Entscheidungsstichwort (Thema)

Wert der Hausarbeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist in einer Familie lediglich die Ehefrau berufstätig, während der Ehemann ausschließlich den Haushalt versorgt, kann der Wert seiner Hausarbeit nicht höher veranschlagt werden, als das Einkommen der Ehefrau.

Wird der Familienunterhalt ausschließlich aus dem Renteneinkommen eines Ehegatten bestritten, ist der Rentner im Gegensatz zum Berufstätigen regelmäßig nicht daran gehindert, seiner familienrechtlichen Verpflichtung (BGB § 1360) entsprechend seinen Teil zur Haushaltsführung beizutragen.

Wenn ein Ehegatte infolge Krankheit außerstande ist, Hausarbeiten zu verrichten, so hat dies zur Folge, daß der Haushalt vom anderen Ehegatten allein oder durch Dritte geführt werden muß. Dann unterscheiden sich die Verhältnisse nicht von den Fällen, in denen ein Ehegatte den Haushalt allein führt, weil der andere Ehegatte wegen seiner Erwerbstätigkeit dazu nicht in der Lage ist.

2. Das Pflegegeld aus § 69 BSHG ist bei der Ermittlung, wer den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat, zu berücksichtigen. Dagegen sind Leistungen der Sozialhilfe nicht einem bestimmten Familienangehörigen, sondern der gesamten Familie zuzurechnen.

 

Orientierungssatz

Wert der Haushaltsführung - Aufwendungen für Pflege, Familieneinkommen - Witwerrente - überwiegender Familienunterhalt.

 

Normenkette

RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; BGB § 1360; BSHG § 69

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.11.1978; Aktenzeichen L 9 J 1322/77)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 28.03.1977; Aktenzeichen S 12 J 921/76)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. November 1978 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Witwerrente aus der Versicherung seiner am 30. April 1928 geborenen und am 1. August 1975 gestorbenen Ehefrau R K (Versicherte).

Die Versicherte litt seit 1972 an einem Parkinsonsyndrom. Sie bezog seit Juni 1973 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit, seit Juli 1975 in Höhe von 498,20 DM, eine Betriebsrente von monatlich 54,- DM sowie Pflegegeld gemäß § 69 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Höhe von 200,- DM, insgesamt 752,20 DM. Der Kläger erhielt Sozialhilfe in Höhe von 352,- DM monatlich.

Durch Bescheid vom 11. März 1976 lehnte die Beklagte den Antrag auf Witwerrente ab: Die Versicherte habe den Familienunterhalt nicht überwiegend bestritten; infolge ihrer Krankheit habe der Kläger alle Hausarbeiten ausgeführt; als Wert der Haushaltsführung sei entsprechend der Anlage 1, Leistungsgruppe 5, zum Fremdrentengesetz ein Betrag von 923,- DM zugrunde zu legen.

Die hiergegen erhobene Klage wurde abgewiesen (Urteil vom 18. März 1977) die Berufung zurückgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 20. November 1978). Zur Begründung ist ua ausgeführt, die Leistungen eines Sozialhilfeträgers dürften nicht als Einkommen der jeweiligen empfangsberechtigten Person angerechnet werden. Das Pflegegeld sei somit nicht dem Einkommen der Versicherten zuzurechnen. Die Versicherte sei wegen ihrer Krankheit außerstande gewesen, wirtschaftlich ins Gewicht fallende Leistungen im Haushalt zu erbringen. Wegen der erheblichen Sozialhilfeleistungen, die zusammen mit den Leistungen des Klägers erheblich mehr als die Hälfte des gemeinsamen Unterhalts betragen hätten, könne von einer überwiegenden Unterhaltsleistung der Versicherten nicht ausgegangen werden.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das angefochtene Urteil sei insoweit von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen (BSGE 31, 90), als das Pflegegeld dem Einkommen der Versicherten zuzurechnen sei. Dieses Pflegegeld habe die Versicherte dem gemeinsamen Familienunterhalt zur Verfügung gestellt und dadurch den Familienunterhalt überwiegend bestritten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen sowie ihres Bescheides vom 11. März 1976 zu verurteilen, ihm Hinterbliebenenrente aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau R K zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie stellt darauf ab, daß die Haushaltsführung des Klägers entsprechend der Leistungsgruppe B 4 der Anlage 1 zum Fremdrentengesetz ("Haushälterin") zu bewerten sei. Hierfür sei ab 1. Juli 1975 ein Nettobetrag von 1.077,60 DM anzusetzen. Demgemäß habe die Versicherte im Zeitpunkt ihres Todes den Familienunterhalt nicht überwiegend bestritten, auch wenn das Pflegegeld von 200,- DM als Beitrag der Versicherten angenommen werde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SSG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist insoweit begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.

Zu Unrecht rechnet das LSG das nach § 69 BSHG vom Sozialamt gewährte Pflegegeld nicht dem Einkommen der Versicherten zu. Das Pflegegeld wurde der Versicherten aufgrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung gewährt. Es gehört dann zum Unterhaltsaufwand für die Familie, wenn die Versicherte es tatsächlich für diesen Zweck zur Verfügung gestellt hat (BSG Urteil vom 17. März 1970 - 11 (12) RJ 478/67 - BSGE 31, 90, 98 und BSG Urteil vom 30. Mai 1978 - 1 RA 71/77 - SozR 2200 § 1266 Nr 7 S. 33 f). An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest. Hieraus folgt, daß der Versicherten im Zeitpunkt ihres Todes über die Erwerbsunfähigkeitsrente und die Betriebsrente hinaus noch 200,- DM an Pflegegeld zur Verfügung standen. Geht man davon aus, daß die Versicherte diese ihr zur Verfügung stehenden Mittel zum Familienunterhalt aufgewendet hat, so hat sich ihr Beitrag auf 752,20 DM belaufen.

Dies läßt jedoch noch nicht den Schluß zu, daß die Versicherte im Zeitpunkt ihres Todes den Familienunterhalt überwiegend iS des § 1266 Reichsversicherungsordnung (RVO) bestritten hat. Zu berücksichtigen ist vielmehr auch der Beitrag des Klägers zum Unterhalt der Familie. Ihm standen nach den Feststellungen des LSG Leistungen der Sozialhilfe in Höhe von zuletzt 352,- DM monatlich als Hilfe zum Lebensunterhalt zur Verfügung. Diese vom Sozialamt gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt kann jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 31, 90, 99) nicht als Beitrag eines Familienangehörigen zum Unterhaltsaufwand der Familie gewertet werden; denn hierbei handelt es sich um eine Hilfe der Allgemeinheit, die gewährt wird, weil die eigenen Mittel der Familie zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs nicht ausgereicht haben. Diese Leistungen gehören zwar zum Familieneinkommen, werden dabei aber nicht einem Familienangehörigen zugerechnet.

Zu berücksichtigen ist indessen der Wert der Haushaltsführung des Klägers und seiner etwaigen besonderen Pflege für die Versicherte. Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger sämtliche im Haushalt angefallenen Arbeiten selbst ausgeführt. In den Fällen, in denen der Ehemann einer Erwerbstätigkeit nachgeht, während die nicht berufstätige Ehefrau den Haushalt allein führt, gilt der Grundsatz, daß der wirtschaftliche Wert der Hausarbeit nicht höher zu bemessen ist als das Arbeitseinkommen des Ehemannes (vgl BSG vom 30. April 1971 - 1 RA 101/70 - SozR Nr 9 zu § 1266 RVO; BSG vom 30. Mai 1978 - 1 RA 71/77 - SozR 2200 § 1266 Nr 7 S. 34); es kann aber je nach den tatsächlichen Verhältnissen niedriger sein. Dies ergibt sich daraus, daß eine Hausarbeit nur in dem wirtschaftlichen Rahmen des Lebenszuschnitts der Familie erbracht werden kann, der durch den Arbeitsverdienst bestimmt ist. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn in einer Familie lediglich die Ehefrau berufstätig ist, während der Ehemann ausschließlich den Haushalt versorgt. Auch in diesem Fall kann der Wert seiner Hausarbeit nicht höher veranschlagt werden als das Einkommen der Ehefrau. Wenn der Familienunterhalt ausschließlich aus dem Renteneinkommen eines Ehegatten bestritten wird, ist der Rentner im Gegensatz zum Berufstätigen regelmäßig nicht daran gehindert, seiner familienrechtlichen Verpflichtung (§ 1360 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) entsprechend seinen Teil zur Haushaltsführung beizutragen. Hierdurch verteilt sich die Hausarbeit auf beide Ehegatten. Der Gesamtwert der Hausarbeit beider Ehegatten kann jedoch auch in einem solchen Fall nicht höher sein als das Geldeinkommen.

Wenn eine Ehegatte infolge Krankheit außerstande ist, Hausarbeiten zu verrichten, so hat dies zur Folge, daß der Haushalt vom anderen Ehegatten allein oder durch Dritte geführt werden muß. Dann unterscheiden sich die Verhältnisse nicht von den Fällen, in denen ein Ehegatte den Haushalt allein führt, weil der andere Ehegatte wegen seiner Erwerbstätigkeit dazu nicht in der Lage ist. Der haushaltführende Ehegatte ist ebenso auf das Renteneinkommen seines Ehegatten angewiesen, als wenn dieser ein Arbeitseinkommen erzielen würde. Entsprechend den für das Arbeitseinkommen geltenden Grundsätzen ist in solchen Fällen das Renteneinkommen des nicht an der Haushaltsführung beteiligten Ehegatten die Obergrenze für den Wert der Haushaltsführung.

Im vorliegenden Fall bildet somit das Familieneinkommen (zuletzt 552,20 DM zuzüglich 352,- DM Sozialhilfe) die Obergrenze zur Bestimmung des wirtschaftlichen Wertes der vom Kläger geleisteten Hausarbeit. Hierbei ist das Pflegegeld nicht zu berücksichtigen, weil es den wirtschaftlichen Lebenszuschnitt der Familie nicht anhebt; denn es dient nicht der "Deckung des gewöhnlichen Lebensunterhalts, sondern ist generell als Äquivalent für eine besondere Pflege anzusehen" (vgl SozR 2200 § 1266 Nr 7 S. 34, 36, 37).

Allerdings kann der Wert der Hausarbeit des Klägers auch niedriger liegen als das Renteneinkommen der Versicherten. Insoweit sind noch tatsächliche Feststellungen erforderlich. Diese dürfen nicht schematisch vorgenommen werden (vgl BSG Urteil vom 30. Mai 1978 SozR 2200 § 1266 Nr 7 S. 36). Anhaltspunkte bieten die Kosten, die für eine vergleichbare Ersatzkraft aufzuwenden wären (BSG Urteil vom 16. November 1972 - 11 RA 154/71 - SozR Nr 12 zu § 1266 RVO). Dafür sind die Leistungsgruppen nach der Anlage 2 zum FRG nicht ohne weiteres geeignet; denn diese Leistungsgruppen stellen auf eine vollschichtig notwendige Tätigkeit im Haushalt ab. Im vorliegenden Fall ist jedoch zumindest zweifelhaft, ob die erforderlichen Hausarbeiten diesen Umfang erreicht haben. So bedarf es der Feststellung, wieviel Stunden täglich der Kläger bei dem Zuschnitt des Zwei-Personen-Haushaltes zur Ausführung der erforderlichen Hausarbeiten aufwenden mußte. Auf dieser Grundlage können die Aufwendungen für eine Ersatzkraft geschätzt werden (zur Bewertung der Hausarbeit vgl auch BVerfG in SozR 2200 § 1266 Nr 2 S. 8/9).

Ähnliches gilt für die Pflegetätigkeit des Klägers. Auch hier kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Pflegeleistungen in ihrem Wert dem Pflegegeld entsprechen. Der Wert der Pflegeleistungen kann sowohl über als auch unter dem Betrag des Pflegegeldes liegen. Entscheidend ist, inwieweit der Kläger durch die Pflege der Versicherten über die Haushaltsführung hinaus besonders belastet war (vgl BSGE 31, 90, 98; BSG SozR 2200 § 1266 Nr 7 S. 36, 37).

Für den Familienunterhalt standen somit zur Verfügung: Renten und Pflegegeld der Versicherten in Höhe von insgesamt 752,20 DM, die Sozialhilfe in Höhe von 352,- DM sowie die Haushaltsführung und Pflegeleistung des Klägers in noch festzustellendem Wert, wobei sich der Höchstbetrag des Wertes der Haushaltsführung aus den Renten der Versicherten (552,20 DM) und den Leistungen der Sozialhilfe (352,- DM) ergibt.

Die Versicherte hat den Familienunterhalt überwiegend bestritten, wenn ihr Beitrag dh ihr Einkommen von 752,20 DM höher war als die Hälfte des gesamten Familieneinkommens, das sich aus den Barbeträgen von 752,20 DM + 352,- DM = 1.104,20 DM sowie dem Wert der Dienstleistung, dh der Haushaltsführung und des besonderen Pflegeaufwandes des Klägers, zusammensetzt.

Der Feststellung des Wertes der Dienstleistungen des Klägers kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Insoweit fehlen noch tatsächliche Feststellungen; der Senat kann sie nicht selbst treffen. Sie sind vom LSG nachzuholen. Dieses hat auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656425

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