Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. Ermittlung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs bei Doppelverdienerehe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau sind sowohl die ehelichen Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung als auch der wirtschaftliche Dauerzustand zum Zeitpunkt des Todes maßgebend.

2. Die ehelichen Lebensverhältnisse werden bei Doppelverdienern geprägt von dem Gesamtnettoeinkommen, das grundsätzlich jedem von ihnen zur Hälfte zusteht; wird von dieser Quote abgewichen, müssen besondere Gründe vorliegen.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

AVG § 42 Abs. 1 S. 1, § 45; RVO § 1265 Abs. 1 S. 1, § 1268; EheG 1946 § 58 Abs. 1, § 59; SGB VI § 243; GG Art. 3 Abs. 2 S. 2 F: 1994-10-27

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 03.05.1996; Aktenzeichen L 4 (13) An 50/93)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.09.1993; Aktenzeichen S 27 An 384/92)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten und die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 1996 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens der Klägerin je zur Hälfte. Im übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung einer sog Geschiedenenwitwenrente.

Die im Jahre 1922 geborene Klägerin war seit dem 11. Mai 1944 mit dem im Jahre 1919 geborenen – und am 8. Dezember 1991 verstorbenen – Versicherten L. … W. … verheiratet. Aus der Ehe sind zwei, 1949 und 1956 geborene, Kinder hervorgegangen. Die Ehe der Klägerin und des Versicherten wurde mit am 31. Juli 1973 rechtskräftig gewordenem Urteil aus dem Alleinverschulden des Versicherten geschieden (Landgericht Düsseldorf – 3 R 42/71).

Zum Zeitpunkt der Scheidung waren sowohl der Versicherte als auch die Klägerin berufstätig. Der Versicherte verdiente als technischer Zeichner monatlich 1.165,58 DM netto, die Klägerin als Telefonistin 965,58 DM netto. Seit dem 1. September 1982 bezog der Versicherte von der Beklagten Altersruhegeld; der Auszahlbetrag belief sich zum Zeitpunkt seines Todes auf 2.260,18 DM (2.407,00 DM abzüglich des Krankenversicherungsbeitrags); daneben erhielt er eine Zusatzversorgungsrente in Höhe von 207,84 DM monatlich. Der Auszahlbetrag des Altersruhegelds der Klägerin betrug zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten 1.631,80 DM (1.737,80 DM abzüglich des Krankenversicherungsbeitrags); ferner erhielt die Klägerin eine Betriebsrente in Höhe von 78,00 DM monatlich.

Die Klägerin hatte nach der Scheidung nicht wieder geheiratet. Der Versicherte heiratete am 13. Juli 1984 die Beigeladene. Ihr gewährte die Beklagte ab 1. Januar 1992 eine große Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten in Höhe eines Zahlbetrages von 1.356,11 DM monatlich (Bescheid vom 27. März 1992); aus eigenem Recht wurde der Beigeladenen zum damaligen Zeitpunkt ein monatliches Altersruhegeld von 1.533,30 DM (1.632,90 DM abzüglich des Krankenversicherungsbeitrags) ausgezahlt; ferner erhielt sie eine Zusatzversorgungsrente in Höhe von 216,70 DM monatlich.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente vom 30. Dezember 1991 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 1992 – und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1992 – ab. Sie vertrat die Ansicht: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf diese Rente, weil der Versicherte ihr zum Zeitpunkt seines Todes keinen Unterhalt gezahlt habe und ihr auch nicht gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet gewesen sei; zwar habe der nach § 58 Ehegesetz (EheG) allein schuldig Geschiedene seinem geschiedenen Ehegatten den nach den Lebensverhältnissen angemessenen Unterhalt zu zahlen, sofern er leistungsfähig und der geschiedene Ehegatte unterhaltsbedürftig sei; diese Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten im Hinblick auf ihre monatlichen Einkünfte nicht unterhaltsbedürftig gewesen.

Das Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat mit Urteil vom 10. September 1993 die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Die Klägerin sei nicht nach § 243 Abs 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) anspruchsberechtigt. Denn ihr habe im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten kein Anspruch auf Unterhaltszahlungen zugestanden. Nach der sog Anrechnungsmethode, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anzuwenden sei, ergebe sich lediglich ein Unterhaltsbedarf in Höhe von 80,69 DM (Einkommen der Klägerin und des Versicherten: 4.177,82 DM hiervon 3/7 = 1.790,49 DM abzüglich des Einkommens der Klägerin von 1.709,80 DM); dieser Betrag sei sozialrechtlich nicht von Bedeutung; sozialrechtlich relevant sei nach der Rechtsprechung des BSG nämlich nur ein Unterhaltsbeitrag, der 25 vH des Sozialhilfesatzes nicht unterschreite. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin ab 1. Januar 1992 eine Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen im gesetzlichen Umfang zu gewähren (Urteil vom 3. Mai 1996). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Nach dem hier gemäß § 300 Abs 2 SGB VI anzuwendenden § 42 Abs 1 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) habe die Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten Anspruch auf einen sozialrechtlich bedeutsamen Unterhalt nach den Vorschriften des EheG gehabt. Zur Berechnung des angemessenen Unterhalts seien nach der vom 13. Senat des BSG bevorzugten sog modifizierten Additionsmethode (SozR 3-2200 § 1265 Nr 11) beide Einkommen zusammenzurechnen und gemäß dem bei Rentnern Anwendung findenden Halbierungsgrundsatz zu teilen; auf die Hälfte des Gesamteinkommens müsse sich der unterhaltsberechtigte Ehegatte sodann sein eigenes bereinigtes Einkommen anrechnen lassen. Die jeweiligen Einkommen des Versicherten und der Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten seien hier ungekürzt einzubringen; Hinweise auf die Notwendigkeit eines pauschalen Abzugs für alters- und krankheitsbedingten Mehrbedarf hätten sich nicht ergeben. Der sich danach errechnende Unterhalt der Klägerin betrage 379,11 DM (Gesamteinkommen der Klägerin und des Versicherten = 4.177,82 DM: 2 = 2.088,91 DM abzüglich des Einkommens der Klägerin von 1.709,80 DM); dieser Betrag liege über 25 % des zum damaligen Zeitpunkt in Nordrhein-Westfalen geltenden Sozialhilferegelsatzes von insgesamt 473,00 DM, also über 118,25 DM.

Die Beklagte und die Beigeladene haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen eine fehlerhafte Anwendung von § 42 Abs 1 Satz 1 AVG und tragen vor:

Das LSG habe bei der Prüfung der anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs zu Unrecht die sog modifizierte Additionsmethode angewandt, die im Grunde der sog Differenzmethode entspreche, obwohl der Berechnung des Unterhaltsanspruchs nach der kontinuierlichen Rechtsprechung des BSG die sog Anrechnungsmethode zugrunde zu legen sei.

Die Beklagte und – sinngemäß – die Beigeladene beantragen,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 1996 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 1993 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Im Ergebnis habe sich der 13. Senat des BSG in der og Entscheidung der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) angeschlossen, wonach bei sog Doppelverdienerehen die Differenzmethode der Berechnung des Unterhaltsanspruchs zugrunde zu legen sei. Die Anrechnungsmethode führe zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Besserstellung des Mehrverdienenden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten und die der Beigeladenen sind unbegründet.

Zutreffend hat das LSG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Januar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides verurteilt, der Klägerin ab 1. Januar 1992 eine Geschiedenenwitwenrente nach dem Versicherten zu gewähren.

1. Der Anspruch der Klägerin auf Geschiedenenwitwenrente beurteilt sich, wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist, nach § 42 Abs 1 AVG und nicht nach § 243 SGB VI. Gemäß § 300 Abs 1 SGB VI finden zwar die Vorschriften des SGB VI vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt und Anspruch Anwendung, auch wenn der Sachverhalt oder Anspruch bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden hat. Abweichend von dieser Grundregel sind jedoch gemäß § 300 Abs 2 SGB VI die bis zum 1. Januar 1992 geltenden Bestimmungen – hier also das AVG – auch noch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung auf einen bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn dieser bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten geltend gemacht wird. Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat den Anspruch am 30. Dezember 1991 geltend gemacht. Dieser Anspruch war auch im Dezember 1991 entstanden.

Nach § 42 Abs 1 Satz 1 AVG (iVm § 67 Abs 4 AVG) erhält eine frühere Ehefrau des Versicherten, deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente, wenn – ua – der Versicherte ihr zum Zeitpunkt seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Diese Tatbestandsvoraussetzungen lagen hier jedenfalls mit Ablauf des 31. Dezember 1991 vor; zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin sowohl ein subjektives „Stamm-”Recht auf Hinterbliebenenrente als auch einen Anspruch auf Zahlung eines bestimmten Rentenbetrages nach Maßgabe der §§ 42 Abs 1 Satz 1 iVm 45 AVG iS von § 300 Abs 2 SGB VI erlangt (vgl hierzu BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3).

2. Zutreffend ist das LSG auch davon ausgegangen, daß sich die gesetzliche Unterhaltspflicht des Versicherten nach § 58 EheG bestimmt; denn die Ehe der Klägerin und des Versicherten war vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden; die Vorschrift findet trotz ihrer Aufhebung durch das 1. Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1421) hinsichtlich der unterhaltsrechtlichen Regelung „künftig” weiter Anwendung (Art 12 Nr 3 Abs 2 des 1. EheRG).

Nach § 58 Abs 1 EheG hat der allein oder überwiegend schuldig geschiedene Ehemann der geschiedenen Ehefrau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Ob dies der Fall ist und die Unterhaltsberechtigte zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten nach dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand (vgl hierzu BSGE 54, 34, 37 = SozR 2200 § 1265 Nr 66 S 224 mwN), einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch in sozialrechtlich relevanter Höhe, dh in Höhe von 25 vH des Sozialhilfesatzes, hatte (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1265 Nr 56 S 187 mwN), haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in eigener Zuständigkeit zu beurteilen; eine Bindung an unterhaltsrechtliche Entscheidungen der Zivilgerichte besteht nicht (vgl BSGE 54, 34, 35 = SozR 2200 § 1265 Nr 66 S 222 mwN).

a) Grundlage für die Bemessung der nachehelichen Unterhaltspflicht iS der og Vorschrift sind die ehelichen Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt der Ehescheidung. Sie sind für den bis zu diesem Zeitpunkt erreichten Lebenszuschnitt der Ehegatten (vgl BGH FamRZ 1984, 149 f) und daher auch für den zu ermittelnden Unterhaltsbedarf der Unterhaltsberechtigten maßgeblich (vgl ua BSG SozR 2200 § 1265 Nr 56 S 187 f mwN). Durch sie soll der Lebensstandard der geschiedenen Ehegatten nach der Scheidung (möglichst) aufrechterhalten bleiben. Die Anknüpfung ist Ausdruck der ehebedingten unterhaltsrechtlichen Verantwortung der Ehegatten füreinander auch nach der Trennung.

b) Liegt zwischen der Scheidung und der Geltendmachung/Entstehung des Anspruchs – wie hier – ein längerer Zeitraum, so sind vom Zeitpunkt der Scheidung an alle Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse an diesem Maßstab zu messen; die – konkrete – Unterhaltsbedürftigkeit ist hiernach unter Berücksichtigung ua des Einkommens der Unterhaltsberechtigten sowie der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten (§ 59 EheG) zu beurteilen (vgl hierzu BGH FamRZ 1979, 692 f). Ergibt sich allerdings, daß die zum Zeitpunkt der Scheidung voraussehbare Einkommensentwicklung und die seitdem eingetretenen Änderungen im wesentlichen der allgemeinen Entwicklung entsprochen haben, das spätere Einkommen mithin noch das eheliche Lebensniveau widerspiegelt, dann bedarf es im Hinblick auf die sich entsprechenden Lebensverhältnisse nicht der Projektion der ehelichen Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung auf den Zeitpunkt der Geltendmachung bzw Entstehung des Anspruchs (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1265 Nr 56 S 188 f mwN).

c) Die Prüfung des Unterhaltsanspruchs nach § 42 Abs 1 Satz 1 1. Alternative AVG iVm § 58 Abs 1 EheG gliedert sich somit grundsätzlich in zwei Abschnitte. Festzustellen sind einmal die ehelichen Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung und zum anderen die konkrete Höhe des Unterhaltsanspruchs zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten unter Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse sowie der Einkommen des Verpflichteten und der Unterhaltsberechtigten nach dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand.

3. Zur Bestimmung des Maßes des nachehelichen Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen haben die Zivilgerichte verschiedene Ermittlungsmethoden entwickelt, die von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise geprägt sind (vgl BGH FamRZ 1985, 161, 163; FamRZ 1984, 988, 990). Dementsprechend ist unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen das jeweilige durchschnittliche – frei verfügbare – monatliche Nettoeinkommen der Ehegatten zum Zeitpunkt der Scheidung (vgl hierzu BGH FamRZ 1989, 842, 843), das Einkommen also, das aufgrund der tatsächlichen Besteuerung im maßgeblichen Zeitpunkt der Scheidung vorhanden war, ggf unter Abzug eines Sonderbedarfs.

Ausgehend von diesen jeweiligen bereinigten Nettoeinkommen soll bei sog Doppelverdienerehen nach der Rechtsprechung des BGH die sog Differenzmethode zur Bestimmung des Maßstabes herangezogen werden, weil die ehelichen Lebensverhältnisse durch die Einkommen beider Ehegatten bestimmt werden (vgl BGH FamRZ 1984, 988, 990); nach dieser Methode wird das Einkommen der Ehefrau von dem – höheren – Einkommen des Ehemannes abgezogen und von dem sich hieraus ergebenden Betrag eine bestimmte Quote als angemessener Bedarf festgestellt. Bei der sog Hausfrauenehe bemißt sich nach der – klassischen – Anrechnungsmethode der Lebensstandard allein nach den Erwerbseinkünften des Ehemannes; von diesem Einkommen wird der geschiedenen Ehefrau eine bestimmte Quote als angemessener Unterhaltsbedarf zugebilligt (vgl BGH FamRZ 1981, 539, 541). Darüber hinaus gibt es weitere – zum Teil modifizierte – Berechnungsmodelle, wie etwa die Additionsmethode bei der der Unterhaltsbedarf nach Zusammenrechnen der beiden Nettoeinkommen aufgrund einer bestimmten Quote ermittelt wird (vgl hierzu Weychardt, Die Bemessung des Ehegattenunterhalts, Differenz- oder Abzugsmethode, NJW 1984, 2328). Nach der Rechtsprechung des BSG soll die Anrechnungsmethode auch bei sog Doppelverdienern (vgl BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 4 S 17 sowie Nr 7 S 29) Anwendung finden. Ausgehend von dem bereinigten Nettoeinkommen beider Ehegatten richtet sich auch hier der angemessene Unterhaltsbedarf des Unterhaltsberechtigten nach einer zu bestimmenden Quote.

Der 13. Senat des BSG (SozR 3-2200 § 1265 Nr 11) hat sich gegen diese Art der Berechnung in einem sog obiter dictum gewandt. Er hat darauf hingewiesen, daß bei dieser Methode im Falle einer Aufteilung des Gesamteinkommens der Ehegatten im Verhältnis 2/5 zu 3/5 der entstehende Verteilungsvorteil des mehrverdienenden Ehegatten „bedenklich” sei. Denn bei einer Doppelverdienerehe erhalte der Mehrverdienende den größeren Anteil, nämlich auch den Mehrbetrag von 1/5 des Einkommens seines geschiedenen Ehegatten, da die ihm zugebilligte Quote von 3/5 sich auf das Gesamteinkommen der beiden Ehegatten beziehe.

4. Welcher der og Methoden der Vorzug zu geben ist, kann hier offenbleiben. Denn sowohl nach der sog Anrechnungsmethode, wie sie das BSG versteht und von der es in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgegangen ist, als auch nach der sog Differenzmethode, die vom BGH in vergleichbaren Fällen angewandt wird, hatte die Klägerin im Hinblick auf die vom LSG in tatrichterlicher Würdigung vorgenommene und nicht zu beanstandende Quotierung (½ des Gesamtnettoeinkommens als Maßstab des nach den ehelichen Lebensverhältnissen angemessenen Lebensunterhalts) – auch – unter Berücksichtigung ihrer eigenen Einkünfte einen sozialrechtlich relevanten Unterhaltsanspruch.

a) Die Höhe der Quote, nach der sich das Maß des nachehelichen Unterhalts richtet und die dem Zweck dient, das zur Befriedigung des laufenden, allgemeinen Lebensbedarfs der Ehegatten zur Verfügung stehende Einkommen zwischen ihnen aufzuteilen (BGH FamRZ 1981, 442, 445), ist in tatrichterlicher Würdigung zu bestimmen. Hiervon ist auch die Rechtsprechung des BSG ausgegangen. In der Entscheidung vom 9. Februar 1971 (BSGE 32, 197 = SozR Nr 58 zu § 1265 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫), auf die in den nachfolgenden Entscheidungen Bezug genommen wird (der 5. Senat in BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 4 S 17, in Nr 7 S 29 durch Bezugnahme auf BSG SozR 2200 § 1265 Nr 56 S 189 sowie im Urteil vom 22. April 1992 – 5 RJ 72/91 – durch Hinweis auf SozR 3-2200 § 1265 Nrn 4 und 7), hat das BSG ausdrücklich betont, die von ihm angewandten „Richtlinien” seien als Orientierungshilfen und Anhaltspunkte zur Gleichbehandlung gleichliegender Fälle gedacht; sie stünden unter dem Vorbehalt einer Abweichung bei Besonderheiten. Es kann dahinstehen, ob in der og Entscheidung zum Ausdruck gekommen ist, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch andere Berechnungsmodelle Anwendung finden könnten. Jedenfalls ist im Einklang auch mit der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 1979, 692, 693; 1984, 149, 150; 1989, 842, 844; vgl hierzu auch Christl, Revisible Erfahrungssätze in Unterhaltstabellen, NJW 1984, 267 f) und nach allgemeinen Grundsätzen die Frage der Quotierung der tatrichterlichen Prüfung vorbehalten. Infolgedessen sind vom Revisionsgericht die vom Berufungsgericht herangezogenen Richtlinien allein als Erfahrungssätze zu überprüfen (vgl Walchshöfer, Münchner Komm, ZPO, § 550 RdNr 5; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl, §§ 549, 550 RdNr 31), ua unter dem Gesichtspunkt, ob diese den gegebenen Verhältnissen ausreichend Rechnung tragen.

b) Die vom LSG zugrunde gelegte Quotierung von ½ des Gesamtnettoeinkommens bei der Höhe des Unterhaltsanspruchs ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Zwar hat das LSG insoweit allein auf die zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten – bzw des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes davor – maßgeblichen Renteneinkünfte abgestellt und aus diesem Grunde den nachehelichen Unterhaltsbedarf der Klägerin mit ½ bewertet (zum Unterhaltsbedarf bei Rentnern: BSG SozR 2200 § 1265 Nr 79 S 265; BGH FamRZ 1985, 161, 164). Aus seiner Berechnung ergibt sich jedoch, daß es diese Quote auch als Maßstab zur Bemessung des nachehelichen Unterhaltsbedarfs insgesamt herangezogen hat.

bb) Die vom LSG vorgenommene Halbteilung zur Bestimmung des nach den ehelichen Lebensverhältnissen angemessenen Lebensunterhalts entspricht dem Grundsatz, daß beide (geschiedene) Ehegatten in gleicher Weise am ehelichen Lebensstandard teilnehmen und mithin jedem die Hälfte des verteilungsfähigen Einkommens zuzubilligen ist (vgl BGH FamRZ 1988 S 265, 267). Abweichungen von dem Grundsatz der gleichmäßigen Teilhabe bedürfen einer besonderen Begründung. Derartige Gründe sind nach den Feststellungen des LSG hier nicht vorhanden.

Der BGH hat es zwar als grundsätzlich zulässig erachtet, dem Unterhaltsverpflichteten eine maßvolle höhere Quote seines Einkommens zu belassen, sie berücksichtige den mit einer Berufstätigkeit verbundenen Aufwand und trage zugleich dazu bei, den Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu erhalten (vgl BGH FamRZ 1984, 988, 990; 1988, 265, 267). Diese Gesichtspunkte sind jedoch im Hinblick auf die in gleicher Weise berufstätige Ehefrau – wie auch die unterschiedliche Handhabung der Praxis zeigt (vgl hierzu Luthin, FamRZ 1983 S 1236; Büttner, FamRZ 1984 S 534, 535 Fußnote 13; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 5. Aufl, S 76 RdNr 34) – nicht zwingend. Denn auch die berufstätige Ehefrau muß zum Zeitpunkt der Ehescheidung ihren berufsbedingten Aufwand aus dem Gesamtnettoeinkommen bestreiten; zudem ist sie unterhaltsrechtlich verpflichtet, ihren Unterhalt durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu verdienen (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1265 Nr 79 S 265; BGH FamRZ 1991, 416 ff), da sie andernfalls so zu behandeln ist, als verfüge sie tatsächlich über die erzielbaren Einkünfte. Gerade im Rahmen einer auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung – im Hinblick auf die bei der Ordnung von Massenerscheinungen – üblichen pauschalierenden Betrachtungsweise ist ohne nähere Anhaltspunkte im Einzelfall davon auszugehen, daß bei beiderseitiger Erwerbstätigkeit zum Zeitpunkt der Scheidung eine Erhöhung der Quote zugunsten des mehrverdienenden Ehegatten – in aller Regel zu Lasten der Ehefrau – kein sachgerechtes Kriterium ist. Vielmehr gebietet Art 3 Abs 2 Grundgesetz (GG), wie sich insbesondere auch aus Satz 2 (eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des GG vom 27. Oktober 1994, BGBl I 3146) ergibt, eine Quotierung, die nicht an Frauen benachteiligende Kriterien anknüpft. Einer finanziellen Überforderung des Verpflichteten wird im übrigen durch die Mitberücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit im Rahmen von § 59 EheG bei der Höhe des Unterhaltsanspruchs entgegengewirkt (vgl hierzu BGH FamRZ 1980, 770).

Die vom BSG in der Entscheidung vom 9. Februar 1971 (BSGE 32, 197 ff = SozR Nr 58 zu § 1265 RVO) gegebene Begründung für eine Quotierung von 1/3 bis zu 3/7 kann nicht als „Orientierungshilfe” herangezogen werden. Die Ausführungen betreffen einmal eine andere Fallgestaltung; in dem dort entschiedenen Fall handelt es sich gerade nicht um eine sog Doppelverdienerehe; denn dort war allein der Ehemann erwerbstätig, die Ehefrau mußte sich allerdings auf ihren Unterhaltsanspruch „Einkünfte aus ihrem Vermögen” anrechnen lassen. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die weiteren Ausführungen in der og Entscheidung nach heutigem Rechtsverständnis, insbesondere im Hinblick auf Art 3 Abs 2 GG, tragend sein können. Im Ergebnis laufen sie nämlich auf eine Benachteiligung der – in der Regel mit der Kindererziehung betrauten und deshalb regelmäßig weniger verdienenden – geschiedenen Ehefrau hinaus. Das BSG hatte zwar in der genannten Entscheidung darauf hingewiesen, daß eine Aufteilung des Gesamteinkommens zur Hälfte dem Grundsatz der Gleichberechtigung am „ehesten” entspreche; es hat jedoch betont, daß nach seiner Ansicht die Verhältnisse, unter denen die Geschiedenen leben, arbeiten und Einkünfte erzielen, unterschiedlich seien; dabei hat es hervorgehoben, eine Halbteilung beeinträchtige den Arbeitswillen des Mehrverdienenden; zudem habe eine alleinstehende nicht berufstätige Frau, weil sie Kleidung, Wäsche und Haushalt selbst versorgen könne, in der Regel geringere Aufwendungen als ein alleinstehender berufstätiger Mann.

Nach alledem ist nicht zu beanstanden, wenn das LSG bei der Bemessung des nachehelichen Unterhaltsbedarfs zum Zeitpunkt der Ehescheidung davon ausgegangen ist, beiden Eheleuten stehe das Gesamtnettoeinkommen je zur Hälfte zu.

5. Ausgehend von dieser Halbteilung sowie von dem wirtschaftlichen Dauerzustand des Versicherten und der Klägerin im letzten Jahr vor dessen Tod besteht ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten gemäß § 58 EheG. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in diesem Zeitraum wurden bestimmt durch den jeweiligen Bezug des Altersruhegeldes sowie der Zusatzversorgungs- bzw Betriebsrente. Da diese Leistungen sowohl des Versicherten als auch der Klägerin – wie das LSG festgestellt hat – der allgemeinen Einkommensentwicklung seit der Ehescheidung entsprochen haben, konnten sie bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs zugrunde gelegt werden, einer Anpassung an den zum Zeitpunkt der Scheidung geltenden Lebensstandard bedurfte es daher nicht. Hinweise auf einen Mehrbedarf des Versicherten infolge von Alter oder Krankheit liegen nach den Feststellungen des LSG nicht vor.

6. Demnach ergibt sich ein Unterhaltsanspruch der Klägerin zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten, und zwar sowohl unter Zugrundelegung der sog Anrechnungsmethode als auch der sog Differenzmethode.

  1. Der Anspruch errechnet sich nach der Anrechnungsmethode:

    Einkommen des Versicherten:

    2.468,02 DM

    zuzüglich Einkommen der Klägerin:

    1.709,80 DM

    Gesamteinkommen:

    4.177,82 DM: 2

    =

    2.088,91 DM

    abzüglich des Einkommens der

    Klägerin

    1.709,80 DM

    =

    379,11 DM.

  2. Nach der Differenzmethode errechnet sich der Anspruch:

    Einkommen des Versicherten:

    2.468,02 DM

    abzüglich Einkommen der Klägerin:

    1.709,80 DM

    =

    758,22 DM: 2

    =

    379,11 DM.

Nach beiden Berechnungsmodellen übersteigt der Unterhaltsanspruch der Klägerin zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten 25 vH des nach den Feststellungen des LSG maßgeblichen Sozialhilfesatzes von insgesamt 473,00 DM, nämlich den Betrag von 118,25 DM. Im Hinblick hierauf ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine Geschiedenenwitwenrente gemäß § 42 Abs 1 iVm § 45 AVG zu gewähren.

Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen haben mithin keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG iVm § 202 SGG, § 97 Zivilprozeßordnung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173827

BSGE 80, 198

BSGE, 198

SozR 3-2200 § 1265, Nr.16

SozSi 1998, 239

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