Leitsatz (amtlich)

1. Ein nach RVO § 1735 vorläufig mit Leistungen eingetretener Träger der Unfallversicherung kann gegen den von ihm für zuständig gehaltenen Träger auch dann auf Feststellung von dessen Leistungszuständigkeit klagen, wenn dieser seine Entschädigungspflicht gegenüber dem Entschädigungsberechtigten bereits bindend abgelehnt hatte. Zu dem Rechtsstreit muß der Entschädigungsberechtigte beigeladen werden.

2. Für Selbsthilfearbeiten beim Bau eines Familienheims besteht auch dann Versicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 1 Nr 15, wenn im Zeitpunkt des Unfalls - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - die Baugenehmigung weder erteilt noch beantragt war, die Bauordnungsmäßigkeit des begonnenen Bauwerks jedoch aus ihm selbst zu erkennen ist (Ergänzung zu BSG 1968-06-27 2 RU 294/67 = BSGE 28, 134 und BSG 1971-08-25 2 RU 73/68 = SozR Nr 21 zu § 539 RVO).

 

Normenkette

SGG § 55 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 539 Abs. 1 Nr. 15 Fassung: 1963-04-30, § 1735 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Dezember 1975 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Tätigkeit im Rahmen der Selbsthilfe an einem Bauvorhaben auch dann unter Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 der Reichsversicherungsordnung (RVO) steht, wenn im Zeitpunkt des Unfalls für den Bau weder eine Baugenehmigung noch die Anerkennung als steuerbegünstigt beantragt worden sind.

Die Erbengemeinschaft D (D.) errichtete von Mai bis Dezember 1969 in Selbsthilfe unter unentgeltlicher Mithilfe von Nachbarn - unter ihnen der Versicherte Johann M (M.) - einen Anbau an ihr 40 bis 50 Jahre altes Altbauhaus in W, bestehend aus einer Dachgaube, Badezimmer und Toilette. Die Bauarbeiten dauerten mehr als 6 Arbeitstage. Das Fundament und das Mauerwerk im Erdgeschoß bis zur Deckenhöhe waren bereits gefertigt, als M. am 26. August 1969 bei Maurerarbeiten ca. 2,80 m tief abstürzte und hierbei tödliche Verletzungen erlitt. Die Baugenehmigung für den Anbau wurde aufgrund eines von D. erst im Oktober 1969 gestellten Antrages im Februar 1970 erteilt. Dem im Februar 1971 gestellten Antrag auf Anerkennung der neu erstellten Nebenräume als steuerbegünstigt nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz idF vom 1. August 1961 (BGBl I. 1121 II. WoBauG) wurde durch das Landratsamt Mayen-Koblenz im März 1971 entsprochen.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25. November 1969, der bindend geworden ist, gegenüber den Hinterbliebenen des M. Leistungen aus der Unfallversicherung mit der Begründung ab, da der Anbau der D. im Unfallzeitpunkt bauordnungswidrig gewesen sei, habe er nicht als öffentlich gefördert oder steuerbegünstigt anerkannt werden können.

Die Klägerin gewährt den Hinterbliebenen des M., wie sie in der Klageschrift vorgetragen hat, vorläufige Fürsorge nach § 1735 RVO. Ihrer bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage auf Feststellung, daß der Beklagte der für die Entschädigung zuständige Versicherungsträger sei, hat das SG stattgegeben (Urteil vom 22. Oktober 1974). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 3. Dezember 1975 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, die Zuständigkeit des Beklagten werde nicht dadurch ausgeschlossen, daß im Unfallzeitpunkt weder eine Baugenehmigung noch ein Bescheid über die Steuerbegünstigung beantragt oder erteilt gewesen seien. Es komme allein darauf an, ob zu dieser Zeit feststellbare konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, daß die Baumaßnahme einem öffentlich geförderten oder steuerbegünstigten Wohnungsbau dienen sollte und daß sie die Merkmale für eine nach § 82 II. WoBauG steuerbegünstigte Wohnung aufgewiesen habe. Das sei nach den vorliegenden Unterlagen und nach einer vom Landratsamt Mayen-Koblenz eingeholten Auskunft der Fall gewesen. Das LSG hat die Hinterbliebenen des M. nicht zum Rechtsstreit beigeladen.

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er meint, die Tätigkeit bei einem bauordnungswidrig durchgeführten Bauvorhaben (Schwarzarbeit) stehe nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO unter Unfallversicherungsschutz, da wegen des Fehlens der Baugenehmigung im Unfallzeitpunkt eine Anerkennung als steuerbegünstigter Wohnungsbau nicht habe erfolgen können. Wer seinen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen nicht nachkomme, könne sich auf den von der öffentlichen Hand zu gewährenden Unfallversicherungsschutz nicht berufen. Er könne in einem solchen Falle auch keine Unfallverhütung betreiben. Im übrigen habe das LSG auch seine Sachaufklärungspflicht dadurch verletzt, daß es nur der Auskunft der Kreisverwaltung vom 21. Mai 1975 gefolgt sei, ohne deren Stellungnahme vom 23. Juni 1975 zu beachten bzw. Widersprüche zu klären. Der Beklagte beantragt,

die Urteile des SG Düsseldorf vom 22. Oktober 1974 und des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Dezember 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen; hilfsweise: das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie ist der Ansicht, es sei nicht Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung, eine ordnungswidrige Bautätigkeit mit der Versagung des Unfallversicherungsschutzes zu ahnden. Der Hinweis auf die Unfallverhütungsmaßnahmen greife nicht durch. Das Schreiben vom 23. Juni 1975 habe nichts Neues gebracht.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision des beklagten Gemeindeunfallversicherungsverbandes (GUV) hat der Senat das angefochtene Urteil aufgehoben, weil das LSG die Hinterbliebenen des Versicherten M., denen die klagende Bau-Berufsgenossenschaft nach § 1735 RVO vorläufige Leistungen gewährt hat, für deren Gewährung sie nicht sich, sondern den Beklagten für zuständig hält, nicht zum Rechtsstreit beigeladen hat.

Die Vorinstanzen haben mit Recht die von der Klägerin erhobene Klage auf Feststellung der Zuständigkeit des Beklagten als eine Klage nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist) angesehen. Daß diese Zuständigkeitsklage in den Fällen des § 1735 RVO auch dann zulässig erhoben werden kann, wenn der beklagte Versicherungsträger einen Arbeitsunfall nicht als vorliegend erachtet, hat das Bundessozialgericht (BSG) schon entschieden (BSG 15, 52). In dem entschiedenen Fall hatte allerdings der andere Versicherungsträger seine Entschädigungspflicht nur gegenüber dem vorläufig mit Leistungen eingetretenen Versicherungsträger, dagegen nicht - wie im vorliegenden Fall - gegenüber dem Versicherten bzw. seinen Hinterbliebenen abgelehnt. Auch wenn eine solche Ablehnung gegenüber dem Entschädigungsberechtigten erfolgt und sogar bindend geworden ist, steht dies der Erhebung einer Zuständigkeitsklage durch einen nach § 1735 RVO eingetretenen Versicherungsträger nicht entgegen.

Nach § 1735 RVO in der hier noch anzuwendenden alten Fassung, die bis Ende 1975 gegolten hat (vgl. Art. II § 4 Nr. 3 und § 23 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - vom 11. Dezember 1975, BGBl I, 3015), hat ein Träger der Unfallversicherung, wenn er der Ansicht ist, daß zwar ein entschädigungspflichtiger Unfall vorliege, die Entschädigung aber nicht von ihm, sondern von einem anderen Versicherungsträger zu gewähren sei, dem Berechtigten eine vorläufige Fürsorge zuzuwenden, dem anderen Versicherungsträger die Verhandlungen mitzuteilen und ihn zur Anerkennung der Entschädigungspflicht aufzufordern. Zweck dieser Vorschrift ist es, die rechtzeitige Auszahlung von unstreitig zu gewährenden Entschädigungsleistungen nicht durch Zweifel über den für die Zahlung der Entschädigung zuständigen (oder mindestens vorrangig zuständigen) Versicherungsträger zu verzögern. Dieses Ziel würde nicht oder nur unvollkommen erreicht werden, wenn nach einer bindenden Ablehnung der Entschädigungspflicht durch einen der in Betracht kommenden Versicherungsträger für einen anderen Versicherungsträger der Weg des § 1735 RVO praktisch verschlossen wäre, weil er die - von ihm vorläufig übernommenen - Entschädigungsleistungen wegen der bindenden Ablehnung der Entschädigungspflicht durch den ersten Versicherungsträger nicht mehr von jenem erstattet verlangen und für die Zukunft auf ihn abwälzen könnte. Ihm bliebe dann, um nicht selbst endgültig mit den Entschädigungsleistungen belastet zu sein, nur übrig, auch seinerseits die Entschädigungspflicht zu verneinen und dem Berechtigten anheimzugeben, die Aufhebung einer der beiden ablehnenden Entscheidungen in einem Verfahren nach §§ 180, 181 SGG zu betreiben. Um dem Berechtigten die Nachteile dieses umständlichen Verfahrens zu ersparen - bis zur rechtskräftigen Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers durch das Gericht würde er keine Leistungen erhalten -, muß der vorläufig mit Leistungen eingetretene Versicherungsträger eine Klage auf Feststellung des zuständigen Trägers auch dann erheben können, wenn dieser seine Leistungspflicht gegenüber dem Berechtigten bereits bindend abgelehnt hatte. Das gilt allerdings nur, wenn sich die Bindung des ablehnenden Bescheides nicht auf den - erst später nach § 1735 RVO eintretenden - Versicherungsträger erstreckt (für den anderen Fall vgl. BSG 15, 118, 125 ff, wo der Klage einer LVA gegen eine Krankenkasse auf Feststellung der Arbeiterrentenversicherungspflicht von Beschäftigten ein auch gegen sie bindend gewordener, Versicherungsfreiheit feststellender Verwaltungsakt der Krankenkasse entgegenstand). Daß sich hier die Bindung des ablehnenden Bescheides des Beklagten nicht auf die nach § 1735 RVO eingetretene Klägerin erstreckt hat, weil diese an dem früheren Feststellungsverfahren nicht beteiligt gewesen war (§ 77 SGG), hat schon das LSG zutreffend ausgeführt (vgl. ferner BSG 24, 155; danach bindet der Bescheid eines Unfallversicherungsträgers, durch den Ansprüche des Verletzten abgelehnt worden sind, die Krankenkasse für deren Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen selbst dann nicht, wenn diese die Feststellung der Unfallentschädigung betrieben hatte und ihr der Bescheid auch zugestellt worden war; ebenso im Ergebnis Sozialrecht Nr. 2 zu § 1509 a RVO aF).

Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der von ihr begehrten Zuständigkeitsfeststellung (§ 55 Abs. 1 letzter Halbsatz SGG). Wegen der von ihr bisher erbrachten Leistungen hätte sie zwar unmittelbar auf Erstattung klagen können. Für noch zu erbringende Leistungen hätte jedoch ein der Erstattungsklage stattgebendes Urteil keine Rechtskraftwirkung gehabt. Im übrigen kann bei öffentlichen Leistungsträgern in der Regel erwartet werden, daß sie auch einem Feststellungsurteil trotz seiner fehlenden Vollstreckungsfähigkeit Folge leisten (vgl. BSG 10, 21, 24, 25).

Zu dem Zuständigkeitsstreit der beiden beteiligten Versicherungsträger hätten hier indessen die entschädigungsberechtigten Hinterbliebenen des M. nach § 75 Abs. 2 SGG beigeladen werden müssen; denn sie sind an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Streitig ist zwischen der Klägerin und dem Beklagten, ob dieser gegenüber den genannten Personen entschädigungspflichtig ist. Streitig ist damit ein Rechtsverhältnis, an dem die Hinterbliebenen des M. unmittelbar beteiligt sind, das deshalb auch ihnen gegenüber nur einheitlich - positiv oder negativ - entschieden werden kann. Würde im vorliegenden Rechtsstreit die Entschädigungspflicht des Beklagten rechtskräftig festgestellt werden, dann könnten sich darauf auch die Hinterbliebenen des M. berufen, sofern sie zum Rechtsstreit beigeladen sind (§ 141 SGG). Der Beklagte könnte ihnen seinen früheren ablehnenden Bescheid nicht entgegenhalten, weil er sich nach § 627 RVO überzeugen müßte, daß er die Leistungen zu Unrecht abgelehnt habe (zu der Frage, wann ein Versicherungsträger sich von der Unrichtigkeit seiner bisher vertretenen Auffassung überzeugen muß bzw. als überzeugt zu gelten hat, vgl. BSG 19, 38, 43 f; 28, 173, 175; SozR Nr. 12 zu RVO § 1300; SozR 2200 § 1300 Nr. 1, S. 3 und Urteil des 11. Senats vom 14. September 1976, 11 RA 118/75, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Die bisher unterbliebene, obwohl schon im erstinstanzlichen Verfahren beantragte Beiladung der genannten Personen ist, weil sie im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG notwendig war, vom Senat auch ohne Rüge eines Beteiligten von Amts wegen zu beachten. Die früher vom BSG vertretene abweichende Auffassung (Beachtung nur auf Rüge) ist aufgegeben worden (SozR 1500 Nr. 1 zu § 75 SGG). Da hier eine Beiladung im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (§ 168 SGG), hat der Senat den Rechtsstreit an das LSG zurückverweisen müssen.

In der Sache tritt der Senat - jedenfalls nach den bisher getroffenen Feststellungen - der Ansicht des LSG bei, daß der Unfall, dem M. zum Opfer gefallen ist, ein Arbeitsunfall im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO war und deshalb vom Beklagten zu entschädigen ist. Die genannte Vorschrift betrifft Personen, die u. a. bei dem Bau eines Familienheimes im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind, wenn durch das Bauvorhaben öffentlich geförderter oder steuerbegünstigter Wohnraum geschaffen werden soll. Auch der Beklagte geht davon aus, daß M. bei dem Bau - genauer: bei der baulichen Erweiterung (vgl. dazu BSG 28, 128, 130) - eines Familienheims im Rahmen der Selbsthilfe tätig gewesen und dabei verunglückt ist. Streitig ist lediglich, ob durch das Bauvorhaben öffentlich geförderter oder - was hier allein in Betracht kommt - steuerbegünstigter Wohnraum geschaffen werden sollte. Nach Ansicht des Beklagten ist dies nicht der Fall, weil in dem - maßgebenden - Zeitpunkt des Unfalls noch keine Genehmigung für den Erweiterungsbau erteilt war, so daß der Bau damals noch nicht als steuerbegünstigt habe anerkannt werden können. Das LSG ist dieser Auffassung mit Recht nicht gefolgt.

Wie der 2. Senat des BSG in einem Urteil vom 27. Juni 1968 (BSG 28, 134) entschieden hat, hängt der Unfallversicherungsschutz beim Bau einer im Rahmen der Selbsthilfe geschaffenen steuerbegünstigten Wohnung davon ab, daß das Bauvorhaben im Unfallzeitpunkt nachweislich den Voraussetzungen für die spätere Anerkennung entsprochen hat. In diesem Zeitpunkt müsse das Bauvorhaben die Merkmale aufgewiesen haben, die nach § 82 II. WoBauG eine steuerbegünstigte Wohnung kennzeichneten; dies werde sich in der Regel aufgrund der für die Baugenehmigung eingereichten Unterlagen - eventuell mit den bis zum Unfallzeitpunkt vorgenommenen Änderungen - feststellen lassen. Hierdurch bestehe hinreichende Gewähr dafür, daß der Unfallversicherungsschutz nicht nach Eintritt des Unfalles noch manipuliert werden könne. Zum Ausschluß solcher Manipulationen bedürfe es jedenfalls im allgemeinen nicht einer Abgrenzung des Unfallversicherungsschutzes, welche die Einleitung des Anerkennungsverfahrens (§ 83 II. WoBauG) zum entscheidenden Tatbestandsmerkmal erhebe. Wann die Steuerbegünstigung beantragt und durch Bescheid anerkannt worden sei - spätester Zeitpunkt hierfür sei die Bezugsfertigkeit des Familienheims -, sei demnach für die Abgrenzung des Unfallversicherungsschutzes nach § 537 Nr. 13 RVO a. F. (= Nr. 15 n. F.) unerheblich (aaO S. 136). Auch in einer späteren Entscheidung vom 25. August 1971, bei der es sich um den Unfallversicherungsschutz für bestimmte, vor Beantragung der Baugenehmigung durchgeführte Bauarbeiten (Ausschachtung eines Brunnens) handelte, hat der 2. Senat nur gefordert, daß im Unfallzeitpunkt "feststellbare konkrete Anhaltspunkte" dafür vorliegen, daß die Baumaßnahme einem öffentlich geförderten oder steuerbegünstigten Wohnungsbau dienen soll (SozR Nr. 21 zu § 539 RVO). Der erkennende Senat tritt der in diesen Entscheidungen zum Ausdruck gekommenen Rechtsauffassung bei, wobei der Hinweis der Revision, sie könne - bei Schwarzarbeit - keine Unfallverhütungsmaßnahmen ergreifen, schon deshalb keine andere Beurteilung rechtfertigen kann, weil das gleiche auch für die Klägerin gilt.

Wenn hiernach, um einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO zu begründen, im Zeitpunkt des Unfalles nur die Voraussetzungen für die Anerkennung der Steuerbegünstigung des neu zu schaffenden Wohnraums vorzuliegen brauchen, diese Voraussetzungen allerdings hinreichend sicher feststellbar sein müssen, die Anerkennung selbst dagegen noch nicht erfolgt zu sein braucht, so kann nichts anderes gelten, soweit es sich um die allgemeine Bauordnungsmäßigkeit des Baues handelt. Ob diese überhaupt zu den Voraussetzungen für die Anerkennung der Steuerbegünstigung gehört, ist nicht unzweifelhaft (vgl. aber BVerwGE 12, 245). Denn die Bedingungen, von denen die Bauordnungsmäßigkeit des Baues abhängt (vgl. BVerwG aaO S. 246), haben inhaltlich nichts mit denen für die Anerkennung seiner Steuerbegünstigung zu tun (vgl. § 82 II. WoBauG), ihre Erfüllung steht - anders als bei jenen - auch nicht im Belieben des Bauherrn, so daß es insoweit keiner Vorkehrungen bedarf, um nachträgliche Manipulationen zur Erlangung des Versicherungsschutzes auszuschließen. Zweifeln dieser Art braucht hier indessen nicht weiter nachgegangen zu werden. Selbst wenn nämlich auch die Bauordnungsmäßigkeit des Baues zu den Voraussetzungen für die Anerkennung seiner Steuerbegünstigung gehören sollte, braucht sie jedenfalls im Unfallzeitpunkt noch nicht von der zuständigen Behörde geprüft und durch Erteilung einer Baugenehmigung bestätigt worden zu sein. Es genügt vielmehr, wenn sie sich in diesem Zeitpunkt aus den (in der Regel mit dem Bauantrag eingereichten) Unterlagen hinreichend sicher ergibt oder - falls die Unterlagen bei Eintritt des Unfalles noch nicht eingereicht sind, weil der Bauantrag noch nicht gestellt ist - wenn sie aus dem begonnenen Bauwerk selbst zu erkennen ist. Letzteres ist hier der Fall gewesen, wie das LSG näher ausgeführt hat. Sollten seine insoweit getroffenen Feststellungen berichtigungs- oder ergänzungsbedürftig sein, dann hat der Beklagte in der neuen Verhandlung vor dem LSG Gelegenheit, auf ihre Berichtigung oder Ergänzung hinzuwirken. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651676

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