Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung des Übergangsgeldes. Anschluß von Rehabilitationsmaßnahme an Krankengeldbezug. nachentrichtete Beiträge

 

Orientierungssatz

1. Eine Heilbehandlung ist nicht "im Anschluß" an den Krankengeldbezug durchgeführt worden, wenn eine Zeitspanne von mehr als 4 Wochen zwischen Ende des Krankengeldbezugs und Beginn der Rehabilitationsmaßnahme vorliegt (Anschluß an BSG 21.6.1983 4 RJ 39/82 = SozR 2200 § 1240 Nr 11 RVO).

2. Beiträge, die nach Beginn der Maßnahme für im Bemessungszeitraum liegende Zeiten nachentrichtet worden sind, dürfen bei der Berechnung des Übergangsgeldes nach § 18 Abs 2 AVG aF nicht berücksichtigt werden (vgl BSG vom 27.4.1978 11 RA 69/77 = BSGE 46, 175).

 

Normenkette

AVG § 18 Abs 2 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241 Abs 2 Fassung: 1974-08-07; AVG § 18b Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241b Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 04.04.1984; Aktenzeichen III ANBf 39/83)

SG Hamburg (Entscheidung vom 01.07.1983; Aktenzeichen 9 AN 227/80)

 

Tatbestand

Unter den Beteiligten ist streitig, ob das dem Kläger gewährte Übergangsgeld (ÜG) nach § 18 Abs 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) oder nach § 18b AVG idF des RehaAnglG zu berechnen ist.

Der im Jahr 1941 geborene Kläger, gelernter Maurer, war zuletzt selbständiger Künstlerberater und bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) für den Fall der Krankheit sowie bei der Beklagten in der Rentenversicherung der Angestellten versichert. In der Zeit von November 1976 bis Oktober 1977 entrichtete er an die Beklagte zwei Monatsbeiträge in Höhe von je 504,-- DM für die Monate November und Dezember 1976. Am 3. November 1977 wurde er wegen chronischer Polyarthritis arbeitsunfähig. Er bezog vom 24. November 1977 bis 4. Mai 1979 Krankengeld, zuletzt in Höhe von 74,-- DM täglich; für die Zeit vom 1. Dezember 1978 bis zum Ende der Krankengeldzahlung entrichtete die DAK Rentenversicherungsbeiträge. Die Beklagte führte vom 11. Juli bis 8. August 1979 für den Kläger eine Heilbehandlung in einer Rheumaklinik durch. Mit Bescheid vom 10. August 1979 bewilligte sie dem Kläger für die Dauer des Heilverfahrens ein nach § 18 Abs 2 AVG aF berechnetes ÜG vom 13,67 DM täglich (im Tatbestand des Urteils des Landessozialgerichts -LSG- steht 12,44 DM), wobei sie eine Beitragsleistung in den letzten 12 Kalendermonaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit in Höhe von 1.008,-- DM zugrunde legte. Der Widerspruch des Klägers, der ein höheres ÜG forderte, blieb erfolglos.

Mit der Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg hat der Kläger beantragt, "das Übergangsgeld unter Einbeziehung der im Dezember 1979 für die Monate Januar bis Oktober 1977 nachentrichteten Beiträge in Höhe von 5.000,-- DM neu zu berechnen". Dabei hat er vorgetragen, er sei von einer Dienststelle der Beklagten falsch beraten worden und habe deshalb die nachentrichteten Beiträge zu spät eingezahlt. Das SG hat mit Urteil vom 1. Juli 1983 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hält § 18b AVG aF für nicht anwendbar, weil das dem Kläger gewährte Krankengeld nicht aus einem Arbeitsentgelt, sondern nach § 182 Abs 6 RVO berechnet worden sei. Eine Verletzung der Beratungspflicht durch die Beklagte - mit der Folge eines "sozialrechtlichen Schadensersatzanspruches" - ist nach Meinung des SG nicht nachgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, "ihm das Übergangsgeld nach Maßgabe des § 18b AVG, hilfsweise unter Berücksichtigung der für die Zeit vor Beginn der Zahlung des Übergangsgeldes nachentrichteten Rentenversicherungsbeiträge zu gewähren". Das LSG hat die Beklagte verurteilt, das ÜG "in der Höhe zu gewähren, die sich bei Zugrundelegung des Arbeitsentgeltes ergibt, das für die Berechnung des vor Beginn der Rehabilitation bezogenen Krankengeldes maßgebend war". Es hat die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: § 18 AVG aF komme hier nicht in Betracht, weil der Kläger vor Beginn der Maßnahme nicht freiwillig, sondern als Krankengeldbezieher pflichtversichert gewesen sei. Das ÜG sei vielmehr nach § 18b AVG aF zu bemessen. Der Kläger habe Krankengeld bezogen, und im Anschluß daran sei die Maßnahme durchgeführt worden; hierfür reiche der hier vorliegende enge zeitliche Zusammenhang aus. Bei der Berechnung des ÜG sei von dem dem Krankengeld zugrunde gelegten Arbeitsentgelt auszugehen; die sich auf § 18 Abs 4 AVG aF beziehende Entscheidung BSGE 49, 41f stehe dem nicht entgegen.

Mit der Revision trägt die Beklagte vor: Entgegen der Auffassung des LSG sei das ÜG nach § 18 Abs 2 AVG aF zu bemessen, weil der Kläger in den letzten 12 Monaten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (nur) freiwillig Versicherter gewesen sei. Die Anwendung des § 18b AVG aF komme nicht in Betracht, weil ein tatsächlich erzieltes Arbeitsentgelt weder dem Krankengeld zugrunde gelegen habe noch dem nachfolgenden ÜG zugrunde liege. Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hamburg vom 1. Juli 1983 als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Auf den Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 8. November 1984 wird Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache begründet. Das Urteil des LSG kann nicht aufrechterhalten werden. Das LSG hat zu Unrecht dem Hauptantrag des Klägers, der auf die Anwendung des § 18b AVG aF zielte, stattgegeben. Zu einer abschließenden Entscheidung des Senats über den Hilfsantrag fehlen aber die erforderlichen Feststellungen.

Nach § 18b AVG idF des RehaAnglG (aF) war bei der Berechnung des ÜG von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt auszugehen, wenn der Betreute Krankengeld bezogen hatte und im Anschluß daran eine Maßnahme zur Rehabilitation durchgeführt wurde. Diese Voraussetzungen liegen aus mehreren Gründen nicht vor.

Im Fall des Klägers ist die Heilbehandlung schon nicht "im Anschluß" an den Krankengeldbezug durchgeführt worden. Denn der Zeitraum vom 4. Mai 1979 (letzter Tag des Krankengeldbezuges) bis zum 11. Juli 1979 (Beginn der Maßnahme und des ÜG) betrug über zwei Monate. Damit war die Zeitspanne, in der der "Anschluß" noch hätte gewahrt sein können, überschritten. Wie der 4. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 2200 § 1240 Nr 11), anknüpfend an die Entscheidung des 1. Senats in BSGE 51, 193, 196, bereits entschieden hat, ist bei einem Zeitabstand von länger als vier Wochen ein "Anschluß" an den Krankengeldbezug nicht mehr gegeben. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Außerdem bezieht sich in § 18b AVG aF die Anweisung, "von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt auszugehen", auf das Arbeitsentgelt, das der Bemessung der bezogenen Leistung zugrunde gelegen hat (zB § 182 Abs 4 und 5 RVO iVm § 18 Abs 1 AVG). Die Vorschrift kann sonach für die Fälle, in denen das Krankengeld nicht nach dem Arbeitsentgelt, sondern nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden Grundlohn berechnet wird, nicht gelten. Das hat der Senat - beiläufig - schon früher betont (BSGE 49, 41, 42 = SozR 2200 § 1241b Nr 2). Der Kläger gehörte zu den Krankenversicherten, die nicht Arbeitnehmer sind, und hat das Krankengeld nicht nach einem Arbeitsentgelt, sondern nach dem Grundlohn bezogen. Das LSG hat dazu zwar keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen, ja sogar im Tenor seines Urteils von einem für das Krankengeld maßgebenden Arbeitsentgelt gesprochen. Nach dem Gesamtzusammenhang seiner Urteilsbegründung ist das LSG jedoch mit dem SG entsprechend dem Tatbestand des SG-Urteils davon ausgegangen, daß das dem Kläger gewährte Krankengeld nach § 182 Abs 6 (Satz 1) RVO, also nicht aus einem Arbeitsentgelt berechnet worden ist.

Da bereits aus jedem dieser Gründe der Hauptantrag des Klägers keinen Erfolg haben kann, braucht der Senat nicht weiter darauf einzugehen, daß nach seiner früheren vom LSG zitierten Entscheidung der § 18b AVG aF außerdem auch die Berechnung der neuen Leistung aus einem Arbeitsentgelt voraussetzte.

Zu entscheiden bleibt damit, ob wenigstens dem vor dem LSG gestellten Hilfsantrag des Klägers zu entsprechen ist. Mit ihm will der Kläger erreichen, daß bei der Berechnung des ÜG - und zwar diesmal auf der Grundlage des § 18 Abs 2 AVG aF - die von ihm für die Zeit vor dem Beginn des ÜG nachentrichteten Rentenversicherungsbeiträge berücksichtigt werden. Es handelt sich um zehn Beiträge, die der Kläger im Dezember 1979 für die Monate Januar bis Oktober 1977 nachentrichtet hat. Hierzu hat aber bereits das SG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 46, 175) zutreffend dargelegt, daß Beiträge, die nach Beginn der Maßnahme für im Bemessungszeitraum liegende Zeiten nachentrichtet worden sind, bei der Berechnung des ÜG nach § 18 Abs 2 AVG aF nicht berücksichtigt werden dürfen.

Der Kläger stützt dieses Begehren indessen auch darauf, daß ein Bediensteter der Beklagten ihn falsch beraten und dadurch zur verspäteten Einzahlung der weiteren zehn Monatsbeiträge veranlaßt habe. Insoweit macht er einen von der Rechtsprechung entwickelten Herstellungsanspruch geltend. Träfe die Behauptung des Klägers zu, so müßte die Beklagte den Kläger kraft dieses Anspruchs so stellen, als ob dieser die Beiträge für die Monate Januar bis Oktober 1977 nicht erst im Dezember 1979, also nach Beginn der Heilbehandlung, sondern schon vor deren Beginn nachentrichtet hätte. In diesem Fall hätte sich nach dem hier anzuwendenden § 18 Abs 2 AVG idF des RehaAnglG ein höheres ÜG ergeben.

Die Vorschrift galt für Betreute, die als freiwillig Versicherter oder als pflichtversicherter Selbständiger vor Beginn der Maßnahme Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt und Beiträge entrichtet hatten. Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger hat vor Beginn der Maßnahme Arbeitseinkommen (iS des § 15 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) erzielt, was das LSG zwar nicht ausdrücklich festgestellt hat, sich aber aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt, und Beiträge entrichtet. Er war ferner freiwillig Versicherter iS dieser Vorschrift. Dem steht nicht entgegen, daß er vor der Maßnahme zuletzt aufgrund des Krankengeldbezuges pflichtversichert gewesen ist. Denn diese Pflichtversicherung kann die Anwendung des § 18 Abs 2 AVG aF nicht verhindern. Eine Pflichtversicherung dieser Art ist im gesamten Rahmen des § 18 AVG aF unbeachtlich gewesen. Soweit für diese Vorschrift Pflichtversicherungen erheblich waren, kam es in Abs 1 darauf an, ob der Betreute gegen Arbeitsentgelt versicherungspflichtig beschäftigt war, und in Abs 2, ob er als Selbständiger pflichtversichert gewesen ist. Beides traf beim Kläger nicht zu. Sonach bleibt aus der Zeit vor Beginn der Maßnahme nur die freiwillige Versicherung des Klägers im Rahmen des § 18 AVG aF von Bedeutung. Damit gehörte er zu der Personengruppe des § 18 Abs 2 AVG aF, die neben pflichtversicherten Selbständigen die vor Beginn der Maßnahme freiwillig Versicherten erfaßt.

Hiernach hängt die Entscheidung über den Hilfsantrag davon ab, ob der Kläger durch Bedienstete der Beklagten mit der behaupteten Schadensfolge falsch beraten worden ist. Das LSG hat keine in diesem Zusammenhang erheblichen Tatsachen festgestellt und von seiner Rechtsauffassung aus auch nicht festzustellen brauchen. Es hat insbesondere nicht die vom SG festgestellten - gegen einen Herstellungsanspruch des Klägers sprechenden - Tatsachen übernommen. Da der Senat diese Tatsachen nicht selbst feststellen darf, war die Sache somit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen; dabei wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661951

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