Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Familienhilfe für den berufstätigen Ehegatten

 

Leitsatz (amtlich)

Der Versicherte hat keinen Anspruch auf die Leistungen der Familienhilfe für seine als Beamtin tätige Ehefrau, wenn deren Gehalt die für Angestellte geltende Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung übersteigt (Anschluß an BSG 1970-10-02 3 RK 91/67 = BSGE 32, 13).

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Verneinung des Anspruchs auf Familienhilfe für den Ehegatten, dessen regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst die Versicherungspflichtgrenze für Angestellte in der gesetzlichen Krankenversicherung überschreitet, bedeutet - ungeachtet der Verwaltungspraxis einer tatsächlichen Leistungsgewährung - keine in einen Vertrauenstatbestand eingreifende unzulässige Rückwirkung. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat nicht einen etwa früher bestehenden Anspruch auf Familienhilfe für die Zukunft beseitigt, sondern nur klargestellt, daß auch in der Zeit vor Verkündung dieser Entscheidung ein Anspruch auf Familienhilfe nicht bestand.

 

Normenkette

RKG § 20 S. 1 Fassung: 1957-05-21; RVO § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1930-07-26; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. September 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem bei der Beklagten versicherten Kläger für seine berufstätige Ehefrau die Leistungen der Familienhilfe zustehen.

Der Kläger gehört der knappschaftlichen Krankenversicherung als freiwillig Weiterversicherter an. Seine Ehefrau ist als Beamtin des höheren Dienstes tätig; ihr Gehalt betrug im Jahr 1970 einschließlich Orts- und Kinderzuschlag monatlich 2.278,10 DM. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. Juli 1970 den Antrag des Klägers ab, die Kosten für eine stationäre Krankenhausbehandlung seiner Ehefrau zu übernehmen, weil die Unterhaltsberechtigung der Ehefrau wegen der Weigerung, die Höhe des jeweiligen Einkommens anzugeben, nicht festgestellt werden könne. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 15. März 1973 die auf Gewährung der Familienkrankenhilfe gerichtete Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 4. September 1975 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die auf Feststellung der Familienhilfeberechtigung gerichtete zulässige Feststellungsklage sei unbegründet, denn der Kläger habe keinen Anspruch auf die Leistungen der Familienhilfe für seine Ehefrau. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ständen einem Versicherten ohne Rücksicht auf die Höhe seines eigenen Einkommens die Leistungen der Familienhilfe nicht zu, wenn seine unterhaltsberechtigten Angehörigen ein eigenes Einkommen hätten, das die Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung übersteige.

Da die Ehefrau des Klägers als Beamtin des höheren Dienstes ein Einkommen habe, das zu jeder Zeit über der Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung gelegen habe, komme es auf die Höhe des Einkommens des Klägers nicht an. Das gelte auch für die Zeit vor der erstmaligen Entscheidung dieser Rechtsfrage durch das BSG. Die Behauptung des Klägers, ein Bediensteter der Beklagten habe die Übernahme der Krankenhauskosten für die stationäre Behandlung vom 28. Mai 1970 bis zum 8. Juni 1970 fernmündlich zugesagt, sei nicht erwiesen.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er trägt im wesentlichen vor, nach dem Urteil des 5. Senats des BSG vom 17. Dezember 1959 (BSGE 11, 198) sei alleinige Voraussetzung für den Anspruch auf Familienhilfe, daß die Ehefrau des Versicherten unterhaltsberechtigt sei. Davon sei der 3. Senat des BSG in seinem Urteil vom 2. Oktober 1970 (BSGE 32, 13) abgewichen, weil er den Familienhilfeanspruch trotz bestehenden Unterhaltsanspruchs verneint habe. Im übrigen sei das Urteil des 3. Senats des BSG in der Literatur nicht gebilligt worden. Die vom 3. Senat angenommene Regelungslücke besteht nicht. Der Gesetzgeber habe in den letzten 45 Jahren den § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) mehrfach geändert, aber zu keiner Zeit eine Einschränkung der i. S. vom 3. Senat vertretenen Auffassung vorgenommen. Die auf dem 47. Deutschen Juristentag im Jahre 1968 von Langkeit aufgestellte Forderung, die Familienhilfe zu versagen, wenn die Ehefrau wegen Überschreitens der Krankenversicherungspflichtgrenze nicht versicherungspflichtig sei, habe weder die sozialrechtliche Arbeitsgemeinschaft in ihre Entschließung aufgenommen, noch sei sie vom Gesetzgeber bei der Kodifizierung des Krankenversicherungs-Änderungsgesetzes (KVÄndG) berücksichtigt worden. Selbst die Urteile des 3. Senats vom 2. Oktober 1970 seien für den Gesetzgeber weder bei der Verabschiedung des 2. KVÄndG noch bei späteren Änderungen oder Ergänzungen des § 205 RVO Anlaß gewesen, die Leitsätze der Urteile zu übernehmen. Im übrigen sei seine Ehefrau - abweichend von den Urteilen des 3. Senats des BSG - nicht nur wegen der Höhe ihres Einkommens, sondern wegen ihrer Beamteneigenschaft versicherungsfrei. Die Beklagte habe ursprünglich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG Familienhilfe auch für solche unterhaltsberechtigten Ehefrauen gewährt, die wegen der Höhe ihres Einkommens in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei gewesen seien. Durch die jahrelange Gewährung der Familienhilfe sei ein Vertrauenstatbestand entstanden, so daß der Kläger mit einer gänzlichen Entziehung der Familienhilfe für seine Ehefrau nicht habe rechnen können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müsse in der Regel das hohe Interesse am Fortbestand der geltenden Rechtslage beachtet und besonders sorgfältig geprüft werden, ob Belange der Allgemeinheit von solchem Gewicht vorhanden seien, die eine Enttäuschung älterer Bürger rechtfertige. Im übrigen verstoße das Verhalten der Beklagten auch gegen den Gleichheitsgrundsatz, denn jedenfalls bis zum 25. Februar 1971 habe sie für solche Angehörige, die nicht wegen der Höhe ihres Einkommens, sondern kraft Gesetzes aus sonstigen Gründen versicherungsfrei gewesen seien, die Familienhilfe gewährt. Schließlich seien durch das Verhalten der Beklagten auch die Art. 6 und 14 des Grundgesetzes (GG) verletzt.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil des LSG und das ihm zugrunde liegende Urteil des SG aufzuheben und festzustellen, daß dem Kläger für seine Ehefrau vom 26. Mai 1970 an Familienhilfe zusteht.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Dem Kläger stehen für seine Ehefrau die begehrten Leistungen der Familienhilfe nicht zu.

Nach § 20 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) i. V. m. § 205 RVO erhält der Versicherte für seine unterhaltsberechtigte Ehefrau die Leistungen der Krankenhilfe, wenn die Ehefrau nicht anderweit Anspruch auf Krankenpflege hat. Der erkennende Senat schließt sich der Rechtssprechung des 3. Senats des BSG an, wonach ein Versicherter keine Familienhilfe für eine berufstätige Ehefrau erhält, wenn deren regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst die Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte überschreitet (vgl. BSGE 32, 13 = SozR Nr. 27 zu 205 RVO; Urt. v. 20. Juli 1976 - 3 RK 48/74 -). Die Gründe dieser Entscheidungen gelten auch für die knappschaftliche Krankenversicherung. Die vom Kläger gegen diese Rechtsprechung vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.

Wenn der Gesetzgeber trotz mehrfacher Änderungen des § 205 RVO die entschiedene Rechtsfrage nicht positiv i. S. der Rechtsprechung geregelt hat, so kann daraus weder geschlossen werden, daß eine Regelungslücke nicht besteht, noch daß der Gesetzgeber sie nicht i. S. der Rechtsprechung geschlossen wissen will. Das Schweigen des Gesetzgebers auf die zitierte Rechtsprechung des 3. Senats kann vielmehr dahin aufgefaßt werden, daß er die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Regelung nicht sah, weil die Rechtsprechung die regelungsbedürftige Frage bereits zufriedenstellend beantwortet hat.

Der Kläger hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, daß seine Ehefrau nicht nur wegen der Höhe ihres Einkommens, sondern auch wegen ihrer Beamteneigenschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei ist. Das kann aber nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Es mag dahingestellt bleiben, ob auch die allein wegen der Beamteneigenschaft bestehende Versicherungsfreiheit zum Ausschluß der Leistungen der Familienhilfe führt. Jedenfalls kann die Beamteneigenschaft des Angehörigen nicht dazu führen, daß die Leistungen der Familienhilfe auch bei Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze zu gewähren sind. Der 3. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 2. Oktober 1970 (BSGE 32, 13, 15) zutreffend darauf hingewiesen, daß derjenige Angehörige, der die Versicherungspflichtgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung überschreitet und deshalb für ihren Bereich nicht mehr als schutzbedürftig gilt, in der Regel wegen seines Krankheitsrisikos nicht auf die Hilfe des versicherten anderen Ehegatten angewiesen sein wird, so daß dieser seinerseits nicht notwendig einer - von der Familienhilfe bezweckten - Entlastung bedarf. Das gilt in besonderem Maße für den die Versicherungspflichtgrenze überschreitenden Beamten, der der Hilfe des anderen Ehegatten nicht nur wegen der Höhe des eigenen Einkommens, sondern auch wegen seines Anspruchs auf Beihilfe im Krankheitsfall nicht bedarf.

Der Kläger kann sich auch nicht auf den Beschluß des BVerfG vom 9. Juni 1975 (SozR 2200 Nr. 4 zu § 205) berufen. Nach diesem Beschluß bedeutet zwar der Verlust eines früher bestehenden Anspruchs auf Familienhilfe eine Entwertung des Versicherungsverhältnisses und eine in einen Vertrauenstatbestand eingreifende unzulässige Rückwirkung. Im Gegensatz zu den vom BVerfG entschiedenen Fällen hat aber im vorliegenden Fall zu keiner Zeit ein Anspruch auf Familienhilfe bestanden. Die zitierten Entscheidungen des 3. Senats des BSG haben nicht etwa einen früher bestehenden Anspruch auf Familienhilfe für die Zukunft beseitigt, sondern nur klargestellt, daß auch in der Zeit vor Verkündung dieser Entscheidungen ein Anspruch auf Familienhilfe nicht bestand. Zwar hat die Beklagte in Fällen der vorliegenden Art in Unkenntnis der wahren Rechtslage tatsächlich Familienhilfe geleistet. Die Abkehr von ihrer früheren Verwaltungspraxis gibt dem bestehenden Versicherungsverhältnis aber keinen anderen Inhalt, sondern führt zu einer Anpassung an die aufgrund der neueren Rechtsprechung erkannte wirkliche Rechtslage. Es ist auch zu keiner Zeit und insbesondere auch nicht vom erkennenden Senat höchstrichterlich positiv entschieden worden, daß ein Versicherter für seinen unterhaltsberechtigten Ehegatten auch dann einen Anspruch auf die Leistungen der Familienhilfe hat, wenn dessen Einkommen die Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung übersteigt. In der erstmaligen Entscheidung dieser Rechtsfrage durch den 3. Senat des BSG vom 2. Oktober 1970 lag daher keine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern die erstmalige Entscheidung einer von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht entschiedenen Rechtsfrage. Im übrigen hat der Große Senat des BSG bereits entschieden, daß eine rückwirkende Änderung der Rechtsprechung gesetzlich möglich ist und keine unzulässige Rückwirkung in Tatbestände enthält, die in der Vergangenheit liegen (vgl. BSGE 34, 1, 21 = SozR Nr. 24 zu § 29 RVO). Der Kläger konnte auch nicht auf den Fortbestand der Verwaltungspraxis der Beklagten vertrauen, denn er hat selbst vorgetragen, daß die vorliegende Rechtsfrage bereits im Jahre 1968 Gegenstand der Beratungen des 47. Juristentages war und auch in der Literatur behandelt wurde (vgl. Bogs in Sozialer Fortschritt 1969, 275). Er konnte deshalb damit rechnen, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung diese Rechtsfrage aufgreifen und für ihn negativ entscheiden würde. Von einer überraschenden Entscheidung kann also nicht gesprochen werden.

Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Ablehnung der Leistungen der Familienhilfe durch die Beklagte gegen die Art. 3, 6 oder 14 GG verstoßen.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652160

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