Leitsatz (redaktionell)

Bei einer Regieassistentin, die von verschiedenen Arbeitgebern in unregelmäßigen Zeiträumen aufgrund einzelner Arbeitsverträge verpflichtet wird, läßt sich für Zwischenzeiten Arbeitslosigkeit nicht deshalb verneinen, weil jeweils nur vorübergehende Arbeitsverhältnisse eingegangen worden sind und werden.

 

Orientierungssatz

1. Aus der Einschränkung, daß der Arbeitslose jede "zumutbare" Tätigkeit annehmen muß (AFG § 103 Abs 1) ergibt sich, daß er nicht schlechthin jede Arbeit aufnehmen muß. Er muß jedoch von vornherein auch für verwandte und andere zumutbare Tätigkeiten arbeitsbereit sein, bei denen ein beruflicher Nachteil für die Zukunft nicht zu erwarten ist. Darüber hinaus kann die Beurteilung der Zumutbarkeit sich im Verlauf einer Arbeitslosigkeit entwickeln, ändern und von der Belastung der Versichertengemeinschaft beeinflußt werden.

2. Es ist nicht zulässig, ein Jahresdurchschnittseinkommen aus den Einkünften der Zeiten der Beschäftigung unter Einbeziehung der Zeiten der Arbeitslosigkeit zu bilden und aufgrund des danach dem Arbeitslosen während seiner Arbeitslosigkeit rechnerisch zur Verfügung stehenden Betrages die Bedürftigkeit iS des AFG § 137 zu verneinen. Ein solches Vorgehen berücksichtigt nicht, daß der in Arbeit Stehende durchaus sein vorher erzieltes Einkommen bei Beginn der Arbeitslosigkeit verbraucht haben kann. Von ihm zu fordern, er müsse während der Arbeitstätigkeit Rücklagen für die Zeiten der Arbeitslosigkeit bilden, würde bedeuten, daß der Arbeitnehmer aus eigener Kraft unter Ausschluß eines ihm grundsätzlich zustehenden Anspruchs selbst für Zeiten der Arbeitslosigkeit Vorsorge zu treffen habe. Anstatt durch die Anschluß-Arbeitslosenhilfe geschützt zu sein (AFG § 134 Abs 1 Nr 4 S 2), würde der Arbeitslose auf die eigene Rücklagenbildung angewiesen sein. Eine solche weitgehende Forderung ist im AFG nicht enthalten. Dies ergibt sich aus der Regelung in den AFG §§ 138 Abs 1, 115. Aus diesen Bestimmungen folgt, daß im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung lediglich Einkommen zu berücksichtigen ist, das der Arbeitslose während des Bezugs von Alhi erzielt.

3. Nach AFG § 138 Abs 1 Nr 1 sind im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung als Einkommen auch Leistungen zu berücksichtigen, die der Arbeitslose von Dritten erhält oder beanspruchen kann. In Betracht kommen können Ansprüche gegen den Vater aufgrund der BGB §§ 1601 ff. Bei der Beurteilung dieses Unterhaltsanspruchs ist von Bedeutung, daß die einen Unterhaltsanspruch auslösende Bedürftigkeit nicht der iS der AFG §§ 134 Abs 1 Nr 3, 137 Abs 1 gleichzuachten ist. Ein erkennbarer Unterschied ergibt sich schon daraus, daß die Bedürftigkeit nach AFG § 137 Abs 2 besteht, obwohl der Arbeitslose ein Vermögen von nicht über 3.ooo DM besitzt, während dieses Vermögen bei der Beurteilung des Unterhaltsanspruchs nach dem BGB in Rechnung zu stellen ist. Es sind daher die konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Arbeitslosen und seines Vaters (BGB § 1603) gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Unterhaltsberechtigte nicht ohne triftigen Grund in einer schlechter entlohnten oder weniger dauerhaften Arbeitsstelle bleiben darf. Vielmehr muß er sich, sobald sich die Gelegenheit bietet, von einer zu gering bezahlten Erwerbstätigkeit einer einträglicheren Beschäftigung zuwenden und eine Gelegenheitsarbeit mit einer Dauerstellung vertauschen usw. Es ist weniger wichtig, daß der Berechtigte vorübergehend besonders gut verdient, als daß er auf die Dauer sein Auskommen hat. Ob ein Arbeitsloser gegen seinen Vater einen Anspruch auf Unterhaltsleistungen hat und gegebenenfalls wie hoch (vgl BGB § 1611), kann daher nicht beurteilt werden ohne eine Aufklärung darüber, welche Anstrengungen er gemacht hat und macht, um aus seiner Lage der ständig wiederkehrenden Arbeitslosigkeit herauszugelangen.

 

Normenkette

AFG § 103 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 137 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 138 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1969-06-25, § 115 Fassung: 1969-06-25, § 134 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1972-05-19; BGB § 1601 Fassung: 1896-08-18, § 1603 Abs. 1 Fassung: 1961-08-11, § 1602 Abs. 1 Fassung: 1898-08-18; AFG § 137 Abs. 2 Fassung: 1969-06-25, § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 101 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 31. Mai 1974 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin ungekürzte Arbeitslosenhilfe (Alhi) für den 25. und 26. Oktober 1971, 6. November bis 7. Dezember 1971 und 22. Dezember 1971 bis 12. März 1972 zu gewähren hat.

Die 1942 geborene Klägerin, die bis 1961 als Stenokontoristin gearbeitet hatte, ist seitdem als Ateliersekretärin und (seit 1964) als Regieassistentin beschäftigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit wird sie von verschiedenen Auftraggebern in unregelmäßigen Zeiträumen aufgrund einzelner Arbeitsverträge verpflichtet und bezog in den Zwischenräumen Arbeitslosengeld (Alg) von der Beklagten.

Sie verdiente als Regieassistentin in den Jahren 1969, 1970, 1971 und 1972 folgende Beträge während folgender Zeiträume:

1969

vom 6.1. bis 13.1.

840,- DM brutto,

vom 2.3. bis 30.3.

1.890,- DM brutto,

vom 7.4. bis 30.4.

1.900,- DM brutto,

vom 25.6. bis 28.8.

2.400,- DM brutto,

vom 3.9. bis 6.9.

480,- DM brutto,

vom 3.10. bis 8.10.

480,- DM brutto,

vom 30.10. bis 30.11.

1.000,- DM brutto,

vom 17.11. bis 18.11.

240,- DM brutto,

vom 24.11. bis 19.12.

2.533,- DM brutto,

1970

vom 22.1. bis 24.1.

360,- DM brutto,

vom 5.2. bis 14.2.

850,- DM brutto,

vom 19.2. bis 21.2.

360,- DM brutto,

vom 25.2. bis 16.3.

1.680,- DM brutto,

vom 7.4. bis 16.4.

2.000,- DM brutto,

vom 20.4. bis 31.7.

2.400,- DM brutto,

vom 21.9. bis 2.10.

1.200,- DM brutto,

vom 2.11. bis 13.11.

1.200,- DM brutto,

vom 19.11. bis 7.12.

1.560,- DM brutto,

1971

vom 10.3. bis 29.3.

2.040,- DM brutto,

vom 13.4. bis 30.4.

1.700,- DM brutto,

vom 4.5. bis 13.5.

960,- DM brutto,

vom 14.5. bis 15.5.

240,- DM brutto,

vom 7.6. bis 12.6.

720,- DM brutto,

vom 15.6. bis 24.6.

960,- DM brutto,

vom 5.7. bis 25.8.

4.500,- DM brutto,

vom 15.9. bis 24.9.

17.000,- öS brutto,

vom 27.10. bis 5.11.

960,- DM brutto,

vom 8.12. bis 21.12.

1.160,- DM brutto,

1972

vom 13.3. bis 31.3.

1.500,- DM brutto,

vom 29.4. bis 6.5.

1.000,- DM brutto,

vom 8.5. bis 25.8.

11.060,- DM brutto,

vom 18.9. bis 18.10.

3.680,- DM brutto.

Mit Verfügung vom 3. Mai 1971 hatte die Beklagte der Klägerin Alg für 78 Wochentage bewilligt. Die Klägerin wurde in der Folgezeit mehrfach, jeweils nach kurzen Arbeitsperioden, arbeitslos, so daß im September 1971 nach Ergehen mehrerer Bescheide über die Wiederbewilligung des Alg der Klägerin nur noch ein Anspruch auf 25 Tage aufgrund der bis dahin erlangten Anwartschaft entstehen konnte. In der Zeit vom 15. September bis 24. September 1971 arbeitete die Klägerin als Regieassistentin beim Österreichischen Rundfunk. Sie meldete sich am 27. September 1971 arbeitslos und beantragte, ihre das Alg wieder zu bewilligen. Mit am 29. Oktober 1971 eingegangenen Schreiben vom 27. Oktober 1971 stellte die Klägerin den Antrag auf Alhi im Anschluß an die Gewährung von Alg. Inzwischen (23. Oktober 1971; der 24. Oktober 1971 war ein Sonntag) war der Anspruch auf die letzten 25 Tage Alg verbraucht. Die Klägerin verneinte auf dem Antragsformular die vorgedruckte Frage, ob sie Vermögen von mehr als 3.000,- DM habe. Sie gab unter Vorlage eines Bankauszuges ihres Vaters, des Pensionärs Dr. M V an, daß ihr Vater ein monatliches Einkommen von 2.370,75 DM habe. Ihre Mutter habe kein Einkommen. Die Ausgaben ihres Vaters bezifferte sie wie folgt:

Lebensunterhalt

800,- DM

Kosten für besondere Diät (Diabetes, Gallenleiden usw.)

140,- DM

Miete

500,- DM

Telefon

150,- DM

Zeitungsgebühren

150,- DM

kulturelle Bedürfnisse

180,- DM

Rücklage für den Urlaub

500,- DM.

Vom 27. Oktober 1971 bis 5. November 1971 war die Klägerin als Regieassistentin beim Zweiten Deutschen Fernsehen in Berlin beschäftigt. Am 8. November 1971 stellte sie einen Antrag auf Wiederbewilligung der Alhi. Vom 8. Dezember 1971 bis 21. Dezember 1971 war sie wieder beim Zweiten Deutschen Fernsehen in Berlin beschäftigt und beantragte am 22. Dezember 1971 erneut die Wiederbewilligung von Alhi.

Die Beklagte hatte inzwischen mit Bescheid vom 25. November 1971 der Klägerin Alg ab 25. September 1971 für 25 Wochentage bewilligt.

Mit Bescheid vom 5. Januar 1972 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Alhi mit der Begründung ab, ihr Vater könne selbst bei Berücksichtigung seines eigenen angemessenen Unterhaltsbedarfs zum Lebensunterhalt der Klägerin mit einem Betrag von wöchentlich 256,32 DM beitragen. Der anzurechnende Betrag übersteige den Leistungssatz, der der Klägerin ohne diese Anrechnung als Alhi zustehen würde. Sie sei daher nicht bedürftig im Sinne des § 134 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 138 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Die Klägerin legte Widerspruch ein.

Mit den Bescheiden vom 25. Mai 1972 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alhi vom 25. Oktober bis 26. Oktober 1971, vom 6. November bis 7. Dezember 1971 und ab 28. Dezember 1971, jedoch unter Berücksichtigung eines Unterhaltsanspruchs von 109,27 DM wöchentlich gegen ihren Vater.

Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 1972 den Widerspruch zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 14. Juni 1973 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alhi ohne Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater zu gewähren und hat dazu ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater. Angesichts eines durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommens von 980,- DM im Jahre 1969, 970,- DM im Jahre 1970 und mehr als 1.000,- DM im Jahre 1971 sowie 1.724,- DM in der Zeit von Januar bis 18. Oktober 1972 könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin außerstande sei, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Daß die Klägerin gegenüber ihrem Vater nicht unterhaltsbedürftig sei, bedeute nicht gleichzeitig, daß sie nicht etwa bedürftig im Sinne von § 137 Abs. 1 oder 2 AFG sei. Die Begriffe "unterhaltsbedürftig" im Verhältnis der Klägerin zu ihrem Vater und "bedürftig" im Sinne von § 137 AFG bedeuteten nicht dasselbe. In § 137 AFG diene der Begriff "bedürftig" nur zur Abgrenzung gegenüber dem Personenkreis, der seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Alhi bestreite oder bestreiten könne. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Mit Bescheid vom 17. August 1973 hat die Beklagte die Alhi der Klägerin für die streitigen Zeiten neu berechnet und dabei einen niedrigeren Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren Vater der Berechnung zugrundegelegt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 31. Mai 1974 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt:

Die Klägerin sei nicht bedürftig im Sinne der §§ 134 Abs. 1 Nr. 3 und 137 Abs. 1 AFG. Bei einem Beschäftigten, der, wie die Klägerin, ein schwankendes Einkommen habe, sei als Einkommenszeitraum nicht nur der tatsächliche Zahlungszeitraum zu berücksichtigen, sondern es sei ein Durchschnittseinkommen zu errechnen. Gehe man von den Beschäftigungszeiten der Klägerin in den Jahren 1969, 1970, 1971 und 1972 und dem jeweils erzielten Jahreseinkommen aus, so erscheine es bei der Art der Tätigkeit der Klägerin gerechtfertigt, das Durchschnittseinkommen pro Monat anhand des Jahreseinkommens festzusetzen. Man gelange dabei zu dem Ergebnis, daß die Klägerin einen monatlichen Durchschnittsverdienst von ungefähr 1.000,- DM gehabt habe. Angesichts dieses Einkommens könne die Klägerin, solange sie in ihrem Beruf als Regieassistentin mit der Besonderheit der kurzfristigen oder auch einmal langfristigen Arbeitsverhältnisse tätig sei, dann nicht als bedürftig angesehen werden, wenn ihr letzter jährlicher oder auch ggf. halbjährlicher monatlicher Durchschnittsverdienst Beträge von 1.000,- DM erreiche. Wer, wie die Klägerin, ein Einkommen habe, das nicht auf einen gleichmäßig tariflich festgesetzten Monatsbetrag oder Wochenlohn abgestellt sei, sondern auf Einzelabmachungen bei befristeten Arbeitsverhältnissen, richte sich auch in seinem Lebenszuschnitt entsprechend ein, so daß nicht davon ausgegangen werden könne, mit dem Eintritt einer mehr oder weniger langen beschäftigungslosen Zeit werde der Betreffende bedürftig oder arbeitslos. Dies sei nur dann anders zu beurteilen, wenn ein in der Art der Klägerin Tätiger in seinem Beschäftigungsbereich, sei es aus Alters- oder aus sonstigen Gründen, trotz Bemühens keine Beschäftigung mehr bekomme oder sein Einkommen so absinke, daß er der Alhi bedürfe (§ 137 AFG). Das sei bei der Klägerin aber nicht gegeben.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 134, 137 AFG durch das LSG und führt hierzu insbesondere aus: Die Errechnung eines Durchschnittsverdienstes sei nur zulässig, wenn der Arbeitnehmer während des nach § 112 AFG maßgeblichen Bemessungszeitraumes verschieden hohe Einkünfte erzielt habe. An anderer Stelle habe das Gesetz die Ermittlung eines Durchschnittsverdienstes nicht vorgesehen. Zu Unrecht stehe das LSG auch offenbar auf dem Standpunkt, daß es in das Belieben der Klägerin gestellt sei, ob sie jeweils nur kurzfristig tätig werden oder aber Verträge mit längerer Laufzeit abschließen wolle. Ihr sei es aber bisher nicht möglich gewesen, eine Dauerstellung zu finden. Zu einer Hilfe dabei sei die Beklagte offensichtlich gar nicht bereit, obwohl das Gesetz es als eine der vornehmsten Aufgaben der Bundesanstalt ansehe, Arbeitsvermittlungen in nicht nur kurzfristige Arbeitsverhältnisse zu betreiben. Würde die vom LSG für richtig gehaltene Ermittlung eines Durchschnittsverdienstes als richtig anerkannt, sehe die Beklagte sicher keinen Anlaß mehr, ihrer Verpflichtung zur Arbeitsvermittlung nachzukommen. Im Gegenteil würde das von der Beklagten zu tragende Risiko der Arbeitslosigkeit vollends ihr - der Klägerin - aufgebürdet, indem man ihr zumutete, ihre jeweiligen Einkünfte vorausschauend auf Zeiten ohne Beschäftigung zu verteilen, auf deren Dauer sie wiederum keinen alleinigen Einfluß haben könne. Dieses Ergebnis widerspreche dem Sinn und Zweck des AFG.

Unrichtig sei auch vom LSG der Begriff der Arbeitslosigkeit gedeutet worden. Nach § 101 Abs. 1 AFG sei ein Arbeitnehmer bereits arbeitslos, wenn er vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juni 1973 zurückzuweisen und unter Abänderung des Bescheides vom 17. August 1973 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Klägerin einen Anspruch auf Alhi Ende 1971 und Anfang 1972 gehabt hat, läßt sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.

Nach § 134 Abs. 1 AFG setzt der Anspruch auf Alhi zunächst voraus, daß der die Leistung Begehrende arbeitslos ist und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Arbeitslos i. S. des AFG ist ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine geringfügige Beschäftigung ausübt (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AFG). Die Klägerin ist Arbeitnehmerin im Sinne dieser Bestimmung. Sie ist auch während der Zeiten, um die es hier geht, arbeitslos gewesen. Der Begriff der Arbeitslosigkeit läßt sich nicht deshalb verneinen, weil die Klägerin jeweils nur vorübergehend Arbeitsverhältnisse eingegangen ist und eingeht. Das bedeutet, daß sie auch jeweils vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und steht, was nach § 101 Abs. 1 AFG gerade für den Begriff der Arbeitslosigkeit kennzeichnend ist. Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß es Aufgabe der Beklagten ist, die Klägerin in eine Dauerstellung zu vermitteln.

Der vom LSG zu Recht als erheblich angesehen Umstand, daß die Klägerin zwar möglicherweise nicht freiwillig jeweils nur kurzfristige Vertragsverhältnisse eingeht, aber doch an dieser Existenzform festhält, obwohl es ihr seit langem nicht gelungen ist, in eine Dauerstellung zu kommen, wirft nicht die Frage der Arbeitslosigkeit, sondern die der Verfügbarkeit auf. Nach § 103 Abs. 1 AFG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf sowie bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann. Aus der Einschränkung, daß der Arbeitslose jede "zumutbare" Tätigkeit annehmen muß, ergibt sich, daß er nicht schlechthin jede Arbeit aufnehmen muß. Das bedeutet aber nicht, daß die Klägerin darauf bestehen könnte, nur als Regieassistentin zu arbeiten. Der Arbeitslose muß von vornherein auch für verwandte und andere zumutbare Tätigkeiten arbeitsbereit sein, bei denen ein beruflicher Nachteil für die Zukunft nicht zu erwarten ist. Darüber hinaus kann die Beurteilung der Zumutbarkeit sich im Verlauf einer Arbeitslosigkeit entwickeln, ändern und von der Belastung der Versichertengemeinschaft beeinflusst werden (Hennig, Kühl, Heuer, Arbeitsförderungsgesetz § 103 Anm. 5). Für eine abschließende Entscheidung ist daher noch zu prüfen, ob die Beklagte der Klägerin überhaupt schon einmal geeignete Arbeitsstellen angeboten hat, die Aussicht auf eine längere Beschäftigung bieten und ob die Klägerin solche Angebote willens war und ist, anzunehmen.

Nach § 134 Abs. 1 Nr. 3 AFG erhält nur derjenige Alhi, der bedürftig ist. Bedürftig ist der Arbeitslose, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Höhe der Alhi nicht erreicht (§ 137 Abs. 1 AFG). Eigene Einkünfte, die die Bedürftigkeit ausschließen würden, hat die Klägerin während der Zeiten für die sie Alhi begehrt, nicht gehabt. Es ist nicht zulässig, wie das LSG meint, ein Jahresdurchschnittseinkommen aus den Einkünften der Zeiten der Beschäftigung unter Einbeziehung der Zeiten der Arbeitslosigkeit zu bilden und aufgrund des danach dem Arbeitslosen während seiner Arbeitslosigkeit rechnerisch zur Verfügung stehenden Betrages die Bedürftigkeit i. S. des § 137 AFG zu verneinen. Ein solches Vorgehen berücksichtigt nicht, daß der in Arbeit Stehende durchaus sein vorher erzieltes Einkommen bei Beginn der Arbeitslosigkeit verbraucht haben kann. Von ihm zu fordern, er müsse während der Arbeitstätigkeit Rücklagen für die Zeiten der Arbeitslosigkeit bilden, würde bedeuten, daß der Arbeitnehmer aus eigener Kraft unter Ausschluß eines ihm grundsätzlich zustehenden Anspruchs selbst für Zeiten der Arbeitslosigkeit Vorsorge zu treffen habe. Anstatt durch die Anschluß-Alhi geschützt zu sein (§ 134 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AFG), würde der Arbeitslose auf die eigene Rücklagenbildung angewiesen sein. Eine solche weitgehende Forderung ist im AFG nicht enthalten. Dies ergibt sich aus der Regelung in den §§ 138 Abs. 1, 115 AFG. Aus diesen Bestimmungen folgt, daß im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung lediglich Einkommen zu berücksichtigen ist, das der Arbeitslose während des Bezugs von Alhi erzielt.

Das AFG bietet keine Handhabe, von dieser Regelung zum Nachteil bestimmter Personengruppen abzuweichen, etwa solcher Arbeitnehmer, die häufig arbeitslos sind oder sich auf jeweils kurzfristige Arbeitsverhältnisse eingestellt haben. In solchen Fällen ist es Aufgabe der Beklagten, die Verfügbarkeit des Antragstellers sorgfältig zu prüfen und zu versuchen, ihn in eine länger dauernde Beschäftigung zu vermitteln.

Anders ist die Rechtslage dann, wenn der Antragsteller Vermögen angesammelt hat. Vermögen des Arbeitslosen wird nach § 1 der 12. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 25. April 1961 - BGBl I 478 - i. d. F. vom 16. Dezember 1968 - BGBl I 1350 - (weiterhin gültig gemäß § 242 Abs. 39 AFG), selbst wenn es verwertbar und die Verwertung zumutbar ist, nicht berücksichtigt, soweit es 3.000,- DM nicht übersteigt. Aus dieser Regelung ergibt sich ebenfalls, daß es dem Versicherten nicht zugemutet wird, selbst durch Rücklage für den Fall der Arbeitslosigkeit Vorsorge zu treffen. Ist aber ein den oben bezeichneten Betrag übersteigendes Vermögen vorhanden, so hat dies im Hinblick auf die Bedürftigkeit die sich aus § 137 Abs. 1 Nr. 2 AFG ergebenden Folgen. Die Klägerin hat allerdings die Frage, ob sie verwertbares Vermögen über 3.000,- DM hat, bereits verneint. Hiervon ist die Beklagte bei den angefochtenen Bescheiden selbst ausgegangen.

Somit kommt es im vorliegenden Falle - entgegen der Auffassung des LSG - darauf an, ob im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung als Einkommen der Klägerin ein Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater zu berücksichtigen ist.

Nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG sind im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nämlich als Einkommen auch Leistungen zu berücksichtigen, die der Arbeitslose von Dritten erhält oder beanspruchen kann. In Betracht kommen im Falle der Klägerin Ansprüche gegen ihren Vater aufgrund der §§ 1601 ff BGB. Unterhaltsberechtigt ist nach § 1602 Abs. 1 BGB nur der, der außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Die Feststellungen dazu, ob der Klägerin für die Zeiten, für die sie Alhi begehrt, ein Unterhaltsanspruch zusteht, sind vom LSG noch nachzuholen. Bei der Beurteilung dieses Unterhaltsanspruchs ist von Bedeutung, daß die einen Unterhaltsanspruch auslösende Bedürftigkeit nicht der im Sinne der §§ 134 Abs. 1 Nr. 3, 137 Abs. 1 AFG gleichzuachten ist. Ein erkennbarer Unterschied ergibt sich schon daraus, daß - wie oben bereits ausgeführt - die Bedürftigkeit nach § 137 Abs. 2 AFG besteht, obwohl der Arbeitslose ein Vermögen von nicht über 3.000,- DM besitzt, während dieses Vermögen bei der Beurteilung des Unterhaltsanspruchs nach dem BGB in Rechnung zu stellen ist. Es sind daher die konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin und ihres Vaters (§ 1603 BGB) gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Unterhaltsberechtigte nicht ohne triftigen Grund in einer schlechter entlohnten oder weniger dauerhaften Arbeitsstelle bleiben darf. Vielmehr muß er sich, sobald sich die Gelegenheit bietet, von einer zu gering bezahlten Erwerbstätigkeit einer einträglicheren Beschäftigung zuwenden und eine Gelegenheitsarbeit mit einer Dauerstellung vertauschen usw. Es ist weniger wichtig, daß der Berechtigte vorübergehend besonders gut verdient, als daß er auf die Dauer sein Auskommen hat (Brühl, Göppinger, Mutschler, Unterhaltsrecht, 3. Aufl., 1. Teil, 1973, Rd-Nr. 552, S. 358; vgl. auch Hermann Lange bei Soergel-Siebert, Kommentar zum BGB, 10. Aufl., § 1602 Anm. 5). Ob die Klägerin gegen ihren Vater einen Anspruch auf Unterhaltsleistungen hat und ggf. wie hoch (vgl. § 1611 BGB), kann daher nicht beurteilt werden ohne eine Aufklärung darüber, welche Anstrengungen sie gemacht hat und macht, um aus ihrer Lage der ständig wiederkehrenden Arbeitslosigkeit herauszugelangen.

Da das LSG somit noch Feststellungen zur Verfügbarkeit der Klägerin zu treffen hat sowie zu ihrer Berechtigung, Unterhalt von ihrem Vater zu fordern, ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Das LSG wird auch über die Kosten zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650830

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