Leitsatz (amtlich)

1. AVG § 18b (= RVO § 1241b) setzt nicht nur voraus, daß die bisherige Leistung (Übergangsgeld oder Krankengeld) aus einem Arbeitsentgelt berechnet worden ist, sondern auch, daß das Übergangsgeld für die anschließende Rehabilitationsmaßnahme aus einem Arbeitsentgelt zu berechnen ist; die Vorschrift gilt daher nicht, wenn Übergangsgeld nach AVG § 18 Abs 4 aF (Mindestübergangsgeld) zu gewähren ist.

2. Der Anspruch auf Krankengeld ruht nach RVO § 183 Abs 6 nur in Höhe des Übergangsgeldes (Anschluß an BSG 1977-08-31 1 RA 15/76 = BSGE 44, 226).

3. Hat ein beigeladener Versicherungsträger bereits vorschußweise gezahlt, so ist SGG § 75 Abs 5 auch in der Weise anwendbar, daß im Urteil die endgültige Leistungspflicht dieses Versicherungsträgers festgestellt wird.

 

Normenkette

AVG § 18 Abs. 4 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241 Abs. 4 Fassung: 1974-08-07; AVG § 18b Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241b Fassung: 1974-08-07, § 182 Abs. 4 Fassung: 1974-08-07, Abs. 5 Fassung: 1974-08-07, Abs. 6 Fassung: 1974-08-07, § 183 Abs. 6 Fassung: 1974-08-07; SGG § 75 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

SG Würzburg (Entscheidung vom 29.06.1978; Aktenzeichen S 5 An 192/76)

 

Tenor

Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29. Juni 1978 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig ist die Hohe eines Übergangsgeldes.

Der Kläger ist als leitender Angestellter beschäftigt und im September 1975 arbeitsunfähig erkrankt. Von der beigeladenen Betriebskrankenkasse (BKK), bei der er freiwillig mit Anspruch auf Krankengeld versichert ist, erhielt er ab dem 9. Oktober 1975 Krankengeld in Höhe von 56,-- DM täglich.

Die Beklagte (BfA) gewährte dem Kläger ein Heilverfahren für die Zeit vom 9. Dezember 1975 bis zum 6. Januar 1976. Da der Kläger in der Angestelltenversicherung von der Versicherungspflicht befreit ist und dort seit 1972 keine freiwilligen Beiträge mehr entrichtet hat, berechnete sie das Übergangsgeld gemäß § 18 Abs 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - in der vor Juli 1977 geltenden Fassung des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) - in Höhe von täglich 4,67 DM.

Der Kläger und die Beigeladene wollen demgegenüber, daß das Übergangsgeld gemäß § 18b AVG - als Anschlußübergangsgeld - nach dem Arbeitsentgelt berechnet wird, das dem Krankengeld zugrunde gelegen habe. Die Beigeladene hat dem Kläger deshalb die Differenz zum Krankengeld als Vorschuß auf das erwartete höhere Übergangsgeld gezahlt.

Der Widerspruch und die Klage, mit der der Kläger ein Übergangsgeld mindestens in Höhe des Krankengeldes beanspruchte, waren ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen mit der Maßgabe, daß die Beigeladene den vorschüßlich gezahlten Betrag endgültig zu tragen habe (Urteil vom 29. Juni 1978).

Zur Begründung hat das SG ausgeführt: § 18b AVG sei nicht zugunsten des Klägers anwendbar, selbst wenn das Krankengeld aus einem Arbeitsentgelt berechnet worden sei, was nicht zutreffe, aber dahinstehen könne. § 18b AVG bezwecke - wie § 16 RehaAnglG - lediglich eine Verwaltungsvereinfachung insoweit, als von einer erneuten Ermittlung und Feststellung der Berechnungsgrundlage abzusehen sei. Deshalb müßten sowohl die bisherige als auch die neue Leistung aus einem Arbeitsentgelt zu berechnen sein. Dem nach § 18 Abs 4 AVG festzusetzenden Übergangsgeld liege kein solches zugrunde. Der Differenzbetrag stehe dem Kläger jedoch als Krankengeld zu, weil dieses gemäß § 16 AVG nur in Höhe des Übergangsgeldes ruhe. Da die Beigeladene den Unterschiedsbetrag bereits als Vorschuß gezahlt habe, sei im Urteilstenor herauszustellen, daß sie ihn endgültig zu tragen habe.

Die Beigeladene hat die vom SG zugelassene Revision eingelegt. Sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, das Übergangsgeld gemäß § 18b zu errechnen und ihr den dem Kläger gewährten Vorschuß von insgesamt 1.488,57 DM zu erstatten.

Sie rügt unrichtige Anwendung des § 18b AVG.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Alle Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision der Beigeladenen ist zurückzuweisen.

1. Unzulässig schon ist der von der Beigeladenen erstmals im Revisionsverfahren gestellte Antrag, die Beklagte zur Erstattung des vorschußweise gezahlten Krankengeldes zu verurteilen. Denn ebensowenig wie ein Kläger kann ein Beigeladener in der Revisionsinstanz neue Klageanträge im Wege der Klageänderung in das Verfahren einführen (§ 168 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-); zudem macht die Beigeladene damit einen eigenen Klageanspruch geltend, was einem Beigeladenen verwehrt ist (SozR 1500 § 75 Nr 2).

2. Auf die Revision der Beigeladenen ist somit nur zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht die Klage mit der die Beigeladene betreffenden Maßgabe abgewiesen hat. Insoweit ist das Urteil des SG nicht zu beanstanden.

a) Entgegen der Auffassung der Beigeladenen kann der Kläger kein höheres Übergangsgeld nach § 18b verlangen. Diese Vorschrift betrifft zwar den hier gegebenen Fall, daß ein Betreuter (Übergangsgeld oder) Krankengeld bezogen hat und daß im Anschluß daran eine Maßnahme zur Rehabilitation durchgeführt wird. Gleichwohl ist sie nicht zugunsten des Klägers anwendbar.

§ 18b AVG bestimmt, daß bei der Berechnung des Übergangsgeldes während der Anschlußmaßnahme "von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt auszugehen" ist (wenn sich nicht nach § 18 Abs 2 ein höheres Übergangsgeld ergibt). Daraus folgt - zunächst -, daß die bisherige Leistung auf der Grundlage eines Arbeitsentgeltes berechnet sein muß. Ob das dem Kläger gewährte Krankengeld tatsächlich aus seinem Arbeitsentgelt berechnet wurde, hat das SG letztlich offen gelassen. Aus welchen Gründen es dies bezweifelt hat, ist aber nicht ersichtlich, zumal die Beigeladene dargelegt hat, daß die Berechnung des Krankengeldes nach dem Arbeitsentgelt des Klägers dem Gesetz entspricht. Nach § 182 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bemißt sich das Krankengeld auch der freiwillig versicherten Arbeitnehmer nach dem Bemessungsentgelt im Sinne der Absätze 4 und 5, da die Sonderregelung des Abs. 6 nur für Versicherte gilt, die nicht Arbeitnehmer sind (vgl Rundschreiben der Spitzenverbände vom 12. Juli 1974 in DOK 1974, 904 unter 2.1; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, § 182 Anm 4.3).

Die Beklagte freilich will ein Arbeitsentgelt als Grundlage der bisherigen Leistung allein nicht genügen lassen; sie verlangt ein (im konkreten Falle) versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt, weil im Recht der Sozialversicherung unter Arbeitsentgelt immer ein solches zu verstehen sei. Der Senat hält diese Einschränkung nicht für gerechtfertigt, weil schon § 18 Abs 2 AVG zeigt (vgl auch § 14 des am 1. Juli 1977 in Kraft getretenen Vierten Buches des Sozialgesetzbuches), daß der Begriff Arbeitsentgelt nicht in diesem Sinne einzuschränken ist; denn dort wird ua das Übergangsgeld für Personen festgelegt, die als freiwillig Versicherte "Arbeitsentgelt" bezogen haben.

b) Wenn sonach wohl die Anwendung des § 18b AVG nicht an der Berechnungsweise des vorangegangenen Krankengeldes scheitern kann, so steht ihr doch entgegen, daß jedenfalls das dem Kläger nach § 18 Abs 4 AVG aF zustehende Übergangsgeld seinerseits nicht nach einem Arbeitsentgelt berechnet wird.

Dem SG ist darin zuzustimmen, daß § 18b AVG nur anzuwenden ist, wenn auch das nachfolgende Übergangsgeld unabhängig von dieser Vorschrift aus einem Arbeitsentgelt zu berechnen ist. Die Vorschrift bestimmt das zwar nicht ausdrücklich, sie setzt aber eine solche Berechnungsgrundlage für die nachfolgende Leistung ebenso wie bei der vorangegangenen Leistung voraus und begnügt sich mit der Regelung, daß dann von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt "auszugehen" ist. § 18b AVG enthält demzufolge anders als § 18 Abs 1 keine Regelung des weiteren Berechnungsverfahrens.

Für diese Auslegung spricht ferner der Sinn und Zweck des § 18b AVG. Die Vorschrift ist keine reine Besitzstandsregelung; sie gewährleistet nicht die Fortzahlung der bisherigen Leistung. Sie gilt überhaupt nur, wenn zuvor Leistungen nach einem Arbeitsentgelt gewährt worden sind. Sie will alsdann eine doppelte Feststellung des Arbeitsentgeltes vermeiden. Damit dient sie der Verwaltungsvereinfachung. Zugleich sichert sie den Betreuten davor, daß für die nachfolgende Leistung ein geringeres Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wird; nur insoweit bezweckt sie auch eine Besitzstandswahrung. Diese Zielsetzung (Verwaltungsvereinfachung mit damit verbundener Besitzstandswahrung) findet ihre Bestätigung in den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 7/1237, HegBegr zu § 21 Nr 63 betr § 1241b RVO auf S. 71). Eine weitergehende Besitzstandswahrung als die Festschreibung des Arbeitsentgeltes war demnach nicht beabsichtigt.

Im übrigen erscheint die Auslegung auch vom Ergebnis her begründet. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, daß der Kläger aus der Rentenversicherung ein nach einem Arbeitsentgelt berechnetes Übergangsgeld über die Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung hinaus erhalten könnte, obwohl er zur Rentenversicherung keine Beiträge aus seinem Entgelt entrichtet hat. Für eine solche Privilegierung fehlt ein einleuchtender Grund.

Das SG hat hiernach zu Recht die vom Kläger gegen die Beklagte erhobene Klage abgewiesen.

c) Der Senat kann dabei das Urteil des SG auch hinsichtlich der ihm beigefügten "Maßgabe" bestehen lassen.

Dieser Teil des Urteilstenors bedeutet der Sache nach die Feststellung, daß die Beigeladene den vorschußweise gezahlten Differenzbetrag endgültig tragen muß, insoweit also dem Kläger gegenüber leistungspflichtig ist. Die Feststellung hat das SG offenbar aufgrund von § 75 Abs 5 SGG ausgesprochen. Danach kann ein Versicherungsträger nach Beiladung "verurteilt werden". Das besagt nicht, daß das Gericht den Versicherungsträger allein zu einer Leistung verurteilen könnte (BSG SozR § 1399 RVO Nr 8); nach Wortlaut und Sinn des § 75 Abs 5 muß sich das Gericht vielmehr bei schon vorschußweise gewährter Leistung auf die bloße Feststellung der endgültigen Leistungspflicht beschränken können.

Die getroffene Feststellung ist auch begründet. Gemäß §§ 183 Abs 6 RVO, 16 Satz 3 AVG ruht zwar der Anspruch auf Krankengeld, solange der Betreute Übergangsgeld erhält. Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat jedoch bereits dargelegt, daß der Anspruch auf Krankengeld nur "insoweit" ruht, als der Betreute tatsächlich Übergangsgeld bezieht (BSGE 44, 226). Hierzu hat er zur Begründung ausgeführt, die Ruhensvorschrift solle den Doppelbezug gleichartiger Sozialleistungen ausschließen; der Leistungsberechtigte müsse deshalb nach Anwendung der Ruhensvorschrift wirtschaftlich zumindest so gestellt bleiben, wie er ohne Hinzutreten des das Ruhen bewirkenden weiteren Leistungsanspruchs gestellt wäre. Der Senat schließt sich der Auffassung des 1. Senats an. Im übrigen hat die Beigeladene für den Fall eines nicht bestehenden Anspruchs auf ein höheres Übergangsgeld auch keine Einwände gegen ihre vom SG festgestellte Leistungspflicht erhoben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; dabei hat der Senat berücksichtigt, daß dem Kläger in der Revisionsinstanz wohl keine außergerichtlichen Kosten entstanden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1654647

BSGE, 41

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