zwar ursprünglich eine zusammengefaßte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG erhoben, hat diese jedoch in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht mit Einwilligung der Beklagten - und daher nach § 99 Abs. 1 SGG zulässig - in eine Klage auf Aufhebung des seinen Anspruch ablehnenden Bescheides und Verurteilung zum Erlaß eines seinen Anspruch anerkennenden Bescheides nach § 54 Abs. 1 SGG (Vornahmeklage) geändert. Allein diese im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung rechtshängige Klage ist für die Beurteilung maßgebend.

Der Senat neigt zu der Auffassung, daß eine Vornahmeklage in Fällen, in welchen der Versicherungsträger durch Bescheid über einen Antrag entschieden hat, welcher eine Leistung betrifft, auf die ihrer Art nach ein Rechtsanspruch besteht, im sozialgerichtlichen Verfahren unstatthaft ist. Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat zwar diese Rechtsfrage abweichend entschieden (BSG. Bd. 5 S. 60 [63 ff.]), der erkennende Senat hat jedoch Bedenken, sich dieser Auffassung anzuschließen, weil er zu der Auffassung neigt, daß in diesen Fällen nicht der Erlaß eines anderen Verwaltungsaktes, sondern nur der Leistungsantrag abgelehnt wird, die Vornahmeklage zudem generell nicht zum Ziele führen kann, jedenfalls aber ein Rechtsschutzinteresse an der Erhebung dieser Klage zu verneinen ist. Folgende Überlegungen sprechen für diese Ansicht:

Im sozialgerichtlichen Verfahren kann sich die Statthaftigkeit der Vornahmeklage - wenn man von dem Fall des "unterlassenen" Verwaltungsaktes absieht - nur auf den Begriff "Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten ... Verwaltungsaktes" in § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG stützen. Sicherlich ist hier der Fall einzuordnen, in welchem der Versicherungsträger es ausdrücklich ablehnt, einen beantragten Verwaltungsakt (Bescheid) zu erlassen. Fehlt es aber an einem ausdrücklichen Ausspruch, so kann nach allgemeinen Auslegungsregeln nur dann eine derartige Ablehnung unterstellt werden, wenn der Wille des Versicherungsträgers, den Erlaß eines anderen Verwaltungsaktes abzulehnen, vorhanden war und dieser Wille einen, wenn auch nur unvollkommenen Ausdruck gefunden hat. Da bei einer bloßen Ablehnung des Leistungsantrags Anhaltspunkte für eine solche Annahme nicht ersichtlich sind, wird man das Vorliegen dieser Voraussetzungen jedenfalls dann verneinen müssen, wenn für den Versicherungsträger überhaupt kein Anlaß bestand, einen anderen Verwaltungsakt abzulehnen. Man wird also dann der Ablehnung des Leistungsantrags nicht den Sinn unterstellen können, daß damit auch der Erlaß eines anderen Verwaltungsaktes abgelehnt werden sollte. Ein solcher Anlaß könnte zwar bei konstitutiven Verwaltungsakten, bei welchen der Erlaß des Bescheides zur Entstehung des materiellen Anspruchs erforderlich ist, bejaht werden, da sich der Antrag gerade auf Erlaß dieses Verwaltungsaktes richtet und richten muß, weil ohne ihn ein Anspruch nicht zur Entstehung gelangen kann. In diesen Fällen muß sich auch der Wille des Versicherungsträgers gerade darauf richten, diesen konstitutiven Verwaltungsakt nicht zu erlassen. Anders bei rein entscheidenden Verwaltungsakten, bei welchen der Anspruch bereits ohne ein Zutun des Versicherungsträgers, spätestens mit der Antragstellung voll entstanden ist und der Verwaltungsakt (Bescheid) daher nur die Entscheidung (Feststellung) zum Inhalt hat, ob und in welcher Höhe der Anspruch besteht. In diesen Fällen richtet sich - jedenfalls dann, wenn sich der Antragsteller auf das beschränkt, was ihm gesetzlich zusteht - der Antrag nicht auf Erlaß eines für den Antragsteller positiven Bescheides, sondern auf Leistung in gesetzlich vorgesehener Höhe (§§ 1551, 1613 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) und ist daher materiellrechtlicher Natur. Ob er daneben noch eine verfahrensrechtliche Komponente hat, ist zweifelhaft, jedenfalls geht er - im Normalfall - höchstens auf Entscheidung (Feststellung) überhaupt, nicht auf Entscheidung in einem für den Antragsteller günstigen, der materiellen Rechtslage entsprechenden Sinne, weil ein Anspruch hierauf gesetzlich nicht besteht. Der Versicherungsträger hat zwar nach Antragstellung - auf dem Gebiete der Unfallversicherung auch ohne Antragstellung (§ 1545 RVO) - die öffentlich rechtliche Pflicht zur Entscheidung (Feststellung); zweifelhaft aber ist, ob dem Antragsteller auch ein subjektiv-öffentliches Recht gegen den Versicherungsträger auf Entscheidung zusteht. Selbst wenn man dies aber bejaht, hat er höchstens ein Recht auf Entscheidung (Feststellung) überhaupt, nicht aber auf Entscheidung in einem für ihn günstigen, der materiellen Rechtslage entsprechenden Sinne. Dies entspricht der heute im Prozeßrecht vorherrschenden Ansicht, die mangels einer gesetzlichen Grundlage das Bestehen eines solchen Rechtsschutzanspruchs gegen den Staat ablehnt. (Vgl. zum Prozeßrecht: Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 9, 416 und die dort angeführte Literatur; Stein-Jonas, Kommentar zur ZPO, 18. Aufl., Einl. D II, 1 sowie III vor § 253; Baumbach, Kommentar zur ZPO, 24. Aufl., Grundz. 1 vor § 253; a.A. Wach, Der Rechtsschutzanspruch, ZZP 32, 1; Goldschmidt, Materielles Justizrecht, Berl. Festg. für Hübler 1905; Hellwig, Klagerecht und Klagemöglichkeit.) Bis zum Inkrafttreten des SGG konnte dies auch im Feststellungsverfahren nach der RVO kaum zweifelhaft sein, da die Bescheide der Versicherungsträger bis zu diesem Zeitpunkt den Charakter erstinstanzlicher Urteile hatten. Wenn die Bescheide inzwischen auch diesen Charakter wegen der nach dem Grundgesetz (GG) notwendigen Gewaltentrennung verloren haben, so sind sie doch, soweit es sich um rein entscheidende Verwaltungsakte handelt, Entscheidungen geblieben, die als Akte der Rechtsfindung den richterlichen Urteilen ähneln (vgl. BVerfG. Bd. 2 S. 380 [394] und die dort angeführte Literatur). Sie sind lediglich aus Zweckmäßigkeitsgründen den Verwaltungsbehörden überlassen, können ihnen auch trotz des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltentrennung überlassen bleiben, weil, falls der Staatsbürger mit der Entscheidung der Verwaltungsbehörde nicht einverstanden ist, letztlich die Gerichte die Entscheidung treffen. Das Feststellungsverfahren nach der RVO hat sich aber durch das Inkrafttreten des GG und des SGG im wesentlichen nicht geändert.

Aus dem Umstand, daß die Bescheide nicht mehr gerichtliche, rechtskraftfähige Urteile, sondern bindungsfähige, entscheidende Verwaltungsakte geworden sind, kann nicht auf eine Änderung des Inhalts des gegen den Versicherungsträger gerichteten Anspruchs des Versicherten auf Entscheidung - wenn man einen solchen überhaupt bejahen will - geschlossen werden. Es spricht nichts dafür, daß der Versicherte im Gegensatz zum bisherigen Urteilsverfahren einen Rechtsschutzanspruch auf Entscheidung in einem für ihn günstigen Sinne hat, denn es ist insofern gleichgültig, ob diese Entscheidungen durch die Gerichte in Form eines Urteils oder durch die Verwaltungsbehörden in Form eines rein entscheidenden Verwaltungsaktes ergehen. In beiden Fällen handelt es sich um staatliche Rechtspflegeakte. (Vgl. dazu Turegg, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 3. Aufl. S. 120.) Wenn aber ein Rechtsschutzanspruch auf günstige Entscheidung nicht besteht, kann auch nicht angenommen werden, daß der Antrag eines Versicherten (normalerweise) ein solches Begehren zum Inhalt hat. In diesen Fällen kann daher auch nicht angenommen werden, daß der Versicherungsträger bei Ablehnung eines geltend gemachten Anspruchs den Willen gehabt hat, den Erlaß eines für den Kläger günstigen Bescheides abzulehnen, da hierfür mangels eines entsprechenden Antrages kein Anlaß besteht. Besonders deutlich tritt dies naturgemäß in der Unfallversicherung hervor, in welcher kein Antrag zu stellen ist, in welcher also keinesfalls Anlaß besteht, den Erlaß eines Verwaltungsaktes, der überhaupt nicht beantragt ist, abzulehnen. Da bei Pflichtleistungen generell die "Ablehnung eines beantragten Verwaltungsaktes" im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG auszuschließen ist, muß man annehmen, daß diese Klageart bei derartigen Ansprüchen generell ausgeschlossen, also unstatthaft ist. Selbst wenn man aber annehmen wollte, daß der Antragsteller auch bei Pflichtleistungen den Erlaß eines seinen Anspruch anerkennenden Bescheides begehrt und der Versicherungsträger auch den Willen hat, den Erlaß eines solchen Bescheids abzulehnen, würde die Entscheidung nicht zu Gunsten des Klägers ausfallen können, weil dann die Vornahmeklage jedenfalls unbegründet ist. Voraussetzung der Begründetheit einer Vornahmeklage ist, daß die Ablehnung des Verwaltungsaktes, zu dessen Erlaß der Versicherungsträger verurteilt werden soll, rechtswidrig war (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Rechtswidrig aber ist die Ablehnung nur, wenn dieser Verwaltungsakt beantragt war und ein Rechtsanspruch auf seinen Erlaß besteht (vgl. § 24 der Militärregierungs-Verordnung -MRVO- Nr. 165). Da aber in diesen Fällen nach erfolgter Entscheidung (Feststellung) - unabhängig von der materiellen Rechtslage - kein Rechtsschutzanspruch auf eine andere Entscheidung durch den Versicherungsträger besteht, ist die Klage stets unbegründet. Der von der materiellen Rechtslage abweichende entscheidende Verwaltungsakt berechtigt nur zur Anfechtung und Geltendmachung des Leistungsanspruchs vor den Gerichten. Wenn der Leistungsträger durch Bescheid entschieden hat, ist er, solange dieser Bescheid besteht, nicht verpflichtet, erneut zu entscheiden. Man wird aber darüberhinaus annehmen müssen, daß die Vornahmeklage in diesen Fällen nicht nur stets unbegründet, sondern daß sie unstatthaft ist, weil der Gesetzgeber für diese in § 54 Abs. 4 SGG besonders hervorgehobene Gruppe von Klagen nur die zusammengefaßte Anfechtungs- und Leistungsklage und nicht die Vornahmeklage vorgesehen hat; denn es ist nicht anzunehmen, daß er für eine im Gesetz besonders hervorgehobene Gruppe von Leistungen, für die er eine besondere Klageart vorgesehen hat, auch eine andere Klageart für statthaft angesehen hat, welche unabhängig von der materiellen Rechtslage stets unbegründet ist. Für diese Auffassung spricht auch der Umstand, daß der Gesetzgeber bei der Vornahmeklage im Gegensatz zur zusammengefaßten Anfechtungs- und Leistungsklage stets ein Vorverfahren zwingend vorgeschrieben hat. Da man kaum annehmen kann, daß er bei Verfolgung desselben materiellen Anspruchs, je nachdem, ob Vornahmeklage oder zusammengefaßte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben wird, einmal ein Vorverfahren verlangt und im anderen Falle nicht, wird man davon auszugehen haben, daß er bei Pflichtleistungen die Vornahmeklage nicht zulassen wollte.

Darüberhinaus neigt der Senat zu der Auffassung, daß, selbst wenn man dem nicht zustimmen würde, in diesen Fällen kein schutzwürdiges Interesse des Klägers an einer Vornahmeklage besteht, da er bei einer Klage nach § 54 Abs. 4 SGG eine Entscheidung über seinen Anspruch unmittelbar, d.h. ohne den bei der Vornahmeklage erforderlichen Umweg einer nochmaligen Entscheidung des Versicherungsträgers, also auf kürzerem Wege erhält (vgl. dazu Rosenberg, a.a.O. S. 386; Baumbach a.a.O. Grundz. § 253 Anm. 5; Stein-Jonas a.a.O. Anm. IV 2 c). Selbst in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in der eine der zusammengefaßten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG entsprechende Klage nicht zur Verfügung steht, ist die Tendenz zu erkennen, in diesen Fällen die Leistungsträger nicht zum Erlaß eines die Leistung feststellenden neuen Verwaltungsaktes, sondern unmittelbar zur Zahlung von Geldleistungen zu verpflichten (vgl. NJW. 1958 S. 1107 [1108]).

Einer Entscheidung dieser Rechtsfrage, die von der Rechtsauffassung des 1. Senats (BSG. Bd. 5 S. 60) abweicht, bedurfte es in dem vorliegenden Falle jedoch nicht, weil die Klage auch dann unzulässig ist, wenn man die Vornahmeklage gegen den eine Pflichtleistung ablehnenden Verwaltungsakt für statthaft hält. Folgt man nämlich dieser entgegenstehenden Ansicht, nimmt man also an, daß auch in diesen Fällen durch die Ablehnung eines Anspruchs gleichzeitig der Erlaß eines den Anspruch anerkennenden Bescheids abgelehnt worden ist; so muß man dam auch annehmen, daß nach § 79 Nr. 2 SGG der Vornahmeklage stets ein Vorverfahren vorausgehen muß, wozu der Senat an sich nicht neigt; denn keinesfalls kann dem übereinstimmenden Wortlaut in § 54 Abs. 1 und § 79 Nr. 2 SGG ein abweichender Inhalt gegeben werden. Dem klaren Wortlaut eines Gesetzes könnte nur dann ein vom Gesetzeswortlaut abweichender Sinn beigelegt werden, d.h. hier könnte dem übereinstimmenden Wortlaut zweier Vorschriften desselben Gesetzes nur dann ein verschiedener Sinn zugesprochen werden, wenn die gleiche Auslegung beider Vorschriften ohne vernünftigen Sinn wäre oder mit dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimmen würde. Dafür findet sich jedoch kein Anhalt. Richtig ist, worauf schon hingewiesen wurde, daß im Falle der Klage nach § 54 Abs. 4 SGG - wenn nicht ein Vorverfahren nach anderen Vorschriften erforderlich ist - ein Vorverfahren nicht notwendig ist, während dies bei einer Vornahmeklage nach § 54 Abs. 1 SGG der Fall ist. Dies spricht aber nach Ansicht des erkennenden Senats nicht etwa für eine Sinnwidrigkeit dieser Vorschriften, sondern vielmehr - worauf auch bereits hingewiesen wurde - dafür, daß der Gesetzgeber in diesen Fällen nicht die Vornahmeklage nach § 54 Abs. 1 SGG, sondern nur die zusammengefaßte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG vorgesehen hat. Zwar hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts diesen Vorschriften eine verschiedene Auslegung gegeben (vgl. BSG. Bd. 5 S. 60 [63]); der erkennende Senat ist jedoch nicht gehindert, diese Frage anders zu entscheiden, weil der 1. Senat in diesem Urteil die Notwendigkeit des Vorverfahrens deshalb verneint hat, weil es sich um einen Übergangsfall handelt, in welchem also ein solches Vorverfahren noch nicht stattfinden konnte, so daß die darüber hinausgehende Auslegung des § 79 Nr. 2 SGG nur als beiläufig erfolgt anzusehen ist.

Ohne Durchführung eines gesetzlich vorgeschriebenen Vorverfahrens einer Prozeßvoraussetzung, darf ein Sachurteil nicht ergehen. Fehlt das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren, so ist der Rechtsweg verfrüht und daher zeitweilig unzulässig, solange es fehlt. (Vgl. zu dem ebenso zu beurteilenden Fall, daß im Zivilprozeß der Klage die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde vorhergehen muß: Baumbach, Lauterbach, Kommentar zur ZPO, 25. Aufl., Anm. 1 B zu § 253; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozesses, 7. Aufl., § 11 III 1 Abs. 1, letzter Satz; Stein-Jonas, Kommentar zur ZPO, 18. Aufl., II D 1 vor § 1; RG. 104, 23 [24]; vgl. zur Frage der Notwendigkeit des Vorverfahrens auch BSG. 3 S. 293 [297]; BVerwG. DVBl. 1957 S. 275.) Dieser Verfahrensmangel ist hier zwar nicht gerügt worden; er ist jedoch bei zulässiger Revision von Amts wegen zu beachten, weil es sich um eine Verletzung der Norm über die Zulässigkeit des Rechtsweges, eines absoluten Rechts, handelt, die der Parteiverfügung entzogen ist, soweit nicht, wie beim Schiedsvertrag, ausnahmsweise eine Vereinbarung gesetzlich zugelassen ist (Rosenberg a.a.O., Anm. § 11, III 1; Stein-Jonas a.a.O. II E 1 vor § 1). Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar ohne nähere Begründung die Ansicht vertreten, daß dem Vorverfahren nach der MRVO Nr. 165 keine so große Bedeutung zukomme, daß der Mangel im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten wäre (BVerwG. Bd. 1 S. 247). Der erkennende Senat kann sich dieser Auffassung jedoch aus den angeführten Gründen nicht anschließen. Die Unzulässigkeit des Rechtsweges ist in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu berücksichtigen (RG. 122, 100 [101]; Baumbach a.a.O., Anm. 3 zu § 274; Stein-Jonas a.a.O. II E 1 vor § 1). Weder bedarf es einer Rüge eines Beteiligten noch können die Beteiligten auf sie rechtswirksam verzichten (RG. 122, 100 [101]). Ein Vergleich mit dem Schiedsvertrag ist nicht möglich, weil es sich bei diesem um einen gesetzlich zulässig vereinbarten Ausschluß des Rechtsweges handelt und daher auf seine Durchführung verzichtet werden kann (Rosenberg a.a.O., § 11 III 1). Den Ausschluß des Vorverfahrens durch Parteivereinbarung läßt dagegen das Gesetz nicht zu, weil das Vorverfahren hauptsächlich dem öffentlichen Interesse dient; sein wesentlicher Zweck ist, durch eine nochmalige verwaltungsmäßige Überprüfung des Verwaltungsaktes die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit vor zu großer Belastung zu schützen (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode, Drucksache 4357, Begründung zum Regierungsentwurf einer SGO, Allgemeiner Teil B 5 S. 22; Anlage zur Drucksache 4567, schriftlicher Bericht des 21. Ausschusses zu den Entwürfen eines SGG und einer SGO, unter II S. 3). Es kann nicht in der Macht der Beteiligten liegen, ob sie die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in der durch das SGG vorgeschriebenen Weise entlasten und die Widerspruchsstelle einschalten wollen. Dagegen kann nicht eingewendet werden, eine Entlastung der Gerichte sei nicht mehr möglich, wenn die Sache bereits rechtshängig sei. Das Gericht ist, wenn das Vorverfahren noch nachgeholt wird, einer Sachentscheidung enthoben, wenn die Widerspruchsstelle entweder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkennt oder den Betroffenen von der Rechtmäßigkeit des Bescheides überzeugt. Das Beharren der Verwaltungsbehörde auf ihrem ablehnenden Standpunkt ist kein Ersatz für das Vorverfahren. Die den Prozeß führende Verwaltungsstelle ist oft eine andere als die zur Entscheidung über den Widerspruch berufene Stelle, so daß es durchaus möglich ist, daß die Widerspruchsstelle die Sache anders beurteilt als die den Prozeß führende Verwaltungsstelle.

Es fragt sich, ob nicht wenigstens das angefochtene Urteil insoweit aufrechterhalten werden konnte, als es den angefochtenen Verwaltungsakt aufhebt, da eine reine Anfechtungsklage keines Vorverfahrens bedurft hätte. Der Kläger hat aber keine Anfechtungsklage, sondern eine Vornahmeklage erhoben, die lediglich als unselbständigen Bestandteil das Begehren nach Aufhebung des Verwaltungsaktes enthält (BVerwG. Bd. 1 S. 291 [296]). Dieses Begehren hat keine eigene rechtliche Bedeutung; es kann also nur insgesamt über die Vornahmeklage entschieden werden; die Anfechtung teilt hier das Schicksal der Gesamtklage.

Da die Revision begründet ist, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Obwohl der erkennende Senat in der Lage wäre, über die unzulässige Klage selbst zu entscheiden, hat er davon abgesehen, weil er eine solche Entscheidung aus prozeßökonomischen Gründen für untunlich hielt (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach Abweisung der unzulässigen Klage wäre der Kläger nämlich gezwungen, erneut Klage zu erheben, und zwar entweder - wenn er entgegen der Ansicht, welcher der Senat zuneigt, die Vornahmeklage für zulässig ansehen würde - unter Nachholung des Vorverfahrens oder andernfalls in Form der zusammengefaßten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG, wobei ihm in beiden Fällen wegen der unverschuldeten Versäumung der Rechtsbehelfsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre. Der Rechtsstreit würde auch dann wieder - allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt - bei der Berufungsinstanz rechtshängig werden. Durch die Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht wird also sowohl ein neuer Rechtsstreit vermieden wie auch die Sachentscheidung beschleunigt. Der Kläger wird nunmehr entweder - falls er die Vornahmeklage für zulässig hält - das fehlende Vorverfahren noch betreiben und den Widerspruchsbescheid in seine Klage miteinbeziehen oder aber - ohne dieses - wieder zur zusammengefaßten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG zurückkehren, was beides wegen des Verbots der Klageänderung im Revisionsverfahren (§ 168 SGG) in der Revisionsinstanz unzulässig gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2314075

BSGE, 3

NJW 1959, 66

DVBl. 1959, 523

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