Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwerrente. Unterhaltsbeitrag von Kindern. Aufteilung der Hausarbeit. Anspruch auf Witwenrente

 

Orientierungssatz

1. Kann ein Kind sich aus seinem Einkommen nicht selbst unterhalten und ist deshalb mindestens zum Teil unterhaltsberechtigt, ist das Einkommen des Kindes nicht dem Familienunterhalt zuzurechnen (Urteil des BSG vom 1968-08-01 4 RJ 305/65 = BSGE 28, 185 = SozR Nr 6 zu § 1266 RVO).

2. Konnte der Ehemann wegen seines Gesundheitszustandes nur die Hälfte der anfallenden Hausarbeiten verrichten, so besteht keine Veranlassung, ihm einen höheren Wert als die Hälfte der Hausarbeit zuzuordnen als der voll beschäftigten Versicherten.

 

Normenkette

RVO § 1266 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 18.10.1982; Aktenzeichen L 11/6 J 386/80)

SG Darmstadt (Entscheidung vom 07.03.1980; Aktenzeichen S 1/2 J 200/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Witwerrente aus der Versicherung seiner am 11. Februar 1977 infolge eines Verkehrsunfalls verstorbenen Ehefrau L. J. P. (Versicherte).

Der Kläger lebte mit der Versicherten und der am 19. Februar 1959 geborenen ehelichen Tochter I. im gemeinsamen Haushalt. Vom 1. April 1975 bis 31. März 1978 bezog der Kläger eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit. Diese betrug von März 1976 bis Juni 1976 monatlich DM 442,60, von Juli 1976 bis Februar 1977 monatlich DM 491,40. Weiter bezog der Kläger eine Zusatzrente in Höhe von monatlich DM 516,70 bis Juni 1976, danach in Höhe von monatlich DM 572,30. Schließlich bezog der Kläger eine spanische Rente in Höhe von monatlich DM 137,90 bis April 1976, danach in Höhe von monatlich DM 144,40.

Die Versicherte war vom 1. Februar 1971 bis zu ihrem Tode als Hausreinigerin bei der Deutschen Bundesbahn voll beschäftigt. Von März 1976 bis Januar 1977 erzielte sie einschließlich einer vermögenswirksamen Leistung ein Nettoeinkommen von DM 14.068,61.

Die Tochter I. bezog in der Zeit von Februar 1976 bis Januar 1977 für ihre Tätigkeit von 20 Wochenstunden ein Nettoeinkommen von DM 5.927,94.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Witwerrente ab (Bescheid vom 4. Juli 1977). Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. März 1980, Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 18. Oktober 1982). Zur Begründung führte das LSG ua aus, das Arbeitseinkommen der Versicherten (DM 14.068,61) sei im letzten Jahr vor ihrem Tode höher gewesen als das Renteneinkommen des Klägers (DM 14.066,40). Die Einkünfte der Tochter I. seien für ihren eigenen Unterhalt verbraucht worden. Der Wert der von der Versicherten und der von dem Kläger geleisteten Hausarbeit sei gleich hoch zu veranschlagen, zumal der Kläger nach ärztlichen Gutachten nur noch in der Lage gewesen sei, täglich zwei bis drei Stunden leichte Arbeiten zu verrichten.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen die Rechtsauffassung des LSG. Sie trägt vor, für die Feststellung der Einkommensverhältnisse des Klägers und der Versicherten hätte nicht der Zeitraum vom März 1976 an herangezogen werden dürfen, weil sich die Einkommensverhältnisse des Klägers infolge einer Rentenerhöhung ab Juli 1976 wesentlich geändert hätten. Weiterhin zählten die der Versicherten gewährten vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von DM 13,- monatlich nicht zu ihrem Einkommen, weil sie nicht für den Familienunterhalt verwendet worden seien. Zudem habe das LSG den Umfang der Hausarbeit des Klägers mit 50 % zu gering veranschlagt, hierfür hätten mindestens 60 % in Ansatz gebracht werden müssen. Hierbei hätte auch die von der Tochter verrichtete oder zu verrichtende Hausarbeit herangezogen werden müssen. Schließlich führe eine Verteilung des Familieneinkommens nach dem vom BSG im Urteil vom 25. Februar 1971 - 5/12 RJ 120/67 - (SozR Nr 27 zu § 1241 RVO) aufgestellten Punktsystem dazu, daß die Versicherte den Familienunterhalt nicht überwiegend bestritten habe.

Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Nach § 1266 RVO, der noch als mit dem Grundgesetz vereinbar anzuwenden ist (BVerfGE 39, 169 = SozR 2200 § 1266 Nr 2), erhält ein Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau Witwerrente, wenn diese den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das angefochtene Urteil des LSG ist zu Recht ergangen, die hiergegen von der Beklagten erhobenen Revisionsrügen greifen nicht durch.

Es ist nicht zu beanstanden, wenn das LSG davon ausgeht, daß die Versicherte den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat, weil sie jedenfalls nach den Feststellungen des LSG im letzten Jahre vor ihrem Tode (wirtschaftlicher Dauerzustand) ein Nettoeinkommen von DM 14.068,61 erzielte, dem nur ein Renteneinkommen des Klägers in Höhe von DM 14.066,40 gegenüberstand. Als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand hat das LSG das letzte Jahr vor dem Tode der Versicherten zugrunde gelegt. Wenn man mit der Beklagten den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand ab dem 1. Juli 1976 (Rentenerhöhungen beim Kläger) beginnen läßt, hätte dies auf den Familienunterhalt keinen Einfluß. Hiernach hätte der Kläger ein monatliches Renteneinkommen von DM 1.208,10 (DM 491,40 Erwerbsunfähigkeitsrente + DM 572,30 Zusatzrente + DM 144,40 spanische Rente), dem ein von der Beklagten unstreitig errechneter Arbeitsverdienst der Versicherten von monatlich DM 1.263,- gegenüberstand.

Mit Recht hat das LSG auch die der Versicherten zugeflossenen vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von DM 13,- monatlich zum Familienunterhalt gezählt. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl Urteile vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 40/70 - SozR Nr 10 zu § 1266 RVO, vom 26. August 1975 - 1 RA 93/73 - BSGE 40, 161, 165 = SozR 2200 § 1266 Nr 3 S 19, vom 27. Februar 1980 - 1 RJ 44/79 - SozR 2200 § 1266 Nr 14 S 56) gehören zum Familienunterhalt nicht nur die hierzu tatsächlich verbrauchten Mittel, sondern in begrenztem Umfang auch Beträge, die zur Bildung von Rücklagen bestimmt sind (zB Beiträge zu Bausparkassen). Bei den der Versicherten zugeflossenen vermögenswirksamen Leistungen handelt es sich um Sparbeträge in diesem Sinne, die dazu bestimmt und geeignet waren, ähnlich wie beim Bausparen gewisse Rücklagen für besondere Ereignisse des Lebens anzusparen.

Zutreffend hat das LSG den Beitrag der gemeinsamen Tochter I. zum Familienunterhalt außer Betracht gelassen. Die Tochter konnte sich aus ihrem Einkommen nicht selbst unterhalten und war deshalb mindestens zum Teil unterhaltsberechtigt. In diesem Falle ist das Einkommen der Tochter nicht dem Familienunterhalt zuzurechnen (Urteil des erkennenden Senats vom 1. August 1968 - 4 RJ 305/65 - BSGE 28, 185 = SozR Nr 6 zu § 1266 RVO). Vielmehr ist davon auszugehen, daß das Arbeitseinkommen der Tochter für ihren eigenen Lebensunterhalt verbraucht werden mußte. Dies ergibt sich auch aus den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG.

Den Beitrag zur Haushaltsführung (Wert der Hausarbeit) hat das LSG beiden Ehegatten in gleichem Umfange zugeordnet. Insoweit bewegt sich das LSG im Rahmen der Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 40/70 - SozR Nr 10 zu § 1266 RVO, Urteil des erkennenden Senats vom 1. Dezember 1983 - 4 RJ 33/82), wonach im Hinblick auf die familienrechtliche Verpflichtung zur Hausarbeit im Normalfall von einer beiderseitigen gleichwertigen Haushaltsführung durch beide Ehegatten auszugehen ist. Der vorliegende Fall bietet keine Veranlassung, von diesem Grundsatz abzuweichen. Zwar war im vorliegenden Fall die Versicherte voll beschäftigt, der Kläger hingegen nicht erwerbstätig, doch hat das LSG bindend festgestellt, daß der Kläger wegen seines Gesundheitszustandes nur die Hälfte der anfallenden Hausarbeiten verrichten konnte. Unter dieser Voraussetzung bestand keine Veranlassung, dem Kläger einen höheren Wert der Hausarbeit zuzuordnen als der Versicherten. Im Rahmen seines Gesundheitszustandes konnte und mußte der Kläger die Hälfte der Hausarbeit verrichten; dieser Umfang der Mitarbeit im Haushalt war erforderlich, aber auch ausreichend. Soweit die Tochter I. sich an der Hausarbeit beteiligt hat, kam diese Mithilfe ihr selbst und zu gleichen Teilen dem Kläger und der Versicherten zu. Es ist nicht zu erkennen, daß die Tochter Hausarbeiten in einem Umfang verrichtet hat, der speziell der Versicherten zugute kam und deshalb ausschließlich ihren Anteil an der Haushaltsführung mindern mußte. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat sich die Tochter nur wenig im Haushalt betätigt.

Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf das im Urteil des BSG vom 25. Februar 1971 - 5/12 RJ 120/67 (SozR Nr 27 zu § 1241 RVO) zur Ermittlung des Familienunterhaltes berufen. Dieses auf den Beschluß des Großen Senats des BSG vom 21. Mai 1969 - GS 2/67 (BSGE 29, 225, 233 = SozR Nr 14 zu § 1241 RVO) zurückgehende und § 1241 Abs 2 Satz 1 RVO idFd ArVNG betreffende Urteil bezieht sich auf die "überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen" zum Zwecke der Berechnung des Übergangsgeldes, während der Anspruch auf Witwerrente darauf abstellt, wer den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Beide Tatbestände sind voneinander zu trennen, die Grundsätze für die Gewährung des Übergangsgeldes können nicht auf die Witwerrente übertragen werden (BSG, Urteil vom 25. Januar 1979 - 8a RU 26/78 - SozR 2200 § 593 Nr 1 S 5 für den mit § 1266 RVO insoweit gleichlautenden § 593 RVO). An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest. Sie führt im vorliegenden Fall nicht zu einer anderen Aufteilung der Hausarbeit.

Nach alldem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662352

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