Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, welche Arbeit dem Kläger nach 10-monatiger Arbeitslosigkeit zumutbar gewesen ist, und ob die Beklagte dem Kläger zu Recht eine Sperrzeit auferlegt hat, nachdem er seine Arbeit mit der Begründung zu geringer Entlohnung niedergelegt hatte.

Der Kläger war von März 1969 bis 7. Januar 1975 als Maurer (Gipsplattensetzer) bei einem Gips- und Stuckbetrieb in M… (Nahe) beschäftigt. Mit Akkordarbeiten auf Baustellen im Raum Frankfurt erzielte er einen Bruttoarbeitslohn im Oktober 1974 bei 22 Arbeitstagen mit 176 Stunden 3.799,99 DM, im November 1974 bei 18 Arbeitstagen mit 144 Stunden 3.350,93 DM, im Dezember 1974 bei 20 Arbeitstagen mit 158 Stunden 2.551,78 M und vom 1. bis 7. Januar 1975 bei 5 Arbeitstagen mit 40 Stunden 910,05 DM. Dieses Arbeitsverhältnis wurde seitens des Arbeitgebers wegen Arbeitsmangels zum 7. Januar 1975 gekündigt.

Das Arbeitsamt bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld (Alg) für 312 Tage. Unter Berücksichtigung des nach der Leistungsverordnung 1975 höchstmöglichen Bemessungsentgelts von 655,-- DM und des Familienstandes des Klägers betrug der Leistungssatz wöchentlich 319,80 DM.

Am 10. November 1975 vermittelte das Arbeitsamt dem Kläger eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter im Rahmen einer Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung §§ 91 ff. Arbeitsförderungsgesetz - AFG -) bei der Stadt … Diese Arbeit legte der Kläger am 11. November 1975 nieder, weil er sie wegen zu geringer Entlohnung für unzumutbar hielt. Für der 10. und 11. November 1974 hatte er in 17 Arbeitsstunden ein Bruttoentgelt von 127,50 DM erzielt.

Das Arbeitsamt stellte den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen ab 12. November 1975 fest (Bescheid vom 8. Dezember 1975; Widerspruchsbescheid vom 23. Dezember 1975), weil der Kläger sein Arbeitsverhältnis bei der Stadt … ohne wichtigen Grund gelöst habe. Ab 10. Dezember 1975 erhielt der Kläger für die restliche Bezugsdauer von 60 Tagen Alg in der bisherigen Höhe. Vom 1. bis 7. Januar 1976 erhöhte es sich entsprechend dem nunmehr nach der Leistungsverordnung 1976 berücksichtigungsfähigen vollen Bemessungsentgelt von 699,20 DM auf 331,80 DM wöchentlich und ab 8. Januar 1976 durch die Dynamisierung des bisherigen Bemessungsentgelts gem. § 112a AFG auf 343,20 DM wöchentlich. Nach Erschöpfung seines Alg-Anspruchs mit Ablauf des 17. Februar 1976 nahm der Kläger ab 18. Februar 1976 eine Arbeit als Polier bei einer Baufirma in K… auf. Bevor er erneut arbeitslos wurde, verdiente er dort zuletzt in der Zeit vom 1. September bis 12. Oktober 1976 bei 30 Arbeitstagen mit 267,5 Stunden 3.036,13 DM brutto. Das entspricht einem Bemessungsentgelt von 454,00 DM wöchentlich.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. September 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil mm 22. März 1977 die Sperrzeit für den Bezug von Alg auf zwei Wochen herabgesetzt und im übrigen die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger habe für die Aufgabe der ihm vom Arbeitsamt vermittelten Arbeit keinen wichtigen Grund gehabt. Mehr als zehn Monate lang sei die Vermittlung des Klägers in eine seinem bisherigen Beruf gleichwertige Stellung nicht möglich gewesen. Diese Vermittlungsschwierigkeiten seien nach der überschaubaren Entwicklung von Angebot und Nachfrage in absehbarer Zeit nicht zu beheben gewesen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß im Winter eine Vermittlung in Bauberufen besonders schwierig sei. Die Arbeitslosigkeit des Klägers habe deshalb nur beendet werden können, indem bei der Vermittlung auf vorhandene oder im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach § 91 ff. AFG neu zu gewinnende Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb seines bisherigen Berufs und von geringerem sozialen Ansehen zurückgegriffen worden sei.

Der Tariflohn bei der dem Kläger vom Arbeitsamt vermittelten Arbeit, den der Kläger mit wöchentlich 266,50 DM netto gebe, liege zwar deutlich unter dem ihm bis dahin gewährten Alg und sogar unter der ihm ohne Eintritt der streitigen Sperrzeit ab 21. Januar 1976 nur noch zustehenden Arbeitslosenhilfe (Alhi), die wöchentlich 292,80 DM betragen hätte. Der Tariflohn liege aber deutlich über dem Alg-Anspruch des Klägers, wenn man nicht von dem Verdienst ausgehe, den der Kläger vor Eintritt seiner Arbeitslosigkeit tatsächlich gehabt habe, sondern vom Normalverdienst. Die Zumutbarkeit eines Tariflohns könne nicht an dem im Einzelfall durch besondere Umstände wie Akkordarbeit oder übertarifliche Bezahlung erhöhten Bemessungsentgelt oder dem hiernach berechneten Alg gemessen werden. Als Vergleichsmaßstab komme vielmehr nur ein normaler Verdienst und das danach berechnete Alg in Betracht. Die Arbeitslosenversicherung könne und wolle den Arbeitslosen während der Dauer der Arbeitslosigkeit nur vor einem ungewöhnlichen Absinken des Lebensstandards schützen.

Die volle Sperrzeit von vier Wochen stelle jedoch für den Kläger eine besondere Härte dar, so daß eine Herabsetzung auf zwei Wochen angebracht sei.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 119,103 Abs. 1 Nr. 2 AFG und bringt hierzu insbesondere vor: Der von dem LSG für die Zumutbarkeit zugrunde gelegte Maßstab werde seinen berechtigten Interessen nicht gerecht. Wohl bestehe kein absoluter Berufsschutz. Zumindest während des Bezuges von Alg sei es aber unzumutbar, einen gelernten Facharbeiter auf Hilfsarbeitertätigkeiten zu verweisen, es sei denn, es handele sich um solche ungelernten Tätigkeiten, die aus dem übrigem Kreis der ungelernten Beschäftigungen durch besondere Qualifikationsmerkmale wie Verantwortung, Zuverlässigkeit u.ä. deutlich hervorragten und dementsprechend tariflich eingruppiert seien.

Auf jeden Fall sei eine angebotene Tätigkeit dann unzumutbar, wenn durch sie bei regelmäßiger tariflicher Arbeitszeit nicht einmal der für den Arbeitslosen maßgebliche Tabellenwert der Alhi erreicht werde. Der Wille des Gesetzgebers sei es gewesen, den Arbeitslosen in seiner Lebenshaltung nicht zu stark absinken zu lassen. Andererseits habe die Aufnahme einer neuen Arbeit für den Arbeitslosen noch eine wirtschaftlich vernünftige Entscheidung bleiben sollen (BT-Drucks. 7/2722 S. 32 f.). Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, daß dieses doppelte Ziel bei einem Alg in Höhe von etwa 68 v.H. des ausfallenden Nettoarbeitsentgelts erreicht werde. Daraus lasse sich schließen, daß bei einer Nettoeinkommenseinbuße von mehr als 32 v.H. die Lebenshaltung stark absinke und dies dem Arbeitslosen, solange er Anspruch auf Alg habe, nicht zuzumuten sei.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 30. September 1976 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 1975 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 1975 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Ob die Beklagte dem Kläger zu Recht eine Sperrzeit auferlegt hat, ist aufgrund der bisher festgestellten Tatsachen noch nicht abschließend zu entscheiden.

Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG tritt eine Sperrzeit von vier Wochen ein, wenn der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis gelöst hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Der Kläger hat von sich aus sein Arbeitsverhältnis bei der Stadt … gekündigt und hat dadurch auch zumindest grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Ob er dafür einen wichtigen Grund hatte, ist aufgrund der festgestellten Tatsachen noch nicht zu entscheiden.

Was als wichtiger Grund im Sinne des § 119 AFG anzusehen ist, ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll eine Sperrzeit allgemein nur dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ein anderes Verhalten zugemutet werden kam (vgl. Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit zu BT-Drucks. V/4110 S. 20/21, Vorbem. zu § 108a). Dabei sind die Interessen des Arbeitslosen gegen die der Versichertengemeinschaft und gegen die Erfordernisse des Arbeitsmarktes abzuwägen. Das Interesse des Arbeitslosen geht auf einen möglichst weitgehenden Versicherungsschutz, während die Bundesanstalt für Arbeit (BA) im Interesse der gesamten Versichertengemeinschaft auch darauf achten muß, daß die Leistungen bei Arbeitslosigkeit nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Arbeitslosigkeit wirklich unvermeidbar ist. Da andererseits jeder beschäftigte Versicherte auch ein potentieller Arbeitsloser ist, kann das Interesse der Versichertengemeinschaft allerdings nicht uneingeschränkt in der Begrenzung von Leistungen liegen. Das Interesse der Versichertengemeinschaft geht vielmehr von vornherein darauf den Arbeitslosen zwar möglichst schnell wieder in Arbeit zu bringen, andererseits ihn aber auch nicht ohne zwingende Notwendigkeit zum Eingehen eines für ihn völlig ungünstigen Arbeitsvertrages zu drängen. Die Förderung des Arbeitsmarktes, die der BA nach den §§ 1 bis 3 AFG übertragen ist, enthält insbesondere die Verpflichtung, einerseits dem Arbeitsmarkt Arbeitskräfte zuzuführen, andererseits dafür zu sorgen, daß die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Kräfte ihren Fähigkeiten gemäß, also insbesondere nicht "unterwertig" (§ 2 Nr. 1 AFG) eingesetzt werden. Die "Zumutbarkeit" nach der Sperrzeitvorschrift des § 119 AFG und die mit ihr in Zusammenhang stehenden Bestimmungen über die objektive Verfügbarkeit (§ 103 Abs. 1 AFG) stellen den Ausgleich zwischen diesen Zielen dar, die zum Teil zueinander in Widerstreit stehen, zum Teil einander ergänzen.

Bisher wurde davon ausgegangen, daß in den Fällen der zuvor in § 78 Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) abschließend aufgeführten "berechtigten Gründe" in der Regel auch ein "wichtiger Grund" i.S. des § 119 AFG anzunehmen ist. Gewisse Maßstäbe ergeben sich aber auch durch die Regelung des § 103 AFG hinsichtlich der allgemeinen Verfügbarkeit, insbesondere aus dem durch das Haushaltsstrukturgesetz (HStruktG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl. I 3113) mit Wirkung vom 1. Januar 1976 neu eingefügten Absatz 1a. Die Anforderungen an die Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers in bezug auf ein bestimmtes konkretes Arbeitsangebot können nicht höher sein, als es zum Nachweis der allgemeinen Verfügbarkeit verlangt wird (BSG SozR 4100 § 119 Nr. 3; vgl. auch Hennig/Kühl/Heuer, Kommentar zum AFG, Anm. 1 und 13 zu § 119). Ferner sind bei Arbeitsangeboten die Grundsätze der Arbeitsvermittlung nach den §§ 14 ff. AFG zu berücksichtigen. Ein Angebot, das die Beklagte unter Verletzung dieser Grundsätze unterbreitet, ist rechtswidrig um unbeachtlich (vgl. BSG vom 30. November 1973 - 7 RAr 43/73 - Dienstblatt C der BA Nr. 1790a zu § 119 AFG); es kann vom Arbeitslosen aus wichtigem Grunde abgelehnt werden (vgl. Hennig/Kühl/Heuer, a.a.O., Anm. 13 zu § 119).

Aus § 14 i.V.m. § 103 Abs. 1 Nr. 2 AFG folgt, daß die angebotene Arbeit dem Arbeitsuchenden nach seiner Eignung, also seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbar sein muß. Ein absoluter wichtiger Grund zur Ablehnung einer Arbeit unter diesem Gesichtspunkt wird für den Regelfall indes nur anzunehmen sein, wenn der Arbeitnehmer insoweit überfordert wird, d.h. die Arbeit ihm im Hinblick auf den geringen Grad seines Leistungsvermögens billigerweise nicht angesonnen werden kam (so Dräger/Buchwitz/Schönefelder, Kommentar zum AVAVG, Rand Nr. 26 zu § 78). Wie das LSG festgestellt hat, ist der Kläger in der Lage gewesen, die Arbeiten auszuführen, die im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei der Stadt … durchzuführen waren.

Ein echter Berufsschutz wird in der Arbeitslosenversicherung nur für die Auswirkungen einer konkreten Beschäftigung in der Zukunft gewährt. So ist der Arbeitslose dann zur Ablehnung eines Arbeitsangebotes berechtigt, wenn ihm die Ausübung der bisherigen überwiegenden Tätigkeit wesentlich erschwert (§ 78 Abs. 2 Nr. 2 AVAVG), seine weitere berufliche Entwicklung schwer beeinträchtigt würde (so Regierungsentwurf zum HStruktG BR-Drucks. 575/75 S. 52; vgl. auch Urteil vom 3. Juni 1975 - 7 RAr 81/74 - Dienstblatt C der BA Nr. 1945a zu § 101 AFG). Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht einen solchen Nachteil für den Kläger verneint.

Da das Interesse des Arbeitsuchenden an der Realisierung seines Berufswunsches und damit an einer in der Regel fachlich und wirtschaftlich günstigen Verwendung sich prinzipiell mit dem Ziel des Gesetzes deckt, eine bestmögliche Plazierung der Arbeitskräfte zu sichern und unterwertige Beschäftigung zu verhindern (§§ 1, 2 Nr. 1 AFG), braucht der Arbeitslose Verschlechterungen seines Status und der Arbeitsbedingungen nur hinzunehmen, wenn sie nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unvermeidbar sind (vgl. Regierungsentwurf zum HStruktG - BR-Drucks. 575/75 S. 52; Bericht des Haushaltsausschusses BR-Drucks. 7/4243 S. 9/10). Um seine Verfügbarkeit i.S. des § 103 AFG nachzuweisen, braucht sich der Arbeitslose demgemäß im allgemeinen auch nur zur Übernahme einer seinem Beruf entsprechenden Tätigkeit und allenfalls für verwandte oder andere gleichwertige Beschäftigungen bereit zu erklären, bei denen ein beruflicher Nachteil, für die Zukunft nicht zu erwarten ist (vgl. Urteil vom 3. Juni 1975 - 7 RAr 81/74 - Dienstblatt C der BA Nr. 1945a zu § 101 AFG). Nur dann, bzw. erst wenn ihm nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes innerhalb angemessener Zeit Stellen dieser Art nicht vermittelt werden können, ist die Aufnahme auch anderer Arbeiten zuzumuten (so auch die Begründung zu § 103 Abs. 1a AFG - Regierungsentwurf und Bericht des Haushaltsausschusses zum HStruktG a.a.O.; Urteil des Senats in SozR 4100 § 119 Nr. 3). In der Regel ist die Frage des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins geeigneter Arbeitsplätze deshalb nur durch konkrete Vermittlungsbemühungen im Einzelfall über einen angemessenen Zeitraum hinweg zu klären. Das LSG hat festgestellt, daß auch nach zehn-monatiger Arbeitslosigkeit keine Vermittlung des Klägers in eine seinem bisherigen Beruf gleichwertige Stellung möglich war. Diese Vermittlungsschwierigkeiten waren - wie das LSG ausgeführt hat - nach der überschaubaren Entwicklung von Angebot und Nachfrage in absehbarer Zeit nicht zu beheben. In einem solchen Falle kann allerdings auf eine Beschäftigung zurückgegriffen werden, die gegenüber dem bisherigen Beruf des Arbeitslosen minderqualifiziert ist. Das bedeutet aber keinesfalls, daß der Arbeitnehmer sofort für alle unterhalb dieser Stufe vorhandenen Arbeitsangebote in Betracht kommt. Vielmehr sind zunächst auf der nächstunteren Qualifikationsstufe ausreichende und angemessene Vermittlungsbemühungen zu unternehmen. Erst wenn trotz ernsthafter Bemühungen in Verbindung mit sonstigen Erkenntnissen eine Unterbringung auch insoweit für absehbare Zeit auszuschließen ist, kann an eine weitere Ausweitung der Zumutbarkeitsgrenzen gedacht werden (BSG SozR 4100 § 119 Nr. 3). Den Feststellungen des LSG ist nicht zu entnehmen, ob zwischen dem Beruf des Klägers als Maurer (Gipsplattensetzer) und der Tätigkeit, die er aufgrund der Vermittlung durch die Beklagte bei der Stadt … auszuüben hatte, Beschäftigungen vorhanden waren, deren Qualifikation sich innerhalb dieser Grenze abstufte. Ebenfalls ist nicht festgestellt, ob Arbeitsplätze dieser Art dem Kläger hätten angeboten werden können.

Dafür, daß der Kläger in seinem Beruf nicht nur eine gelernte Kraft war, sondern daß er über Fähigkeiten verfügte und einen Einsatzwillen, der über den eines durchschnittlichen Facharbeiters hinausging, spricht der Umstand, daß er vor dem Verlust seiner Arbeitsstelle im Januar 1975 über eine beachtliche Zeit hinweg, wie das LSG hervorgehoben hat, überdurchschnittlich verdient hatte. Dies zeigt ferner der Umstand, daß der Kläger im Februar 1976 erneut eine Arbeit als Polier aufnehmen konnte.

Es ist zu berücksichtigen, daß Qualifikationsstufen sich auch in der qualitativen Wertschätzung ausdrücken können, die ein Arbeitnehmer innerhalb eines Berufes in seinem Betrieb erfahren kann. Der Lohn kann dabei Beleg und Indiz für diese Wertschätzung sein (BSG SozR 4100 zu § 119 Nr. 3). Sofern der Arbeitslose nicht über einen Beruf verfügt, der zugleich einen minderqualifizierenden Berufsabschluß enthält, können sich Qualifikationsstufen unterhalb der Berufsebene des Arbeitslosen aus allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen ergeben (BSG a.a.O.). Im Falle des Klägers hätte daher insbesondere geprüft werden müssen, ob ihm zunächst eine Anlerntätigkeit oder eine ungelernte Tätigkeit, die sich aus dem Kreis der ungelernten Beschäftigungen positiv hervorhob, angeboten werden konnte.

Eine Grenze der Zumutbarkeit kann sich für den Arbeitslosen aber auch aus der Höhe des Lohnes ergeben, für den er in der vermittelten Arbeitsstelle arbeiten soll. So ist eine Verschlechterung des Einkommens gegenüber dem Alg nur ausnahmsweise und für den Fall gerechtfertigt, daß für eine absehbare Zeit überhaupt keine Möglichkeit ersichtlich ist, den Arbeitslosen besser zu vermitteln (BSG in SozR 4100 § 119 Nr. 3; vgl. Hennig/Kühl/Heuer a.a.O. Anm. 6 zu § 103, S. 162b). Die Vermittlung in eine solche Stelle ist nur dann gerechtfertigt, wenn nicht nur festgestellt ist, daß der Arbeitslose nicht mehr in seinem Beruf vermittelt werden kann, sondern wenn auch sicher ist, daß der Arbeitslose für absehbare Zeit nicht in eine Stelle gebracht werden kann, in der er wenigstens sein Alg zu verdienen in der Lage ist.

Das in den §§ 119 Abs. 1, 103 Abs. 1 AFG enthaltene Erfordernis, daß die vermittelte Stelle dem Arbeitslosen zumutbar sein muß, und das Gebot, die Interessen des Arbeitslosen, der Versichertengemeinschaft und des Arbeitsmarktes auszugleichen (§§ 1 bis 3, 14 AFG), verlangen auch, daß, solange der Arbeitslose noch einen Anspruch auf Alg hat, er in einer weiteren Weise gegen einen verfrühten sozialen Abstieg geschützt ist. Das Gesetz geht davon aus, daß derjenige, der sich eine Anwartschaft erdient hat (§ 104 AFG), entsprechend der Dauer der in der Rahmenfrist zurückgelegten beitragspflichtigen Beschäftigung einen Anspruch auf Alg hat (§ 106 Abs. 1 AFG). Nach Auslaufen dieses Alg-Anspruchs ist der Arbeitslose auf Alhi angewiesen (§ 134 Abs. 1 Nr. 4a AFG). Diese Alhi soll normalerweise die individuelle Existenzgrundlage darstellen, bis auf die der versicherte Arbeitslose absinken kann. Den Arbeitslosen in eine Stelle zu vermitteln, in der er noch weniger verdient als seine Alhi ausmacht, kann zwar, da im Rahmen der Zumutbarkeit die Interessen des Versicherten, der Versichertengemeinschaft und des Arbeitsmarktes abwägend zu berücksichtigen sind, durch überwiegende Belange des Arbeitsmarktes und der Versichertengemeinschaft geboten sein. Das setzt jedoch nicht nur voraus, daß auf absehbare Zeit der Arbeitslose nicht einmal mehr in eine Stelle vermittelt werden kann, in der er einen Verdienst in Höhe seiner Alhi erlangt. Eine Vermittlung in eine Arbeit, die weniger als die Alhi bringt, ist dem Arbeitslosen normalerweise auch nicht zuzumuten, solange er noch Anspruch auf Alg hat. Das Gesetz sieht das Absinken des Arbeitslosen nach längerer Arbeitslosigkeit in zwei Stufen vor, zunächst auf das Alg, dann auf die Alhi. Es mutet ihm aber nicht zu, die Suche nach einem Arbeitsplatz, der wenigstens ein Entgelt in Höhe der Alhi bringt, schon dann auf zugeben, wenn er noch Anspruch auf Alg hat. Davon ist allerdings eine Ausnahme zu machen. Wie der Senat bereits entschieden hat, kam dem Arbeitslosen die Annahme einer Beschäftigung, die weniger als das Alg bringt, dann eher zugemutet werden, wem das der Alg-Leistung zugrundeliegende Arbeitsentgelt im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen unangemessen hoch war (BSG in SozR 4100 § 119 Nr. 3). So kann auch die konkrete Alhi des Arbeitslosen dann nicht mehr (für die Zeit des Alg-Bezuges) die unterste Grenze der Zumutbarkeit bilden, wenn das Entgelt, nach dem sich die Alhi richtet, im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen, mit der er in der Zeit der Arbeitslosigkeit der Vermittlung zur Verfügung steht, als unangemessen hoch anzusehen ist. Diese Frage muß auch im Zusammenhang mit den für ihn geltenden Tarifverträgen gesehen werden.

Da somit vom LSG noch weitere Feststellungen zu treffen sind, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518721

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