Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagebefugnis der KK

 

Leitsatz (amtlich)

Eine KK der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht berechtigt, einen Rentenbescheid anzufechten, den der Träger der Rentenversicherung nach dem Tod des Versicherten in dem vom Sozialhilfeträger weiter betriebenen Verwaltungsverfahren diesem gegenüber erlassen hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

Prozessuale Stellung der Krankenkasse bei Ersatzansprüchen gemäß RVO § 183 Abs 3 und 5:

1. Nach SGG § 54 Abs 1 können mit der Klage nur eigene Rechte, zu denen jedoch nicht nur gesetzlich normierte Ansprüche, sondern weitergehend auch rechtlich anerkannte und geschützte Rechtspositionen gehören, verfolgt werden. Die Klagebefugnis besteht jedoch nicht, wenn lediglich die Interessensphäre, etwa in wirtschaftlicher Hinsicht, betroffen ist.

2. Die wirtschaftlichen Interessen des Trägers der Krankenversicherung beim Zusammentreffen von Krankengeld und Rente werden durch den RVO § 183 Abs 3 und 5 abschließend geregelt. Die Krankenkasse hat dementsprechend kein Klagerecht gegen den die Rente gewährenden oder ablehnenden Bescheid des Rentenversicherungsträgers. Die Rechtsprechung des BSG, daß die Krankenkasse das Rentenfestsetzungsverfahren bis zur Bescheiderteilung weiterbetreiben kann, wenn der Versicherte vor der Bescheiderteilung gestorben ist, steht diesem Ergebnis nicht entgegen.

3. Die Krankenkasse kann nicht anstelle des verstorbenen Versicherten durch Klage gegen den Rentenversicherungsträger die Aufhebung des Rentenbescheides über die Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente und die Verurteilung zur Erteilung eines Bescheides über die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente erstreben.

 

Normenkette

SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1538 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1925-07-14, § 183 Abs. 3, 5

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 26. April 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) wendet sich gegen den Bescheid, den die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) dem Sozialamt nach dem Tode des Versicherten über die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit erteilt hat. Sie erstrebt, daß die Beklagte zur Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit verurteilt wird; sie will damit letztlich erreichen, daß die Voraussetzungen für den Übergang des Rentenanspruchs auf sie für gezahltes Krankengeld geschaffen werden (§ 54 Abs. 1 und 2 SGG; § 183 Abs. 3 und 5 Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Die AOK zahlte dem 1904 geborenen Versicherten Krankengeld vom 22. Oktober 1965 bis zur Aussteuerung am 5. Mai 1967. Das Sozialamt der Stadt S. leistete dem Versicherten später Sozialhilfe. Der Versicherte beantragte im November 1965 bei der Beklagten Versichertenrente. Er starb am 14. Oktober 1967. Bis dahin hatte die Beklagte noch nicht über seinen Rentenantrag entschieden. Der Sozialhilfeträger beantragte bei der Beklagten gemäß § 1538 RVO, das Rentenverfahren fortzusetzen. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 2. Juni 1969 Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Oktober 1965 bis 31. Dezember 1967. Sie richtete den Bescheid an den Sozialhilfeträger. Der Klägerin teilte sie die Feststellung der Rente wegen Berufsunfähigkeit mit und übersandte ihr eine Bescheidabschrift. Sie führte aus, ein Anspruchsübergang auf die Klägerin könne nicht stattfinden, da der Versicherte bereits am 14. Oktober 1967 gestorben sei.

Die Klägerin hat Klage gegen die Beklagte erhoben und beantragt, diese unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Juni 1969 zu verurteilen, den Anspruch des Versicherten auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Oktober 1965 anzuerkennen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen; die Berufung wurde zugelassen (Urteil vom 26. April 1974). Es hat die Klage als unzulässig angesehen: Die Klägerin sei nicht befugt, das Verfahren gegen die Beklagte zwecks Anerkennung eines Anspruchs des Versicherten auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu betreiben. Es fehle eine den §§ 1511, 1538 RVO entsprechende gesetzliche Regelung, die die Krankenkasse gegenüber dem Rentenversicherungsträger ermächtige. Die Krankenkasse habe auch kein Anwartschaftsrecht, d. h. eine gesetzlich geschützte Vorstufe auf dem Weg zum Vollrecht - einem sich aus § 183 Abs. 3 und 5 RVO ergebenden Ersatzanspruch. Die Aussicht auf ein später zu erwartendes Recht genüge nicht. Die Krankenkasse könne zwar dem Versicherten nach § 183 Abs. 7 RVO zur Antragstellung zwingen. Sie habe aber keinen Einfluß mehr, wenn der Versicherte sich mit der Anerkennung von Berufsunfähigkeit zufriedengebe.

Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten Sprungrevision eingelegt und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und festzustellen, daß sie befugt ist, zur Wahrung ihrer Rechte aus § 183 Abs. 3 RVO gegen den Rentenbescheid der Beklagten Klage zu erheben.

Die Klägerin hält ihre Klagebefugnis für gegeben; sie verweist u. a. auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. August 1967 - 3 RK 66/75 - (SozR Nr. 26 zu § 183 RVO) und vom 31. Oktober 1967 - 3RK 56/66 - (SozR Nr. 20 zu § 146 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Diese Urteile berücksichtigten das öffentliche Interesse daran, daß die Ersatzanspruchsrechte der Krankenkassen aus § 183 Abs. 3 oder Abs. 5 RVO verwirklicht würden. Deshalb sei die Krankenkasse befugt, die Fortsetzung des Rentenverfahrens zu betreiben. Dies schließe das Recht ein, gegen den Rentenbescheid Klage zu erheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie meint, die Klägerin könne einen ihr unter dem Gesichtspunkt des § 183 RVO ungünstigen Bescheid nicht aus eigenem Recht anfechten. Das wirtschaftliche Interesse der Krankenkasse könne eine fehlende Rechtsnorm nicht ersetzen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist nach dem hier noch anzuwendenden § 161 SGG a. F. (Art. III des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30. Juli 1974) zulässig. Sie ist aber unbegründet.

Es handelt sich hier nicht darum, ob die Krankenkasse das Rentenfestsetzungsverfahren beim Versicherungsträger bis zur Bescheiderteilung weiterbetreiben kann, wenn der Versicherte - Rentenantragsteller - vor der Bescheiderteilung gestorben ist, wie in den Fällen der Entscheidungen vom 27. April 1973 - 3 RK 57/71 - und in SozR Nr. 26 zu § 183 RVO, Nr. 20 zu § 146 SGG, SozR 2200 § 183 Nr. 4. Denn hier hat der Sozialhilfeträger das Verwaltungsverfahren nach § 1538 RVO fortgesetzt und der Rentenbescheid wurde ihm erteilt. Es ist vielmehr umstritten, ob die Klägerin durch Klage gegen die beklagte LVA die Aufhebung des Rentenbescheides und die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines Bescheides über die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente für den verstorbenen Versicherten erreichen kann (§ 54 SGG). Der Senat hat dies verneint.

Nach § 54 Abs. 1 kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes und die Verurteilung zum Erlaß eines Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger behauptet, beschwert zu sein. Er ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Der Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er Rechte des Klägers verletzt. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG kann der Kläger mit seiner Klage nur seine eigenen Rechte verfolgen. Zu den Rechten, gegen deren Verletzung durch einen Verwaltungsakt der Betroffene mit der Klage nach § 54 SGG vorgehen kann, gehören nicht nur gesetzlich normierte Ansprüche, sondern weitergehend auch rechtlich anerkannte und geschützte Rechtspositionen. Hingegen genügt ein nur "praktisches" Betroffensein, etwa in wirtschaftlichen Interessen, nicht. Der Verwaltungsakt muß die Rechtssphäre, nicht nur die Interessensphäre beeinträchtigen, damit der Betroffene ihn anfechten kann (vgl. SozR Nr. 115, 140, 141 zu § 54 SGG; Schunck/De Clerck, VwGO, 2. Aufl., Anm. 2 d aa) bis cc) zu § 42 VwGO; Eyermann/Fröhler, VwGO, 6. Aufl., Randnr. 99, 100 zu § 42 VwGO).

Die Klägerin ist nicht berechtigt, den Rentenbescheid der Beklagten anzufechten; denn der Bescheid verletzt nicht Rechte der Klägerin im dargelegten Sinn. Ihre für die Klagebefugnis maßgebende rechtliche Stellung ist § 183 RVO zu entnehmen.

In § 183 RVO werden Rechte der Krankenkasse insofern begründet, als ein Übergang des Rentenanspruchs des Versicherten auf die Krankenkasse unter bestimmten Voraussetzungen angeordnet ist. Der Forderungsübergang tritt ein, wenn die in Abs. 3 und 5 aaO bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. Eine der Voraussetzungen ist, daß Versichertenrente vom Rentenversicherungsträger "zugebilligt" ist. Ungeachtet dessen, daß für den zeitlichen Umfang des Krankengeldanspruchs und des übergegangenen Rentenanspruchs als Zeitpunkt der Zubilligung derjenige Zeitpunkt anzusehen ist, von dem an Rente zusteht (BSG 19, 28, 29;20, 135, 136), ist jedenfalls eine Rente erst dann "zugebilligt", wenn der Rentenbescheid erlassen ist. (vgl. SozR 2200 § 183 Nr. 1; in SozR Nr. 26 zu § 183 RVO). Das Bestehen eines Rentenanspruchs an sich, bevor der Rentenbescheid erteilt wird, bewirkt noch nicht den Übergang des Rentenanspruchs. Vor Erlaß eines Rentenbescheides hat die Krankenkasse bei Gewährung von Krankengeld für einen Krankengeldempfänger, der möglicherweise Rentenempfänger wird, zwar stets ein Interesse daran, daß Versichertenrente zugebilligt und sie dann durch einen Forderungsübergang entlastet wird. Dieses Interesse ist jedoch ein wirtschaftliches, wie es der ordnungsmäßigen Verwaltung der Mittel der Krankenversicherung entspricht. Darüber hinaus ist der Krankenkasse eine eigene selbständige Rechtsposition gegenüber dem Rentenversicherungsträger im Hinblick auf eine etwaige künftige Erteilung eines Rentenbescheides nicht gegeben. Die Krankenkasse hat keine im Gesetz festgelegte Möglichkeit, selbständig beim Rentenversicherungsträger auf Erteilung eines Rentenbescheides überhaupt und in einem bestimmten Sinn (Rente wegen Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit) Einfluß zu nehmen.

Abs. 7 des § 183 RVO i. d. F. vom 12. Juli 1961 (jetzt Abs. 7 und 8 des § 183 RVO i. d. F. vom 7. August 1974) gibt der Krankenkasse eine besondere Rechtsstellung nur gegenüber dem Krankengeldempfänger, indem sie ermächtigt wird, unter bestimmten Voraussetzungen von diesem die Stellung eines Rentenantrages beim Rentenversicherungsträger zu verlangen. Abs. 7 aaO grenzt damit, daß der Krankenkasse ein bestimmtes, genau beschriebenes Recht gewährt wird, gleichzeitig die Rechtsstellung der Krankenkasse im Hinblick auf etwaige weitergehende Interessen ab und beschränkt sie auf die im einzelnen beschriebenen Rechte. Dies bedeutet, daß der Krankenkasse - anders als dem Sozialhilfeträger nach § 1538 RVO und ihr selbst nach § 1511 RVO - in Abs. 7 aaO keine eigene selbständige Rechtsstellung gegenüber dem Rentenversicherungsträger gegeben ist, wenn der Krankengeldempfänger den Rentenantrag unterläßt. Die Krankenkasse wird durch Abs. 7 aaO in ihren Interessen insofern geschützt, als das Unterlassen des Rentenantrages durch den Versicherten den Verlust seines Anspruchs auf Krankengeld bewirkt und die Krankenkasse damit von ihrer Leistungspflicht befreit.

Es muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber die wirtschaftlichen Interessen der Krankenkasse bei Krankengeldempfängern, die möglicherweise Empfänger von Versichertenrente werden, durch die Gewährung der speziellen, in Abs. 3, 5 und 7 des § 183 RVO beschriebenen Rechte als ausreichend gewahrt angesehen hat. Ein Verfügungsrecht über den Rentenanspruch eines Krankengeldempfängers, das die Klägerin hier geltend machen mochte und das ihr bei ihrer Auffassung letztlich unabhängig vom Tode des Versicherten zustehen müßte, ist der Krankenkasse somit nicht gewährt worden.

Bei dieser Rechtslage kann ein Klagerecht der Krankenkasse gegen den Rentenbescheid nicht aus allgemeinen prozeßrechtlichen Erwägungen bejaht werden. Bei dem hier gegebenen Sachverhalt kann die allgemeine prozessuale Frage offenbleiben, ob es für die Klagebefugnis eines Dritten von Bedeutung sein könnte, daß er in einem Rechtsstreit zwischen den unmittelbar Beteiligten notwendig beizuladen wäre (§ 75 Abs. 2 SGG); denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Die aus der Auslegung des § 183 RVO gewonnene Beurteilung der Stellung der Beklagten bei § 54 Abs. 1 und 2 SGG entspricht allgemeinen Grundsätzen für das Verhältnis öffentlich-rechtlicher Hoheitsträger zueinander, der Begrenzung ihrer Aufgaben und Zuständigkeiten sowie der Wirkung ihrer Verwaltungsakte. Die öffentlich-rechtlichen Körperschaften - Versicherungsträger - stehen bei der Ausübung der ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben gegenüber den ihrer hoheitlichen Gewalt Unterworfenen gleichrangig und selbständig nebeneinander. Verwaltungsakte, die sie in ihrem Zuständigkeitsbereich gegenüber den Unterworfenen erlassen, bilden regelmäßig, soweit nicht besondere Vorschriften für bestimmte Beziehungen etwas anderes vorschreiben, in ihrem entscheidenden (bindungsfähigen) Teil für andere Hoheitsträger einen vorgegebenen Tatbestand (vgl. auch in SozR Nr. 19 zu § 1278 RVO). Diese grundsätzliche Abgrenzung ist für einen Versicherungsträger, der die durch den Verwaltungsakt eines anderen Versicherungsträgers geschaffene Rechtslage als Tatbestand seinen Verwaltungsakten zugrunde zu legen hat, nicht unzumutbar; denn es ist davon auszugehen, daß jeder Hoheitsträger seine Verwaltungsakte gesetzmäßig erläßt. Die Klagemöglichkeit eines selbständigen Hoheitsträgers gegen einen anderen selbständigen Hoheitsträger wegen Amtspflichtverletzung bleibt unberührt.

Im übrigen hätte hier daran gedacht werden können, daß der Sozialhilfeträger gegen den Rentenbescheid geklagt hätte - etwa auch erst auf Anregung durch die Klägerin -; denn bei Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit statt wegen Berufsunfähigkeit wäre ihm möglicherweise ein höherer Betrag seiner Aufwendungen erstattet worden.

Die Klägerin ist dadurch, daß die Beklagte ihr den Rentenbescheid mitgeteilt hat, nicht zum Adressaten des Bescheides geworden, so daß sie nicht aus diesem Grunde klageberechtigt ist.

Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von Entscheidungen anderer Senate ab (vgl. BSG 34, 289; 35, 224); denn dort lagen andere Sachverhalte und andere Klageanträge vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 256

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