Entscheidungsstichwort (Thema)

Frage des "überwiegenden Unterhalts"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Ermittlung des "Unterhalts der Familie" (RVO § 1266 Abs 1) bleibt ein im Haushalt der Eltern lebendes Kind, das nicht unterhaltsberechtigt iS des BGB § 1602 Abs 1 ist und der gemeinsamen Haushaltskasse auch nicht mehr zur Verfügung stellt, als es selbst verbraucht, außer Betracht.

2. Bei der Ermittlung des "Unterhalts der Familie" ist ein im Haushalt der Eltern lebendes Kind, das zu einem Teil unterhaltsberechtigt ist und insoweit mitunterhalten wird, nicht in Höhe seines Beitrags zur gemeinsamen Haushaltskasse als Miternährer der Familie anzusehen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Frage des "überwiegenden Unterhalts":

Kinder, die wegen eigener Einkünfte nur den fehlenden Teil ihres Unterhalts beanspruchen können, werden bei der Beurteilung des überwiegenden Unterhalts durch den Versicherten nur mit diesem Teilbetrag berücksichtigt, dh zur Unterhaltsgewährung gehört nur das, was der Versicherte zum Unterhalt des Kindes beiträgt; das Einkommen solcher Kinder wird folglich so behandelt, als würde es von vornherein für den eigenen Unterhalt verwendet.

 

Normenkette

RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; BGB § 1360a Fassung: 1957-06-18, § 1602 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. März 1965 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger beansprucht Witwerrente aus der Rentenversicherung seiner im Juli 1961 gestorbenen Ehefrau.

Die Versicherte hatte zusammen mit dem Kläger einen landwirtschaftlichen Betrieb von 3,600 ha bewirtschaftet; davon gehörten 0,863 ha den Eheleuten gemeinsam und 0,781 ha der Versicherten allein, während der Rest von 1,956 ha Pachtland war. Zur Zeit des Todes der Versicherten lebten im Haushalt der Eheleute ihr 20-jähriger Sohn H und ihr 17-jähriger Sohn H. Im letzten Jahr vor dem Tode der Mutter verdiente H 1233,- DM, sein Bruder H 3729,- DM brutto.

Mit Bescheid vom 4. April 1963 lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt den Rentenantrag des Klägers ab, weil die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend, wie es § 1266 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Gewährung einer Witwerrente voraussetze, bestritten habe. Dabei setzte die Beklagte das Einkommen der Versicherten - aus Landwirtschaft - mit rund 2000,- DM, das des Klägers - aus Landwirtschaft, Lohnarbeit und Arbeitslosengeld - mit 2.082,- DM an.

Die hiergegen gerichtete Klage ist vor dem Sozialgericht (SG) Speyer ohne Erfolg geblieben. Das SG hat in seinem Urteil vom 27. April 1964 ebenfalls eine überwiegende Unterhaltsleistung durch die Versicherte verneint, jedoch mit der Begründung, das Familieneinkommen der Eheleute und ihrer beiden Söhne habe im letzten Lebensjahr der Versicherten 10.866,- DM betragen; davon habe der von ihr selbst beigesteuerte Anteil - einschließlich des Wertes ihrer Haushaltsführung - nur 4600,- DM ausgemacht.

Auf die Berufung des Klägers hin hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 17. März 1965 die Beklagte zur Rentengewährung verpflichtet. Es hat ausgeführt: Bei der Ermittlung des Familienunterhalts i. S. des § 1266 RVO dürfe ein Kind, welches wegen eines eigenen ausreichenden Verdienstes gegenüber den Eltern nicht unterhaltsberechtigt sei, nicht mitberücksichtigt werden; dies ergebe sich aus § 1360 a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Deshalb habe der Sohn H des Klägers mit einem Verdienst von monatlich etwa 300,- DM brutto (= 250,- DM netto) aus der Berechnung auszuscheiden. Bei dem Sohn H sei es wegen seines geringen Verdienstes zweifelhaft, ob er bei der Anwendung des § 1266 RVO als zur Familie gehörig zu gelten habe. Zähle man ihn nicht dazu, so sei der Unterhalt der dann nur aus den Eheleuten bestehenden Familie allein mit den Einnahmen aus der Landwirtschaft und dem - insoweit zu berücksichtigenden - Wert der Haushaltsführung bestritten worden. Die Erträgnisse der Landwirtschaft seien den Eheleuten zu gleichen Teilen zuzurechnen; der Kläger habe jedenfalls nicht mehr als die halbe Landwirtschaft geschafft. Der Versicherten sei dazu der Wert der von ihr allein besorgten Haushaltsführung gutzubringen; dieser sei mit monatlich 200,- DM anzusetzen. Danach habe die Versicherte - gleichgültig, wie hoch die Einkünfte aus der Landwirtschaft gewesen seien - in ihrem letzten Lebensjahr den Unterhalt der aus den Eheleuten bestehenden Familie bestritten. Dieses Ergebnis ändere sich nicht, wenn der Sohn H noch als unterhaltsberechtigt angesehen und deshalb zur Familie gezählt werde. Da er in dem maßgeblichen Zeitraum nur 1233,- DM verdient habe, sei die Unterhaltsleistung der Verstorbenen noch überwiegend gewesen. Das Arbeitseinkommen des Sohnes H müsse unberücksichtigt bleiben. Er habe nicht zum Unterhalt der Familie beigesteuert, sondern nur die Verwaltung seiner Einkünfte den Eltern überlassen. Zudem sei anzunehmen, daß sein Nettolohn von 250,- DM ausschließlich für seine Bedürfnisse ausgegeben worden sei; denn die Eltern hätten von ihrer Landwirtschaft leben können.

Das LSG hat die Revision zugelassen wegen Abweichens von der grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2090 des Reichsversicherungsamts - RVA - (AN 1915, 671).

Die Beklagte hat das Rechtsmittel eingelegt und eine unrichtige Anwendung des § 1266 RVO gerügt. Sie führt aus: Nach der angeführten Entscheidung des RVA seien alle waisenrentenberechtigten Kinder zur Familie i. S. des § 1266 RVO (§ 1260 RVO aF) zu zählen. Dieser Grundsatz habe auch noch für die heutige Zeit Gültigkeit, wie das Bundessozialgericht (BSG) in einer Entscheidung vom 23. März 1961 (BSG 14, 129) anerkannt habe. Der Auffassung des LSG, daß der bürgerlich-rechtliche Familienbegriff maßgebend sei, könne nur für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten und sich nicht mehr in Schul- oder Berufsausbildung befänden, zugestimmt werden. Somit hätten beide Söhne des Klägers während des maßgeblichen Zeitraums zur Familie gehört, der Sohn H, weil er noch nicht 18 Jahre alt, und der Sohn H, weil er wegen seines geringen Einkommens noch unterhaltsberechtigt gewesen sei. - Im übrigen habe das LSG zu Unrecht den Wert der Hausarbeit in vollem Umfang dem Unterhaltsbeitrag der Versicherten zugeschlagen. Dies entspreche zwar im vorliegenden Fall den tatsächlichen Verhältnissen, sei aber rechtlich nicht haltbar. Die Mithilfe des Mannes im Haushalt sei weithin üblich (BSG SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO), es werde sogar eine rechtliche Verpflichtung hierzu aus § 1360 BGB hergeleitet (vgl. BGH, NJW 1960, 141). Deshalb sei der halbe Wert der Hausarbeit dem Manne zuzurechnen. Anderenfalls würden diejenigen Männer, die keine Hausarbeit leisteten, gegenüber den ihre Ehefrauen pflichtgemäß entlastenden Männern durch die Gewährung von Witwerrenten begünstigt. - Darüber hinaus habe das LSG die Hausarbeit der Versicherten mit 200,- DM im Monat zu hoch bewertet. Die Haushaltsführung entspreche nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 17, 1, 22) den Geldleistungen, die für den Unterhalt eines Ehegatten aufgewendet würden, wenn dieser nur den Haushalt geführt hätte. Danach sei hier ein Viertel des Bareinkommens aller Familienangehörigen als Wert der Hausarbeit anzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er pflichtet den Gründen des angefochtenen Urteils bei. Weiter führt er aus: Man dürfe die Änderung der unterhaltsrechtlichen Situation seit dem Jahre 1915 nicht übersehen. Nach § 1649 Abs. 2 BGB dürfen die Eltern nur Einkünfte aus dem Kindesvermögen, nicht aber das Arbeitseinkommen eines Kindes für den Familienunterhalt verwenden. Deshalb könne man dieses Einkommen eines Kindes nicht als Leistung zum Familienunterhalt i. S. des § 1266 RVO ansehen, weil sonst eine rechtswidrige Verwendung des Arbeitseinkommens durch die Eltern unterstellt werde. Die Auffassung der Beklagten, daß schon eine bloße Verpflichtung des Mannes zur Leistung von Hausarbeit wertmäßig als Unterhaltsleistung zu erfassen sei, widerspreche dem § 1266 RVO; diese Vorschrift stelle es auf die tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen ab.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis richtig.

Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen und dem Sachvortrag der Beklagten steht außer Zweifel, daß die Versicherte zur Zeit ihres Todes die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt hatte (§ 1263 Abs. 2 RVO). Der Anspruch des Klägers auf Gewährung der Witwerrente hängt deshalb allein davon ab, ob die Versicherte "den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat" (§ 1266 Abs. 1 RVO).

Obwohl der Anspruch auf Witwerrente - im Unterschied zur Witwenrente (§ 1264 RVO) - von der erschwerenden Voraussetzung der überwiegenden Unterhaltsleistung durch die verstorbene Versicherte abhängig gemacht wird, ist § 1266 RVO mit dem Grundgesetz (GG), vor allem mit dem Gleichheits- und dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 GG vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 24. Juli 1963 für die dem § 1266 RVO entsprechende Vorschrift des § 43 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes ausgesprochen (BVerfG 17, 1; so auch schon BSG 5, 17 und 14, 129, 130 für § 1266 Abs. 1 RVO).

In § 1266 RVO ist der Zeitraum, in dem die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten haben muß, nicht festgelegt. Wie das BSG - auch der erkennende Senat - jedoch wiederholt entschieden hat, kommt es dabei auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten an; dieser rechnet von der letzten wesentlichen Änderung der Einkommensverhältnisse eines Familienmitgliedes bis zum Tode, gegebenenfalls bis zum Beginn der Krankheit, welche zum Tode der Versicherten geführt hat (BSG 14, 129, 132; BSG SozR Nrn. 2, 3 und 4 zu § 1266 RVO). Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß Hinterbliebenenrenten die durch den Tod weggefallene Unterhaltsleistung des Versicherten an den Berechtigten ersetzen und daß die Fortdauer des Zustandes vor dem Tode zu unterstellen ist. Da für das letzte Lebensjahr der Versicherten keine wesentlichen Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie festgestellt worden sind, ist es rechtlich nicht zu beanstanden und auch von den Beteiligten nicht beanstandet worden, daß das LSG diesen Zeitraum, nämlich die Zeit von August 1960 bis Juli 1961, als den maßgebenden angesehen hat, in welchem die Anspruchsvoraussetzung der überwiegenden Unterhaltsleistung durch die Versicherte erfüllt sein muß.

Für die unter den Beteiligten streitige Frage, welcher Inhalt dem Begriff "Unterhalt der Familie" beizumessen ist, kommt es auf die Abgrenzung des Kreises der Familienangehörigen an. Je weiter man diesen Kreis zieht, um so schwerer läßt sich die für den Anspruch auf Witwerrente geforderte Voraussetzung erfüllen. Dies galt um so mehr in der Zeit vor der Verordnung vom 17. Mai 1934 (RGBl I 419), als der Unterhalt der Familie noch "aus ihrem - der Versicherten - Arbeitsverdienst" bestritten worden sein mußte (§ 1260, später § 1261 RVO idF vor 1934). Das RVA hat deshalb in der vom LSG angeführten Entscheidung Nr. 2090 zur "Familie" i. S. des § 1260 RVO aF außer dem Ehemann der Versicherten nur die waisenrentenberechtigten Kinder - damals Kinder unter 15 Jahren - gezählt. Es hat die dahingehende Auslegung des Gesetzes mit dessen Zweckbestimmung, nämlich der Hinterbliebenenfürsorge, begründet. In der Unterhaltsberechtigung von Kindern nach §§ 1601 ff BGB hat es kein geeignetes Kriterium für eine klare und brauchbare Abgrenzung des Kreises der Familienangehörigen gesehen, weil dann auch Erwachsene, aber zu ihrem eigenen Unterhalt unfähige Kinder zur Familie zu zählen wären, was den Kreis der in Betracht kommenden Personen zu groß werden lasse, und weil die Übernahme der Begriffe der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsberechtigung und Unterhaltspflicht in die ohnedies vielseitigen Voraussetzungen für die Renten aus § 1260 RVO aF eine weitere Schwierigkeit bedeuten würde. -- Wie sich das RVA in der angeführten Entscheidung auf vorhandenes Schrifttum stützen konnte, so billigt auch das nach 1915 erschienene Schrifttum durchweg die Rechtsprechung des RVA und zählt dementsprechend nach der Ausdehnung der Waisenrentenberechtigung auf Kinder im Alter bis zu 18 bzw. 25 Jahren auch diese Kinder zur "Familie" i. S. des § 1266 RVO nF (vgl. zB Hanow/Lehmann, Reichsversicherungsordnung, Viertes Buch, 1925, § 1260 Anm. 5; RVO-Gesamtkommentar § 1266 Anm. 1 Abs. 3; Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 1266 Anm. 5; Koch/Hartmann, Das Angestellten-Versicherungsgesetz, § 43 Anm. B I 1 S. 368; Elsholz/Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, S. 147 Nr. 50 Anm. 1 b zu § 1266 RVO; Eicher/Haase, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, § 1266 RVO, Anm. 5). In Übereinstimmung hiermit hat der erkennende Senat in einer in BSG 14, 129 veröffentlichten Entscheidung bei der Anwendung des § 1266 RVO die 17-jährige Tochter eines Ehepaares zur "Familie" gerechnet und sie - ohne weitere Begründung - in Höhe ihres in die gemeinsame Haushaltskasse abgeführten Jahreseinkommens von 675,- DM als Miternährer der Familie angesehen.

Eine Fortsetzung dieser Rechtsprechung läßt sich unter den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten der Gegenwart nicht mehr vertreten. Schon die Begründung, die das RVA für seine Entscheidung Nr. 2090 gegeben hat, weist Schwächen auf. Zwar läßt sich nicht beanstanden, daß das RVA die Zweckbestimmung als Auslegungsmittel hat gelten lassen. Es überzeugt aber nicht, daß sich aus dem Gesichtspunkt der Hinterbliebenenfürsorge die vom RVA gefundene Lösung ergeben soll. Mit dem Rechtsinstitut der Witwerrente wird der Zweck verfolgt, dem Witwer, dessen versicherte Ehefrau die Hauptlast des für die Familie aufzubringenden Unterhalts getragen hatte, nach deren Ableben einen gewissen Ausgleich für den eingetretenen Unterhaltsausfall zu gewähren. Dieser Zweck wird mit der gesetzlichen Regelung in der Auslegung der RVA-Rechtsprechung erreicht, wenn nur die Eheleute - oder nur die versicherte Ehefrau - den Unterhalt der Familie aufbringen; er kann aber unerreichbar werden, wenn ein - für den Fall des Todes der Mutter - waisenrentenberechtigtes Kind der Familie eigenes Einkommen hat und damit zum Familienunterhalt beiträgt, gleichzeitig aber mit einem seinem Beitrag gleichkommenden oder ihn übersteigenden Anteil aus der gemeinsamen Haushaltskasse unterhalten wird. Dies ist z. B. der Fall, wenn in einer Familie die Ehefrau 280,- DM, der Ehemann 220,- DM und ein - Waisenrentenberechtigtes - Kind 100,- DM zum Unterhalt der Familie beiträgt und jeder der drei Familienangehörigen 200,- DM verbraucht. Wollte man in einem solchen Falle das Kind als Miternährer der Familie ansehen und bei der Anwendung des § 1266 RVO mitberücksichtigen, dann hätte die Ehefrau die Familie - bei deren Gesamtbedarf von 600,- DM - nicht überwiegend unterhalten, und die Voraussetzungen der Witwerrente wären nicht erfüllt, obwohl das Kind mit seinem Einkommen die wirtschaftliche Lage der Eltern - im Verhältnis zu einem kinderlosen Ehepaar - nicht verbessert, sondern im Endergebnis verschlechtert hat. Die Verknüpfung des Begriffs "Familie" i. S. des § 1266 RVO mit der Waisenrentenberechtigung ist also geeignet, zu einer Verfälschung des vernünftigerweise zu erwartenden Ergebnisses zu führen. - Die angeführte Rechtsprechung des RVA erscheint auch insofern bedenklich, als nach ihr volljährige Kinder, die außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, bei der Anwendung der Vorschrift über die Witwerrente grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hätten. Für die Berechtigung einer solchen Annahme fehlt es aber an einleuchtenden Gründen; denn erwerbsunfähige volljährige Kinder unterliegen nach §§ 1601, 1602 Abs. 1 BGB der Unterhaltspflicht der Eltern und damit der Familienlast. - Schließlich überzeugt auch nicht die Begründung, mit der das RVA es abgelehnt hat, aus den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Unterhaltsberechtigung Erkenntnisse für die Abgrenzung des Kreises der Familienangehörigen i. S. des § 1260 RVO aF herzuleiten. Es hat sich darauf beschränkt, den nach jenen Vorschriften in Betracht kommenden Kreis als zu groß zu bezeichnen und auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben würden, die Unterhaltsberechtigung bzw. Unterhaltspflicht der Beteiligten festzustellen. - Wenn die Rechtsprechung des RVA trotz der aufgezeigten Bedenken damals keinen Widerspruch gefunden hat, so mag dies darauf beruhen, daß sie in einer Zeit, in der Waisenrente nur bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres gewährt wurde und Kinder in diesem Alter in der Regel kein eigenes Einkommen hatten, im allgemeinen zu zufriedenstellenden Ergebnissen geführt hat. Die damaligen Verhältnisse haben sich jedoch mit der Ausdehnung des Bezugs der Waisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres entscheidend geändert. Hinzu kommt die erhebliche Anhebung der Lehrlingsentgelte, besonders aber die Verbesserung der Lohnverhältnisse aller sonstigen jugendlichen Beschäftigten in neuerer Zeit. Unter diesen veränderten Umständen läßt es sich nicht rechtfertigen, die Rechtsprechung des RVA aus dem Jahre 1915 - selbst wenn man sie für die damalige Zeit für vertretbar hält - in der Weise in die Gegenwart zu übernehmen, daß alle Kinder bis zur Vollendung des 18. bzw. 25. Lebensjahres ohne Rücksicht auf eigenes Einkommen und eigene Beiträge zur gemeinsamen Haushaltskasse bei der Anwendung des § 1266 RVO zu berücksichtigen wären.

Nach der Auffassung des erkennenden Senats darf man bei der Auslegung des in § 1266 RVO enthaltenen Begriffs "Unterhalt der Familie" die einschlägigen Vorschriften des bürgerlichen Rechts nicht außer Betracht lassen, muß vielmehr den Weg beschreiten, den zu gehen das RVA seinerzeit abgelehnt hat. Er bietet sich nach dem Erlaß des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 um so eindringlicher an, als nunmehr im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht nur - wie vordem - die gegenseitige Unterhaltspflicht der Ehegatten und deren Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern geregelt, sondern auch angeordnet ist, daß die Ehegatten "einander verpflichtet" sind, ... "die Familie angemessen zu unterhalten" (§ 1360 BGB idF des Gleichberechtigungsgesetzes). Nach § 1360 a Abs. 1 BGB umfaßt der angemessene "Unterhalt der Familie" alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen. Der in diesen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu findende Begriff "Unterhalt der Familie" gibt, worauf bereits der 1. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 14. Dezember 1964 (SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO) hingewiesen hat, auch einen brauchbaren Maßstab für die Auslegung des gleichen Begriffs in § 1266 RVO. Dies gilt jedenfalls für gemeinsame Kinder des Witwers und seiner verstorbenen - versicherten - Ehefrau. Hiernach scheiden Kinder, die nicht unterhaltsberechtigt sind, weil sie ein ausreichendes Einkommen haben, aus der nach § 1266 RVO anzustellenden Betrachtung über den Umfang des Unterhalts der Familie aus; ihr Lebensbedarf ist nicht von den Eltern zu bestreiten und wird deshalb nicht vom "Unterhalt der Familie" umfaßt. Wohl können solche Kinder, nämlich dann, wenn sie den Eltern mehr "abgeben", als sie selbst verbrauchen, am Unterhaltsaufbringen für die Familie beteiligt sein. Ferner sind bei der Anwendung des § 1266 RVO Kinder, die nur zu einem Teil ihres Unterhaltsbedarfs unterhaltsberechtigt sind, nur mit diesem Teilbedarf zu berücksichtigen, d. h. zum "Unterhalt der Familie" gehört nur das, was die Eltern pflichtgemäß zum Unterhalt dieser Kinder beitragen; ein solches Kind ist dagegen nicht in Höhe seines Beitrags zur gemeinsamen Haushaltskasse als Miternährer der Familie anzusehen (so auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III S. 688).

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich für den zu entscheidenden Streitfall folgendes: Bei der Ermittlung des "Unterhalts der Familie" bleibt der Sohn Harald außer Betracht, weil er nicht von den Eltern unterhalten worden ist. Er war auch an der Aufbringung des Unterhalts der Familie nicht beteiligt; denn er hat nach dem festgestellten Sachverhalt sein Arbeitseinkommen von monatlich 250,- DM netto für sich verbraucht. Für den Sohn H ist ein gewisser Betrag - entsprechend dem Anteil seiner Unterhaltsberechtigung - anzusetzen, der den "Unterhalt der Familie" belastet; der Sohn Hans ist aber nicht in Höhe seines Monatsverdienstes von etwa 100,- DM Miternährer der Familie.

Hiernach ist der "Unterhalt der Familie" allein von den Eheleuten - aus der Landwirtschaft - bestritten worden. Wie hoch deren Einnahmen zu beziffern sind - die Beklagte hat sie im Verwaltungsverfahren mit 2000,- + 1398,- DM jährlich ermittelt -, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits unwesentlich, weil die Verhältnisse, in denen die Familie lebte, eine unterhaltsfremde Verwendung der Einnahmen ausschloß, die gesamten Einnahmen vielmehr dem "Unterhalt der Familie" gleichzusetzen sind (vgl. hierzu BSG SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO, Bl. Aa 6).

Die Frage, welcher der beiden Ehegatten den Unterhalt der Familie "überwiegend" bestritten hat, ist vom LSG jedenfalls im Ergebnis zutreffend dahin beantwortet worden, daß dies die Versicherte war. "Überwiegend" wird der Unterhalt der Familie von demjenigen bestritten, der mehr als die Hälfte dazu beiträgt (vgl. RVA, AN 1929, 145 - Grunds. Entscheidung Nr. 3379; BSG SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO). Dies trifft auf die Versicherte schon deshalb zu, weil sie dem landwirtschaftlichen Betrieb, an dem die Eheleute nach dem festgestellten Sachverhalt arbeitsmäßig zu gleichen Anteilen beteiligt waren, die größere Anbaufläche zur Verfügung gestellt hat - 1,21 ha gegenüber 0,43 ha Eigentumsanteil des Klägers. Ihr Anteil am Unterhaltsaufbringen ist also jedenfalls um die Differenz im Ertragswert des beiderseitigen Eigentums größer als der Anteil des Klägers. Diese Überlegung liegt auch schon dem mit der Klage angefochtenen Bescheid der Beklagten zugrunde. Ob darüber hinaus der Anteil der Versicherten um den Wert der von ihr verrichteten Hausarbeit zu erhöhen und wie dieser Wert gegebenenfalls zu bemessen ist, kann hiernach unentschieden bleiben.

Die Revision ist somit als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 185

MDR 1969, 341

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