Leitsatz (amtlich)

Läßt das Postamt einen Einschreibebrief so lange liegen, bis der Empfänger die Sendung dort abholt, so gilt sie erst mit dem Tage der Aushändigung als zugestellt; eine Zustellung durch "Übersendung" des eingeschriebenen Briefes iS des KOV-VfG § 27 Abs 2 liegt in einem solchen Fall nicht vor.

 

Orientierungssatz

Eine Ersatzzustellung nach ZPO §§ 181 - 186 findet im Rahmen des VwZG § 4 nicht statt.

 

Normenkette

KOVVfG § 27 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27; VwZG § 4; ZPO §§ 181-186; BGB § 242

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. März 1966 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Mit Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) vom 2. August 1962 wurde der Verschlimmerungsantrag des Klägers abgelehnt. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 20. Februar 1963 zurückgewiesen. Dieser Bescheid wurde am 21. Februar 1963 an den Bevollmächtigten des Klägers, P, VdK (P.) mit Einschreibebrief zur Post gegeben. Der Kläger erhob am 13. April 1963 Klage. Das Postamt teilte auf Anfrage mit, daß der Einschreibebrief P. am 15. März 1963 postordnungsmäßig ausgehändigt worden sei. Die Einschreibesendung sei auf Verlangen des Empfängers beim Postamt hinterlegt und deshalb nicht zurückgesandt worden. Das Sozialgericht (SG) verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 14. Januar 1964 zur Gewährung einer Rente ab 1. März 1961 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 v. H. Das Landessozialgericht (LSG) hob mit Urteil vom 22. März 1966 das SG-Urteil auf und wies die Klage ab. Diese sei verspätet erhoben und deshalb unzulässig. Der Widerspruchsbescheid sei mit Ablauf des 24. Februar 1963 als zugestellt zu betrachten. P. habe keine Sorge dafür getragen, daß das Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt werden konnte. Durch dessen Bitte an das Postamt, die Einschreibsendung zurückzuhalten, sei die Sendung mit dem Eintreffen beim Postamt in den Empfangsbereich des P. gelangt, der diese von dort jederzeit habe abholen können.

Mit der nicht zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe in Verkennung der §§ 63 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), 2 und 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) die Klage als unzulässig abgewiesen, statt in der Sache selbst zu entscheiden. Die Zustellung bestehe in der förmlichen Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger. Die Vermutung des § 4 Abs. 1 VwZG, wonach die Sendung mit dem 3. Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt gelte, sei dadurch widerlegt, daß die Sendung erst später ausgehändigt worden sei. Es sei nichts dafür dargetan, daß P. den Zugang der Sendung habe verhindern oder verzögern wollen, um dadurch irgendwelche Rechtsvorteile zu erwirken, zumal ihm der Inhalt des Bescheides nicht bekannt gewesen sei. P. habe die Einschreibsendungen wegen seiner sonstigen außerörtlichen dienstlichen Belastung nur gelegentlich der in V. turnusmäßig abgehaltenen Sprechtage in Empfang nehmen können. Die Klagefrist sei sonach gewahrt. Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Nach den Bestimmungen der Postordnung könne eine nicht zustellbare Einschreibsendung für 7 Tage hinterlegt werden, davon sei der Empfänger zu verständigen, die Sendung gelte nicht als zugestellt. Durch die Weisung des P., die Einschreibsendungen zurückzuhalten, habe er auf die Mitteilung über das Eingehen bestimmter Sendungen wirksam verzichtet. Unter diesen Umständen sei die Sendung mit dem Eintreffen bei der Bestimmungspostanstalt ohne tatsächliche Zustellung als zugegangen zu erachten. Im übrigen verstoße das Berufen auf die selbst verschuldete Verspätung der Abholung gegen Treu und Glauben, auch deshalb müsse die Sendung mit Ablauf des 24. Februar 1963 als zugestellt gelten.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft, da der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat, der vorliegt (§§ 162 Abs. 1 Nr. 2, 164, 166 SGG).

Zutreffend rügt der Kläger, daß das LSG die Klage nicht wegen verspäteter Klageerhebung als unzulässig hätte abweisen dürfen. Nach § 4 Abs. 1 VwZG gilt bei der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefs die Sendung mit dem 3. Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, daß das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Ist die Übergabe des Schriftstücks durch den Postbediensteten nach den Bestimmungen der Postordnung nicht möglich, so ist die Zustellung nach der Zustellungsart des § 4 VwZG gescheitert; dies folgt insbesondere aus § 4 Abs. 3 VwZG, in dem bestimmt ist, daß eingeschriebene Briefe, die "nach den Vorschriften der Postordnung nicht zugestellt werden können", an den Absender zurückgesandt werden, Eine Ersatzzustellung nach den §§ 181 - 186 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet im Rahmen des § 4 VwZG nicht statt (vgl. Entscheidung des BSG vom 27. Juni 1957 - 2 RU 298/55 -, Peters/Sautter/Wolff. Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Anm. zu § 4 VwZG bei § 63 SGG, S. 186/61). Zutreffend ist daher in den Verwaltungsvorschriften Nr. 6 zu § 4 VwZG bestimmt, daß die Behörde bei fehlendem Nachweis der Zustellung nochmals in dieser Zustellungsart oder unter Benutzung einer anderen Art der Zustellung zustellen muß. Die Annahme des Beklagten, daß die Sendung schon mit dem Eintreffen bei der Bestimmungspostanstalt ohne tatsächliche Zustellung als zugegangen zu gelten habe, geht daher fehl. Die Behörde muß vielmehr in all den Fällen, in denen der Empfänger bestreitet, das Schriftstück überhaupt oder bis zum Ablauf des 3. Tages nach der Aufgabe zur Post erhalten zu haben, den Nachweis führen, daß und gegebenenfalls wann er die Sendung erhalten hat. Ist der tatsächliche Zugang später als 3 Tage nach der Aufgabe zur Post erfolgt, so ist dieser Zeitpunkt maßgebend. Da die Ermittlungen hier ergeben haben, daß das Schriftstück dem Empfänger nicht innerhalb dreier Tage nach Aufgabe zur Post, sondern erst am 15. März 1953 ausgehändigt worden ist, ist der Bescheid somit erst mit diesem Tag zugestellt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Sendung auf das allgemeine Verlangen des Empfängers, die Einschreibsendungen bis zur Abholung zurückzuhalten, beim Postamt hinterlegt wurde. Denn nach § 47 Abs. I Nr. 5 der Postordnung vom 30. Januar 1929 (RGBl I, 33, 58) gelten Postsendungen als unzustellbar, wenn sie nicht innerhalb von 7 Tagen nach dem Eingang vom Abholer in Empfang genommen werden. Nach Abs. III dieser Vorschrift ist die unzustellbare Sendung unverzüglich an den Absender zurückzusenden. Das Schriftstück gilt sonach auch bei einer unterbliebenen Abholung nicht als zugestellt (vgl. die ähnliche Regelung in § 52 Abs. 1 und 2 bzw. § 53 Abs. 4, §§ 59 Abs. 2 Nr. 4, 60 Abs. 1 der ab 1. Juni 1964 geltenden (§ 64) Postordnung vom 16. Mai 1963 - BGBl I, 341 -). Wenn das Postamt mit der Rücksendung länger als 7 Tage, nämlich bis zur Abholung am 15. März 1963 zugewartet hat, so ändert dies nichts daran, daß erst der Tag der Abholung bzw. Aushändigung als Zustellungstag anzusehen ist (vgl. Peters/Sautter/Wolff aaO und BAG in NJW 1963 S. 554, 555). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 27 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG), wonach Zustellungen ua durch Übersendung mittels eingeschriebenen Briefes geschehen können. Auch diese Zustellungsart erfordert, wie sich schon aus den Worten "erfolgten Zustellung" in Satz 1 ergibt, grundsätzlich den Zugang der Sendung an den Empfänger oder eine Ersatzperson. Zu dem Fall einer Annahmeverweigerung hat es der 10. Senat des BSG im Urteil vom 18. März 1965 (SozR Nr. 1 zu § 27 VerwVG) dahingestellt sein lassen, ob für die Zustellung durch eingeschriebenen Brief die Absendung genüge oder ob die "Übersendung" wenigstens die Möglichkeit des Empfangs des Briefes einschließen muß. Der Senat ist der Auffassung, daß § 27 Abs. 2 VerwVG insoweit an den Zustellungserfordernissen des § 4 VwZG nichts geändert hat, als mindestens mit der "Übersendung" die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme verbunden sein muß und daß diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, wenn das Schriftstück lediglich bei der Post liegen bleibt.

Der Empfänger verstößt dadurch, daß er sich auf den Zustellungszeitpunkt der Aushändigung der Sendung beruft, nicht gegen Treu und Glauben. Dies schon deshalb nicht, weil der Beklagte auf eine Zustellung nach § 4 VwZG bzw. § 27 Abs. 2 VerwVG nicht angewiesen war und der mißglückten vereinfachten Zustellung eine förmliche Zustellung evtl. mit Ersatzzustellung nach §§ 181 ff ZPO folgen konnte.

Wenn das Postamt vorschriftsmäßig verfahren wäre, so würde die Sendung nach 7 Tagen an den Beklagten zurückgesandt worden sein, diesem wäre nichts anderes übrig geblieben, als eine neue Zustellung zu veranlassen. Eine rechtsmißbräuchliche Verhinderung der Aushändigung oder rechtsmißbräuchliche Unterlassung der Abholung durch den Empfänger (vgl. hierzu BAG aaO) scheidet schon deshalb aus, weil nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich ist, daß P. von dem Eintreffen der Sendung beim Postamt vorher unterrichtet war und seine Abwesenheit einer anderen Zustellung als einer vereinfachten nach § 4 VwZG bzw. § 27 Abs. 2 VerwVG nicht entgegenstand.

Ob etwas anderes dann zu gelten hat, wenn der Empfänger die Annahme der Einschreibsendung verweigert (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 27 VerwVG) oder wenn das Schriftstück dadurch in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, daß es in sein Postschließfach eingelegt wurde oder ihm "postlagernd" zugegangen ist (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB Anm. 2 zu § 130 BGB; Peters/Sautter/Wolff aaO und BAG aaO) hatte der Senat nicht zu erörtern, da diese Voraussetzungen hier nicht gegeben sind.

Nach alledem ist der Widerspruchsbescheid erst am 15. März 1963 zugestellt worden, weshalb die am 13. April 1963 erhobene Klage nicht verspätet ist. Das Verfahren des LSG leidet somit, weil es die Klage zu Unrecht als verspätet angesehen hat, an einem wesentlichen Mangel (vgl. BSG 4, 200; 7, 113, 114), der die Revision statthaft macht. Die Revision ist auch begründet, da das LSG die Klage aus diesem Grunde nicht als unzulässig hätte abweisen dürfen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

NJW 1967, 597

MDR 1967, 160

DVBl. 1968, 88

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