Leitsatz (amtlich)

1. RKG § 194 S 1 ist geltendes Recht. Die Knappschaft ist nach dieser Vorschrift berechtigt, die Feststellung, daß ein Betrieb der Knappschaft zugehört, durch Bescheid zu treffen.

2. Die nach SGG § 55 Abs 1 Nr 1 unter Anfechtung eines ergangenen Bescheides begehrte Feststellung, daß ein Betrieb nicht der Knappschaft zugehört, ist wesensverschieden von der nach SGG § 55 Abs 1 Nr 2 begehrten Feststellung, welcher Versicherungsträger zuständig ist.

3. Wird gegen den Bescheid einer Knappschaft, der die Knappschaftszugehörigkeit eines Betriebes feststellt und die Verpflichtung zur Beitragsleistung ausspricht, eine zusammengefaßte Anfechtungsklage und (negative) Feststellungsklage erhoben, so ist Prozeßvoraussetzung, daß der Bescheid in einem Vorverfahren nachgeprüft worden ist. Ist dies nicht geschehen, so ist die Klage unzulässig.

4. Wird gegen ein auf eine unzulässige Klage in der Sache selbst befindendes Urteil eines Sozialgerichts Berufung eingelegt und weist das Landessozialgericht nicht die Klage - unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils - als unzulässig ab, so leidet sein Verfahren an einem wesentlichen Mangel, der bei der Prüfung ob die Revision begründet ist, von Amts wegen zu berücksichtigen ist.

 

Normenkette

RKG § 194 S. 1; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 53 Fassung: 1953-09-03, § 78 Fassung: 1953-09-03, § 79 Fassung: 1953-09-03, § 80 Fassung: 1953-09-03, § 55 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in Mainz vom 29. Juli 1955 und das Urteil des Sozialgerichts in Koblenz vom 30. Dezember 1954 werden aufgehoben.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Die Gebühr für die Berufstätigkeit der Rechtsanwälte W. und Dr. St. vor dem Bundessozialgericht wird auf 250,- DM festgesetzt.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die seit über 100 Jahren bestehende R in R (Hunsrück), eine Eisengießerei mit Emaillierwerk und Ofenfabrik, wurde früher von der Firma Gebrüder P OHG betrieben. Sie gehörte, obwohl sie kein bergbaulicher Betrieb war, nach landesgesetzlicher Vorschrift zu einem Knappschaftsverein. Auf Grund des Art. 17 des EG zum RKG vom 23. Juni 1923 (RGBl. I S. 454) schied sie an sich mit dem 31. Dezember 1923 aus der Knappschaft aus. Da jedoch der Arbeitgeber und die Mehrheit der Arbeitnehmer von der in Art. 17 a. a. O. vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit Gebrauch machten und eine gemeinschaftliche Erklärung abgaben, daß der Betrieb weiterhin der Knappschaft zugehören solle, verblieb dieser auch nach dem 31. Dezember 1923 bei der Knappschaft. Im Jahre 1924 verpachtete die ... P OHG den Betrieb an die “ P'sche Betriebsgesellschaft AG", die den Betrieb fortsetzte und die Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmer weiterhin an die Knappschaft abführte. In den Jahren 1952 und 1953 wurde der Betrieb mehr und mehr eingeschränkt. Im Dezember 1953 meldete die P'sche Betriebsgesellschaft AG ihre Liquidation an und beantragte die Stillegung des Betriebs. Am 31. Januar 1954 stellte sie die Produktion ein. Die Belegschaft, die zeitweise bis zu 350 Arbeitnehmer betragen hatte, wurde bis auf wenige Leute entlassen.

Die Firma M & W Eisen- und Stahlwerke KG hatte in Leipzig eine Eisengießerei betrieben, die nach dem zweiten Weltkrieg enteignet und zu einem volkseigenen Betrieb erklärt wurde. Nach der Enteignung gründete sie in M eine Zweigniederlassung mit dem Ziel, die Produktion in Westdeutschland irgendwie fortzusetzen. Sie wurde von dem Gießereiverband an die P OHG verwiesen, die sich zu einer Verpachtung entschlossen hatte. Am 14. Mai 1954 schloß die von ihr inzwischen gegründete Klägerin mit der P OHG einen Vertrag mit im wesentlichen folgendem Inhalt:

§ 1

Pachtobjekt

(1) Der Verpächter verpachtet die ihm gehörende R.-hütte, und zwar Gießerei, Ofenfabrik und Werkstätten samt Grundstücken und Gebäuden, Maschinen, Betriebs- und Büroeinrichtungen einschließlich allem Zubehör, technischen und sozialen Nebenbetrieben laut beiliegendem, einen Bestandteil dieses Vertrages bildenden Lageplan.

Der Verpächter übergibt den Betrieb in einem dem Betriebszweck angemessenen, vollständigen und nach den heutigen Anforderungen der Technik wirtschaftlich betriebsfähigen Zustand, der in einem vom Verpächter und Pächter gemeinsam aufgestellten Leistungsverzeichnis näher beschrieben ist, das ebenfalls Bestandteil dieses Vertrages ist.

(2) Der Pächter verpflichtet sich zur pfleglichen Behandlung des ihm übergebenen Pachtbetriebes und zu dessen bestmöglicher wirtschaftlicher Nutzung. Beide Parteien verpflichten sich zu loyaler Zusammenarbeit und Rücksichtnahme auf ihre gegenseitigen Interessen, um die wirtschaftliche Entwicklung des Betriebes nach Kräften zu fördern.

(3) Die Verpachtung erfolgt laut Besichtigung ohne Gewährleistung.

§ 3

Beginn und Dauer des Pachtvertrages

Das Pachtverhältnis beginnt mit dem 1. Juni 1954 und wird auf 20 Jahre, d. h. bis zum 31.5.1974, fest geschlossen.

...

§ 4

Pachtzins

(1) Die Pacht für den Betrieb samt allen Grundstücken und Gebäuden, Einrichtungen und Zubehör beträgt:

bei einem jährlichen Umsatz bis zu DM 3000000.-: 2,5 % vom Umsatz,

von dem DM 3000000.- übersteigenden Umsatz: 3 %,

von dem DM 6000000.- übersteigenden Umsatz: 3,5 %.

Der Berechnung der Pacht sind die Umsatzsteuermeldungen des Pächters an das Finanzamt zugrundezulegen. Der Verpächter hat das Recht, in diese Umsatzsteuermeldungen und in die finanzamtlichen Umsatzsteuerbescheide Einsicht zu nehmen und beglaubigte Abschriften zu verlangen.

...

(3) Um dem Pächter den Anlauf des Betriebes zu erleichtern und die erforderliche Umstellung des Betriebes auf wirtschaftliche Fertigungsmethoden zu unterstützen, bleiben die ersten drei Monate pachtfrei, für die weiteren drei Monate erhält der Pächter eine Ermäßigung von 50 %, für die weiteren sechs Monate von 25 % des errechneten Pachtzinses. Vom zweiten Pachtjahr ab ist die volle Pacht zu zahlen.

§ 5

Rohstoffe, Halb- und Fertigungserzeugnisse

(1) Der Pächter übernimmt die beim Pachtbeginn nach einer gemeinsam erstellten Inventur vorrätigen Bestände aller Rohstoffe, wie Roheisen, Schrott, Zuschläge, Brennstoffe, Sand, Magazinmaterial usw. in Konsignation und meldet dem Verpächter den jeweiligen Verbrauch eines Monats spätestens am 15. des nächsten Monats.

(2) Die Bewertung des verbrauchten Materials hat zu den jeweils für gleichwertiges Material handelsüblichen Tageseinkaufspreisen frei Werk zu erfolgen. Bezüglich der Zahlungsbedingen wird zwischen den Parteien eine besondere Vereinbarung getroffen.

(3) Über Bestände, die im Rahmen der vorstehenden Vereinbarung innerhalb des ersten Jahres nicht verbraucht sind, wird ebenfalls eine besondere Vereinbarung getroffen. Der Verpächter hat das Recht, diese Bestände gegebenenfalls zurückzunehmen und anderweitig zu verwenden.

§ 7

Personal

Der Pächter übernimmt das bisher im Betrieb beschäftigte Personal des Verpächters, soweit er es für die Zwecke des Pachtbetriebes für erforderlich und geeignet hält.

§ 8

Entwicklung des Produktionsprogramms

Der Pächter hat das Recht, das Produktionsprogramm der Rheinböllerhütte jeweils der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen, neue Erzeugnisse und Herstellungsverfahren usw. aufzunehmen. Soweit es sich hierbei um wesentliche, gegebenenfalls über die Dauer des Pachtvertrages hinaus fortwirkende Abweichungen von dem bei Beginn des Pachtverhältnisses bearbeiteten Programm handelt, wird der Pächter jeweils das Einverständnis des Verpächters zu geplanten Umstellungen einholen.

§ 9

Einbauten

(1) Der Pächter hat das Recht, im Einvernehmen mit dem Verpächter die gepachteten Gebäude durch Um- und Anbauten den betrieblichen Bedürfnissen anzupassen oder neue Gebäude auf den mitgepachteten Grundstücksflächen zu errichten.

(2) Desgleichen hat er das Recht und die Pflicht, die Betriebseinrichtungen im Einvernehmen mit dem Verpächter zu ergänzen oder zu erneuern. Soweit solche Anschaffungen zu Beginn des Pachtvertrages vom Pächter übernommene Maschinen, Einrichtungen usw. ersetzen und über DM 100.- im Einzelfall hinausgehen, trägt die Kosten des Ersatzes der Verpächter. Erweiterungen des bei Pachtbeginn erstmalig durch den Verpächter vervollständigten beweglichen und unbeweglichen Anlagevermögens tragen Pächter und Verpächter gemeinsam je zur Hälfte.

(3) Soweit solche vom Pächter hälftig finanzierten Anschaffungen am Ende der Pachtzeit noch einen Nutzwert haben, wird sie der Verpächter übernehmen und den Pächter angemessen entschädigen. Können sich die Parteien über den Wert dieser Anlagegegenstände nicht einigen, entscheidet darüber unter Ausschluß des ordentlichen Rechtswegs das in § 13 vereinbarte Schiedsgericht.

(4) Der Pächter ist verpflichtet, eine Anlagekartei zu führen, aus der sowohl die Entwicklung des vom Verpächter übernommenen bzw. von diesem erneuerten wie die des vom Verpächter und Pächter gemeinsam beschafften Anlagevermögens je getrennt ausgewiesen wird. Der Verpächter hat das Recht, in die Kartei und die zugehörigen Belege jederzeit Einsicht zu nehmen und sich Abschriften anfertigen zu lassen. Ferner hat der Verpächter das Recht, sich bei der alljährlichen Inventur des Pächters selbst oder durch einen Beauftragten von Art und Menge des Anlagevermögens und dessen Zustand zu überzeugen.

Nach Inkrafttreten des Vertrages lief die Produktion langsam an. Während ein Teil der Angestellten, Werkmeister und Vorarbeiter aus dem L Betrieb stammte, wurden die noch nicht entlassenen Arbeitnehmer der Rheinböllerhütte übernommen und auch sofort ein Teil der früheren Belegschaft wieder eingestellt. Zunächst wurden mit den übernommenen Maschinen und Einrichtungen der R.-hütte dieselben Erzeugnisse hergestellt, die auch vorher von der P'schen Betriebsgesellschaft AG produziert worden waren. Im Laufe der Zeit wurde ein Teil der Maschinen und Einrichtungen durch modernere ersetzt und das Produktionsprogramm auch auf Feinguß ausgedehnt, während vorher nur Grobguß hergestellt worden war.

Die Sozialversicherungsbeiträge für Angestellte und Arbeiter führte die Klägerin von vornherein an die Allgemeine Ortskrankenkasse Bad Kreuznach ab. Die Beklagte war jedoch der Ansicht, daß der Betrieb nach wie vor der Knappschaft zugehöre. Da der zwischen ihr und der Allgemeinen Ortskrankenkasse bzw. der Klägerin geführte Meinungsaustausch zu keiner Einigung führte, stellte sie durch den der Klägerin am 12. Juni 1954 zugestellten Bescheid vom 8. Juni 1954 förmlich fest, daß der Betrieb der Klägerin der knappschaftlichen Versicherung unterliege; die Beiträge zur knappschaftlichen Kranken- und Rentenversicherung seien seit dem Tage der Betriebsübernahme, dem 17. Mai 1954, zu entrichten. In der Rechtsmittelbelehrung wies sie darauf hin, daß gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach Zustellung Widerspruch eingelegt werden könne. Die Klägerin hat keinen Widerspruch eingelegt.

Sie erhob jedoch am 12. August 1954 Klage nach § 55 Abs. 1 Ziff. 2 SGG auf Feststellung des für sie zuständigen Versicherungsträgers. Das Sozialgericht lud durch Beschluß vom 1. Dezember 1954 die Allgemeine Ortskrankenkasse Bad K bei. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 8. Juni 1954 festzustellen, daß eine knappschaftliche Versicherungspflicht ihres Betriebes nicht bestehe, und die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären, hilfsweise diese bis zur Entscheidung des Rechtsstreits einstweilen einzustellen. Die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse stellte keinen Antrag. Die Beklagte beantragte, die Klage wegen Fristversäumnis abzuweisen, hilfsweise festzustellen, daß der von der Klägerin gepachtete Betrieb der knappschaftlichen Versicherungspflicht unterliege, und die eingeleitete Zwangsvollstreckung für zulässig zu erklären. Das Sozialgericht stellte durch Urteil vom 30. Dezember 1954 fest, daß der Betrieb der Klägerin der knappschaftlichen Versicherung unterliegt. Es faßte die Klage als eine - zulässige - Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG auf und war in der Sache selbst der Ansicht, daß es sich bei dem Betrieb der Klägerin um denselben Betrieb handele, der vorher von der P'schen Betriebsgesellschaft AG geführt worden war, so daß diese nach wie vor der Knappschaft angehöre.

Gegen das am 5. Januar 1955 zugestellte Urteil legten die Klägerin und die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse Berufung ein. Die Klägerin vertrat die Ansicht, daß ihr Betrieb nicht der Knappschaft zugehöre, weil er mit dem Betrieb der P'schen Betriebsgesellschaft AG nicht identisch sei. Sie habe von der P OHG nicht den Betrieb, sondern lediglich Grundstücke, Gebäude und Maschinen gepachtet. Sie beantragte, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und von neuem festzustellen, daß ihr Betrieb in Rheinböllerhütte nicht der knappschaftlichen Versicherung unterliege. Die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse vertrat die Ansicht, daß die Beklagte den Bescheid vom 8. Juni 1954 nicht erlassen durfte, weil zwischen ihr und der Beklagten bereits ein Streit über die Zugehörigkeit des Betriebes der Klägerin schwebte. Hierüber habe nach § 258 RVO entschieden werden müssen. Sie beantragte, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und festzustellen, daß der Bescheid der Beklagten nichtig sei.

Es wurde auch noch die Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz in S beigeladen, die sich die Ansicht der Klägerin zu eigen machte und beantragte festzustellen, daß der Betrieb der Klägerin nicht der knappschaftlichen Versicherung unterliege.

Die Beklagte beantragte, die Berufung zurückzuweisen. Sie vertrat die Ansicht, daß der Betrieb der Klägerin mit dem der P'schen Betriebsgesellschaft AG identisch sei.

Durch Urteil vom 29. Juli 1955 wies das Landessozialgericht die Berufungen der Klägerin und der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse mit der Maßgabe zurück, daß der Betrieb der Klägerin ab 1. Juni 1954 der knappschaftlichen Versicherung unterliege, und ließ die Revision zu. Das Landessozialgericht war der Ansicht, daß die bindende Wirkung des Bescheides der Beklagten der Zulässigkeit der Klage nicht entgegenstehe, weil die Klage auf Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers gemäß § 89 SGG nicht an eine Frist gebunden sei. Auch § 2 Abs. 4 RKG, der eine Entscheidungszuständigkeit des Bundesministers für Arbeit begründet, stehe der Klage nicht entgegen, weil es sich hier nicht um einen Streit handele, ob der Betrieb knappschaftlich im Sinne des § 2 Abs. 1 bis 3 RKG sei. Es hält die Berufungen aber für unbegründet. Die Zugehörigkeit zur knappschaftlichen Versicherung laste nicht auf dem Unternehmer sondern auf dem Betrieb und sei daher vom Wechsel des Unternehmers unabhängig. Entscheidend sei nur, ob es sich um denselben Betrieb handele. Dies sei aber zu bejahen; denn die Klägerin habe den von der P'schen Betriebsgesellschaft AG geführten Betrieb übernommen und fortgesetzt. Das ergebe sich sowohl aus dem Vertrag als auch aus der Tatsache, daß die Klägerin sowohl die Gießerei als auch die Ofenfabrik weiter fortgeführt habe. Dabei spiele es keine entscheidende Rolle, daß der frühere Betrieb später allmählich mehr auf Feinguß umgestellt worden sei. Der Betrieb sei nach wie vor eine Gießerei geblieben. Der Bescheid der Beklagten sei entgegen der Ansicht der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse nicht nichtig, sondern er entspreche den gesetzlichen Vorschriften und sei auch inhaltlich richtig.

Gegen dieses ihr am 23. September 1955 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch die Rechtsanwälte W und Dr. St am 20. Oktober 1955 Revision eingelegt und diese, nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis zum 23. Dezember 1955 verlängert worden war, am 20. Dezember 1955 begründet. Sie rügt, daß das Landessozialgericht den Tatbestand nicht in der erforderlichen Weise aufgeklärt bzw. den richtigen Tatbestand nicht genügend beachtet habe. Es hätte feststellen müssen, daß die P OHG durch die Verpachtung der R an die P'sche Betriebsgesellschaft AG im Jahre 1924 den von ihr bis dahin innegehabten Betrieb aufgegeben habe und seitdem eine reine Grundstücksgesellschaft gewesen sei. Das gehe auch daraus hervor, daß sie seitdem keine Gewerbesteuer mehr gezahlt habe. Die Betriebsgesellschaft habe den seit 1924 von ihr geführten Betrieb am 31. Dezember 1954 stillgelegt, so daß er seit dieser Zeit nicht mehr existierte. In diesem Stadium, in dem weder die OHG noch die liquidierte AG einen Betrieb hatten, habe die Klägerin den Pachtvertrag geschlossen. Die Klägerin hätte von der P OHG keinen Betrieb pachten können, den diese selbst nicht mehr gehabt hätte. Aus diesem Grunde könnten Gegenstand des Pachtvertrages nur die Grundstücke mit ihren Bestandteilen und ihrem Zubehör gewesen sein.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts vom 29. Juli 1955 aufzuheben und festzustellen, daß der Betrieb der Klägerin in R nicht der knappschaftlichen Versicherung unterliegt.

Die beigeladene Landesversicherungsanstalt macht sich auch im Revisionsverfahren die Ansicht der Klägerin zu eigen und beantragt mit Schriftsatz vom 11. Januar 1956,

dem Antrag der Revisionsklägerin stattzugeben und zu erkennen, daß der Betrieb der Firma M & W GmbH, R, nicht der knappschaftlichen Versicherung unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, daß der Betrieb durch die Stillegung am 31. Januar 1954 nicht zu bestehen aufgehört habe, da ein Betrieb solange fortbestehe, als zur Fortführung desselben geeignete Vermögensstücke und Beziehungen vorhanden seien, selbst wenn der Inhaber zeitweilig aufgehört habe, diese weiter zu pflegen. Die Klägerin habe den von der P'schen Betriebsgesellschaft AG bis zur Stillegung geführten und der P OHG gehörigen Betrieb von letzterer gepachtet und fortgeführt. Die früher abgegebene Erklärung nach Artikel 17 EG zum RKG begründe deshalb auch heute noch die Zugehörigkeit des Betriebes zur knappschaftlichen Versicherung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sie ist auch statthaft, weil das Landessozialgericht sie zugelassen hat.

Sie mußte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen. Das Landessozialgericht hat - ebenso wie das Sozialgericht - zu Unrecht in der Sache selbst entschieden, da die Klage unzulässig war. Beide Instanzen haben rechtsirrtümlich die erhobene Klage als eine solche auf Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG angesehen, obwohl tatsächlich Klage auf Aufhebung des Bescheides der Klägerin vom 8. Juni 1956 und Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erhoben worden ist. Zwar hatte die Klägerin in der Klageschrift zunächst die Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG beantragt, hat aber davon abweichend in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 1954 aufzuheben und festzustellen, daß ihr Betrieb nicht knappschaftsversicherungspflichtig sei, hat auch diesen Sachantrag vor dem Landessozialgericht aufrechterhalten. Hierin liegt nicht etwa nur eine (ungenaue) Neuformulierung des alten Antrags - dies wäre ohne Bedeutung, da das Gericht nach § 123 SGG nicht an die Fassung der Anträge gebunden ist -, sondern eine Klageänderung. An Stelle des ursprünglichen Anspruchs auf Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers ist der Anspruch auf Feststellung, daß der Betrieb der Klägerin nicht knappschaftlich ist, getreten. Beide Ansprüche sind wesensverschieden. Während auf die zunächst erhobene Klage durch das Urteil der zuständige Versicherungsträger positiv bestimmt worden wäre, hier also gegebenenfalls die B Knappschaft in K oder aber die Allgemeine Ortskrankenkasse Bad K, die Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz in S und die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in B - wodurch gegebenenfalls auch festgestanden hätte, welchem Zweig der Sozialversicherung die Betriebsangehörigen der Klägerin angehört hätten - konnte auf die zuletzt erhobene Klage durch das Urteil höchstens das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses - hier die Nichtzugehörigkeit des Betriebes der Klägerin zur knappschaftlichen Versicherung - festgestellt werden, ohne daß damit der zuständige Versicherungsträger positiv festgestellt worden wäre. Jeder andere Versicherungsträger als die B Knappschaft in K, insbesondere auch jede andere Knappschaft, könnte, da das Urteil ihm gegenüber keine Rechtskraftwirkung hätte, weiterhin geltend machen, daß er der zuständige Versicherungsträger sei. Die Rechtskraftwirkung beider Urteile würde also einen unterschiedlichen Umfang haben. Die hiernach also vorliegende Klageänderung ist nach § 99 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 2 SGG zulässig, da sich die übrigen Beteiligten spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung der ersten Instanz auf die abgeänderte Klage eingelassen haben, ohne ihr zu widersprechen.

Die erhobene Klage war unzulässig, weil es an dem nach § 78 in Verbindung mit § 79 Abs. 1 Nr. 1 und § 80 Nr. 1 SGG erforderlichen Vorverfahren mangelt. Das Vorverfahren hat nicht stattgefunden, weil die Klägerin gegen den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 1954, gegen den sich ihre zusammengefaßte Anfechtungs- und Feststellungsklage richtet, keinen Widerspruch erhoben hat. Die Klage hätte sowohl von dem Sozialgericht als auch - unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils - von dem Landessozialgericht wegen Fehlens dieser Prozeßvoraussetzung als unzulässig abgewiesen werden müssen.

Selbst wenn man den in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht gestellten Klageantrag, "erneut festzustellen, daß der Betrieb der Klägerin nicht der knappschaftlichen Versicherung unterliege", wörtlich auffassen, also nicht als einen zusammengefaßten Anfechtungs- und Feststellungsantrag, sondern als einen reinen Feststellungsantrag nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG ansehen wollte, würde das Ergebnis nicht anders sein, da es sich aus denselben Gründen auch dann nicht um einen Anspruch im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG handeln würde und die Bindungswirkung des Bescheids der Beklagten vom 8. Juni 1954 einer erneuten Entscheidung in der Sache selbst entgegenstehen würde, da es sich um die Feststellung desselben Rechtsverhältnisses handelt.

Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 1954 ist im Gegensatz zu der Ansicht der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse nicht nichtig. Die Beklagte war nach § 194 RKG berechtigt, der Klägerin gegenüber die Knappschaftsversicherungspflicht durch Bescheid festzustellen. § 194 RKG ist auch heute noch geltendes Recht. Durch § 224 Abs. 3 Nr. 4 SGG ist nur der Satz 2 dieser Vorschrift aufgehoben worden. Daraus ist zu schließen, daß der Gesetzgeber diese Vorschrift im übrigen aufrechterhalten wollte, den Knappschaften also diese Möglichkeit der Feststellung neben der sich aus § 55 SGG neu ergebenden Möglichkeit der Erhebung einer Feststellungsklage erhalten wollte.

§ 2 Abs. 4 RKG steht der Entscheidungsbefugnis der Beklagten nicht entgegen, weil es sich hier nicht um einen Streit darüber handelt, ob der Betrieb der Klägerin ein knappschaftlicher Betrieb ist - dies ist er unzweifelhaft nicht -, sondern lediglich, ob er entgegen der Regel des § 2 RKG auf Grund der Ausnahmevorschrift des Artikel 17 EG zum RKG, obwohl er kein knappschaftlicher Betrieb ist, dennoch der Knappschaft zugehört.

Das Verfahren des Landessozialgerichts leidet, da es zu Unrecht das sozialgerichtliche Urteil einer sachlichen Prüfung unterzogen hat, anstatt es aufzuheben und die Klage wegen Fehlens einer Prozeßvoraussetzung als unzulässig abzuweisen, an einem wesentlichen Mangel. Dieser ist, obwohl er nicht gerügt worden ist, bei der Prüfung der Begründetheit der Revision von Amts wegen zu berücksichtigen, da es sich um einen in der Revisionsinstanz fortwirkenden Verstoß gegen einen verfahrensrechtlichen Grundsatz handelt, dessen Nichtbeachtung auch das Verfahren des erkennenden Senats fehlerhaft machen würde (vgl. dazu Urt. des 4. Senats des BSG vom 15.12.1955 - 4 RJ 108/54 - SozR. SGG § 162 Bl. Da 8 Nr. 40 und Urt. des 2. Senats des BSG vom 13.2.1956 - SozR. SGG § 162 Bl. Da 7 Nr. 22). Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben werden. Da die Klägerin keine Möglichkeit hatte, ihre Klage in der Revisionsinstanz wieder in eine solche nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG zu ändern, weil nach § 168 SGG Klageänderungen im Revisionsverfahren unzulässig sind, mußte der Senat über die erhobene Klage entscheiden, wie sie in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erhoben ist, mußte sie also aus den angeführten Gründen unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts wegen Unzulässigkeit abweisen.

Die Erstattung außergerichtlicher Kosten kam nicht in Frage.

Die Festsetzung der Anwaltsgebühr beruht auf § 196 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380655

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